Hüftprothesen-Lockerungen: Coburger Student wirbt 150.000 Euro für Forschung ein

Pressemitteilung der Hochschule Coburg vom 16.02.2024

Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesforschungs-Ministeriums (BMBF) hat ein neues Format, um Innovationen aus der Forschung schneller in die Praxis zu bringen: Für DATIpilot gab es deutschlandweit etwa 3000 Bewerbungen. Das Institut für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) der Hochschule Coburg war mit seiner Idee erfolgreich und erhält 150.000 Euro Förderung. Master-Student Jan Lützelberger und Prof. Dr. Klaus Drese von der Hochschule Coburg überzeugten mit „UltraHip“, einer Sensorik zur Früherkennung von Hüftprothesen-Lockerungen mithilfe von Ultraschall.

Zwei Millimeter sind zu viel. „Das ist wie ein dicker Pappkarton“, sagt Jan Lützelberger. Aber erst wenn ein so dicker Spalt zwischen Hüftprothese und Knochen klafft, wird das Problem auf dem Röntgenbild deutlich sichtbar. „Mit unserem neuen, ultraschallbasierten Verfahren können wir im Mikrometerbereich messen. Eine Prothesenlockerung wird auf diese Weise schon erkannt, wenn der Spalt nur so dünn ist wie ein Blatt Papier.“ Die frühzeitige Diagnose hat das Potenzial, Schmerzen, Komplikationen beim Folgeeingriff und stärkere Knochenschädigungen zu vermeiden. Lützelberger hat das neue Messverfahren im Rahmen seiner Bachelorarbeit am Institut für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) entwickelt. Der Sonneberger hat Technische Physik an der Hochschule Coburg studiert und suchte ein praxisnahes Abschlussarbeitsthema. Angewandte Forschung ist ihm wichtig. Er wollte „etwas, das auch den Menschen hilft. Und jeder kennt doch jemanden, der eine künstliche Hüfte hat.“

Eine geniale Verbindung von Körper und Technik – aber nicht für die Ewigkeit

Der Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks ist einer der häufigsten medizinischen Eingriffe in Deutschland. Eine Routine-OP: Ins weiche Mark im Inneren des Oberschenkelknochens wird ein metallischer Prothesenschaft geschlagen. Als Gelenk wird darauf eine Kugel geschraubt, die wiederum mit einer Pfanne im Becken verbunden wird. Im Oberschenkel bildet sich dann neuer Knochen, der den Prothesenschaft umschließt und die Prothese hält. „Cool, oder? Was der menschliche Körper alles kann, ist – “, Jan Lützelberger schüttelt den Kopf, in seinen Augen strahlt Begeisterung: „einfach Wahnsinn!“ Eine künstliche Hüfte ist eine geniale Verbindung von Körper und Technik. Aber sie hält nicht ewig. Mal liegt es an einer bakteriellen Infektion, mal ist‘s einfach Abnutzung: Irgendwann lockert sich das Implantat. Klassische medizinische Verfahren wie Röntgen oder CT sind nicht geeignet, um das frühzeitig festzustellen. Deshalb kamen Ärzte des Regiomed-Klinikum Coburg mit dem ISAT ins Gespräch. Dr. Alexander Franck, Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, unterstützt das UltraHip-Team schon lange mit seiner medizinischen Expertise.

Spaltmessung mithilfe von Schallwellen

ISAT-Leiter Prof. Dr. Klaus Drese berichtet, dass bereits 2017 die Idee entstand, den Abstand zwischen Hüftprothese und Knochen mithilfe von Schallwellen zu ermitteln. „Ursprünglich gab es den Ansatz, mit sogenannten geführten Wellen zu arbeiten. Auf die jetzige Methodik sind wir über andere Projekte gestoßen“, erklärt Drese. Auf den Oberschenkel wird ein Schallwandler aufgesetzt, ein Gerät, das etwa die Größe und Form eines Lippenstiftes hat. Es sendet und empfängt Schallwellen. Fleisch, Knochen, Spalt, Metall: Jede Schicht verändert die Schallwellen und genau diese Veränderung wird per Software ausgewertet, um punktgenaue Informationen über den Spalt zu erhalten – wie dick er ist und was sich darin befindet. „In dem Thema steckte eine große Chance.“ Drese nickt seinem Studenten dabei anerkennend zu. Jan Lützelberger hat die Chance genutzt.

Die Ergebnisse seiner Bachelorarbeit wurden vergangenes Jahr bereits in einem bedeutenden wissenschaftlichen Fachmagazin, dem Journal Sensors, veröffentlicht, er präsentierte sie auch schon auf einer Konferenz. Im März wird ihn die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) den Georg-Simon-Ohm-Preis feierlich überreichen. Viel Ansehen für einen 24-jährigen Nachwuchs-Wissenschaftler. „Ich habe viele verschiedene Aspekte mitbekommen“, erzählt er. Medizinerinnen und Mediziner denken anders als Physiker oder Physikerinnen. „Und die Firmen haben wieder einen ganz anderen Fokus. Durch die Anwendungsnähe am ISAT fühle ich mich einfach fitter als wenn ich alles im Studium nur theoretisch gelernt hätte.“ Seit dem Bachelorabschluss studiert er Simulation und Test an der Hochschule Coburg und schreibt jetzt schon an seiner Masterarbeit zur neuen Ultraschall-Messtechnik.

Erfolg beim DATI-Pitch

Drese erklärt: „Ziel ist, die Technologie so weiterzuführen, dass sie zu einer Firma transferiert werden kann. Wir suchen einen Industriepartner.“ Für die Weiterentwicklung gibt es nun schon einmal 18 Monate lang Unterstützung durch die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesforschungsministeriums. Das neue Konzept DATIpilot soll gute Ideen und Forschungsleistungen schneller zu den Unternehmen und zu den Menschen bringen. Von 3000 eingereichten Projekten wurden 600 dazu eingeladen, ihre Idee im Rahmen eines Pitch-Vortrags auf der Bühne zu präsentieren – bei 23 Veranstaltungen zwischen November 2023 und März 2024 in verschiedenen deutschen Städten. Wer eingeladen ist, gehört automatisch auch zur Jury, die entscheidet, welche Projekte eine Förderung erhalten. Mit dem besonders innovativen Gedanken, dem hohen gesellschaftlichen Nutzen, einer passenden Umsetzungsstrategie und einem mitreißenden Pitch konnte „UltraHip – Nicht-Invasives Ultraschall-Messverfahren zur Frühdiagnostik der Lockerung bei Hüftprothesen“ das Publikum überzeugen. (Natalie Schalk)

Externer Link: www.hs-coburg.de

Seltene Netzhauterkrankungen: Detektivarbeit für das Augenlicht

Medienmitteilung der Universität Basel vom 12.02.2024

Ein Team am Augenforschungsinstitut IOB und an der Universität Basel spürt den Ursachen erblicher Erkrankungen der Netzhaut nach. Die Forschenden schaffen damit wichtige Voraussetzungen für Gentherapien gegen das Erblinden.

Sie heissen etwa Retinitis pigmentosa oder Makuladystrophie: Es gibt über 20 seltene Erbkrankheiten, die zum fortschreitenden Abbau der Netzhaut und Verlust des Sehvermögens führen. Das Spezielle an diesen Erkrankungen: Sie sind genetisch extrem vielfältig.

Allein hinter der bekanntesten erblichen Netzhauterkrankung, der Retinitis pigmentosa, können Veränderungen in einem von 65 Genen stecken. Die überwiegende Mehrheit seltener Krankheiten beruht hingegen auf Veränderungen nur eines bestimmten Gens.

Bei der Retinitis pigmentosa bemerken Betroffene anfangs, dass sie nachts nicht mehr gut sehen. In einem späteren Stadium verlieren sie das Sehvermögen in der Peripherie. Ihr Blickfeld verengt sich zu einem Tunnel, der immer kleiner wird und sich letztlich ganz schliesst. Bei der Makuladystrophie ist es genau umgekehrt: Hier verlieren Betroffene zuerst das Zentrum ihres Blickfelds. Sie können Gesichter nicht mehr erkennen, keine Schilder mehr lesen, den Handybildschirm nicht mehr sehen.

Die Hoffnung im Kampf gegen solche Erkrankungen ruht auf Gentherapien, um das Sehvermögen zu erhalten oder wieder herzustellen. Dank Methoden wie der Genschere Crispr-Cas9 und deren Weiterentwicklungen könnte man den Fehler im betroffenen Gen korrigieren. Das Auge liesse sich mit dieser Methode einfacher behandeln als manch anderes Organ, weil es für Therapien besser zugänglich ist. Nur muss dafür klar sein, welches Gen es zu reparieren gilt.

Die Nadel im Heuhaufen

Bisher sind bereits über 300 Gene bekannt, in denen Mutationen zum Erblinden führen können. Dank moderner DNA-Sequenzierung und computerbasierter Analysen haben Forschende um Prof. Dr. Carlo Rivolta in den letzten Jahren mehrere neue Gene beschrieben. «Wir bekommen nicht nur DNA von Patientinnen und Patienten am Augenspital des Universitätsspitals Basel, sondern auch ungeklärte Fälle anderer Spitäler. Bei zwei von drei können wir die genetische Ursache identifizieren», erzählt der Leiter der Forschungsgruppe «Ophthalmic Genetics» am Augenforschungsinstitut IOB, das mit der Universität Basel assoziiert ist.

Die Aufgabe ist alles andere als trivial. Rivolta vergleicht die Suche nach der entscheidenden Genveränderung mit der nach einem bestimmten Sandkorn in zwei Abfalltonnen voll Sand. Das Erbgut ist von Mensch zu Mensch an vielen Tausenden Stellen leicht unterschiedlich, wie soll man da die Stelle identifizieren, die die Erkrankung ausgelöst hat?

Filtern und vergleichen

Es sei vor allem ein Filterprozess, sagt Rivolta. «Wir vergleichen das Erbgut der Patientin oder des Patienten mit dem von vielen anderen Personen. Varianten in der DNA-Sequenz, die häufig vorkommen, können wir aussortieren.» Die besonders seltenen markieren sie als verdächtig und vergleichen sie mit den Genomdaten anderer Betroffener mit Netzhauterkrankungen.

Im menschlichen Erbgut kommen die meisten Gene in zwei Kopien vor, eine Kopie vom Vater, eine von der Mutter. Eine Mehrheit der Netzhauterkrankungen wird rezessiv vererbt, das heisst, solange nur eine Kopie des Gens die Mutation trägt, ist die Person ein «gesunder Träger». Nur bei Defekten in beiden Kopien kommt es zu Symptomen. Dabei kann es sich um Veränderungen an unterschiedlichen Stellen im Gen handeln.

Stille Mutationen sind doch nicht so still

Der Anteil ungeklärter Fälle ist dank aufwändiger Erbgut-Analysen, wie sie unter anderem Rivoltas Team entwickelt hat, immer weiter geschrumpft. Vor allem auch, weil ein Umdenken darüber stattgefunden hat, wonach man suchen muss: «Früher achtete man beispielsweise kaum auf die sogenannten stillen Mutationen», erklärt Rivolta. Das sind Veränderungen im DNA-Code, die an der Abfolge der Aminosäure-Bausteine im Protein eigentlich nichts ändern. Inzwischen weiss man, dass auch solche Mutationen die Protein-Produktion empfindlich stören können. Ähnliches gilt für Mutationen, die ausserhalb der für Proteine codierenden Sequenzen im Erbgut liegen.

Rivolta ist überzeugt, dass sich viele Netzhauterkrankungen in nicht allzu ferner Zukunft mit Gentherapien werden behandeln lassen. Das industrielle Interesse sei durchaus vorhanden. Und wenn eine neue Gentherapie entwickelt wird, gebe es dank der Detektivarbeit der Genetikerinnen und Genetiker entsprechende Datenbanken, um diejenigen Patientinnen und Patienten zu rekrutieren, die davon profitieren könnten. (Angelika Jacobs)

Externer Link: www.unibas.ch

Spielerisch das Interesse am Programmieren wecken

Pressemeldung der TU Graz vom 31.01.2024

Die TU Graz hat gemeinsam mit dem Sozialdienstleister Jugend am Werk Steiermark einen Workshop und ein Multi-User-Spiel entwickelt, um junge Frauen an das Programmieren heranzuführen. Das Spiel ist jetzt auch frei verfügbar.

Im Rahmen seiner Berufsorientierung für Jugendliche hat der Sozialdienstleister Jugend am Werk Steiermark festgestellt, dass Mädchen und junge Frauen nur wenig Interesse an IT-Berufen haben. Oft wissen sie auch nicht, welche Berufsfelder es gibt und welche Fähigkeiten dafür gebraucht werden. Im von der Sektion für Frauenangelegenheiten und Gleichstellung des Bundeskanzleramts geförderten Projekt FemQuest wurde deswegen gemeinsam mit dem Institute of Interactive Systems and Data Science der TU Graz ein Workshop entwickelt, der mit digitalen und analogen Mitteln einen niederschwelligen Einstieg in das Thema bietet. Laut Befragungen unter den Teilnehmerinnen ist das auch gelungen: Zu den Aspekten Lernen, Design und Engagement gab es größtenteils positive Rückmeldungen, in punkto Komplexität fühlte sich kaum jemand überfordert.

Anstoß für Interesse an IT

„Wir wollen mit FemQuest die Leidenschaft für Informationstechnologie bei Mädchen und jungen Frauen wecken“, erklärt Michael Holly vom Institute of Interactive Systems and Data Science, der das Projekt auf Seite der TU Graz umgesetzt hat. „Wenn die Teilnehmerinnen selbst ein grundlegendes Verständnis von der Semantik einer Programmiersprache erlangen und den Zusammenhang zwischen Input in das Gerät und dem sichtbaren Output auf einem Ausgabemedium erkennen, kann das ein wichtiger Anstoß sein, sich eigenständig mit dem Thema IT zu beschäftigen.“

„Praxisorientierte und innovative Programme wie FemQuest erleichtern jungen Frauen den Einstieg in IT-Berufe“, beschreibt Waltraud Pölzl, Geschäftsbereichsleiterin Ausbildung und Arbeitsmarkt bei Jugend am Werk Steiermark. „Damit bieten wir in der Berufsorientierung theoretisches Wissen und praktische Erfahrungen, und fördern auch wichtige Soft Skills zur Stärkung des Selbstbewusstseins für den Übergang in die Berufswelt.“

Gemeinsam die Grundkenntnisse erspielen

Kernelement des Workshops ist das Multi-User-Spiel FemQuest für Tablets und PC, durch das die Teilnehmerinnen auf spielerischem Weg die Grundzüge des Programmierens kennenlernen. Vor dem Einstieg in das Spiel gibt es einen Theorieteil, bei dem grundlegende Elemente wie Anweisungen oder Schleifen erläutert werden. Im Spiel erstellen sich die Userinnen einen Avatar, mit dem sie in eine Geschichte eintauchen und unterschiedliche Aufgaben lösen müssen. Coding ist dabei nicht nötig, ganz einsteigerfreundlich gilt es Blöcke, die verschiedene Funktionen darstellen, in passender Reihenfolge an passende Positionen zu ziehen, um so eine funktionierende Programmierung zu erstellen. Die Workshop-Leitung ist mit einem Fuchs-Avatar ebenfalls Teil des Spiels und kann Hilfestellungen geben.

Entstanden ist das Spiel gemeinsam mit weiblichen Jugendlichen, die im Zuge der Entwicklung laufend Feedback abgegeben haben. Als Spiele-Engine kam Unity zum Einsatz, die für nichtkommerzielle Zwecke kostenlos verwendet werden kann.

Spiel kostenlos zum Download verfügbar

FemQuest steht nun auf der Website der TU Graz-Forschungsgruppe Gamelab Graz kostenlos zum Download zur Verfügung. Für Android und auf der PC-Plattform Steam soll es ebenfalls kostenlos veröffentlicht werden.

Die Spielgeschichte dreht sich um eine Professorin, die verschiedene Kreaturen erschaffen wollte, wobei aber etwas schiefgegangen ist. Eine dieser Kreaturen, ein boshafter Hase, hat eine Stadt verwüstet. Nun gilt es, den Stadtbewohner*innen beim Wiederaufbau zu helfen, den Hasen zu fangen und ihn mittels eines Gegengifts gutmütig zu machen. Für diese Aufgaben müssen mittels Programmierung etwa Ziegelreihen gelegt oder als Einstieg in die Kryptographie auch einfache Cäsar-Verschlüsselungen gelöst werden, bei denen es notwendig ist, Buchstabenräder um eine bestimmte Buchstabenzahl zu verschieben, um einen Code zu knacken. (Falko Schoklitsch)

Externer Link: www.tugraz.at

Mobilität: Werkzeugkette für komplexe Anwendungen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 01.02.2024

Forschende des KIT und Partner entwickeln automatisierte Werkzeugkette für die zukünftige Mobilität

Ob für selbstfahrende Autos oder autonome Lufttaxis: Die Entwicklung eingebetteter elektronischer Systeme für die Mobilität der Zukunft setzt komplexe Verarbeitungs- und Anwendungsdienste voraus. Um diese Herausforderung besser bewältigen zu können, haben acht europäische Partner in dem vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierten Verbundprojekt XANDAR eine automatisierte Werkzeugkette entwickelt. Neben Echtzeitanforderungen erfüllt diese wichtige Sicherheitsanforderungen. Die automatisierte Werkzeugkette nutzten die Partner zur Entwicklung einer zuverlässigen Sensordatenfusion für den autonomen Straßenverkehr sowie eines Assistenzsystems, das Pilotinnen und Piloten bei der Kollisionsvermeidung unterstützt.

Für die Verkehrs- und Mobilitätswende haben Softwaresysteme einen hohen Stellenwert. Die Anforderungen an solche Systeme werden dabei immer komplexer. „Bei autonomen Fahrzeugen erfolgt die Umfelderkennung durch rechenintensive Algorithmen mit Künstlicher Intelligenz (KI). Zugleich unterstützt eine nahtlose Softwareintegration in großflächige Netzwerke die korrekte Routenumsetzung“, erklärt Professor Jürgen Becker, Leiter des Instituts für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV) des KIT. „In autonomen Fahrzeugen muss außerdem sichergestellt sein, dass unberechtigte Eingriffe von außen nicht zum Abfluss schützenswerter Daten oder zu gefährlichem Fehlverhalten der Systeme führen können.“ Ziel des Projekts war es, den manuellen Entwicklungsaufwand für solche kritischen Anwendungen weiter zu reduzieren, um den Prozess weniger zeitaufwendig, teuer und fehleranfällig zu gestalten.

Modellbasierte Transformation und Systemintegration

Im Projekt XANDAR erarbeiteten die Forschenden Konzepte zum durchgängigen Automatisieren der Entwicklung von kritischen Anwendungen. Dafür griffen sie auf einen neuartigen Ansatz zurück: X-by-Construction (XbC). Hierbei werden angestrebte Systemeigenschaften formal erfasst und durch einen schrittweisen Prozess in eine korrekte, ausführbare Realisierung des Softwaresystems überführt. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich auf eine Vielzahl von Aufgaben wie Sicherheits- und Echtzeitanforderungen anwendbar. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT evaluierten die neu entwickelten Ansätze zum Projektende auf Basis aktueller anwendungsspezifischer Anforderungen.

Erfolgreiche Evaluation im Automobil- und Luftfahrtumfeld

„Die Konzepte haben wir anschließend in eine Werkzeugkette integriert, also in eine systematische Sammlung von Programmen, die zur Erzeugung des Softwaresystems miteinander interagieren“, erläutert Tobias Dörr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ITIV. „Darüber hinaus haben wir Mechanismen entwickelt, die auf der Zielhardware zum Einsatz kommen und das zeitliche Zusammenspiel von Softwareapplikationen steuern.“ Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die BMW Group (BMW) haben die Ansätze auf ihre jeweiligen Systeme für die Luftmobilität sowie für den Straßenverkehr angewandt. Unter Verwendung der XbC-Werkzeugkette entwickelten sie ein Assistenzsystem für Pilotinnen und Piloten im Bereich der Kollisionsvermeidung sowie ein Sensorfusionssystem für autonome Straßenfahrzeuge.

Vorteile durch Senkung von Kosten und Risiko

„Mit XANDAR ist eine neue standardisierungsfähige Werkzeugkette für Entwicklerinnen und Entwickler entstanden, die kritische Softwaresysteme für die zukünftige Mobilität sicher mitgestalten kann. Hieraus ergibt sich auch eine Senkung von Risiko und Kosten im Umfeld moderner paralleler Softwaresysteme in der Mobilität“, so Becker. Neben dem KIT, dem DLR und BMW waren an der Entwicklung der Werkzeugkette die University of Peloponnese, die Queen’s University Belfast, AVN Innovative Technology Solutions, Vector Informatik und Fent Innovative Software Solutions beteiligt. Die Europäische Kommission förderte das Projekt in den vergangenen drei Jahren mit rund fünf Millionen Euro. (ase)

Externer Link: www.kit.edu

Atome, die miteinander Pingpong spielen

Presseaussendung der TU Wien vom 16.01.2024

Eine Art „Quanten-Pingpong“ entwickelte ein Team der TU Wien: Durch eine passende Linse kann man zwei Atome dazu bringen, ein einzelnes Photon hochpräzise hin und her zu spielen.

Atome können Licht aufnehmen und wieder aussenden – das ist ein ganz alltägliches Phänomen. Meistens aber gibt ein Atom ein Lichtteilchen in alle möglichen Richtungen ab, dieses Photon dann wieder einzufangen ist gar nicht so einfach.

An der TU Wien konnte man nun aber rechnerisch zeigen: Durch eine besondere Linse lässt sich erreichen, dass ein einzelnes Photon, das von einem Atom abgegeben wird, von einem zweiten Atom mit praktisch hundertprozentiger Sicherheit wieder absorbiert wird. Dieses zweite Atom nimmt das Photon jedoch nicht nur auf, sondern schießt es gleich zum ersten Atom wieder zurück: Die Atome spielen sich das Photon punktgenau immer wieder gegenseitig zu – wie beim Pingpong.

Wie man eine Welle zähmt

„Wenn ein Atom irgendwo im freien Raum ein Photon aussendet, dann ist die Abstrahlrichtung vollkommen zufällig. Damit ist es praktisch unmöglich, ein anderes entferntes Atom dazu zu bringen, dieses Photon wieder aufzufangen“, sagt Prof. Stefan Rotter vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Das Photon breitet sich als Welle aus, wodurch niemand sagen kann, in welche Richtung es sich genau bewegt. Es ist somit purer Zufall, ob das Lichtteilchen von einem zweiten Atom wieder absorbiert wird oder nicht.“

Anders sieht die Sache aus, wenn man das Experiment nicht im freien Raum durchführt, sondern in einem abgeschlossenen Bereich. Ähnliches kennt man aus der Akustik, von sogenannten Flüsterräumen: Wenn in einem elliptischen Raum zwei Menschen genau in den Brennpunkten der Ellipse stehen, dann können sie einander perfekt hören. Die eine Person flüstert leise, die Schallwellen werden von der elliptischen Wand exakt so reflektiert, dass sie einander am Aufenthaltsort der zweiten Person treffen – die zweite Person kann das leise Geflüster somit wunderbar hören, auch wenn es sehr leise war.

„Prinzipiell könnte man so etwas auch für Lichtwellen bauen und zwei Atome an den Brennpunkten einer Ellipse positionieren“, sagt Oliver Diekmann, der Erstautor der aktuellen Publikation. „Aber praktisch gesehen müssen die beiden Atome dann ganz präzise an den Brennpunkten positioniert werden.“

Die Maxwell-Fischaugenlinse

Das Forschungsteam ließ sich daher eine bessere Strategie einfallen, die auf das Konzept der Fischaugen-Linse zurückgreift, das von James Clerk Maxwell, dem Begründer der klassischen Elektrodynamik, entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um ein Material mit variierendem Brechungsindex. Während sich Licht in einem einheitlichen Medium wie Luft oder Wasser geradlinig fortbewegt, werden Lichtstrahlen in einer Maxwell-Fischaugenlinse gekrümmt.

„Auf diese Weise kann man erreichen, dass alle Strahlen, die von einem Atom ausgehen, auf einem krummen Pfad den Rand erreichen, dort reflektiert werden, und dann auf einem zweiten krummen Pfad zum Zielatom gelangen“, erklärt Oliver Diekmann. In diesem Fall funktioniert der Effekt viel effizienter als in einer simplen Ellipse und auch Abweichungen von der Idealposition der Atome sind möglich.

„Das Licht in dieser Maxwell-Fischaugenlinse hat verschiedene Schwingungsmoden gleichzeitig. Das ist ähnlich wie bei einem Musikinstrument, das zum Schwingen angeregt wird und verschiedene Obertöne gleichzeitig produziert“, sagt Stefan Rotter. „Wir konnten zeigen: Die Kopplung zwischen dem Atom und diesen unterschiedlichen Schwingungsmoden lässt sich auf eine Weise anpassen, dass es mit fast hundert Prozent Wahrscheinlichkeit zu einem Transfer des Photons von einem Atom auf das andere kommt – ganz anders als das im leeren Raum der Fall wäre.“

Wenn das Atom das Photon absorbiert hat, befindet es sich in einem Zustand höherer Energie, bis es dann nach sehr kurzer Zeit das Photon wieder abgibt. Dann beginnt das Spiel von vorne: Die beiden Atome tauschen ihre Rollen, das Photon wird vom Empfänger-Atom zum ursprünglichen Sender-Atom zurückgespielt – und immer so weiter.

Optimale Kontrolle für Quantentechnologien

Vorerst handelt es sich um theoretische Berechnungen, Praxistests sind aber mit bereits bestehender Technologie möglich. „In der Praxis könnte man die Effizienz sogar noch weiter erhöhen, indem man nicht nur zwei Atome verwendet, sondern zwei Gruppen von Atomen“, sagt Stefan Rotter. „Das Konzept könnte ein interessanter Startpunkt für Quantenkontroll-Systeme sein, mit denen man Effekte bei extrem starker Kopplung zwischen Licht und Materie genau studieren kann.“ (Florian Aigner)

Originalpublikation:
O. Diekmann, D. Krimer, and S. Rotter: Ultrafast Excitation Exchange in a Maxwell Fish-Eye Lens, Phys. Rev. Lett. 132, 013602 (2024).

Externer Link: www.tuwien.at