Narkose mit Licht rückgängig machen

Presseinformation der LMU München vom 13.09.2012

Propofol ist eines der gängigsten Narkosemittel. Nun ist es gelungen, einen lichtabhängigen Schalter in den Wirkstoff einzubauen – und so bei Kaulquappen dessen Wirkung reversibel zu steuern. Eine mögliche Anwendung ist die Behandlung von Sehstörungen.

Nervenzellen werden an der Weitergabe von Reizen gehindert, indem sogenannte inhibitorische Transmitter das Auslösen eines elektrischen Impulses erschweren. Dieser Effekt wird in der Medizin für die Anästhesie genutzt. Das Narkosemittel Propofol etwa wirkt, indem es die Rezeptoren aktiviert, an die auch der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter – GABA – bindet und das Öffnen feiner Ionenkanäle in der Zellmembran bewirkt. Durch diese Kanäle strömen negativ geladene Chloridionen in die Zelle, was eine Hyperpolarisation bewirkt.

Das Spezialgebiet des LMU-Chemikers Dirk Trauner ist es, ursprünglich „blinde“ Nervenzellen für Lichtreize empfänglich zu machen. Nun ist es ihm gemeinsam mit amerikanischen und schweizer Kollegen gelungen,  den GABA-Rezeptor lichtabhängig steuerbar zu machen – und zwar mithilfe eines Propofol-Derivats: „Wir haben einen molekularen Schalter in Propofol eingebaut und so ein photoschaltbares Molekül entwickelt, das im Dunkeln sogar eine etwas stärkere Wirkung als Propofol selbst hat“, berichtet Trauner, der Professor für Chemische Biologie und Genetik an der LMU ist und auch dem Exzellenzcluster CIPSM angehört.

Schlaflos im Hellen

Licht hebt die Wirkung des Moleküls auf, wie die Wissenschaftler an Kaulquappen zeigen konnten: In einem Bad mit einer geringen Konzentration des Propofol-Derivats wurden die Tiere zunächst erwartungsgemäß betäubt. Die anschließende Bestrahlung mit violettem Licht dagegen hatte promptes Erwachen zur Folge – die Tiere bewegten sich aber nur so lange wieder, wie das Licht an blieb: Im Dunkeln fielen sie erneut in Narkose. Der Effekt ist reversibel und die Kaulquappen erholten sich voll, sobald sie in ein normales Wasserbad gelegt wurden.

Mögliche therapeutische Anwendungen sieht Trauner bei der Behandlung bestimmter Augenkrankheiten: In vielen Formen der Blindheit, etwa bei Retinitis pigmentosa, sind die Photorezeptoren im Auge defekt – während das darunterliegenden Gewebe intakt ist und ebenfalls durch einfallendes Licht erreicht werden kann. „Hier befinden sich auch GABA-Rezeptoren, die mit dem von uns entwickelten Molekül prinzipiell lichtempfindlich gemacht werden könnten, sodass die defekten Photorezeptoren umgangen werde“, sagt Trauner, der bereits an einer möglichen Anwendung in der Retina arbeitet. (göd)

Publikation:
Angewandte Chemie, September 2012

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Störung neuronaler Schaltkreise bei Autismus ist reversibel

Medienmitteilung der Universität Basel vom 14.09.2012

Autisten leiden an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung des Gehirns, die sich in der frühen Kindheit ausprägt. Forschende am Biozentrum der Universität Basel haben nun eine spezifische Fehlfunktion in neuronalen Schaltkreisen identifiziert, die durch eine autistische Störung hervorgerufen wird. Im Fachjournal «Science» berichten sie zudem über ihren Erfolg, diese neuronalen Veränderungen wieder rückgängig machen zu können. Die Resultate sind ein wichtiger Schritt in Richtung medikamentöser Therapie von Autismus.

Schätzungsweise ein Prozent aller Kinder entwickeln eine autistische Störung. Patienten fallen häufig durch ein gestörtes Sozialverhalten, strenge Verhaltensmuster und eine eingeschränkte Sprachentwicklung auf. Autismus ist eine angeborene Entwicklungsstörung des Gehirns, die sich schon im frühen Kindesalter bemerkbar macht. Ein zentraler Risikofaktor für die Entstehung dieser Krankheit sind zahlreiche Mutationen in über 300 Genen unter anderem im Gen Neuroligin-3, welches zur Bildung von Synapsen, den Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, beiträgt.

Verlust von Neuroligin-3 stört die neuronale Signalübertragung

Mäuse, denen das Gen für Neuroligin-3 fehlt, entwickeln Verhaltensmuster, die wichtige Aspekte von Autismus widerspiegeln. In Zusammenarbeit mit Roche konnten nun die Forschungsgruppen der Professoren Peter Scheiffele und Kaspar Vogt vom Biozentrum bei diesen Modellmäusen erstmalig einen Defekt in der synaptische Signalübertragung identifizieren, welcher die Funktion und Plastizität neuronaler Schaltkreise stört. Diese negativen Auswirkungen gehen mit der verstärkten Produktion eines spezifischen neuronalen Glutamat-Rezeptors einher, der die Signalübertragung zwischen Neuronen moduliert. Ein Zuviel dieses Rezeptors verhindert die Anpassung der synaptischen Signalübertragung bei Lernprozessen und stört damit langfristig die Entwicklung und Funktion des Gehirns.

Von herausragender Bedeutung ist die Erkenntnis, dass die gestörte Entwicklung der neuronalen Schaltkreise im Gehirn reversibel ist. Denn nachdem die Forschenden die Bildung von Neuroligin-3 in den Mäusen wieder angeschaltet hatten, drosselten die Nervenzellen die Produktion des Glutamat-Rezeptors auf ein normales Niveau und die für Autismus typischen strukturellen Defekte im Gehirn verschwanden. Daher könnten diese Glutamat-Rezeptoren ein geeigneter pharmakologischer Angriffspunkt sein, um die Entwicklungsstörung Autismus aufzuhalten oder sogar rückgängig zu machen.

Zukunftsvision: Medikament zur Behandlung von Autismus

Autismus ist gegenwärtig nicht heilbar. Derzeit können nur die Symptome der Erkrankung durch pädagogische und therapeutische Methoden gelindert werden. Einen neuen therapeutischen Weg zeigen indes die Ergebnisse dieser Studie auf. In einem von der Europäischen Union geförderten Projekt (EU-AIMS) arbeiten die beiden Forschungsgruppen vom Biozentrum gemeinsam mit Roche und anderen Partnern aus der Industrie an der Entwicklung von therapeutischen Glutamat-Rezeptorantagonisten mit dem Ziel, Autismus künftig einmal bei Kindern und Erwachsenen erfolgreich zu behandeln.

Originalbeitrag:
Baudouin S. J., Gaudias J., Gerharz S., Hatstatt L., Zhou K., Punnakkal P., Tanaka K. F., Spooren W., Hen R., De Zeeuw C.I., Vogt K., Scheiffele K.
Shared Synaptic Pathophysiology in Syndromic and Non-syndromic Rodent Models of Autism
Science; Published online September 13 (2012) | doi: 10.1126/science.1224159

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Helicobacter pylori – Ein Krebserreger und seine Giftspritze

Presseinformation der LMU München vom 22.08.2012

Helicobacter pylori befällt den Magen des Menschen und kann verschiedene Leiden auslösen – auch Magenkrebs. Nun wurde das molekulare Werkzeug des Erregers entschlüsselt, was therapeutische Ansätze eröffnen könnte.

Helicobacter pylori ist ein Bakterium, das sich beim Menschen im Magen einnistet. Eine Infektion zieht fast immer eine Entzündung nach sich, die meist aber ohne Symptome verläuft. In manchen Fällen kommt es zu einer Gastritis, einer schmerzhaften Magenschleimhautentzündung. Bis zu 20 Prozent der chronisch befallenen Patienten – die Infektion erfolgt meist im Kindesalter – entwickeln wiederholt Geschwüre im Magen und im Zwölffingerdarm, die sich zu Magenkrebs auswachsen können.

Eine bakterielle Giftspritze

Seit 1994 gilt Helicobacter pylori deshalb offiziell als „krebsauslösendes Bakterium“. Doch der Erreger tritt unterschiedlich aggressiv auf, was vor allem wohl von dem Sekretionssystem cag-TypIV abhängt. „Dieser molekulare Komplex kommt nur bei besonders pathogenen Stämmen vor“, sagt Professor Rainer Haas, der das System nun in einer internationalen Kooperation näher untersucht hat. „Man muss sich das System wie eine molekulare Spritze vorstellen, mit deren Hilfe das Bakterium einen Giftstoff in die Zellen seines Wirts injiziert.“

Der Giftstoff ist das CagA-Protein, das die zelluläre Signalweiterleitung stört und so die Entstehung von Magenkrebs begünstigt. Zusammen mit der Gruppe des Strukturbiologen Dr. Laurent Terradot an der Universität Lyon hat das Team um Haas nun in einer extrem aufwändigen Prozedur die Kristallstruktur eines großen Teils des „bakteriellen Onkoproteins“ entschlüsseln können. Dabei zeigte sich, dass CagA auf neuartige Weise gefaltet ist und damit über eine von keinem anderen Protein bekannte dreidimensionale Struktur verfügt.

Eine kritische Interaktion

„In einem weiteren Schritt haben wir in München dann noch die Interaktion des Proteins mit seinem Rezeptor an der Wirtszelle und vor allem die Bindungsregion genauer untersucht“, berichtet Haas. Dank dieser Ergebnisse ist jetzt klar, dass die Bindung von CagA an diesen Integrin-Rezeptor essentiell für die Injektion des Proteins in die Zielzelle ist. Fraglich war nun, ob diese für das Bakterium kritische Interaktion im Rahmen einer therapeutischen Intervention auch gestört oder unterbunden werden kann.

„Tatsächlich gelang uns der Nachweis, dass ein relativ kurzes Proteinstück aus nur 100 Bausteinen die Injektion des Toxins zumindest in der Zellkultur blockieren kann“, so Haas. Dieses Peptid stammt aus der Binderegion von CagA und ist – dank der einzigartigen Struktur des Proteins – möglicherweise so einzigartig in seiner Struktur, dass es hochspezifissch nur die Übertragung von CagA blockiert – und damit die Ausbildung von Magenkrebs erschwert. Die Forscher wollen nun unter anderem den Mechanismus der Injektion von CagA im Detail untersuchen. (suwe)

Publikation:
PNAS online, 20. August 2012

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Heiliger Gral im Ohr aufgespürt

Presseinformation der Universität Göttingen vom 30.07.2012

Schallumwandlung: Göttinger Neurobiologen entdecken verantwortliches Protein

(pug) Treffen Schallwellen im Ohr auf eine Sinneszelle, werden sie dort durch spezialisierte Ionenkanäle, die sich öffnen und schließen, in elektrische Nervensignale umgewandelt. Wissenschaftler der Universität Göttingen haben nun ein Protein entdeckt, ohne dass sich diese Ionenkanäle nicht öffnen und schließen lassen. Damit könnte dieses Protein verantwortlich sein für die Fähigkeit zu hören. Die Untersuchungen fanden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Molekulare Mechanismen Sensorischer Verarbeitung“ in der Abteilung Zelluläre Neurobiologie statt. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlicht.

Die Wissenschaftler untersuchten am Beispiel der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, die mit ihrer Antenne hört, wie die Schallumwandlung im Ohr funktioniert. An den Ionenkanälen sitzen winzige Federn, die Schwingungen durch Schallwellen direkt auf die Kanäle übertragen: Schwingt die Fliegenantenne im Schallfeld, öffnen und schließen sich die Ionenkanäle. Umgekehrt führt das Öffnen und Schließen der Kanäle wiederum dazu, dass sich die Antenne bewegt. Die Forscher nutzten die von den Kanälen verursachten Antennenbewegungen nun aus, um genetische Defekte in der Kanalfunktion aufzuspüren. Dabei stießen sie auf ein Protein, ohne dass sich die Kanäle nicht mehr öffneten und schlossen. Nach dem Wiedereinsetzen des Proteins funktionierten die Kanäle wieder, bei einer reduzierten Proteinmenge funktionierte nur ein Teil der Kanäle.

„Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass der Verlust dieses Proteins gezielt den Feder-Kanal-Komplex in Hörzellen durchtrennt“, erläutert der Erstautor der Studie, Thomas Effertz. „Die molekulare Identifizierung dieses Komplexes gilt als heiliger Gral der Hörforschung, und jetzt haben wir diesen im Fliegenohr aufgespürt.“ Das Protein wird TRPN1 oder NompC genannt und kommt in den Hörsinneszellen von Insekten, Fliegen und Fröschen vor. Die Wissenschaftler vermuten, dass es sowohl die Feder als auch den entsprechenden Ionenkanal bildet. Um diese Annahme zu testen, wollen sie die Feder des TRPN1-Ionenkanals nun in weiteren Untersuchungen mit genetischen Tricks verändern und sie beispielsweise steifer und weicher machen.

Originalveröffentlichung:
Thomas Effertz et al. Direct gating and mechanical integrity of Drosophila auditory transducers require TRPN1. Nature Neuroscience (2012). Doi: 10.1038/nn.3175.

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Zwischenprodukt mit wichtiger Funktion

Pressemeldung der Universität Erlangen-Nürnberg vom 19.07.2012

Membranlipid PI4P reguliert Körperzellen

Forscher der Universität Cambridge (Großbritannien) und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben nachgewiesen, dass das Membranlipid PI4P bei der Regulation der Innenseite der Zellmembran eine deutlich größere Rolle spielt als bislang angenommen. Die Ergebnisse haben die Forscher jetzt im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht.

Die Hülle aller Zellen des Körpers, die sogenannte Zellmembran, trennt das Zellinnere von ihrer Umgebung. Sie kontrolliert den Austausch von Substanzen über Signalwege und damit die Zusammensetzung im Zellinneren. Diese Signalwege werden beispielsweise benutzt, um die Kontraktionskraft des Herzmuskels oder die Freisetzung von Insulin zu steuern.

In der Zellmembran finden sich negativ geladene Komponenten, wie Phosphatidylinositol-4,5-Bisphosphat [PI(4,5)P2], das eine wichtige Rolle bei der Weiterleitung extrazellulärer Signale in die Zelle spielt. Bei der Herstellung von PI(4,5)P2 entsteht auch PI4P – ein Membranlipid, dem bislang nur der Status eines Zwischenproduktes eingeräumt wurde.

Eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Robin Irvine von der University of Cambridge (Großbritannien) konnte in Experimenten erstmals einen klaren Unterschied in der Funktion dieser beiden Substanzen nachweisen: Es ließen sich Bindungspartner finden, die vorwiegend mit einem der beiden Membranlipide reagieren. Zudem zeigte sich, dass die Herstellung von PI(4,5)P2 weniger von PI4P abhängt als bisher angenommen. Zugleich ergaben sich Hinweise darauf, dass das PI4P die Funktion des PI(4,5)P2 zumindest teilweise übernehmen kann.

Zu den von Dr. Gerald Hammond durchgeführten Experimenten konnte der Erlanger Forscher Dr. Michael Fischer einen wichtigen Puzzlestein beisteuern: Einige Ionenkanäle in der Zellmembran, die unter anderem der Übertragung von Schmerz- und Temperaturreizen dienen, benötigen PI(4,5)P2 und PI4P für ihre ordnungsgemäße Funktion. Überraschend ist, dass die Membranlipide hierbei unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. „Insgesamt erscheinen beide Substanzen in ihrer Regulationsfunktion deutlich unabhängiger als bisher angenommen“, erklärt Michael Fischer.

Eine selektive Beeinflussung dieser Substanzen und die Entwicklung entsprechender Medikamente sind nach gegenwärtigen Erkenntnissen prinzipiell möglich. Da jedoch sehr viele Körperfunktionen von PI(4,5)P2 und PI4P gesteuert werden, sind weitere Forschungsprojekte nötig, um in Zukunft praktische Einsatzmöglichkeiten zu finden. Die Ergebnisse wurden im international renommierten Wissenschaftsmagazin Science (DOI: 10.1126/science.1222483) veröffentlicht.

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