Personalisierte Medizin: JKU Spin-off soll Patent in klinischen Alltag überführen

Pressemitteilung der Johannes Kepler Universität Linz vom 4.11.2024

Knochenregeneration ist ein Spezialgebiet der Orthopädie, das sich mit der Entwicklung von Therapien zur Regeneration, Rekonstruktion und Wiederherstellung von Knochengewebe nach Traumen, Verletzungen oder Krankheiten befasst. Dafür werden innovative Biomaterialien benötigt. Die Johannes Kepler Universität Linz hat nun Materialien entwickelt, die neue Maßstäbe setzen können.

Zur praktischen Umsetzung hat die JKU daher ein Abkommen mit ihrem Spin-off Resorbink FlexCo abgeschlossen. So soll das Patent bald schon markttauglich gemacht werden und Patient*innen in Krankenhäusern zugutekommen.

Am JKU Institut für Chemie der Polymere ist dem Team von Univ.-Prof. Ian Teasdaleund Univ.-Prof. Oliver Brüggemann ein Durchbruch gelungen. „Wir beschäftigen uns schon lange mit abbaubaren Polymeren, also Kunststoffen, die wieder abgebaut werden können. Nun ist es uns gelungen, ein ganz besonderes polymerisierbares Monomer für abbaubare Polymere zu entwickeln“, erklärt Brüggemann. Vereinfacht gesagt: Die Methode erlaubt die Herstellung kleiner Moleküle, die sich durch chemische Reaktionen mit anderen Molekülen zu deutlich größeren verbinden. In diesem Fall kann durch die präzise Anwendung dieser Prozesse quasi festgelegt werden, wie schnell sich das Molekül bindet. „Auf diese Weise kann man sozusagen tunen, wie schnell ein Material im menschlichen Körper abgebaut wird“, so der JKU Chemiker.

„Bei der Entwicklung unserer innovativen Materialien haben wir uns gezielt von der Natur inspirieren lassen. Genau wie natürlicher Knochen bestehen diese neuen Materialien aus Phosphor und Aminosäuren. Dadurch eignen sie sich besonders gut für medizinische Anwendungen in der Knochenregeneration“, führt Teasdale weiter aus.

Theorie und Praxis

Soweit die theoretischen Grundlagen, für die bereits ein Patent erteilt wurde. Was bisher fehlte, war ein Plan zur praktischen Umsetzung – hier kommt Resorbink FlexCo ins Spiel. Dieses JKU Spin-off wurde von Brüggemann gemeinsam mit Ian Teasdale und Stephan Haudum gegründet, der die neue Technologie in seiner Dissertation am Institut ausgearbeitet hat und das Unternehmen als CEO leiten wird.

„Resorbink FlexCo ist ein hochinnovatives Unternehmen, das die neue Methode in den medizinischen Alltag überführen wird“, erläutert Haudum. So soll die Technologie als Tinte für 3D-Drucker verwendet werden, um personalisierte Implantate zu produzieren. „Im Endeffekt soll so gemeinsam mit Industriepartner*innen eine kostengünstige Methode für den klinischen Alltag entstehen“, sagt Haudum.

Exklusivlizenz für Spin-off

Zu diesem Zweck hat Resorbink FlexCo eine Exklusivlizenz zur Nutzung des Patents erhalten. „Erfolge wie diese zeigen, wie Forschung alltagstauglich gemacht wird. Ich freue mich sehr, dass es uns an der JKU gelingt, nicht nur theoretische Grundlagen zu schaffen, sondern diese auch durch engagierte Wissenschaftler*innen in die Praxis zu überführen. Dieses Abkommen ist ein Vorzeigebeispiel, dass wir an unserer Universität Forschungskompetenz bündeln und ganz konkret hochrelevante Probleme lösen und so unsere Wissenschaft ganz buchstäblich den Menschen zugutekommt“, gratuliert Christiane Tusek, Vizerektorin für Finanzen und Entrepreneurship an der JKU.

Die neue Technologie wurde bereits ausgezeichnet. Das gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät der JKU eingereichte Projekt „Synthetische Knochen“ belegte beim kürzlich vergebenen OÖ. Landespreis für Innovation den ersten Platz in der Katgeorie „Innovative Forschungseinrichtungen.“ Dr.in Eleni Priglinger (Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie) freut sich über die Zusammenarbeit: „Die neue Methode ist kostengünstig und mittels 3D-Druck verarbeitbar. Im Labor konnten wir zeigen, dass diese Materialien mit Stammzellen tatsächlich neue Knochen bilden. Erste klinische Studien sind bereits in Planung.“

Der erste Schritt ist also getan, Resorbink FlexCo wird umgehend die Arbeiten zur Umsetzung der neuen Technologie aufnehmen. „Ich hoffe, dass wir in vier bis fünf Jahren Marktreife erreichen können“, setzt Haudum ambitionierte Ziele.

externer Link: www.jku.at

Forschende lassen 3D-Computer-Welten in Millisekunden wachsen

Pressemitteilung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg vom 11.10.2024

Gute Grafik schafft die Atmosphäre, die Gamer und Gamerinnen emotional und gedanklich in die Welt eines Videospiels zieht. Bei der Technik dahinter hat ein Forschungsteam rund um den Studiengang Visual Computing der Hochschule Coburg in einer Kooperation mit dem Grafikkartenhersteller AMD aufsehenerregende Fortschritte erzielt: Unter anderem ist es zum ersten Mal gelungen, mit der neuen Grafikkartentechnologie Work-Graphs bei einem Prototyp eine detaillierte 3D-Szene innerhalb von Millisekunden zu bestücken. Inspiration dafür lieferte unter anderem der Coburger Weihnachtsmarkt.

Die Forschungsarbeit zum Thema Prozedurale Echtzeit-Generierung mittels GPU Work-Graphs entstand im Projekt GeoFlow, einer Zusammenarbeit zwischen dem Grafikkartenhersteller Advanced Micro Devices (AMD) und dem Visual-Computing-Team der Fakultät Elektrotechnik und Informatik der Hochschule Coburg. In dem Projekt untersuchen die Forschenden die neue Grafikkartentechnologie Work Graphs. Work Graphs erlauben es, Grafikkarten mit einem hohen Grad an Flexibilität zu programmieren, was neuartige Algorithmen erfordert, die in diesem Projekt prototypisch untersucht werden. Es geht um eine Zukunftstechnologie, die viele Bereiche betrifft: Computerspiele genau wie Computer Aided Design, High Performance Computing und Künstliche Intelligenz.

Buden am Coburger Marktplatz als Inspiration

Das Forschungs-Team hat es geschafft, mit Work-Graphs eine 3D-Szene mit einer hohen Zahl an unterschiedlichen 3D-Modellen in wenigen Millisekunden zu bestücken. Als eines von vielen Beispielen führt der Coburger Visual-Computing-Doktorand Bastian Kuth die Erzeugung eines 3D-Modells eines Marktplatzes mit Wegen, Buden, Girlanden und weiteren Requisiten an. „Für Teile unserer Generierung haben wir uns vom Coburger Weihnachtsmarkt inspirieren lassen“, erklärt der Wissenschaftler. Entstanden ist die Arbeit im Team rund um Prof. Dr. Quirin Meyer, Studiengangsleiter im Bachelor Visual Computing und Leiter des Labors für Computergrafik, Doktorand Bastian Kuth, sowie Carsten Faber von der Hochschule Coburg. Seitens AMD beteiligen sich Dr. Matthäus Chajdas, Max Oberberger und Dominik Baumeister an diesem Forschungsthema.

Die neuen Algorithmen können ganze 3D-Computerwelten mit einer nie dagewesen Menge an Efeu, Pilzen und Gras überwuchern lassen. Dabei wird Vegetation auf einem bestehenden 3D Modell verteilt. Mit dem System können 3D-Welten schneller und interaktiver gestaltet werden. Das Gras wurde maßgeblich von dem Coburg Masteranden Carsten Faber mitentwickelt, worüber der Halbleiterhersteller AMD bereits in seinem Forschungs-Blog berichtete. Prof. Dr. Quirin Meyer freut sich: „Das zeigt die hervorragende Arbeit in Forschung und Lehre, die wir hier in Coburg im Bereich Visual Computing leisten!“

Internationale Erfolge

Die Arbeit der Coburger Forschenden erregt international Aufsehen: Auf der Konferenz „High Performance Graphics 2024“ (HPG) in Denver, USA, präsentierte Doktorand Bastian Kuth die Ergebnisse zum Thema Prozedurale Echtzeit-Generierung mittels GPU Work-Graphs. Bei der HPG werden jährlich wissenschaftliche Ergebnisse im Bereich Hochleistungscomputergrafik veröffentlicht. Das internationale Fachpublikum vergab der Coburger Gruppe den Best-Paper Award, eine Auszeichnung der wissenschaftlichen Community für hervorragende Leistungen. Gleichzeitig wurde der zugehörige Aufsatz „Real-Time Procedural Generation with GPU Work Graphs“ im angesehenen Journal „Proceedings of the ACM on Computer Graphics and Interactive Techniques“ veröffentlicht.

Die Auszeichnung ergänzt die Erfolgsgeschichte des Visual-Computing-Teams der Hochschule Coburg: Nach dem Best-Paper Award 2020 auf der HPG und 2022 auf der I3D, gelang 2023 auf der HPG ebenfalls der dritte Platz. Im März 2024 stellten AMD und Microsoft den weltweit ersten Demonstrator, der im Rahmen dieser Zusammenarbeit maßgeblich von der Hochschule Coburg mitentwickelt wurde, auf der Spieleentwicklungskonferenz GDC (Game Developer Conference) in San Francisco vor.

Schneller und weniger Speicherplatz: Kompakte Darstellung von Dreiecksnetzen

Im September brachte Kooperation zwischen der Hochschule Coburg und dem Grafikkartenhersteller AMD noch eine Auszeichnung hervor: Die Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Dr. Quirin Meyer und Dr. Matthäus Chajdas wurden auch auf der wissenschaftlichen Konferenz „Vision Modelling and Visualisation 2025“ in Garching von einer Fachjury und Peer-Reviewer mit dem Best-Paper Award ausgezeichnet. Präsentiert wurde eine neuartige Datenstruktur zur kompakten Darstellung von Dreiecksnetzen, die aus der Kooperation zwischen Hochschule Coburg und AMD hervorgegangen ist. Dazu wurde ein paralleler Algorithmus zur schnellen Dekompression entwickelt. In Kombination benötigen 3D-Modelle substanziell weniger Speicher bei für den Menschen nicht erkennbaren Qualitätsverlust. Gleichzeitig ergaben Messungen der Wissenschaftler, dass die 3D-Modelle bis zu 80 Prozent schneller angezeigt werden können als mit bisherigen Ansätzen. Maßgeblich für die Umsetzung des Projektes waren Visual Computing Doktorand Bastian Kuth, die Masteranden Sander Reitter (jetzt bei AMD), Felix Kawala (nun Doktorand an der TH Ingolstadt) und Sebastian Michel, sowie Max Oberberger (AMD).

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Supraleitung: Rätsel der Fermi-Bögen gelöst

Pressemitteilung der Technischen Universität Wien vom 24.10.2024

In bestimmten Materialien kann sich elektrische Ladung nur in ganz bestimmten Richtungen bewegen. An der TU Wien zeigte man nun: Das lässt sich durch magnetische Effekte erklären.

Hochtemperatur-Supraleitung gehört zu den großen Rätseln der modernen Physik: Manche Materialien leiten elektrischen Strom völlig ohne Widerstand – allerdings nur bei sehr kalten Temperaturen. Würde man ein Material finden, das auch bei Raumtemperatur noch supraleitend bleibt, wäre das eine technische Revolution. Auf der ganzen Welt arbeitet man daher an einem besseren, umfassenderen Verständnis der Effekte in solchen Materialien.

Ein wichtiger Schritt gelang nun an der TU Wien. Gerade bei einer besonders interessanten Klasse von Hochtemperatur-Supraleiten, den sogenannten Cupraten, gibt es nämlich einen sehr überraschenden Effekt: Unter bestimmten Bedingungen können sich die Elektronen in diesen Materialien nur in bestimmte Richtungen bewegen, in andere Richtungen hingegen nicht. Die erlaubten Richtungen lassen sich als Kurven darstellen, man spricht von „Fermi-Bögen“. Mit Hilfe von Laserlicht, das Elektronen gezielt aus dem Material herausschlägt, können diese Bögen sichtbar gemacht werden. Einem Team am Institut für Festkörperphysik der TU Wien gelang es nun, theoretische und numerische Modelle zu entwickeln, die diesen Effekt erklären: Er kommt durch die magnetischen Wechselwirkungen zwischen den Elektronen unterschiedlicher Atome zustande.

Viele offene Fragen bei Hochtemperatur-Supraleitung
Erklärungsansätze für Supraleitung gibt es schon lange: Bereits 1972 wurde der Nobelpreis für die sogenannte „BCS-Theorie“ vergeben, mit der man Supraleitung in Metallen mathematisch beschreiben kann. Doch gerade bei besonders interessanten Materialien, die Supraleitung auch noch bei vergleichsweisen hohen (wenn auch für menschliche Maßstäbe immer noch recht niedrigen) Temperaturen erlauben, versagt diese Theorie. Zu diesen Materialien zählen auch die Cuprate – kupferhaltige Verbindungen, die heute zu den meisterforschten supraleitenden Materialien gehören.

„Bei diesen Materialien stößt man auf eine ganze Reihe unerklärter Phänomene, die oft eng miteinander zusammenhängen“, sagten Alessandro Toschi, der das Forschungsprojekt zusammen mit Karsten Held koordinierte. Eines dieser Phänomene sind eben diese „Fermi-Bögen“.

Man kann den Hochtemperatur-Supraleitern zusätzliche Elektronen hinzufügen und dann messen, wie sich diese Elektronen im Material bewegen – oder aus Perspektive der Quantenphysik formuliert: welche Quantenzustände diese Elektronen annehmen können. Bei solchen Messungen stieß man auf eine Überraschung: „Das Material erlaubt nur bestimmte Impulsrichtungen“, erklärt Matthias Reitner (TU Wien). „Das heißt, nur in bestimmte Richtungen können sich die Elektronen überhaupt bewegen.“ Die quantenphysikalisch erlaubten Zustände liegen auf einer Kurve (einem Fermi-Bogen), die an bestimmten Stellen abrupt endet – ein äußerst untypisches Verhalten, das sich mit üblichen theoretischen Modellen nicht erklären lässt.

Antiferromagnetisches Schachbrettmuster
Dem Team der TU Wien – Paul Worm, Matthias Reitner, Karsten Held und Alessandro Toschi – gelang es nun aber, dieses überraschende Verhalten theoretisch zu erklären. Man entwickelte aufwändige Computersimulationen, aber auch ein analytisches Modell, welches das Phänomen mit einer einfachen Formel beschreibt.

„Der Schlüssel für den Effekt ist eine antiferromagnetische Wechselwirkung“, sagt Matthias Reitner. Antiferromagnetismus bedeutet, dass sich die magnetische Richtung eines Atoms vorzugsweise entgegengesetzt zur Richtung des Nachbaratoms ausrichtet. „In den Cupraten, die wir modelliert haben, handelt es sich um eine antiferromagnetische Wechselwirkung mit langer Reichweite“ sagt Matthias Reitner. Die magnetischen Momente der Elektronen auf verschiedenen Atomen richten sich also über größere Distanzen so aus, dass die magnetische Ausrichtung der Elektronen immer abwechselnd mal in die eine, dann in die andere Richtung zeigt – ähnlich wie beim Schachbrett, auf dem jedes Feld anders gefärbt ist als seine direkten Nachbarfelder.“ Das Forschungsteam konnte zeigen, dass dieses magnetische Muster in weiterer Folge zu dem merkwürdigen richtungsabhängigen Verhalten der Elektronen führt.

„Damit konnten wir zum ersten Mal ein theoretisches Modell für das abrupte Ende der Fermi-Bögen präsentieren und erklären, warum die Bewegung von Elektronen in solchen Materialien nur in bestimmten Richtungen möglich ist“, sagt Paul Worm. „Dieser Fortschritt hilft uns nicht nur, einige der ungeklärten Rätsel der Hochtemperatursupraleiter besser zu verstehen, sondern er könnte auch die künftige Forschung an Materialien mit ähnlichen unkonventionellen Eigenschaften weiter vorantreiben.“

Externer Link: www.tuaustria.at

Hüftprothesen-Lockerungen: Coburger Student wirbt 150.000 Euro für Forschung ein

Pressemitteilung der Hochschule Coburg vom 16.02.2024

Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesforschungs-Ministeriums (BMBF) hat ein neues Format, um Innovationen aus der Forschung schneller in die Praxis zu bringen: Für DATIpilot gab es deutschlandweit etwa 3000 Bewerbungen. Das Institut für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) der Hochschule Coburg war mit seiner Idee erfolgreich und erhält 150.000 Euro Förderung. Master-Student Jan Lützelberger und Prof. Dr. Klaus Drese von der Hochschule Coburg überzeugten mit „UltraHip“, einer Sensorik zur Früherkennung von Hüftprothesen-Lockerungen mithilfe von Ultraschall.

Zwei Millimeter sind zu viel. „Das ist wie ein dicker Pappkarton“, sagt Jan Lützelberger. Aber erst wenn ein so dicker Spalt zwischen Hüftprothese und Knochen klafft, wird das Problem auf dem Röntgenbild deutlich sichtbar. „Mit unserem neuen, ultraschallbasierten Verfahren können wir im Mikrometerbereich messen. Eine Prothesenlockerung wird auf diese Weise schon erkannt, wenn der Spalt nur so dünn ist wie ein Blatt Papier.“ Die frühzeitige Diagnose hat das Potenzial, Schmerzen, Komplikationen beim Folgeeingriff und stärkere Knochenschädigungen zu vermeiden. Lützelberger hat das neue Messverfahren im Rahmen seiner Bachelorarbeit am Institut für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) entwickelt. Der Sonneberger hat Technische Physik an der Hochschule Coburg studiert und suchte ein praxisnahes Abschlussarbeitsthema. Angewandte Forschung ist ihm wichtig. Er wollte „etwas, das auch den Menschen hilft. Und jeder kennt doch jemanden, der eine künstliche Hüfte hat.“

Eine geniale Verbindung von Körper und Technik – aber nicht für die Ewigkeit

Der Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks ist einer der häufigsten medizinischen Eingriffe in Deutschland. Eine Routine-OP: Ins weiche Mark im Inneren des Oberschenkelknochens wird ein metallischer Prothesenschaft geschlagen. Als Gelenk wird darauf eine Kugel geschraubt, die wiederum mit einer Pfanne im Becken verbunden wird. Im Oberschenkel bildet sich dann neuer Knochen, der den Prothesenschaft umschließt und die Prothese hält. „Cool, oder? Was der menschliche Körper alles kann, ist – “, Jan Lützelberger schüttelt den Kopf, in seinen Augen strahlt Begeisterung: „einfach Wahnsinn!“ Eine künstliche Hüfte ist eine geniale Verbindung von Körper und Technik. Aber sie hält nicht ewig. Mal liegt es an einer bakteriellen Infektion, mal ist‘s einfach Abnutzung: Irgendwann lockert sich das Implantat. Klassische medizinische Verfahren wie Röntgen oder CT sind nicht geeignet, um das frühzeitig festzustellen. Deshalb kamen Ärzte des Regiomed-Klinikum Coburg mit dem ISAT ins Gespräch. Dr. Alexander Franck, Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, unterstützt das UltraHip-Team schon lange mit seiner medizinischen Expertise.

Spaltmessung mithilfe von Schallwellen

ISAT-Leiter Prof. Dr. Klaus Drese berichtet, dass bereits 2017 die Idee entstand, den Abstand zwischen Hüftprothese und Knochen mithilfe von Schallwellen zu ermitteln. „Ursprünglich gab es den Ansatz, mit sogenannten geführten Wellen zu arbeiten. Auf die jetzige Methodik sind wir über andere Projekte gestoßen“, erklärt Drese. Auf den Oberschenkel wird ein Schallwandler aufgesetzt, ein Gerät, das etwa die Größe und Form eines Lippenstiftes hat. Es sendet und empfängt Schallwellen. Fleisch, Knochen, Spalt, Metall: Jede Schicht verändert die Schallwellen und genau diese Veränderung wird per Software ausgewertet, um punktgenaue Informationen über den Spalt zu erhalten – wie dick er ist und was sich darin befindet. „In dem Thema steckte eine große Chance.“ Drese nickt seinem Studenten dabei anerkennend zu. Jan Lützelberger hat die Chance genutzt.

Die Ergebnisse seiner Bachelorarbeit wurden vergangenes Jahr bereits in einem bedeutenden wissenschaftlichen Fachmagazin, dem Journal Sensors, veröffentlicht, er präsentierte sie auch schon auf einer Konferenz. Im März wird ihn die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) den Georg-Simon-Ohm-Preis feierlich überreichen. Viel Ansehen für einen 24-jährigen Nachwuchs-Wissenschaftler. „Ich habe viele verschiedene Aspekte mitbekommen“, erzählt er. Medizinerinnen und Mediziner denken anders als Physiker oder Physikerinnen. „Und die Firmen haben wieder einen ganz anderen Fokus. Durch die Anwendungsnähe am ISAT fühle ich mich einfach fitter als wenn ich alles im Studium nur theoretisch gelernt hätte.“ Seit dem Bachelorabschluss studiert er Simulation und Test an der Hochschule Coburg und schreibt jetzt schon an seiner Masterarbeit zur neuen Ultraschall-Messtechnik.

Erfolg beim DATI-Pitch

Drese erklärt: „Ziel ist, die Technologie so weiterzuführen, dass sie zu einer Firma transferiert werden kann. Wir suchen einen Industriepartner.“ Für die Weiterentwicklung gibt es nun schon einmal 18 Monate lang Unterstützung durch die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesforschungsministeriums. Das neue Konzept DATIpilot soll gute Ideen und Forschungsleistungen schneller zu den Unternehmen und zu den Menschen bringen. Von 3000 eingereichten Projekten wurden 600 dazu eingeladen, ihre Idee im Rahmen eines Pitch-Vortrags auf der Bühne zu präsentieren – bei 23 Veranstaltungen zwischen November 2023 und März 2024 in verschiedenen deutschen Städten. Wer eingeladen ist, gehört automatisch auch zur Jury, die entscheidet, welche Projekte eine Förderung erhalten. Mit dem besonders innovativen Gedanken, dem hohen gesellschaftlichen Nutzen, einer passenden Umsetzungsstrategie und einem mitreißenden Pitch konnte „UltraHip – Nicht-Invasives Ultraschall-Messverfahren zur Frühdiagnostik der Lockerung bei Hüftprothesen“ das Publikum überzeugen. (Natalie Schalk)

Externer Link: www.hs-coburg.de

Seltene Netzhauterkrankungen: Detektivarbeit für das Augenlicht

Medienmitteilung der Universität Basel vom 12.02.2024

Ein Team am Augenforschungsinstitut IOB und an der Universität Basel spürt den Ursachen erblicher Erkrankungen der Netzhaut nach. Die Forschenden schaffen damit wichtige Voraussetzungen für Gentherapien gegen das Erblinden.

Sie heissen etwa Retinitis pigmentosa oder Makuladystrophie: Es gibt über 20 seltene Erbkrankheiten, die zum fortschreitenden Abbau der Netzhaut und Verlust des Sehvermögens führen. Das Spezielle an diesen Erkrankungen: Sie sind genetisch extrem vielfältig.

Allein hinter der bekanntesten erblichen Netzhauterkrankung, der Retinitis pigmentosa, können Veränderungen in einem von 65 Genen stecken. Die überwiegende Mehrheit seltener Krankheiten beruht hingegen auf Veränderungen nur eines bestimmten Gens.

Bei der Retinitis pigmentosa bemerken Betroffene anfangs, dass sie nachts nicht mehr gut sehen. In einem späteren Stadium verlieren sie das Sehvermögen in der Peripherie. Ihr Blickfeld verengt sich zu einem Tunnel, der immer kleiner wird und sich letztlich ganz schliesst. Bei der Makuladystrophie ist es genau umgekehrt: Hier verlieren Betroffene zuerst das Zentrum ihres Blickfelds. Sie können Gesichter nicht mehr erkennen, keine Schilder mehr lesen, den Handybildschirm nicht mehr sehen.

Die Hoffnung im Kampf gegen solche Erkrankungen ruht auf Gentherapien, um das Sehvermögen zu erhalten oder wieder herzustellen. Dank Methoden wie der Genschere Crispr-Cas9 und deren Weiterentwicklungen könnte man den Fehler im betroffenen Gen korrigieren. Das Auge liesse sich mit dieser Methode einfacher behandeln als manch anderes Organ, weil es für Therapien besser zugänglich ist. Nur muss dafür klar sein, welches Gen es zu reparieren gilt.

Die Nadel im Heuhaufen

Bisher sind bereits über 300 Gene bekannt, in denen Mutationen zum Erblinden führen können. Dank moderner DNA-Sequenzierung und computerbasierter Analysen haben Forschende um Prof. Dr. Carlo Rivolta in den letzten Jahren mehrere neue Gene beschrieben. «Wir bekommen nicht nur DNA von Patientinnen und Patienten am Augenspital des Universitätsspitals Basel, sondern auch ungeklärte Fälle anderer Spitäler. Bei zwei von drei können wir die genetische Ursache identifizieren», erzählt der Leiter der Forschungsgruppe «Ophthalmic Genetics» am Augenforschungsinstitut IOB, das mit der Universität Basel assoziiert ist.

Die Aufgabe ist alles andere als trivial. Rivolta vergleicht die Suche nach der entscheidenden Genveränderung mit der nach einem bestimmten Sandkorn in zwei Abfalltonnen voll Sand. Das Erbgut ist von Mensch zu Mensch an vielen Tausenden Stellen leicht unterschiedlich, wie soll man da die Stelle identifizieren, die die Erkrankung ausgelöst hat?

Filtern und vergleichen

Es sei vor allem ein Filterprozess, sagt Rivolta. «Wir vergleichen das Erbgut der Patientin oder des Patienten mit dem von vielen anderen Personen. Varianten in der DNA-Sequenz, die häufig vorkommen, können wir aussortieren.» Die besonders seltenen markieren sie als verdächtig und vergleichen sie mit den Genomdaten anderer Betroffener mit Netzhauterkrankungen.

Im menschlichen Erbgut kommen die meisten Gene in zwei Kopien vor, eine Kopie vom Vater, eine von der Mutter. Eine Mehrheit der Netzhauterkrankungen wird rezessiv vererbt, das heisst, solange nur eine Kopie des Gens die Mutation trägt, ist die Person ein «gesunder Träger». Nur bei Defekten in beiden Kopien kommt es zu Symptomen. Dabei kann es sich um Veränderungen an unterschiedlichen Stellen im Gen handeln.

Stille Mutationen sind doch nicht so still

Der Anteil ungeklärter Fälle ist dank aufwändiger Erbgut-Analysen, wie sie unter anderem Rivoltas Team entwickelt hat, immer weiter geschrumpft. Vor allem auch, weil ein Umdenken darüber stattgefunden hat, wonach man suchen muss: «Früher achtete man beispielsweise kaum auf die sogenannten stillen Mutationen», erklärt Rivolta. Das sind Veränderungen im DNA-Code, die an der Abfolge der Aminosäure-Bausteine im Protein eigentlich nichts ändern. Inzwischen weiss man, dass auch solche Mutationen die Protein-Produktion empfindlich stören können. Ähnliches gilt für Mutationen, die ausserhalb der für Proteine codierenden Sequenzen im Erbgut liegen.

Rivolta ist überzeugt, dass sich viele Netzhauterkrankungen in nicht allzu ferner Zukunft mit Gentherapien werden behandeln lassen. Das industrielle Interesse sei durchaus vorhanden. Und wenn eine neue Gentherapie entwickelt wird, gebe es dank der Detektivarbeit der Genetikerinnen und Genetiker entsprechende Datenbanken, um diejenigen Patientinnen und Patienten zu rekrutieren, die davon profitieren könnten. (Angelika Jacobs)

Externer Link: www.unibas.ch