In der Schaltzentrale des Erbguts

Presseinformation der LMU München vom 09.01.2015

Epigenetische Signale steuern, wann welches Gen aktiv ist. Eine neue Methode ermöglicht erstmals die systematische Charakterisierung der entsprechenden Schalter. Dabei zeigte sich, dass der Ausfall einzelner Schalter kompensiert werden kann.

Jede Körperzelle eines Organismus enthält im Erbmolekül DNA ein identisches genetisches Inventar. Allerdings sind in jeder Zelle nur die Gene aktiv, die von der Zelle benötigt werden – in Muskelzellen etwa läuft ein anderes Programm ab als in Nervenzellen. Welche Gene wann und wo aktiv sind, wird über chemische Modifizierungen reguliert – sogenannte epigenetische Signalwege, mit denen die Zelle auch auf Umwelteinflüsse reagieren kann. „Störungen in diesen Signalwegen können unter anderem Krankheiten wie Krebs und Alzheimer auslösen“, sagt der LMU-Biologe Professor Peter Becker, dem es nun mit seinem Doktoranden Christian Feller gelang, alle an einem wichtigen epigenetischen Signalweg – der sogenannten Histon-Acetylierung – beteiligten Enzyme zu charakterisieren. Darüber berichten die Wissenschaftler im renommierten Journal Molecular Cell.

Die DNA ist im Zellkern dicht gepackt und in einen schützenden Mantel aus Histonproteinen eingebettet. Diese Histonproteine können durch Acetylierungen – d.h. durch Anheften von Acetylgruppen – chemisch modifiziert werden, sodass bestimmte Bereiche der DNA zugänglich und die entsprechenden Gene aktivierbar werden. „Obwohl die Histon-Acetylierung schon lange bekannt ist, wissen wir aber noch wenig darüber, an welchen Stellen entlang der Histonmoleküle Acetylierungen auftreten, wie sich verschiedene Acetylierungen zu sogenannten „Motiven“ kombinieren und wie häufig diese im Zellkern vorkommen“, erklärt Becker. Unterschiedliche Acetylierungsmotive regulieren vermutlich verschiedene epigenetische Signalwege.

Spezialisten für die Histon-Acetylierung

Vermittelt wird die Histon-Acetylierung von zahlreichen spezialisierten Acetylierungs-Enzymen, von denen vermutet wird, dass jedes Enzym nur für spezielle Acetylierungsmotive zuständig ist. Menschliche Zellen enthalten mehr als 60 potenzielle Acetylierungs-Enzyme und sogar die Fruchtfliege besitzt über 40 Acetylierungs-Enzyme, von denen die meisten den menschlichen Varianten vermutlich sehr ähnlich sind. „Um jedem Enzym das entsprechende Acetylierungsmotiv zuordnen zu können, fehlten bisher die technischen Möglichkeiten“, sagt Becker.

Um dieses Problem zu lösen, entwickelten die Wissenschaftler nun eine proteomische Methode weiter, die Histonmodifikationen und deren Kombinationen zuverlässiger quantifiziert. „Der Schlüssel zum Erfolg war die enge Zusammenarbeit mit den Proteomikexperten Axel Imhof und Ignasi Fornè, die es uns erlaubte, ein optimiertes massenspektrometrisches Verfahren zu entwickeln, das viele Acetylierungsmotive in der Zelle aufdecken kann“, sagt Feller, der Erstautor der Studie. Mithilfe der neuen Methode gelang es dem Forscherteam, systematisch alle Acetylierungs-Enzyme der Fruchtfliege zu charakterisieren. Indem sie diese Enzyme nacheinander aus Fliegenzellen genetisch entfernten, konnten sie aufklären, welches Acetylierungsmotiv jedes Enzym ansteuert. Dabei zeigte sich auch, dass benachbarte Acetylierungen und andere chemische Modifikationen die Zielstruktur der Acetylierungs-Enzyme beeinflussen.

Schalter mit Backup

„Unser überraschendster Fund war, dass die Entfernung von Acetylierungs-Enzymen häufig dazu führt, dass an benachbarten Stellen neue Acetylierungen hinzukommen, sodass die Summe aller Acetylierungen am Ende oft sehr ähnlich ist“, sagt Feller. Dass biologische Systeme in der Lage sind, fehlende Komponenten zumindest kurzzeitig zu ersetzen, ist ein bekanntes Phänomen in der Biologie. „Das große Ausmaß für das Histonacetylierungssystem war jedoch sehr überraschend“, ergänzt Becker, „und illustriert die komplexe Verschaltungsweise epigenetischer Signalwege“.

Die Ergebnisse von Beckers Team legen den Grundstein für weitere Untersuchungen: Wie stark ähneln die Ziele einzelner Acetylierungs-Enzyme aus der Fruchtfliege denen in menschlichen Zellen? Wie weit ist das Phänomen der ausgleichenden Acetylierung verbreitet und welche Funktion hat es? Und letztlich, wie können diese und weiterführende Studien zu effektiveren Inhibitoren von Acetylierungs-Enzymen in der Krebstherapie entwickelt werden? Diesen Fragen wollen die Wissenschaftler in zukünftigen Studien nachgehen. (göd)

Publikation:
Molecular Cell 2015

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Mit Gedanken Gene steuern

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 11.11.2014

ETH-Forscher um Martin Fussenegger haben das erste Gen-Netzwerk entwickelt, das über Hirnströme in Gang gesetzt wird und je nach Gedanken unterschiedliche Mengen eines gewünschten Moleküls produziert. Pate stand ein Spiel, das ebenfalls Hirnströme abgreift, um damit einen Ball durch einen Hindernisparcours zu lenken.

Es klingt beinahe wie in der Weltraum-Saga «Star Wars», in der Meister Yoda dem jungen Luke Skywalker beibringt, wie man durch die Kraft der Gedanken den X-Wing Starfighter aus dem Sumpf birgt: Marc Folcher sowie weitere Forscherinnen und Forscher aus der Gruppe von Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften am Departement Biosysteme (D-BSSE) in Basel, haben eine neuartige Genregulationsmethode entwickelt, bei der Gedanken – respektive die spezifischen Hirnströme, die sie erzeugen – die Umsetzung von Genen in Proteine, in der Fachsprache Expression genannt, steuern.

«Es ist uns zum ersten Mal gelungen, menschliche Hirnströme abzugreifen, diese drahtlos an ein Gen-Netzwerk zu übertragen und die Expression eines Gens, je nach Art der Gedanken, zu regulieren. Die Kontrolle von Genexpression durch die Macht der Gedanken war ein Traum, den wir seit über einem Jahrzehnt verfolgen», sagt Fussenegger.

Eine Inspirationsquelle für das neue durch Gedanken kontrollierte Gen-Regelwerk war das Spiel «Mindflex». Dabei trägt ein Spieler eine Art Kopfhörer mit Sensor auf der Stirn, der die Hirnströme aufzeichnet. Das registrierte Elektroenzephalogramm (EEG) wird dann in die Spielumgebung übertragen. Dabei kontrolliert das EEG einen Ventilator, um so einen kleinen Ball durch einen Hindernisparcours zu lenken.

Drahtlose Übertragung auf Implantat

Das System, das die Basler Bioingenieure soeben in «Nature Communications» vorgestellt haben, besteht nun ebenfalls aus einem EEG-Kopfhörer. Die aufgefangenen Hirnströme werden ausgewertet und drahtlos via Bluetooth an einen Controller übertragen. Dieser steuert einen Feldgenerator, der ein elektromagnetisches Feld erzeugt, welches ein Implantat induktiv mit Strom versorgt.

Im Implantat geht danach buchstäblich ein Licht auf: Ein integriertes LED-Lämpchen, das Licht im Nah-Infrarotbereich abstrahlt, schaltet sich an und beleuchtet eine Kulturkammer mit genetisch veränderten Zellen. Sobald das Nah-IR-Licht die Zellen anstrahlt, beginnen diese mit der Herstellung des gewünschten Proteins.

Gedanke steuert Proteinmenge

Das Implantat wurde vorerst in Zellkulturen und in Mäusen getestet, gesteuert durch die Gedanken verschiedener Testpersonen. In ihren Tests arbeiteten die Forschenden mit SEAP, einem einfach nachzuweisenden menschlichen Modell-Eiweiss, das aus der Kulturkammer des Implantates in den Blutkreislauf der Maus diffundiert.

Um die Menge des freigesetzten Proteins zu regulieren, mussten sich die Testpersonen in drei verschiedene Gedankenzustände versetzen: Biofeedback, Meditation und Konzentration. Testpersonen, welche am Computer Minecraft spielten, sich also konzentrierten, induzierten mittlere SEAP-Werte im Blutkreislauf der Mäuse, während im Zustand völliger Entspannung, also bei Meditation, sehr hohe SEAP-Blutwerte in den Versuchstieren erreicht wurden. Beim Bio-Feedback beobachteten die Testpersonen das LED-Licht des Implantats im Körper der Maus und konnten durch diese visuelle Rückkopplung ihrer Gedanken das LED-Licht bewusst möglichst lange ein- oder ausschalten. Dies wiederum schlug sich in wechselnden Mengen an SEAP im Blutkreislauf der Tiere nieder.

Neues lichtempfindliches Genkonstrukt

«Eine solche Gen-Steuerung ist komplett neu und in ihrer Einfachheit einzigartig», führt Fussenegger aus. Eine Neuentwicklung sei insbesondere das lichtempfindliche optogenetische Modul, welches auf Nah-Infrarotlicht reagiert. Dabei trifft das Licht auf ein modifiziertes lichtempfindliches Protein im Inneren von genveränderten Zellen und löst dort eine künstliche Signalkaskade aus, an deren Ende die Herstellung von SEAP steht. Nah-Infrarot wurde deshalb verwendet, weil es für menschliche Zellen weitgehend unschädlich ist, tief ins Gewebe einzudringen vermag und die Funktion des Implantates visuell verfolgt werden kann.

Das existierende System funktioniert im Mensch-Zellkultur- und Mensch-Maus-System einwandfrei. Fussenegger hofft, dass ein gedankengesteuertes Implantat dereinst helfen könnte, neurologische Erkrankungen wie chronische Kopf- und Rückenschmerzen sowie Epilepsie durch spezifische Hirnströme frühzeitig zu erkennen. Dadurch könnte die rechtzeitige Bildung gewisser Wirkstoffe in eingesetzten Implantaten ausgelöst und gesteuert werden.

Literaturhinweis:
Folcher M, Oesterle S, Zwicky K, Thekkottil T, Heymoz J, Hohmann M, Christen M, Daoud El-Baba M, Buchmann P, Fussenegger, M: Mind-controlled transgene expression by a wireless-powered optogenetic designer cell implant. Nature Communications, published online 11th November 2014. DOI: 10.1038/ncomms6392

Externer Link: www.ethz.ch

Fett, das schlank macht: Forscher der TU Graz aktivieren körpereigene „Fatburner“

Pressemitteilung der TU Graz vom 03.09.2014

Umpolung menschlicher Fettzellen von Energiespeicherung auf Energieverbrennung gelungen

Forscher der TU Graz haben weltweit erstmals humane Fettzellen mit MikroRNAs – einer speziellen Klasse von Genen – „umgepolt“ und sie dazu gebracht, Energie zu verbrennen statt zu speichern. Durch gezielte Zugabe von MikroRNAs wurden energiespeichernde, weiße Fettzellen angeregt, sich in energieverbrennende, braune Fettzellen zu verwandeln. Dieses braune „Schlankmacherfett“ verbrennt Energie durch Wärmeabgabe. Damit ist ein bahnbrechender Schritt für neue Strategien zur Eindämmung von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes getan. Ihre Erkenntnisse haben die Grazer kürzlich im renommierten Fachjournal „Stem Cells“ veröffentlicht.

Der Sommer ist da und trotz der bescheidenen Temperaturen ist die schlanke Strandfigur oftmals so heißbegehrt wie unerreicht. „Der Speck muss weg“ sollte es bei Übergewicht und Adipositas aber weniger der Optik, sondern vor allem der Gesundheit zu liebe heißen: Überschüssige Fette und Zucker führen langfristig zu Organschäden, einer Resistenz gegenüber Insulin und damit zu Typ-2-Diabetes.

Dem Forscherteam für „RNA-Biologie“ der TU Graz rund um Marcel Scheideler vom Institut für Molekulare Biotechnologie ist nun im Rahmen des österreichischen GEN-AU-Programms, eines FWF-Projekts und des EU-Projekts DIABAT bemerkenswertes gelungen: Als weltweit erste haben sie mit MikroRNAs, einer neuen Klasse molekularer Schalter, die „bösen“ weißen Fettzellen in das braune „Schlankmacherfett“ umgepolt. „Je mehr braune Fettzellen ein erwachsener Mensch hat, desto besser kann er einer Gewichtszunahme und damit Übergewicht und Fettleibigkeit widerstehen, denn: Im Gegensatz zu weißen Fettzellen sind in braunen Fettzellen mehr Mitochondrien vorhanden. Diese ‚Zellkraftwerke‘ können zu massiver Energieverbrennung durch Wärmeabgabe angeregt werden,“, erklärt Marcel Scheideler.

„Fatburner“-Schlüssel

Konkret haben die Forscher ein humanes Zellmodell für ihre Experimente herangezogen und sich im menschlichen Erbgut auf die Untersuchung von MikroRNAs fokussiert – kleinen RNA-Schnipseln, die bis vor kurzem noch als „genetischer Schrott“ bezeichnet wurden. Dabei entdeckte das Team MikroRNAs mit besonderer Rolle in der Fettzellentwicklung: die „MikroRNA-26-Familie“. Marcel Scheideler: „Diese spezielle MikroRNA-Familie regt die Bildung des Proteins UCP1 an, das eine Art Kurzschluss in den Mitochondrien erzeugt und somit als Schalter für die Energieverbrennung in den Fettzellen fungiert. Dadurch wird eine gesteigerte Energieverbrennung erst möglich.“ Die MikroRNA-26-Familie ist also in der Lage, die Fettzelle von der Energiespeicherung auf die Energieverbrennung umzupolen. Für eine therapeutische Anwendung wurde diese Entdeckung zum Patent angemeldet.

Was noch fehlt, ist ein geeignetes Transportmittel zu den Fettdepots im menschlichen Körper – doch auch hier haben die Forscher der TU Graz in Zusammenarbeit mit der Akademie der Wissenschaften und der Medizinischen Universität Graz im Rahmen des HTI-Projekts „NanoFat“ Pionierarbeit geleistet und bereits eine auf Nanopartikel basierende Lösung zum Patent angemeldet.

Originalpublikation:
M. Karbiener, D. Pisani, A. Frontini, L. Oberreiter, E. Lang, A. Vegiopoulos, K. Mössenböck, G. Bernhardt, T. Mayr, F. Hildner, J. Grillari, G. Ailhaud, S. Herzig, S. Cinti, E. Amri and M. Scheideler: MicroRNA-26 Family Is Required for Human Adipogenesis and Drives Characteristics of Brown Adipocytes. Stem Cells, Volume 32, Issue 6. June 2014.

Externer Link: www.tugraz.at

Neuer Abwehrmechanismus gegen Viren entdeckt

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 11.09.2014

Ein bekannter Qualitätskontrollmechanismus von menschlichen, tierischen und pflanzlichen Zellen wirkt auch gegen Viren, wie Forschende herausgefunden haben. Es dürfte sich dabei evolutionsgeschichtlich um einen der ältesten Virus-Abwehrmechanismen handeln.

Dem Immunsystem steht ein ganzes Arsenal an Waffen zur Verfügung, um Viren zu bekämpfen: Killerzellen, Antikörper und Botenstoffe, um nur einige zu nennen. Das Immunsystem setzt die entsprechenden Abwehrmechanismen in Gang, wenn ein Erreger den Körper befällt. Daneben gibt es auch Abwehrmechanismen, die nicht angestossen werden müssen, sondern quasi als stehendes Heer ständig aktiv sind. Forschende der ETH Zürich haben nun in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Bern einen neuen solchen Mechanismus entdeckt. Er wirkt gegen einzelne Viren, deren Erbgut in Form von einzelsträngiger RNA mit positiver Polarität vorliegt, wie die Forschenden gezeigt haben. Zur selben Gruppe von Viren gehören viele bekannte Erreger wie jene von Hepatitis C, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Kinderlähmung, SARS, Gelbfieber und Dengue, aber auch die Potyviren, eine Gruppe von Pflanzenviren, die bei zahlreichen wirtschaftlich bedeutenden Kulturpflanzen grossen Schaden anrichten.

Forschende um Ari Helenius, Professor für Biochemie an der ETH Zürich, endeckten den Mechanismus in ihrer Forschung mit menschlichen Zellen in Zellkultur und einem in der Grundlagenforschung häufig verwendeten Modellvirus, dem Semliki-Forest-Virus. In einem grossangelegten Screening schalteten sie bei den Zellen einzelne Gene aus. Dabei entdeckten sie, dass die Zellen für eine Infektion mit dem Virus anfälliger waren, wenn Gene eines zellulären Kontroll- und Regulationssystems für RNA mit dem Namen NMD (Nonsense-mediated mRNA decay) ausgeschaltet waren.

Viren als fehlerhafte Zell-RNA erkannt

In einer parallelen grossangelegten Forschungsanstrengung entdeckten Olivier Voinnet, Professor für RNA-Biologie an der ETH Zürich, und seine Kollegen denselben Abwehrmechanismus gegen Viren auch bei Pflanzen. Sie benutzten die Modellpflanze Ackerschmalwand und das Kartoffelvirus X für ihre Untersuchungen. Die Gruppen von Helenius und Voinnet veröffentlichen ihre beiden Arbeiten bei menschlichen Zellen und Pflanzen in der neusten Ausgabe der Fachzeitschrift «Cell Host & Microbe», erstere in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Oliver Mühlemann, Professor an der Universität Bern, der sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem NMD-System beschäftigt hat.

Das NMD-System ist in der Biologie schon seit längerem als Kontroll- und Regulationssystem bekannt, das in Zellen fehlerhaft hergestellte und somit nicht-funktionale Boten-RNA-Moleküle aus dem Verkehr zieht. Neu ist die Erkenntnis, dass dieses System eine zweite Funktion hat: Es sorgt auch dafür, dass das Erbgut bestimmter RNA-Viren abgebaut wird, womit sich diese Viren in den Wirtszellen nicht vermehren können. «Das RNA-Genom dieser Viren hat Gemeinsamkeiten mit fehlerhafter Boten-RNA in menschlichen, tierischen und pflanzlichen Zellen und wird vom NMD-System als solches erkannt», erklärt Giuseppe Balistreri, Postdoc und Erstautor einer der beiden Studien.

Ältestes Abwehrsystem

Die Forschenden vermuten, dass das NMD-System bei einer Infektion mit Viren der untersuchten Klasse der zeitlich erste Abwehrmechanismus ist. «Der Mechanismus wirkt direkt auf das Erbgut der Viren, bevor sich dieses in den Wirtszellen vervielfältigen kann», sagen Helenius und Voinnet. Ausserdem gehen sie davon aus, dass es sich dabei evolutionsgeschichtlich um einen der ältesten Abwehrmechanismen gegen Viren handelt. Denn das NMD-System ist so grundlegend, dass es in allen höheren Lebewesen – Menschen, Tieren, Pflanzen und Pilzen – vorkommt.

Allerdings ist der Mechanismus nicht hundertprozentig wirksam. «Wäre er dies, würden RNA-Viren gar nicht existieren», sagt Helenius. Vielmehr haben Viren im Laufe der Evolution Mechanismen entwickelt, um der Wirkung des NMD-Systems zu entkommen oder dieses sogar aktiv zu unterdrücken. Beide ETH-Forschungsgruppen haben in ihren Arbeiten Hinweise darauf gefunden. «Die Viren und ihre Wirte liefern sich eine endlose Schlacht, und in dieser spielte und spielt das NMD-System eine Rolle», sagt Voinnet. «Dadurch hat der NMD-Mechanismus im Laufe der Evolution mitgeholfen, das Genom von RNA-Viren so zu formen, wie es heute ist.»

Literaturhinweis:

Balistreri G, Horvath P, Schweingruber C, Zünd D, McInerney G, Merits A, Mühlemann O, Azzalin C, Helenius A: The Host Nonsense-Mediated mRNA Decay Pathway Restrics Mammalian RNA Virus Replication. Cell Host & Microbe 2014, 16: 403–411, doi: 10.1016/j.chom.2014.08.007

Garcia D, Garcia S, Voinnet O: Nonsense-Mediated Decay Serves as a General Virus Restriction Mechanism in Plants. Cell Host & Microbe, Onlinepublikation vom 21. August 2014, doi: 10.1016/j.chom.2014.08.001

Externer Link: www.ethz.ch

Fehlendes Protein bei Muskelschwund-Patienten wieder hergestellt

Medienmitteilung der Universität Basel vom 21.08.2014

Fortschritte in der Therapie von Muskelschwund: Einem Forschungsteam ist es erstmals gelungen, bei Patienten mit Muskeldystrophie ein fehlendes Reparaturprotein wieder herzustellen. Dies berichten Forscher der Neurologischen Klinik am Universitätsspital Basel und des Departements Biomedizin der Universität Basel in der Fachzeitschrift «Science Translational Medicine».

Bei Verletzungen der Muskelzellmembran tritt in der Regel das Reparaturprotein Dysferlin in Funktion. Wenn dieses Protein aber durch Veränderung der Erbsubstanz mutiert ist, wird es vom körpereigenen Qualitätssicherungssystem, dem Proteasom, als defekt erkannt und eliminiert. Ohne Dysferlin können verletzte Muskelzellmembranen nicht repariert werden – was zum fortschreitenden Abbau von Skelettmuskelzellen und dadurch zu Muskelschwund führt. Offenbar neutralisiert das körpereigene Qualitätssicherungssystem das mutierte Dysferlin selbst dann, wenn dessen Reparaturfähigkeit durch die Mutation nicht beeinträchtigt ist.

Reparaturprotein reaktiviert

Die Gruppe um Forschungsleiter Prof. Michael Sinnreich von der Neurologischen Klinik des Universitätsspitals Basel und am Departement Biomedizin der Universität Basel hat bereits früher gezeigt, dass das Reparaturprotein Dysferlin in kultivierten Muskelzellen von Muskeldystrophie-Patienten durch Proteasom-Inhibitoren wieder aktiviert werden kann. Die gezielte Ausschaltung der übertriebenen Qualitätssicherung erlaubt es dem veränderten Reparaturprotein, seine Funktion wieder zu erlangen und Schädigungen von Muskelzellmembranen zu beheben.

Nun hat das Team diese Resultate in einer klinischen Machbarkeitsstudie auf den Menschen übertragen und fehlendes Dysferlin in der Muskulatur von Muskeldystrophie-Patienten wieder hergestellt: Drei Patienten mit einer Mutation im Dysferlin-Gen wurden mit einer einmaligen Dosis eines Proteasom-Inhibitors behandelt. Bereits nach wenigen Tagen produzierte deren Muskulatur das fehlende Dysferlin in Mengen, die therapeutisch wirksam sein könnten.

Langzeitstudie geplant

Die neuen Resultate dienen nun als Grundlage einer klinischen Langzeitstudie, sagt Forschungsleiter Sinnreich. «Die gewonnenen Erkenntnisse könnten nicht nur für die Behandlung von Patienten mit Muskeldystrophie von grosser Bedeutung sein, sondern auch für Therapien anderer, bisher unheilbarer genetischer Erkrankungen.»

Die Studie wurde von der Gebert-Rüf-Stiftung, der Uniscientia-Stiftung, dem Schweizerischen Nationalfonds, der Neuromuscular Research Association Basel, der Association Française contre les Myopathies, der Schweizerischen Muskelgesellschaft und der Schweizerischen Stiftung zur Erforschung der Muskelkrankheiten gefördert und mit Unterstützung der Clinical Trial Unit des Universitätsspitals Basel durchgeführt.

Originalbeitrag:
B. A. Azakir, B. Erne, S. Di Fulvio, G. Stirnimann, M. Sinnreich
Proteasome inhibitors increase missense mutated dysferlin in patients with muscular dystrophy
Science Translational Medicine, 20 August 2014 | doi: 10.1126/scitranslmed.3009612

Externer Link: www.unibas.ch