Pressemeldung der Universität Erlangen-Nürnberg vom 06.10.2011
Brownsche Bewegung unter eingehender Beobachtung
Das leiseste Zittern genügt, um etwas mitzuteilen. Kleine Teilchen, die in einer Flüssigkeit gelöst sind, registrieren, was in ihrem Umfeld vor sich geht, und reagieren darauf. Ohne ausgetüftelte Messanordnung und ein hochpräzises Instrumentarium ist nicht zu entziffern, wie ihre Botschaft lautet, doch wenn es gelingt, warten erstaunliche Auskünfte auf die Dechiffrierexperten. Mit Hilfe einer Kombination aus theoretischem Unterbau und sehr diffizilen Experimenten konnten Physiker und Physikerinnen aus Erlangen, Lausanne und Basel erstmals beobachten, wie sich kleine Partikel in einem Lösungsmittel verhalten. Was sich dabei ergibt, wirkt zunächst fantastisch: Der Bewegung eines Teilchen kann eine Farbe zugeordnet werden.
Thomas Franosch, Professor am Institut für Theoretische Physik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), stuft das Ergebnis sachlicher ein. „Damit hat sich eine Annahme bestätigt, die in Fachkreisen seit fünfzig Jahren gilt“, erklärt der Erstautor der Studie zu diesem Thema, die am heutigen Donnerstag in der Fachzeitschrift „Nature“ erscheint (doi:10.1038/nature10498). „Bis jetzt war es allerdings nicht möglich, das Spektrum der Kräfte, die auf die Partikel wirken, direkt zu messen.“ Der Forschergruppe gelang dies, indem sie starke optische Fallen einsetzte, in denen ein einzelnes Teilchen festgehalten werden kann.
Chaos im Kaffee
Eine der Säulen der modernen theoretischen Physik ist die „Brownsche Molekularbewegung“. Wer Partikel in einer Lösung, beispielsweise Kaffeepulver in heißem Wasser, unter dem Mikroskop betrachtet, sieht eine Breakdance-Vorstellung im Miniaturformat. Unter der reglos erscheinenden Oberfläche tobt das Chaos. Das Zucken und Zappeln jedes einzelnen Teilchens lässt sich grundsätzlich nicht vorhersagen. Diese Bewegung ist nach dem schottischen Botaniker Robert Brown benannt, der Pollenkörnchen in Wassertropfen studierte und deren „Tanzfiguren“ zuerst als Hinweis auf ihre Lebenskraft wertete.
Was im 19. Jahrhundert noch vorstellbar war, wurde längst durch eine prosaische Erklärung ersetzt: Wassermoleküle stoßen ständig von allen Seiten gegen die größeren, sichtbaren Pollen. Dasselbe gilt für die Teilchen anderer Lösungen. Die Bewegung nimmt mit steigender Temperatur zu; die hier wirksamen Kräfte werden dementsprechend als thermisch bezeichnet. 1905 legte Albert Einstein seine Doktorarbeit vor. In diesem berühmten Werk bestimmte er näherungsweise eine Kennzahl, die proportional zur Temperatur ist und den enger Zusammenhang zwischen der Reibung eines in einer Flüssigkeit gelösten Partikels und den zufallsbedingten Stößen der Flüssigkeitsteilchen wiedergibt.
Ins Blaue hinein
Eine bildhafte Vorstellung der Vorgänge in einer Flüssigkeit gelingt durch den Vergleich mit zwei Sinneswahrnehmungen: Hören und Sehen. Wie die Überlagerung von Radiowellen wird das unregelmäßige Zappeln der Moleküle als „Rauschen“ bezeichnet. Da alle Strahlungen mit unterschiedlichen Frequenzen einander ebenfalls überlagern können, „rauschen“ auch Lichtwellen. „Kommt hier, wie beim Sonnenlicht, das vollständige Spektrum zusammen, entsteht Weiß. Fehlt ein Teil des Spektrums, sehen wir Farben“, erläutert Prof. Franosch. Einstein kam zu einer näherungsweisen Beschreibung, die auf der Annahme basierte, die Brownsche Molekularbewegung werde durch weißes Rauschen angetrieben. Durch neuartige Messgeräte und Weiterentwicklungen der Mathematik kamen leichte Abweichungen zu Tage. Die deutsch-schweizerische Forschungsgruppe stellte nun fest: Das Spektrum zeigt eine Verschiebung ins Blaue.
Dazu war es erforderlich, höchst präzise Messgeräte mit äußerst wirksamen Fallen zu kombinieren. Ein Laserstrahl hält ein gelöstes Teilchen aufgrund seiner optischen Eigenschaften fest. Auf den eingefangenen Partikel werden Detektoren mit einer Ortsauflösung eingesetzt, die unterhalb des Nanometerbereichs liegt. Zugleich kann die Messung Zeiträume bis hin zu Mikrosekunden sichtbar machen. „Sowohl verfälschende Einflüsse der Umgebung als auch Fehler, die durch einen starken Laserstrahl ausgelöst werden könnten, müssen ausgeschlossen bleiben“, umreißt die Projektleiterin Dr. Sylvia Jeney die größte Schwierigkeit im Aufbau solcher Experimente. „Dann kann das Teilchen einen Report über die thermischen Kräfte liefern, die in der Flüssigkeit wirken.“ Ist das aber angesichts der Größenverhältnisse nicht so, als würde ein Schwarm Kaulquappen versuchen, ein Nilpferd im Schlamm herumzuschubsen? „So dickhäutig ist der Partikel nicht, dass er die Stöße der Flüssigkeitsteilchen nicht registriert“, versichert Thomas Franosch. Hier kommt das sogenannte Hydrodynamische Gedächtnis ins Spiel, das das Schwimmen von Teilchen in einem Lösungsmittel verzögert. Wer Milch im Kaffee bevorzugt, kennt den Effekt: Die Zugabe verteilt sich von selbst nur langsam, darum liegt der Löffel zum Umrühren neben der Tasse.
Möglicherweise wird das Hydrodynamische Gedächtnis auf der Grundlage der Ergebnisse des Forscherteams für völlig neuartige Messverfahren nutzbar. Als Kernstück nanomechanischer Sensoren könnten von Lasern eingefangene Teilchen in Werkstoffwissenschaften oder Biomedizin Dienst tun, zum Beispiel als Kundschafter im Blut.
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