Muskelfasern machen mechanische Belastungen sichtbar

Pressemitteilung der TU München vom 20.12.2010

Neues Modellsystem zur Untersuchung der Eigenschaften von Kunststoffen:

Seit Jahrzehnten nutzen wir Materialien aus Kunststoffen. Doch bei der Weiterentwicklung stehen die Hersteller vor einem Problem: Wesentliche Einflüsse der mikroskopischen Materialstruktur auf die mechanischen Materialeigenschaften können nicht direkt beobachtet werden. Die synthetischen Polymermoleküle sind zu klein, um sie bei mechanischen Experimenten mikroskopisch beobachten zu können. Ein Team von Physikern um Professor Andreas Bausch von der Technischen Universität München (TUM) hat nun ein Verfahren entwickelt, mit dem solche Messungen möglich werden. In Nature Communications stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Streckt man eine Folie aus Polyethylen stark, so wird sie reißfester. Einkaufstüten werden so erheblich belastbarer. Der Effekt wird einer Neuordnung der Polymerketten zugeschrieben. Manche elastischen Polymere werden durch eine häufig wiederkehrende Belastung weicher. Dieses Verhalten wurde nach seinem Entdecker Mullins-Effekt genannt. Doch was die Polymerketten bei mechanischer Belastung genau tun, ist bisher nicht ausreichend verstanden. Ein Grund dafür ist, dass synthetische Polymere zu klein sind, um sie mit mikroskopischen Methoden während der mechanischen Belastungsexperimente zu beobachten. Ein besseres Verständnis der Vorgänge auf der molekularen Ebene würde bei der Entwicklung neuer Kunststoffe sehr viel Zeit und Geld sparen.

Auch die Natur macht sich die mechanischen Eigenschaften von Polymeren zu Nutze: Biologische Polymere geben Zellen ihre Stabilität und spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausführung ihrer komplexen Funktionen. Das Physiker-Team um Professor Andreas Bausch nutzte nun das Muskelfaser-Protein Aktin, um ein Polymernetzwerk zu bilden. Die Aktin-Fasern sind unter einem Fluoreszenzmikroskop sichtbar. Damit gelang es den Wissenschaftlern, die Bewegungen der einzelnen Fasern bei mechanischer Belastung des Materials direkt zu beobachten.

Durch die gleichzeitige Verwendung eines Rheometers, mit dessen Hilfe mechanische Eigenschaften von Materialien untersucht werden können, und eines konfokalen Mikroskops konnten die Wissenschaftler das Verhalten des Aktin Netzwerks während der mechanischen Verformungen beobachten und dreidimensional filmen.

Mit ihren nun im Online-Journal Nature Communications veröffentlichten Untersuchungen konnten sie zeigen, dass ihr Modellsystem nicht nur die dem Mullins-Effekt zugrunde liegenden Vorgänge auf molekularer Ebene zeigen kann sondern auch den gegenteiligen Effekt, bei dem das Material bei wiederholter Belastung härter wird.

Verantwortlich für die Änderungen der mechanischen Eigenschaften sind umfangreiche Umorganisationen der Netzwerkstruktur, die auf diese Weise erstmals direkt beobachtet werden konnten. In Zukunft wird das Modell der Physiker dabei helfen, auch die Eigenschaftsänderungen anderer Materialien besser zu verstehen.

Die Arbeiten wurden unterstützt aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Exzellenzcluster Center for Nanosystems Initiative Munich, International Graduate School of Science and Engineering der TUM) sowie dem Bayerischen Elitenetzwerk (CompInt). Die Kooperationspartner an der Georgetown University, Washington D.C., USA, wurden unterstützt aus Mitteln der National Science Foundation und des Air Force Office of Scientific Research der USA.

Originalpublikation:
Cyclic hardening in bundled actin networks, K. M. Schmoller, P. Fernández, R. C. Arevalo, D. L. Blair und A. R. Bausch, Nature Communications, Vol. 1, 134, 7. Dezember 2010 – DOI: 10.1038/ncomms1134

Externer Link: www.tu-muenchen.de