Wechselwirkende Polaronen

Medienmitteilung der Universität Innsbruck vom 27.10.2023

Physiker simulieren Wechselwirkung von Quasiteilchen in ultrakaltem Quantengas

Die komplexen Vorgänge in Festkörpern werden in der Physik oft mit Quasiteilchen beschrieben. In ultrakalten Quantengasen können diese Quasiteilchen nachgebaut und untersucht werden. Nun haben Innsbrucker Wissenschaftler um Rudolf Grimm erstmals im Experiment beobachten können, wie Fermi-Polaronen – eine spezielle Art von Quasiteilchen – untereinander wechselwirken können. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature Physics.

Bewegt sich ein Elektron durch einen Festkörper, erzeugt es aufgrund seiner elektrischen Ladung in seiner Umgebung eine Polarisation. Der russische Physiker Lew Landau hat in seinen theoretischen Überlegungen die Beschreibung solcher Teilchen um deren Wechselwirkung mit der Umgebung erweitert und von Quasiteilchen gesprochen. Vor über zehn Jahren war es dem Team um Rudolf Grimm vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQQOI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck erstmals gelungen, solche Quasiteilchen in einem Quantengas sowohl bei attraktiver als auch repulsiver Wechselwirkung mit der Umgebung zu erzeugen. Dazu nutzen die Wissenschaftler ein ultrakaltes Quantengas aus Lithium- und Kaliumatomen in einer Vakuumkammer. Mit Hilfe von magnetischen Feldern kontrollieren sie die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen und mit Hochfrequenzpulsen drängen sie die Kaliumatome in einen Zustand, in dem diese die sie umgebenden Lithiumatome anziehen oder abstoßen. So simulieren die Forscher einen komplexen Zustand, wie er im Festkörper durch ein freies Elektron erzeugt wird.

Einblicke in die Materie

Nun konnten die Wissenschaftler um Rudolf Grimm in dem Quantengas mehrere solche Quasiteilchen gleichzeitig erzeugen und deren Wechselwirkung untereinander beobachten. „In einer naiven Vorstellung würde man davon ausgehen, dass sich Polaronen immer anziehen, egal ob ihre Wechselwirkung mit der Umgebung attraktiv oder repulsiv ist“, sagt der Experimentalphysiker. „Dem ist aber nicht so. Attraktive Wechselwirkung sehen wir immer bei bosonischen Polaronen, repulsive Wechselwirkung bei fermionischen Polaronen. Hier spielt die Quantenstatistik eine entscheidende Rolle.“ Die Forscher konnten diese Verhaltensweise, die sich im Prinzip schon als Konsequenz aus Landaus Theorie ergibt, nun erstmals in einem Experiment nachweisen. Die theoretischen Berechnungen dafür haben Kollegen aus Mexiko, Spanien und Dänemark geleistet. „Für die Umsetzung im Labor war hohe Experimentierkunst gefordert“, erläutert Cosetta Baroni, die Erstautorin der Studie, „denn kleinste Abweichungen hätten die Messungen bereits verfälschen können.“

„Solche Untersuchungen liefern uns Einblicke in ganz grundsätzliche Mechanismen der Natur und bieten uns sehr gute Möglichkeiten, diese im Detail zu untersuchen“, zeigt sich ERC- und Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm begeistert. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht. Finanziell gefördert wurde die Forschung von der Europäischen Union.

Originalpublikation:
Mediated interactions between Fermi polarons and the role of impurity quantum statistics. Cosetta Baroni, Bo Huang, Isabella Fritsche, Erich Dobler, Gregor Anich, Emil Kirilov, Rudolf Grimm, Miguel A. Bastarrachea-Magnani, Pietro Massignan, Georg Bruun. Nature Physics 2023

Externer Link: www.uibk.ac.at

In 0,956 Sekunden von Null auf Hundert

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 12.09.2023

Mit ihrem selbstgebauten Elektro-​Rennwagen «mythen» haben Studierende der ETH Zürich und der Hochschule Luzern den bisherigen Beschleunigungsweltrekord gebrochen. Innerhalb von nur 0,956 Sekunden und 12,3 Metern beschleunigte der Bolide von 0 auf 100 km/h.

Die Freude im Akademischen Motorsportverein Zürich (AMZ) ist enorm: Fast ein Jahr lang haben die Studierenden der ETH Zürich und der Hochschule Luzern in jeder freien Minute an ihrem Elektrofahrzeug «mythen» gearbeitet; sie haben Rückschläge überwunden und mussten bei der Entwicklung einzelner Komponenten immer wieder von vorne beginnen. Nun haben sie die offizielle Bestätigung von Guinness World Records erhalten: «mythen» hat den bisherigen Beschleunigungsweltrekord für Elektrofahrzeuge gebrochen. Der Bolide beschleunigte auf dem Innovationspark in Dübendorf, direkt vor ihrer Werkstatt, in nur 0,956 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Dazu reichte dem Fahrzeug eine Strecke von lediglich 12,3 Metern. Am Steuer sass Kate Maggetti. Der vorherige Weltrekord von 1,461 Sekunden, aufgestellt im September 2022 von einem Team der Universität Stuttgart, wurde damit um mehr als ein Drittel unterboten.

«Die Arbeit am Projekt parallel zum Studium war sehr intensiv. Trotzdem hat es sehr viel Spass gemacht, mit den Kolleginnen und Kollegen immer wieder neue Lösungen zu finden und das im Studium theoretisch Gelernte in die Praxis umzusetzen. Und natürlich ist es eine absolut einmalige Erfahrung, an einem Weltrekord beteiligt zu sein», sagt Yann Bernard, verantwortlich für die Motoren.

Leichter, stärker, mehr Traktion

Alle Komponenten von «mythen», angefangen von den Leiterplatten (PCB) bis hin zum Chassis und dem Akku, wurden von den Studierenden selbst entwickelt und auf ihre Funktion hin optimiert. Dank des Einsatzes von leichtem Carbon und Aluminium-​Waben wiegt das Rennauto gerade mal rund 140 Kilo. Vier selbst entwickelte Radnabenmotoren sowie ein spezieller Antriebsstrang verleihen dem Fahrzeug eine eindrucksvolle Leistung von 240 Kilowatt (326 PS).

«Bei einem Beschleunigungsrekord spielt aber nicht nur die Leistung eine wichtige Rolle, sondern auch, wie man die Kraft effektiv auf den Boden übertragen kann», erklärt Dario Messerli, verantwortlich für die Aerodynamik. Bei herkömmlichen Formel-​1-Fahrzeugen wird dies über die Aerodynamik gelöst: ein Heck-​ oder Frontflügel sorgt dafür, dass der Wagen auf den Boden gedrückt wird. Dieser Effekt kommt aber erst zum Tragen, wenn das Auto eine gewisse Geschwindigkeit erreicht hat. Um von Anfang an eine starke Bodenhaftung zu gewährleisten, haben die Studierenden des AMZ-​Teams deshalb eine Art Staubsauger entwickelt, der das Fahrzeug an den Boden saugt.

Hart umkämpfter Weltrekord

Bereits zweimal hat das AMZ-​Team zuvor den Beschleunigungsweltrekord für Elektroautos aufgestellt – einmal 2014 und erneut 2016. In den folgenden Jahren wurde ihr Rekord von einem Team der Universität Stuttgart gebrochen. Jetzt ist der Weltrekord wieder in der Schweiz und die ETH-​Studierenden sind zuversichtlich, dass sie ihn so schnell nicht wieder abgeben werden.

Externer Link: www.ethz.ch

Larabicus entwickelt Putzroboter für Schiffsrümpfe

Pressemitteilung der Universität Kassel vom 04.09.2023

Für ihr Projekt „Larabicus“ haben Florian Gerland und Thomas Schomberg von der Universität Kassel mit ihrem Team eine EXIST-Forschungstransfer-Förderung in Höhe von 1,2 Millionen Euro eingeworben. Sie entwickeln einen Putzroboter, der Schiffsrümpfe während der Fahrt von Algen und Muscheln sauber hält.

Handelsschiffe legen riesige Strecken zurück – und tragen dabei bisher stets eine Vielzahl an invasiven Organismen in fremde Ökosysteme. Unter der Wasseroberfläche am Schiffsrumpf bilden sich bereits innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen Verschmutzungen und Verkrustungen, bspw. durch Algen oder Muscheln. Eine solche Schleimschicht erhöht den Widerstand im Wasser und verlangsamt dadurch das Schiff. Als Folge wird mehr Treibstoff verbraucht und die CO2-Emissionen steigen.

Benannt nach seinem ökologischen Vorbild – dem Putzer-Lippfisch „Larabicus quadrilineatus“, der größere Fische von Parasiten befreit – setzt das Projekt Larabicus hier an: Kleine Roboter sollen genau diese Aufgabe am Schiffsrumpf übernehmen. Das Ziel ist es, die Schleimschichtbildung soweit es geht zu verhindern und die Oberfläche des Schiffsrumpfs möglichst glatt zu halten. „Wir entwickeln eine Technik, die den Bewuchs langfristig und schonend entfernt, ohne dabei den Lack zu beschädigen“, erklärt Thomas Schomberg. Schiffslacke enthalten aktuell noch Biozide und sind dadurch hochgiftig. „Damit möglichst wenig dieser Lacke im Wasser abgetragen wird, ist eine schonende Reinigung essentiell.“

Mit dieser Innovation trifft das Larabicus-Team genau den Nerv der Zeit. Da nun auch Schiffe Energie-Label erhalten, sind Reedereien immer mehr bereit, in neue, kostensparende Lösungen zu investieren. „GreenTech braucht eben Investitionen“, bekräftigt Dr.-Ing. Florian Gerland. „Selbst wann man den ökologischen Nutzen unserer Putzroboter außen vorlässt – das System bietet vom ersten Einsatztag an auch einen ökonomischen Vorteil.“

Schomberg und Gerland sind als wissenschaftliche Mitarbeiter am Fachgebiet Strömungsmechanik tätig. „Ich freue mich sehr darüber, dieses innovative Projekt unterstützen zu können“, betont Mentor und Fachgebietsleiter Prof. Dr.-Ing. Olaf Wünsch. „Es ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Forschung in unserem Bereich zu konkret umsetzbaren, nachhaltigen Lösungen führen kann. Larabicus wird einen wertvollen Beitrag für den Schutz des Klimas und den Erhalt der Biodiversität liefern und macht damit in besonderer Weise die Nachhaltigkeitsstrategie der Universität Kassel sichtbar.“

Die technische Entwicklung der Roboter liegt als Schwerpunkt bei Gerland und Schomberg an der Uni Kassel. Daneben gehören zu Larabicus eine Mitarbeiterin in Kiel, die Reinigungsmethoden vergleicht und optimiert, sowie ein Mitarbeiter in Hamburg, der die Kontakte zu den Netzwerk- und Industriepartnern pflegt und die Markteinführung des Produkts vorbereitet.

Nach ihrem Sieg beim UNIKAT-Ideenwettbewerb 2020 haben die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter nun mit Unterstützung von UniKasselTransfer die Förderung für herausragende forschungsbasierte Gründungsvorhaben eingeworben. UniKasselTransfer ist eine zentrale Einrichtung der Universität Kassel, die unter anderem Gründungsinteressierte bei der Umsetzung ihrer Ideen in ein Geschäftsmodell begleitet und bei der Antragstellung für ein EXIST-Gründungsstipendium oder EXIST-Forschungstransfer unterstützt. Das Förderprogramm EXIST-Forschungstransfer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz unterstützt in zwei Förderphasen den Transfer und Übergang von vielversprechenden Forschungsergebnissen in eine Unternehmensgründung. Larabicus wird nun ab September 2023 zwei Jahre lang mit einer Summe von insgesamt 1,2 Millionen Euro gefördert. In dieser Zeit steht auch die Unternehmensgründung an.

Externer Link: www.uni-kassel.de

Proof of Concept erfolgreich: THI testet Quantenschlüsselaustausch im Fahrzeug

Pressemitteilung der TH Ingolstadt vom 10.08.2023

Am CARISSMA-Institut C-ECOS der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) ist gemeinsam mit der Firma Quantum Optics Jena ein Quantenschlüsselaustausch mit einem Fahrzeug gelungen.

Was aussieht wie ein herkömmlicher Tesla an der E-Ladesäule, ist für die Wissenschaftler der Technischen Hochschule Ingolstadt wortwörtlich ein Quantensprung. Die Firma Quantum Optics Jena (QOJ) testete an der THI den Austausch von Quantenschlüsseln. „Wir haben in sehr kurzer Zeit schon tausende von geheimen Schlüsseln generiert“, freute sich Dr. Kevin Füchsel, CEO der Firma QOJ während des Versuchs. Das Jenaer Start-up arbeitet seit zwei Jahren an Lösungen, um die IT-Sicherheit durch den Einsatz von Quantentechnologien zu revolutionieren und auf das Fundament von physikalischen Gesetzen zu stellen. 2022 wurde THI-Vizepräsident Prof. Dr. Hans-Joachim Hof bei einer Fachmesse auf die weltweit einzigartige Lösung des Unternehmens aufmerksam und stellte den Kontakt her.

Am CARISSMA-Institut C-ECOS, Institute of Electric, Connected and Secure Mobility, beschäftigen sich die Forscher mit sicheren und nachhaltigen Lösungen für die zukünftige Mobilität. Optimale Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit waren somit gegeben. Beim ersten Test wurden nun verschränkte Lichtteilchen über ein 50 Kilometer langes Glasfaserkabel zwischen zwei Empfänger-Modulen ausgetauscht. Eines davon wurde in das Versuchsfahrzeug integriert. Die notwendigen kryptografischen Schlüssel, etwa um ein Softwareupdate mit einem zentralem Server sicher durchführen zu können, werden dabei ganz bequem beim Aufladen der Batterie in das Fahrzeug geladen.

In Zeiten des automatisierten Fahrens und der Entwicklung von Quantencomputern wird es immer wichtiger, Fahrzeuge zu bauen, die nicht gehackt werden können. „Die Schlüssel existieren in unserem Aufbau nur zwischen den beiden Empfangsparteien und können während der Übertragung nicht abgehört werden. Dadurch lassen sich symmetrische Schlüssel für die Kommunikation zum Fahrzeug implementieren und letztendlich für eine Vielzahl von Szenarien nutzen“, erklärt Füchsel. Das Team des jungen Unternehmens ist davon überzeugt, dass sich damit die IT-Sicherheit von Fahrzeugen deutlich verbessern lässt. „Gerade für hochautomatisiertes Fahren und immer komplexere Informationssysteme hat der Schutz vor Hackerangriffen und der Einsatz von neuen Technologien eine immense Bedeutung“, erläutert Prof. Hof.

Ausgehend von diesem Erfolg werde nun ein Projektantrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gestellt, sagt Marco Michl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des CARISSMA-Instituts C-ECOS. „Die zentrale Frage ist: Wie kann ich das praktikabel in ein Fahrzeug einbauen und anwenden?“, erklärt Michl. Denn neben dem Einbau und der Qualifizierung der Empfangsmodule in die Fahrzeuge muss auch die Infrastruktur dementsprechend ausgebaut werden. Die Hürden für Netze, die – wie beispielsweise Regierungs- und Gesundheitsnetze – hochsicher sein sollen, sind hoch. „Die THI macht hier ihre ersten Schritte hinsichtlich Quantenschlüsselaustausch und quantensicherer Verschlüsselung“, so Michl.

Externer Link: www.thi.de

Die Quanten-Lawine

Presseaussendung der TU Wien vom 07.08.2023

An der TU Wien gelang es, ein eigentlich sehr instabiles System aus vielen Quantenteilchen stabil zu halten und dann seine Energie gezielt auf einmal freizusetzen.

Es sind ganz besondere Diamanten, mit denen an der TU Wien gearbeitet wird: Ihr Kristallgitter ist nicht perfekt regelmäßig, es enthält zahlreiche Defekte. An Stellen, an denen sich in einem perfekten Diamanten zwei benachbarte Kohlenstoff-Atome befinden würden, sitzt ein Stickstoffatom, der zweite Platz bleibt frei. Mit Hilfe von Mikrowellen kann man diese Defekte zwischen zwei verschiedenen Zuständen hin und her schalten – einem Zustand höherer Energie und einem Zustand niedrigerer Energie. Das macht sie zu einem interessanten Werkzeug für verschiedene Quantentechnologien, etwa für neuartige Quantensensoren oder Bauteile für Quantencomputer.

Nun gelang es, diese Defekte so präzise zu kontrollieren, dass man damit einen spektakulären Effekt auslösen kann: Alle Defekte werden in den Zustand hoher Energie gebracht, in dem sie einige Zeit lang verharren, bis man dann mit einem winzig kleinen Mikrowellen-Puls die gesamte Energie freisetzt und alle Defekte gleichzeitig in den Zustand niedriger Energie wechseln – ähnlich wie bei einem Schneefeld, auf dem ein winzig kleiner Schneeball eine Lawine auslöst und die gesamte Schneemasse gleichzeitig ins Tal donnert.

Atom-Spins und Mikrowellen

„Die Defekte im Diamant haben einen Spin – einen Drehimpuls, der entweder nach oben oder nach unten zeigt. Das sind die zwei möglichen Zustände, in denen sie sich befinden können“, sagt Wenzel Kersten, Erstautor der aktuellen Publikation, der in der Forschungsgruppe von Prof. Jörg Schmiedmayer (Atominstitut, TU Wien) derzeit an seiner Dissertation arbeitet.

Mit Hilfe eines Magnetfelds kann man erreichen, dass zum Beispiel der Zustand „Spin nach oben“ einer höheren Energie entspricht als „Spin nach unten“. In diesem Fall werden sich die meisten Atome im Zustand „Spin nach unten“ befinden – sie streben normalerweise in den Zustand niedriger Energie, wie eine Kugel in einer Schüssel, die normalerweise nach unten rollt.

Mit ausgeklügelten technischen Tricks kann man aber eine sognannte „Inversion“ erzeugen – man bringt die Defekte dazu, sich alle im Zustand höherer Energie einzufinden. „Man verwendet dafür Mikrowellenstrahlung, durch die man die Spins zunächst in den gewünschten Zustand bringt, dann verändert man das äußere Magnetfeld so, dass die Spins gewissermaßen in diesem Zustand eingefroren werden“, erklärt Prof. Stefan Rotter (Institut für Theoretische Physik, TU Wien), der den theoretischen Teil der Forschungsarbeit leitete.

Eine solche „Inversion“ ist instabil. Die Atome könnten prinzipiell spontan ihren Zustand wechseln – ähnlich als würde man einen Besenstiel balancieren, der prinzipiell spontan in irgendeine Richtung umkippen kann. Aber das Forschungsteam konnte zeigen: Durch die extrem präzise Kontrolle, die durch an der TU Wien entwickelte Chiptechnologie möglich wurde, kann man die Spins der Atome für etwa 20 Millisekunden stabil halten. „Für quantenphysikalische Verhältnisse ist das eine gewaltige Zeitspanne. Das ist ungefähr hunderttausendmal so lange wie es dauert, diesen energiereichen Zustand zu erzeugen oder ihn wieder zu entladen. Das ist, als hätte man einen Handyakku, der in einer Stunde aufgeladen wird und dann zehn Jahre lang seine Energie vollständig hält“, sagt Jörg Schmiedmayer.

Winzige Ursache – großer Effekt

Man kann während dieser Zeit die Zustandsänderung aber gezielt herbeiführen – und zwar durch eine sehr kleine, schwache Ursache, etwa einen Mikrowellenpuls von minimaler Intensität. „Er bringt ein Atom dazu, seinen Spin zu wechseln, woraufhin benachbarte Atome ebenfalls ihren Spin wechseln – so entsteht ein Lawineneffekt. Die gesamte Energie wird freigesetzt, und zwar in Form eines Mikrowellenpulses, der rund hundert Milliarden mal stärker ist als jener, mit dem man den Effekt ursprünglich ausgelöst hat“, erklärt Stefan Rotter. „Das ist im Verhältnis so, als würde eine einzige Schneeflocke ein Schneebrett mit einigen hundert Tonnen Gewicht auslösen.“

Das bietet viele interessante Möglichkeiten: Man kann auf diese Weise etwa schwache elektromagnetische Pulse verstärken, man könnte das für spezielle Sensoren nutzen, man kann damit eine Art „Quanten-Batterie“ herstellen, mit der sich auf Quantenebene eine gewisse Energiemenge aufbewahren und gezielt freisetzen lässt. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
W. Kersten et al., Triggered Superradiance and Spin Inversion Storage in a Hybrid Quantum System, Phys. Rev. Lett. 131, 043601

Externer Link: www.tuwien.at