Vom Labor auf die Straße: Wie die TU Graz Fahrassistenzsysteme sicherer macht

Presseaussendung der TU Graz vom 27.11.2023

Im Christian Doppler Labor unter seiner Leitung hat Franz Wotawa mit Unternehmenspartner AVL Test- und Überwachungsverfahren entwickelt, die gängige Fahrassistenzsysteme sicherer machen.

Intelligenter Geschwindigkeitsassistent, Notbremsassistent, Notfall-Spurhalteassistent, Müdigkeitsassistent, Rückfahrassistent, Warnsystem bei nachlassender Konzentration oder Notbremslicht – ab Juli 2024 werden eine ganze Reihe von Sicherheits- und Fahrassistenzsystemen für alle Neuwagen in der Europäischen Union verpflichtend. Dass diese Systeme auch wie gewünscht funktionieren und wirklich für mehr Sicherheit sorgen, daran forscht seit Oktober 2017 das Christian Doppler Labor für Methoden der Qualitätssicherung von autonomen Cyber-Physikalischen Systemen an der TU Graz zusammen mit Unternehmenspartner AVL List GmbH. Dabei hat das Laborteam unter der Leitung von Franz Wotawa vom Institut für Softwaretechnologie der TU Graz mittels Grundlagenforschung neue Methoden entwickelt, um Fehlerquellen bei Fahrassistenzsystemen vorab auszuschließen und im laufenden Betrieb zu analysieren. AVL konnte darauf aufbauend selbst neue Methoden und Verfahren in das Portfolio im Bereich Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) aufnehmen.

Kleine Abweichungen mit großer Wirkung

Konkret mussten sich Franz Wotawa und sein Team unter anderem der Herausforderung stellen, dass schon geringfügige Abweichungen bei einem bestimmten Verkehrsszenario die Reaktion von Fahrassistenzsystemen deutlich beeinflussen können. Da die Systeme diese Abweichungen nicht erst im laufenden Betrieb erlernen sollen, wurde ein Verfahren zur automatisierten Generierung von Testfällen ausgehend von Ontologien entwickelt. Ontologien sind Beschreibungen der Umgebung, in der sich das Fahrzeug im jeweiligen Testfall befindet. Diese Beschreibungen enthalten etwa Informationen zum vorhandenen Straßennetz, Ampeln, Straßenschildern, anderen Fahrzeugen oder Fußgängern.

Für die Testfallgenerierung hat das Team ein suchbasiertes und ein kombinatorisches Testverfahren angepasst und darauf aufbauend eine algorithmusbasierte Verknüpfung der Ontologien mit einem Eingabe-Modell vorgenommen. So können automatisiert noch besser und umfangreicher Testszenarien abgeleitet und durchgespielt werden – unabhängig vom getesteten Assistenz- oder Sicherheitssystem. Beispielsweise gelang es damit, bei einem Notbremsassistenten während der Tests einige unentdeckte Fehler zu finden, die dann genauer analysiert werden konnten.

Blick auf Realbedingungen

Trotz der ausgeklügelten Testverfahren bleibt der Blick auf den laufenden Betrieb unerlässlich, da es dort immer zu unvorhergesehenen Situationen kommen kann. Hier vergleicht das Team gesammelte Auto-Sensordaten mit dem erwarteten Verhalten der Fahrzeuge und versucht dies mit formalisiertem Wissen über Objektbewegungen zu kombinieren. Der Fokus liegt dabei auf der Objekterkennung, um aus einer Sequenz von Bildern die Objektbewegung mittels logischer Ableitung zu formalisieren. Durch die Nachverfolgung der Objekte über mehrere Bildframes lassen sie sich als potenziell gefährlich oder ungefährlich klassifizieren und die geeigneten Maßnahmen ableiten – etwa ob ein Baum direkt angesteuert wird und ausgewichen werden muss oder die Fahrt doch daran vorbeigeht. Diese Erkenntnisse fließen in weiterer Folge in Updates der Assistenzsysteme ein. Zusätzlich können die Daten aus den Erfahrungen im Realbetrieb auch genutzt werden, um weitere Testfälle zu generieren.

Mit der Frame-für-Frame-Analyse in Kombination mit einem Logikmodell für räumliche Wahrnehmung können auch die Objekterkennung verbessert und so nicht durchgehend erkannte Objektbewegungen abgeleitet werden. Das ist etwa dann nützlich, wenn ein Objekt zwar für einige Frames sichtbar ist, aber aufgrund von Reflexionen oder eines Sensorfehlers für einen Frame nicht erkannt wird. Ein Assistenzsystem könnte dadurch denken, dass in diesem Bereich keine Gefahr mehr vorhanden ist. Dank des Logikmodells leitet die Software aber ab, dass das Objekt nach wie vor da sein muss, weil es nicht einfach so verschwinden kann.

Rascher Wissenstransfer in die Industrie

Für Franz Wotawa sind die bisher erreichten Ergebnisse des noch bis Ende September 2024 laufenden CD-Labors der Beleg dafür, dass die Verbindung von Grundlagenforschung mit konkreten Anwendungen durch den Unternehmenspartner viele Vorteile bietet. „Wir haben einen sehr direkten Austausch mit AVL, jede*r Doktorand*in arbeitet fünf bis zehn Stunden pro Woche auch im Unternehmen. Dadurch kennen wir die Problemstellungen aus der Industrie genau und können ausgehend davon Grundlagenforschung betreiben. Andererseits erfolgt der Wissenstransfer in die Industrie sehr rasch, weil die Mitarbeitenden direkten Zugang zur Infrastruktur von AVL haben. So konnten wir gemeinsam unsere Forschung im Bereich Sicherheit von autonomen cyberphysikalischen Systemen weit voranbringen“, erklärt Franz Wotawa.

Mihai Nica, Global Head ADAS, Automated Driving und Connectivity AVL, fügt hinzu: „In der sich rasant entwickelnden Welt des autonomen Fahrens setzt AVL auf innovative Testmethoden. Die Anwendung von AI-Gamification und ontologiebasierten Tests bietet die Möglichkeit, kritische Szenarien zu generieren und autonomes Fahren unter extremen und komplexen Bedingungen zu prüfen, die in der realen Welt nur schwer nachzubilden sind. Dies ist entscheidend, um die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Technologie zu gewährleisten, und trägt dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken. Dieses Vertrauen ist von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Integration autonomer Fahrzeuge in unsere Verkehrsnetze der Zukunft.“ (Falko Schoklitsch)

Externer Link: www.tugraz.at

Zwei Dirigenten für eine chemische Reaktion

Presseaussendung der TU Wien vom 20.11.2023

Erstmals gelang es an der TU Wien, die Wirkungsweise sogenannter Promotoren einer katalytischen Reaktion in Echtzeit zu beobachten. Sie spielen in der Technik eine wichtige Rolle, galten aber bisher als wenig verstanden.

Katalysatoren braucht man für unzählige chemische Technologien – von der Abgasreinigung bis zur Herstellung wertvoller Chemikalien und Energieträger. Oft werden dabei auch noch winzige Spuren anderer Substanzen verwendet, die den Katalysator erst richtig effektiv machen. Man bezeichnet sie als „Promotoren“. Sie spielen in der Technik eine wichtige Rolle, sind aber notorisch schwer zu untersuchen.

Meist kann man nur durch Versuch und Irrtum herausfinden, welche Menge welcher Promotoren welche Wirkung hat. Nun gelang es an der TU Wien, die Rolle von Lanthan-Promotoren bei der Wasserstoff-Oxidation direkt zu beobachten. Die Rolle einzelner Lanthan-Atome wird mit High-Tech-Methoden sichtbar gemacht. Dabei zeigte sich: Zwei Oberflächenbereiche des Katalysators sind Taktgeber, ähnlich wie Dirigenten beim Orchester. Der Promotor spielt dabei eine entscheidende Rolle bei ihrer Interaktion – er steuert die Taktgeber. Das Ergebnis wurde nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.

Live bei der Reaktion zusehen

„Bei vielen chemischen Prozessen verwendet man Katalysatoren, die in Form winziger Nanopartikel vorliegen“, sagt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien. Die Leistungsfähigkeit von Katalysatoren lässt sich leicht über Produktanalyse ermitteln, mikroskopische Einblicke gewinnt man dadurch aber nicht.

Das ist heute anders: Günther Rupprechter hat mit seinem Team über Jahre hinweg Methoden entwickelt, mit denen man sogar einzelne Nanopartikel direkt während der chemischen Reaktion beobachten kann. Dabei zeigt sich, wie sich die Aktivität an unterschiedlichen Stellen dieser Nanopartikel während des Reaktionsablaufs ändert.

„Wir verwenden Rhodium-Nanospitzen, die sich wie Nanopartikel verhalten“, sagt Günther Rupprechter. „Sie können zum Beispiel als Katalysator dienen, wenn man Wasserstoff und Sauerstoff zu Wassermolekülen vereint – das ist die Reaktion, die wir im Detail untersuchen.“

Pendeln zwischen „aktiv“ und „inaktiv“

Schon in den vergangenen Jahren fand das Team an der TU Wien heraus, dass unterschiedliche Abschnitte der Nanopartikel-Oberfläche unterschiedliches Verhalten zeigen: Sie oszillieren zwischen einem aktiven und einem inaktiven Zustand hin und her. Mal findet an einem bestimmten Punkt die gewünschte chemische Reaktion statt, dann wieder nicht.

Mit speziellen Mikroskopen konnte man nachweisen: Auf jedem Nanopartikel finden verschiedene solche Oszillationen statt – und sie alle beeinflussen einander. Bestimmte Abschnitte der Nanopartikel-Oberfläche, die oft nur eine Breite von wenigen Atomdurchmessern haben, spielen dabei eine bedeutsamere Rolle als andere: Sie sind besonders effiziente „Taktgeber“ und steuern sogar die chemischen Oszillationen anderer Abschnitte.

In dieses Taktgeben können nun Promotoren eingreifen – und genau das ließ sich nun mit den an der TU Wien entwickelten Methoden untersuchen. Wenn man Rhodium als Katalysator verwendet, kann Lanthan als Promotor für katalytische Reaktionen dienen. Daher platzierte man einzelne Lanthan-Atome auf der winzigen Oberfläche eines Rhodium-Nanopartikels. Ein und derselbe Partikel konnte dadurch einmal mit und einmal ohne Promotor vermessen werden. So kann man im Detail sehen, welchen Effekt einzelne Lanthan-Atome auf den Ablauf der chemischen Reaktion haben.

Mit Lanthan ist alles anders

Maximilian Raab, Johannes Zeininger und Carla Weigl haben die Experimente durchgeführt. „Der Unterschied ist enorm“, sagt Maximilian Raab. „Ein Lanthan-Atom kann Sauerstoff binden, und das ändert die Dynamik der katalytischen Reaktion.“ Durch die winzige Menge Lanthan wird die Kopplung zwischen den unterschiedlichen Bereichen des Nanopartikels verändert.

„Das Lanthan kann bestimmte Taktgeber selektiv ausschalten“, erklärt Johannes Zeininger: „Stellen wir uns vor, ein Orchester hat zwei Dirigenten – da werden wir ziemlich komplexe Musik zu hören bekommen. Der Promotor sorgt dafür, dass es nur noch einen Taktgeber gibt, dadurch wird die Situation einfacher und geordneter.“

Zusätzlich zu den Messungen entwickelte das Team, weiter verstärkt durch Alexander Genest und Yuri Suchorski, auch ein mathematisches Modell, mit dem man die Kopplungen zwischen den einzelnen Bereichen des Nanopartikels simulieren kann. So ergibt sich eine neue leistungsfähige Herangehensweise, chemische Katalyse viel präziser als bisher zu beschreiben: Nicht nur auf Basis von Input und Output, sondern in einem komplexen Modell, das berücksichtigt, wie unterschiedliche Bereiche des Katalysators zwischen Aktivität und Inaktivität hin und her wechseln und sich dabei – gesteuert von Promotoren – gegenseitig beeinflussen.

Die Arbeiten wurden vom FWF gefördert (P32772-N und SFB TACO F81-P08). (Florian Aigner)

Originalpublikation:
M. Raab et al.: Lanthanum modulated reaction pacemakers on a single catalytic nanoparticle; Nature Communications, 14, 7186 (2023)

Externer Link: www.tuwien.at

Quantenmaterialien: Supraleiter läuft unter Druck zur Hochform auf

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 07.11.2023

Publikation in Science: Quantenmechanische Anregungen der Elektronen in Strontiumruthanat erhöhen Supraleitung und erleichtern Verformung

Der Supraleiter Strontiumruthanat stellt die Wissenschaft vor viele Fragen. Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS) in Dresden haben nun festgestellt, dass mechanischer Druck die Supraleitung erhöht und zugleich die Verformung des Materials erleichtert. Dies führen sie auf quantenmechanische Anregungen der Elektronen zurück. Ihre Arbeit trägt zum Verständnis des Wechselspiels von elastischen und elektronischen Eigenschaften bei. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift Science.

Supraleiter sind Materialien, die beim Unterschreiten einer bestimmten Temperatur, der sogenannten Sprungtemperatur, keinen elektrischen Widerstand aufweisen. Dies macht sie unter anderem für verschiedene Anwendungen der Energiewandlung und -verteilung interessant. Bei Strontiumruthanat (Sr2RuO4) hat die Wissenschaft noch nicht verstanden, wie es zur Supraleitung kommt. „Die konventionelle Theorie lässt sich auf Strontiumruthanat nicht anwenden. Doch die Quantenmechanik bringt uns weiter, denn mit ihr lassen sich nicht nur die Eigenschaften einzelner Atome und Moleküle, sondern auch die kollektiven Eigenschaften von Vielteilchensystemen beschreiben“, sagt Professor Jörg Schmalian, Leiter des Instituts für Theorie der Kondensierten Materie (TKM) des KIT sowie Leiter der Abteilung Theorie der Quantenmaterialien am Institut für QuantenMaterialien und Technologien (IQMT) des KIT.

Mechanischer Druck entlang einer Richtung erhöht Sprungtemperatur

Schmalian ist einer der Hauptautoren der in der Zeitschrift Science veröffentlichten Studie. Forschende an mehreren Instituten des KIT und am MPI CPfS hatten bereits 2022 in einer Publikation in der Zeitschrift Nature demonstriert, wie sich durch mechanisches Drücken entlang einer bestimmten Richtung die Sprungtemperatur von Strontiumruthanat deutlich erhöhen lässt und wie dabei das Anregungsverhalten der Elektronen verändert wird. Zusammen mit internationalen Partnern stellten die Forschenden aus Karlsruhe und Dresden nun fest, dass genau dieser Druck, der die Supraleitung stark erhöht, das Material mechanisch wesentlich weicher macht, sodass Verformungen erleichtert werden. Dies führen die Forschenden auf eine quantenmechanische Resonanz der Schwingungen der Elektronen zurück.

Vor rund 60 Jahren sagte der sowjetische Physiker Ilja M. Lifschitz ein mechanisches Aufweichen vorher, das heute als Lifschitz-Übergang bekannt ist. „Der Effekt, den wir nun identifiziert haben, ist jedoch mehr als tausendmal größer und lässt sich klar mit der Verstärkung von Supraleitung in Verbindung bringen. Das ist verblüffend, weil weniger als ein Prozent der insgesamt im Material existierenden Elektronen eine Reduktion der elastischen Konstanten um 20 Prozent erzwingen“, erläutert Schmalian.

Einige wenige stromführende Elektronen haben das Sagen

Um die Untersuchung des Wechselspiels von elastischen und elektronischen Eigenschaften geht es auch im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Transregio ELASTO-Q-MAT, in dem das MPI CPfS und das KIT stark vertreten sind. Für die in Science publizierte Studie entwickelten Forschende des KIT ein Modell des Effekts, bei dem einige wenige der stromführenden Elektronen alle anderen beherrschen und das Material viel weicher machen können. Die Messungen dazu liefen am MPI CPfS in Dresden. „Ilja M. Lifschiz machte in seiner Theorie keinen Fehler“, betont Schmalian. „Unsere Studie bietet jedoch eine neue Perspektive und eröffnet die Möglichkeit, in Zukunft starke Quantenfluktuationen im Labor zu manipulieren und Materialien für einen gegebenen physikalischen Effekt zu optimieren.“ (or)

Originalpublikation:
H. M. L. Noad, K. Ishida, Y.-S. Li, E. Gati, V. Stangier, N. Kikugawa, D. A. Sokolov, M. Nicklas, B. Kim, I. I. Mazin, M. Garst, J. Schmalian, A. P. Mackenzie, and C. W. Hicks: Giant lattice softening at a Lifshitz transition in Sr2RuO4. Science, 2023. DOI: 10.1126/science.adf3348

Externer Link: www.kit.edu

JKU entwickelt in Kooperationsprojekt Knochenschrauben bei Kreuzbandrissen

Pressemeldung der JKU Linz vom 08.11.2023

Egal ob beim Sport oder einfach bei einer unglücklichen Bewegung: Kreuzbandrisse kommen extrem häufig vor.

In einem Kooperationsprojekt mit der Firma surgebright und dem Bezirkskrankenhaus Schwaz in Tirol wurden an der Johannes Kepler Universität Linz neuartige Knochenschrauben entwickelt, die bald die bisher verwendeten Schrauben ersetzen sollen.

Die Kreuzbandrekonstruktion mit Interferenzschrauben ist eine weit verbreitete Operationsmethode. Normalerweise bestehen diese Schrauben aus Metall (vor allem Titan) oder bioresorbierbaren Materialien wie Kunststoff oder Keramik. In beiden Fällen handelt es sich um Fremdkörper, die Probleme bereiten können.

„Wir versorgen allein in unserem Krankenhaus jedes Jahr hunderte Patient*innen mit Kreuzbandrissen. Sehr weit verbreitet sind Schrauben aus Kunststoffen, die sich später auflösen sollen. Durch diesen Auflöseprozess bleiben oft große Defekte im Knochen, sogenannte Osteolysen, zurück. Reißt das Kreuzband dann erneut, stehen Patient*innen und Chirurg*innen vor schwer zu lösenden Problemen. Durch diese Knochendefekte hält das neue Kreuzband nicht mehr“, so Prim. Dr. Markus Reichkendler vom Bezirkskrankenhaus Schwaz. Eine Alternative: Schrauben aus Knochen, wie sie die Firma surgebright aus Lichtenberg (OÖ) anbietet.

Knochenmaterial wird in den Körper eingebaut

„Schrauben aus menschlichen Knochen werden von körpereigenen Knochenzellen besiedelt und in körpereigenen Knochen umgewandelt. Osteolysen sind damit Geschichte. Dieser Vorgang bei der sogenannten Shark-Screw konnte bereits in einigen Publikationen in internationalen Topp-Fachzeitschriften nachgewiesen werden“, erklärt Surgebright-Geschäftsführer Thomas Pastl. Um maximale Patient*innensicherheit gewährleisten zu können, werden die Knochenschrauben sterilisiert. „Diese österreichische Entwicklung ist ein großer Meilenstein für Chirurg*innen und Patient*innen und nicht zuletzt für das weltweite Gesundheitswesen“, so Pastl.

Dass Schrauben aus Knochen hervorragend funktionieren, ist längst bekannt und wird im klinischen Alltag jährlich tausendfach verwendet – allerdings gab es bislang keine Knochenschrauben, die technisch für Kreuzbandrisse geeignet waren. Sie waren entweder zu klein und hielten dem Drehmoment nicht stand oder waren so groß, dass der Schraubenkopf im Körper abgesägt werden musste.

Hier kam das Institut für Medizin- und Biomechatronik der JKU ins Spiel. „Wir haben das Problem gemeinsam erörtert und dann Schrauben mit einer speziellen Konstruktion entwickelt. Die Schrauben- und Gewindeform erlaubt es endlich, diese Schrauben auch zur Befestigung von Kreuzbandplastiken nach einem Kreuzbandriss zu verwenden“, so Institutsleiter Univ.-Prof. Dr. Werner Baumgartner. Notwendig waren dazu sowohl umfangreiche Berechnungen als auch zahlreiche praktische Experimente.

„Am Ende haben wir es geschafft – in den Tests hat sich die neue Schraube bestens bewährt“, freut sich DI Sebastian Lifka (Institut für Medizin- und Biomechatronik der JKU).

Klinische Studie geplant

Die neuen Schrauben sind somit speziell für die Behandlung von Kreuzbandrissen geeignet, sind für den Körper verträglicher und heilen schneller. Das neue Verfahren für die speziellen Schrauben wurde bereits im renommierten Fachmagazin „Bioengineering“ publiziert. Die bessere Wirksamkeit der Schrauben soll demnächst in einer klinischen Studie wissenschaftlich analysiert werden, um schon bald Patient*innen mit Kreuzbandriss zur Verfügung zu stehen.

Externer Link: www.jku.at

Wechselwirkende Polaronen

Medienmitteilung der Universität Innsbruck vom 27.10.2023

Physiker simulieren Wechselwirkung von Quasiteilchen in ultrakaltem Quantengas

Die komplexen Vorgänge in Festkörpern werden in der Physik oft mit Quasiteilchen beschrieben. In ultrakalten Quantengasen können diese Quasiteilchen nachgebaut und untersucht werden. Nun haben Innsbrucker Wissenschaftler um Rudolf Grimm erstmals im Experiment beobachten können, wie Fermi-Polaronen – eine spezielle Art von Quasiteilchen – untereinander wechselwirken können. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature Physics.

Bewegt sich ein Elektron durch einen Festkörper, erzeugt es aufgrund seiner elektrischen Ladung in seiner Umgebung eine Polarisation. Der russische Physiker Lew Landau hat in seinen theoretischen Überlegungen die Beschreibung solcher Teilchen um deren Wechselwirkung mit der Umgebung erweitert und von Quasiteilchen gesprochen. Vor über zehn Jahren war es dem Team um Rudolf Grimm vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQQOI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck erstmals gelungen, solche Quasiteilchen in einem Quantengas sowohl bei attraktiver als auch repulsiver Wechselwirkung mit der Umgebung zu erzeugen. Dazu nutzen die Wissenschaftler ein ultrakaltes Quantengas aus Lithium- und Kaliumatomen in einer Vakuumkammer. Mit Hilfe von magnetischen Feldern kontrollieren sie die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen und mit Hochfrequenzpulsen drängen sie die Kaliumatome in einen Zustand, in dem diese die sie umgebenden Lithiumatome anziehen oder abstoßen. So simulieren die Forscher einen komplexen Zustand, wie er im Festkörper durch ein freies Elektron erzeugt wird.

Einblicke in die Materie

Nun konnten die Wissenschaftler um Rudolf Grimm in dem Quantengas mehrere solche Quasiteilchen gleichzeitig erzeugen und deren Wechselwirkung untereinander beobachten. „In einer naiven Vorstellung würde man davon ausgehen, dass sich Polaronen immer anziehen, egal ob ihre Wechselwirkung mit der Umgebung attraktiv oder repulsiv ist“, sagt der Experimentalphysiker. „Dem ist aber nicht so. Attraktive Wechselwirkung sehen wir immer bei bosonischen Polaronen, repulsive Wechselwirkung bei fermionischen Polaronen. Hier spielt die Quantenstatistik eine entscheidende Rolle.“ Die Forscher konnten diese Verhaltensweise, die sich im Prinzip schon als Konsequenz aus Landaus Theorie ergibt, nun erstmals in einem Experiment nachweisen. Die theoretischen Berechnungen dafür haben Kollegen aus Mexiko, Spanien und Dänemark geleistet. „Für die Umsetzung im Labor war hohe Experimentierkunst gefordert“, erläutert Cosetta Baroni, die Erstautorin der Studie, „denn kleinste Abweichungen hätten die Messungen bereits verfälschen können.“

„Solche Untersuchungen liefern uns Einblicke in ganz grundsätzliche Mechanismen der Natur und bieten uns sehr gute Möglichkeiten, diese im Detail zu untersuchen“, zeigt sich ERC- und Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm begeistert. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht. Finanziell gefördert wurde die Forschung von der Europäischen Union.

Originalpublikation:
Mediated interactions between Fermi polarons and the role of impurity quantum statistics. Cosetta Baroni, Bo Huang, Isabella Fritsche, Erich Dobler, Gregor Anich, Emil Kirilov, Rudolf Grimm, Miguel A. Bastarrachea-Magnani, Pietro Massignan, Georg Bruun. Nature Physics 2023

Externer Link: www.uibk.ac.at