Biowasserstoff aus Holzabfällen

Presseinformation der Fraunhofer Gesellschaft vom 02.12.2024

Holzabfälle werden bislang kostenintensiv entsorgt und in Verbrennungsanlagen allenfalls energetisch verwertet. In der Region Schwarzwald nutzen Fraunhofer-Forschende die wertvolle Ressource zur Herstellung von Biowasserstoff. Im Verbundvorhaben H2Wood – BlackForest wurden eigens Fermentationsverfahren mit wasserstoffproduzierenden Bakterien und Mikroalgen zur biotechnologischen Erzeugung des grünen Energieträgers entwickelt. Bereits 2025 soll eine Pilotanlage zur Produktion von Biowasserstoff in Betrieb genommen werden. Eine im Rahmen des Projekts veröffentlichte Untersuchung beleuchtet darüber hinaus die Potenziale, Barrieren und Handlungsmaßnahmen zur regenerativen Wasserstofferzeugung aus Rest- und Altholz in der Region Schwarzwald.

In der Region Schwarzwald sind zahlreiche holzverarbeitende Unternehmen ansässig, unter anderem haben sich dort viele Möbelhersteller niedergelassen. Bei der Verarbeitung der Möbel, aber auch bei der Entsorgung von Paletten und beim Abbruch von Gebäuden fallen große Mengen an Holzabfällen an, die bislang in Verbrennungsanlagen entsorgt werden. Da Altholz häufig Holzschutzmittel enthält, die aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung längst verboten sind, muss die Abluft der Verbrennung zudem kostenintensiv gereinigt werden. Für Fraunhofer-Forschende war dies der Anlass, nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten des regionalen Holzabfalls zu suchen. Die Idee: Man könnte das Rest- und Altholz für die Herstellung von regenerativem Wasserstoff verwenden und mithilfe biotechnologischer Prozesse Biowasserstoff aus den Abfällen gewinnen – ganz im Sinne einer holzbasierten Kreislaufwirtschaft. Der Trick: Die Forschenden nutzen den aus dem Holz gewonnenen Zucker für die Produktion von Wasserstoff mittels Bakterien. Dabei entstehendes CO2 setzen sie für die Herstellung von Mikroalgen ein, die auch Wasserstoff produzieren können. An der Realisierung des 2021 initiierten Verbundvorhabens H2Wood – BlackForest sind neben dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA auch die Universität Stuttgart, Institut für industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF, und der Campus Schwarzwald beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF fördert das Projekt mit 12 Millionen Euro.

Der Herstellungsprozess des Biowasserstoffs startet mit der Vorbehandlung des Alt- und Restholzes. Zunächst werden die Holzabfälle, etwa Paletten oder alte Garten-zäune, aufgeschlossen und in ihre Grundbestandteile zerlegt. Hierzu kochen die Forschenden das Holz unter Druck bei bis zu 200 °C in einem Ethanol-Wasser-Gemisch. Lignin sowie Klebstoffe, Lösemittel und Lacke aus den Holzabfällen lösen sich im Ethanol, sodass die chemischen Störstoffe hierbei von der Holzfaser getrennt werden. Im nächsten Schritt wird die beim Kochen übrigbleibende Holzfaserfraktion, die Cellulose, und teilweise die Hemicellulose in einzelne Zuckermoleküle – Glucose und Xylose – gespalten, die den wasserstoffproduzierenden Mikroorganismen als Futter bzw. als Substrat dienen. »Das Trennen von Holz in seine Fraktionen ist ein Prozess, der Erfahrung voraussetzt. Wir nutzen hier unsere jahrelange Expertise, die wir mit dem Aufbau unserer Lignocellulose-Bioraffinerie in Leuna erwerben konnten«, sagt Dr. Ursula Schließmann, stellvertretende Institutsleiterin am Fraunhofer IGB in Stuttgart, bei dem die Projektkoordination und die Technologieentwicklung liegt. Für die Umwandlung der gewonnenen Zucker in Wasserstoff haben die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IGB zwei miteinander verknüpfte Fermentationsverfahren mit wasserstoffproduzierenden Bakterien und Mikroalgen etabliert.

Neben Wasserstoff fallen kohlenstoffbasierte Koppelprodukte an

Bei der Vorbehandlung fallen Nebenprodukte an wie Lignin und bei der biotechnolo-gischen Umwandlung des Holzes wird neben Wasserstoff CO2 freigesetzt, das über die Mikroalgenproduktion zu Koppelprodukten wie beispielsweise Stärke und Carotinoiden umgewandelt wird. Dr. Schließmann erläutert den Kaskaden-Prozess: »Bei der Fraktionierung des Holzes werden die Holzfasern von Lignin befreit, das neben Cellulose und Hemicellulose zwanzig bis dreißig Prozent der Holzzellwandsubstanz bildet. Dieses Lignin, als eines der Koppelprodukte, ist vielseitig einsetzbar – etwa in Verbundwerkstoffen. Ein Anwendungsbeispiel sind Verschalungen im Auto.« Aus den langen Zuckerkettenmolekülen der Cellulose wiederum wird Glucose gebildet, die in den Fermenter mit Bakterien gegeben und als Kohlenstoff-Quelle dem Bakterienwachstum dient. Die Bakterien produzieren Wasserstoff und CO2. Aus dem Gasgemisch trennen die Forschenden das CO2 ab und führen es dem Algenreaktor, einem Photobioreaktor, zu. Die Mikroalgen sind in der Lage, als Kohlenstoff-Quelle CO2 zu nutzen, und sich zu vermehren. Anders als Bakterien benötigen sie keinen Zucker. »Die Stoffwechselprodukte der Bakterien, also der vermeintliche Abfallstrom CO2, stellt also die Nahrung für die Mikroalgen dar und geht nicht als schädliches Klimagas in die Abluft. Die Mikroalgen synthetisieren daraus unter Lichteinfluss Carotinoide bzw. Pigmente als weitere, von unterschiedlichen Industriebranchen verwertbare Koppelprodukte.« In einem zweiten Schritt werden die Mikroalgen in einen speziell dafür entwickelten Reaktor überführt, in dem sie mittels direkter Photolyse Wasserstoff freisetzen.

Biotechnologisches Verfahren mit hoher Wasserstoff-Ausbeute

Die Projektpartner rechnen mit einer hohen Ausbeute: Aus einem Kilogramm Altholz lassen sich zunächst etwa 0,2 Kilogramm Glucose gewinnen. »Anschließend können wir damit mit anaeroben Mikroorganismen 50 Liter H2 herstellen«, sagt Dr. Schließmann. Bei der Fermentation mit den anaeroben Bakterien entsteht auch zu gleichen Anteilen, also 50 Prozent, CO2. Nach Abtrennung des Wasserstoffs aus dem Gasgemisch lassen sich aus ca. zwei Kilogramm CO2 im Photobioreaktor ein Kilogramm Mikroalgenbiomasse erzeugen. Diese Biomasse hat einen Stärkegehalt von bis zu 50 Prozent. Zudem enthält sie das Farbpigment Lutein. Das Koppelprodukt Algenbiomasse könnte beispielsweise mittels Bakterien für Kunststoffkomponenten genutzt werden.

Die modular erweiterbare Pilotanlage mit den drei Biorektoren wird derzeit aufgebaut. Anfang 2025 soll die Bioraffinerie am Campus Schwarzwald den Betrieb aufnehmen. Unterschiedliche Prozessschritte lassen sich künftig modular kombinieren – eine ideale Voraussetzung für die Erprobung neuer Technologien.

Wasserstoff-Roadmap für die Region Schwarzwald

Im Projekt widmet sich das Fraunhofer IPA gemeinsam mit dem Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF im Rahmen einer Untersuchung der Frage, wie der lokale Bedarf an grünem Wasserstoff in den Sektoren Industrie, Verkehr sowie Haushalte und Gebäude gedeckt werden kann und welche Mengen an Rest- und Altholz für dessen Erzeugung verfügbar sind. Ergebnis dieser Wasserstoff-Roadmap sind zudem Handlungsempfehlungen für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft in der Region Schwarzwald. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen die Förderung von Forschung und Entwicklung, den Ausbau der regionalen Wasserstoffinfrastruktur sowie die Stärkung der Sektorkopplung, um den Wasserstoff als integralen Bestandteil der Energiewende zu etablieren. »Die Untersuchung zeigt, dass die Region Schwarzwald ein signifikantes Potenzial für die Erzeugung von Wasserstoff aus lokalen Ressourcen besitzt, dieses Potenzial jedoch nur durch die Weiterentwicklung der Technologien und den Ausbau der Infrastruktur vollständig ausgeschöpft werden kann«, sagt Vladimir Jelschow, Wissenschaftler am IPA und einer der Autoren der Wasserstoff-Roadmap.

externer Link: https://www.fraunhofer.de/

Neue Entdeckung: Wie Kieselalgen CO₂ so effektiv binden können

Pressemitteilung der Universität Basel vom 17. Oktober 2024

Winzige Kieselalgen im Ozean sind Meister darin, Kohlendioxid (CO₂) aus der Umwelt zu binden. Sie speichern bis zu 20 Prozent des CO₂ auf der Erde. Ein Team der Universität Basel hat nun in genau diesen Algen eine Proteinhülle entdeckt, die für eine effiziente CO₂-Fixierung sorgen. Diese grundlegende Entdeckung kann neue Ideen für biotechnische Ansätze liefern, um so das CO₂ in der Atmosphäre zu reduzieren.

Kieselalgen sind so klein, dass man sie mit dem blossen Auge nicht sehen kann. Und doch sind sie eine der produktivsten Algenarten im Ozean und spielen eine wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Durch Fotosynthese absorbieren sie grosse Mengen aus der Umwelt und wandeln es in Nährstoffe um, mit denen sie einen Grossteil des Lebens im Ozean ernähren. Trotz ihrer Bedeutung ist wenig darüber bekannt, wie sie diesen Prozess so effizient durchführen.

Forschende um Prof. Dr. Ben Engel am Biozentrum der Universität Basel haben nun gemeinsam mit Forschenden der University of York, Grossbritannien, und der Kwansei-Gakuin University, Japan, eine Proteinhülle entdeckt, die bei der CO₂-Fixierung der Kieselalgen eine Schlüsselrolle spielt. Mithilfe modernster bildgebender Technologien wie der Kryoelektronenmikroskopie (Kryo-EM) konnten die Forschenden die molekulare Architektur der sogenannte PyShell-Proteinhülle aufklären und ihre genaue Funktionsweise entschlüsseln. Die Ergebnisse sind in zwei Studien in «Cell» veröffentlicht.

Effektive CO2-Fixierung durch PyShell

Fotosynthese findet in Pflanzen und Algen statt, genauer gesagt in ihren Chloroplasten, wo die Energie der Sonne von den sogenannten Thylakoidmembranen gesammelt wird. Die Energie wird dann verwendet, um dem Enzym Rubisco bei der Fixierung von CO₂ zu helfen.

Algen haben dabei einen Vorteil: Sie packen ihr gesamtes Rubisco in kleine Kompartimente, sogenannte Pyrenoide, in denen das CO₂ effizienter gebunden werden kann: «Wir haben jetzt herausgefunden, dass die Pyrenoide der Kieselalgen von einer gitterartigen Proteinhülle umgeben sind», sagt Dr. Manon Demulder, Mitautorin beider Studien. «Diese PyShell verleiht dem Pyrenoid nicht nur seine Form, sondern sorgt auch für eine hohe CO₂-Konzentration in diesen Kompartimenten. Dadurch können die Rubiscoproteine effizient CO₂ aus dem Ozean binden und in Nährstoffe umwandeln.»

Personalisierte Medizin: JKU Spin-off soll Patent in klinischen Alltag überführen

Pressemitteilung der Johannes Kepler Universität Linz vom 4.11.2024

Knochenregeneration ist ein Spezialgebiet der Orthopädie, das sich mit der Entwicklung von Therapien zur Regeneration, Rekonstruktion und Wiederherstellung von Knochengewebe nach Traumen, Verletzungen oder Krankheiten befasst. Dafür werden innovative Biomaterialien benötigt. Die Johannes Kepler Universität Linz hat nun Materialien entwickelt, die neue Maßstäbe setzen können.

Zur praktischen Umsetzung hat die JKU daher ein Abkommen mit ihrem Spin-off Resorbink FlexCo abgeschlossen. So soll das Patent bald schon markttauglich gemacht werden und Patient*innen in Krankenhäusern zugutekommen.

Am JKU Institut für Chemie der Polymere ist dem Team von Univ.-Prof. Ian Teasdaleund Univ.-Prof. Oliver Brüggemann ein Durchbruch gelungen. „Wir beschäftigen uns schon lange mit abbaubaren Polymeren, also Kunststoffen, die wieder abgebaut werden können. Nun ist es uns gelungen, ein ganz besonderes polymerisierbares Monomer für abbaubare Polymere zu entwickeln“, erklärt Brüggemann. Vereinfacht gesagt: Die Methode erlaubt die Herstellung kleiner Moleküle, die sich durch chemische Reaktionen mit anderen Molekülen zu deutlich größeren verbinden. In diesem Fall kann durch die präzise Anwendung dieser Prozesse quasi festgelegt werden, wie schnell sich das Molekül bindet. „Auf diese Weise kann man sozusagen tunen, wie schnell ein Material im menschlichen Körper abgebaut wird“, so der JKU Chemiker.

„Bei der Entwicklung unserer innovativen Materialien haben wir uns gezielt von der Natur inspirieren lassen. Genau wie natürlicher Knochen bestehen diese neuen Materialien aus Phosphor und Aminosäuren. Dadurch eignen sie sich besonders gut für medizinische Anwendungen in der Knochenregeneration“, führt Teasdale weiter aus.

Theorie und Praxis

Soweit die theoretischen Grundlagen, für die bereits ein Patent erteilt wurde. Was bisher fehlte, war ein Plan zur praktischen Umsetzung – hier kommt Resorbink FlexCo ins Spiel. Dieses JKU Spin-off wurde von Brüggemann gemeinsam mit Ian Teasdale und Stephan Haudum gegründet, der die neue Technologie in seiner Dissertation am Institut ausgearbeitet hat und das Unternehmen als CEO leiten wird.

„Resorbink FlexCo ist ein hochinnovatives Unternehmen, das die neue Methode in den medizinischen Alltag überführen wird“, erläutert Haudum. So soll die Technologie als Tinte für 3D-Drucker verwendet werden, um personalisierte Implantate zu produzieren. „Im Endeffekt soll so gemeinsam mit Industriepartner*innen eine kostengünstige Methode für den klinischen Alltag entstehen“, sagt Haudum.

Exklusivlizenz für Spin-off

Zu diesem Zweck hat Resorbink FlexCo eine Exklusivlizenz zur Nutzung des Patents erhalten. „Erfolge wie diese zeigen, wie Forschung alltagstauglich gemacht wird. Ich freue mich sehr, dass es uns an der JKU gelingt, nicht nur theoretische Grundlagen zu schaffen, sondern diese auch durch engagierte Wissenschaftler*innen in die Praxis zu überführen. Dieses Abkommen ist ein Vorzeigebeispiel, dass wir an unserer Universität Forschungskompetenz bündeln und ganz konkret hochrelevante Probleme lösen und so unsere Wissenschaft ganz buchstäblich den Menschen zugutekommt“, gratuliert Christiane Tusek, Vizerektorin für Finanzen und Entrepreneurship an der JKU.

Die neue Technologie wurde bereits ausgezeichnet. Das gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät der JKU eingereichte Projekt „Synthetische Knochen“ belegte beim kürzlich vergebenen OÖ. Landespreis für Innovation den ersten Platz in der Katgeorie „Innovative Forschungseinrichtungen.“ Dr.in Eleni Priglinger (Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie) freut sich über die Zusammenarbeit: „Die neue Methode ist kostengünstig und mittels 3D-Druck verarbeitbar. Im Labor konnten wir zeigen, dass diese Materialien mit Stammzellen tatsächlich neue Knochen bilden. Erste klinische Studien sind bereits in Planung.“

Der erste Schritt ist also getan, Resorbink FlexCo wird umgehend die Arbeiten zur Umsetzung der neuen Technologie aufnehmen. „Ich hoffe, dass wir in vier bis fünf Jahren Marktreife erreichen können“, setzt Haudum ambitionierte Ziele.

externer Link: www.jku.at

Seltene Netzhauterkrankungen: Detektivarbeit für das Augenlicht

Medienmitteilung der Universität Basel vom 12.02.2024

Ein Team am Augenforschungsinstitut IOB und an der Universität Basel spürt den Ursachen erblicher Erkrankungen der Netzhaut nach. Die Forschenden schaffen damit wichtige Voraussetzungen für Gentherapien gegen das Erblinden.

Sie heissen etwa Retinitis pigmentosa oder Makuladystrophie: Es gibt über 20 seltene Erbkrankheiten, die zum fortschreitenden Abbau der Netzhaut und Verlust des Sehvermögens führen. Das Spezielle an diesen Erkrankungen: Sie sind genetisch extrem vielfältig.

Allein hinter der bekanntesten erblichen Netzhauterkrankung, der Retinitis pigmentosa, können Veränderungen in einem von 65 Genen stecken. Die überwiegende Mehrheit seltener Krankheiten beruht hingegen auf Veränderungen nur eines bestimmten Gens.

Bei der Retinitis pigmentosa bemerken Betroffene anfangs, dass sie nachts nicht mehr gut sehen. In einem späteren Stadium verlieren sie das Sehvermögen in der Peripherie. Ihr Blickfeld verengt sich zu einem Tunnel, der immer kleiner wird und sich letztlich ganz schliesst. Bei der Makuladystrophie ist es genau umgekehrt: Hier verlieren Betroffene zuerst das Zentrum ihres Blickfelds. Sie können Gesichter nicht mehr erkennen, keine Schilder mehr lesen, den Handybildschirm nicht mehr sehen.

Die Hoffnung im Kampf gegen solche Erkrankungen ruht auf Gentherapien, um das Sehvermögen zu erhalten oder wieder herzustellen. Dank Methoden wie der Genschere Crispr-Cas9 und deren Weiterentwicklungen könnte man den Fehler im betroffenen Gen korrigieren. Das Auge liesse sich mit dieser Methode einfacher behandeln als manch anderes Organ, weil es für Therapien besser zugänglich ist. Nur muss dafür klar sein, welches Gen es zu reparieren gilt.

Die Nadel im Heuhaufen

Bisher sind bereits über 300 Gene bekannt, in denen Mutationen zum Erblinden führen können. Dank moderner DNA-Sequenzierung und computerbasierter Analysen haben Forschende um Prof. Dr. Carlo Rivolta in den letzten Jahren mehrere neue Gene beschrieben. «Wir bekommen nicht nur DNA von Patientinnen und Patienten am Augenspital des Universitätsspitals Basel, sondern auch ungeklärte Fälle anderer Spitäler. Bei zwei von drei können wir die genetische Ursache identifizieren», erzählt der Leiter der Forschungsgruppe «Ophthalmic Genetics» am Augenforschungsinstitut IOB, das mit der Universität Basel assoziiert ist.

Die Aufgabe ist alles andere als trivial. Rivolta vergleicht die Suche nach der entscheidenden Genveränderung mit der nach einem bestimmten Sandkorn in zwei Abfalltonnen voll Sand. Das Erbgut ist von Mensch zu Mensch an vielen Tausenden Stellen leicht unterschiedlich, wie soll man da die Stelle identifizieren, die die Erkrankung ausgelöst hat?

Filtern und vergleichen

Es sei vor allem ein Filterprozess, sagt Rivolta. «Wir vergleichen das Erbgut der Patientin oder des Patienten mit dem von vielen anderen Personen. Varianten in der DNA-Sequenz, die häufig vorkommen, können wir aussortieren.» Die besonders seltenen markieren sie als verdächtig und vergleichen sie mit den Genomdaten anderer Betroffener mit Netzhauterkrankungen.

Im menschlichen Erbgut kommen die meisten Gene in zwei Kopien vor, eine Kopie vom Vater, eine von der Mutter. Eine Mehrheit der Netzhauterkrankungen wird rezessiv vererbt, das heisst, solange nur eine Kopie des Gens die Mutation trägt, ist die Person ein «gesunder Träger». Nur bei Defekten in beiden Kopien kommt es zu Symptomen. Dabei kann es sich um Veränderungen an unterschiedlichen Stellen im Gen handeln.

Stille Mutationen sind doch nicht so still

Der Anteil ungeklärter Fälle ist dank aufwändiger Erbgut-Analysen, wie sie unter anderem Rivoltas Team entwickelt hat, immer weiter geschrumpft. Vor allem auch, weil ein Umdenken darüber stattgefunden hat, wonach man suchen muss: «Früher achtete man beispielsweise kaum auf die sogenannten stillen Mutationen», erklärt Rivolta. Das sind Veränderungen im DNA-Code, die an der Abfolge der Aminosäure-Bausteine im Protein eigentlich nichts ändern. Inzwischen weiss man, dass auch solche Mutationen die Protein-Produktion empfindlich stören können. Ähnliches gilt für Mutationen, die ausserhalb der für Proteine codierenden Sequenzen im Erbgut liegen.

Rivolta ist überzeugt, dass sich viele Netzhauterkrankungen in nicht allzu ferner Zukunft mit Gentherapien werden behandeln lassen. Das industrielle Interesse sei durchaus vorhanden. Und wenn eine neue Gentherapie entwickelt wird, gebe es dank der Detektivarbeit der Genetikerinnen und Genetiker entsprechende Datenbanken, um diejenigen Patientinnen und Patienten zu rekrutieren, die davon profitieren könnten. (Angelika Jacobs)

Externer Link: www.unibas.ch

Hundehaut aus dem Labor ermöglicht Tests medizinischer Therapeutika

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.02.2024

Erstmals ist es gelungen, eine reproduzierbare In-vitro-Hundehaut im Labor herzustellen. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB haben das Vollhaut-Äquivalent auf Basis echter Hautzellen entwickelt. Es ermöglicht, die Wirkung medizinischer Therapeutika für die empfindliche Hundehaut präzise zu testen. Auch Pflegemittel wie Shampoo oder Fellseife lassen sich damit auf Verträglichkeit untersuchen – ganz ohne Tierversuche.

Sie laufen bei Wind und Wetter im Freien herum und wälzen sich auch gerne mal im Gras. Hunde sind offenbar robuste Tiere. Doch der Schein trügt, denn die Vierbeiner haben eine überdurchschnittliche Veranlagung für Hauterkrankungen. Die atopische Dermatitis, eine Form der Neurodermitis, trifft etwa 10 bis 15 Prozent der Hunde. Die Haut wird trocken und schuppig, die Tiere beginnen sich zu kratzen, häufig treten auch Entzündungen auf. Zwar gibt es Cremes und Salben gegen die Dermatitis, doch der Behandlungserfolg ist ungewiss. Die Therapeutika bleiben unter Umständen wirkungslos und können im schlimmsten Fall die Symptome noch verschlechtern.

Genau dieses Problem sind Dr. Anke Burger-Kentischer, Abteilungsleiterin Zell- und Gewebetechnologien, und ihr Team am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB angegangen. Im Projekt WowWowSkin haben sie erstmals im Labor eine In-vitro-Hundevollhaut entwickelt und damit die Grundlage für die Entwicklung und Testung von medizinischen Therapeutika und Pflegeprodukten für Hunde in In-vitro-Modellen gelegt. »Wir wollten ein reproduzierbares Hundehaut-Äquivalent etablieren, das spezifische Tests von therapeutischen Produkten für Hunde ermöglicht. Das gibt es bisher noch nicht«, erklärt Dr. Burger-Kentischer.

Das Vollhaut-Äquivalent aus dem Labor ist mit echter Hundehaut nahezu identisch. Damit lassen sich aussagekräftige und präzise Tests von medizinischen Wirkstoffen durchführen. Ebenso lässt sich die Verträglichkeit marktüblicher Pflegeprodukte wie Shampoos oder Seifen damit testen. Auch sie können im Zweifelsfall der Hundehaut schaden, da die oberste Schutzschicht der Haut, die Epidermis, bei Hunden deutlich dünner als bei Menschen ist und auch kaum verhornt.

Hautzellen im Nährmedium

Den ersten Schritt hat das Forschenden-Team mit einem Stück originaler Hundehaut gemacht. Entscheidend für den Aufbau des Vollhaut-Äquivalents sind die obersten zwei Schichten: Erst die verhornte Schutzschicht, die Epidermis mit den Keratinozyten, welche die Hornschicht der Haut ausbilden, und darunter die Dermis mit den Fibroblasten, spezifischen Zellen des Bindegewebes. »Nach der mechanischen Trennung der Schichten haben wir die Zellen durch spezielle Enzyme aus dem Gewebeverband gelöst, immortalisiert und dann in Kultivierungsschalen mit einem Nährmedium vermehrt. Anschließend haben wir die so erhaltenen immortalen Keratinozyten der Epidermis und die immortalen Fibroblasten der Dermis wieder zu einem Vollhaut-Äquivalent zusammengeführt«, erklärt Dr. Burger-Kentischer.

»Die Suche nach der richtigen Zusammensetzung der Enzyme und Medien benötigte eine ganze Reihe von Versuchen« sagt Dr. Burger-Kentischer. Doch am Ende ist sie perfekt gelungen. Das Vollhaut-Äquivalent aus dem Labor ist unter dem Mikroskop kaum von echter Hundehaut zu unterscheiden.

Für den Test von medizinischen Therapeutika, etwa zur Behandlung von Dermatitis, können die Fraunhofer-Forschenden das Vollhaut-Äquivalent mit pathogenen Keimen besiedeln und damit ein Krankheitsmodell generieren. »Wir können auf den Hautäquivalenten entzündliche Prozesse nachstellen, indem wir sie mit Bakterien verkeimen. Wenn man Wirkstoffe oder Substanzen aufbringt, zeigt sich schnell, ob das Medikament wirkt und die Anzahl der Keime zurückgeht, ob es wirkungslos bleibt oder ob es das Krankheitsbild sogar verschlimmert«, weiß Dr. Burger-Kentischer.

Die Originalhautproben werden von Tierarztpraxen geliefert, die beispielsweise bei medizinisch notwendigen Operationen Haut wegschneiden. Es wird kein Gewebe extra für das Projekt entfernt, sondern nur Hautgewebe zur Verfügung gestellt, das im Rahmen einer Operation ohnehin entfernt werden muss.

Verträglichkeits-Tests von Pflegeprodukten ohne Tierversuche

Für die In-vitro-Testung von Fellpflegeprodukten eignet sich das Vollhaut-Äquivalent ebenso, da hiermit festgestellt werden kann, ob Shampoos oder Seifen die Haut belasten oder gar schädigen. Für die Hersteller von veterinärmedizinischen Therapeutika oder Pflegeprodukten ist damit der Weg frei, ihre Produkte präzise auf Wirksamkeit und Verträglichkeit zu testen.

Bei Kosmetika, die neu auf den Markt kommen, gilt seit 2013 ein EU-Verbot für Tierversuche. Entsprechend groß ist das Interesse an der Ersatzmethode. Erste Hersteller von veterinärmedizinischen Produkten und Pflegeprodukten haben bereits Interesse an dem Vollhaut-Äquivalent angemeldet.

Im nächsten Schritt will das Fraunhofer-Team weitere Vollhaut-Äquivalente differenziert nach Hunderassen aufbauen. Zudem sollen weitere Hautmodelle für Pferde und Katzen entwickelt werden.

Externer Link: www.fraunhofer.de