Hüftprothesen-Lockerungen: Coburger Student wirbt 150.000 Euro für Forschung ein

Pressemitteilung der Hochschule Coburg vom 16.02.2024

Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesforschungs-Ministeriums (BMBF) hat ein neues Format, um Innovationen aus der Forschung schneller in die Praxis zu bringen: Für DATIpilot gab es deutschlandweit etwa 3000 Bewerbungen. Das Institut für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) der Hochschule Coburg war mit seiner Idee erfolgreich und erhält 150.000 Euro Förderung. Master-Student Jan Lützelberger und Prof. Dr. Klaus Drese von der Hochschule Coburg überzeugten mit „UltraHip“, einer Sensorik zur Früherkennung von Hüftprothesen-Lockerungen mithilfe von Ultraschall.

Zwei Millimeter sind zu viel. „Das ist wie ein dicker Pappkarton“, sagt Jan Lützelberger. Aber erst wenn ein so dicker Spalt zwischen Hüftprothese und Knochen klafft, wird das Problem auf dem Röntgenbild deutlich sichtbar. „Mit unserem neuen, ultraschallbasierten Verfahren können wir im Mikrometerbereich messen. Eine Prothesenlockerung wird auf diese Weise schon erkannt, wenn der Spalt nur so dünn ist wie ein Blatt Papier.“ Die frühzeitige Diagnose hat das Potenzial, Schmerzen, Komplikationen beim Folgeeingriff und stärkere Knochenschädigungen zu vermeiden. Lützelberger hat das neue Messverfahren im Rahmen seiner Bachelorarbeit am Institut für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) entwickelt. Der Sonneberger hat Technische Physik an der Hochschule Coburg studiert und suchte ein praxisnahes Abschlussarbeitsthema. Angewandte Forschung ist ihm wichtig. Er wollte „etwas, das auch den Menschen hilft. Und jeder kennt doch jemanden, der eine künstliche Hüfte hat.“

Eine geniale Verbindung von Körper und Technik – aber nicht für die Ewigkeit

Der Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks ist einer der häufigsten medizinischen Eingriffe in Deutschland. Eine Routine-OP: Ins weiche Mark im Inneren des Oberschenkelknochens wird ein metallischer Prothesenschaft geschlagen. Als Gelenk wird darauf eine Kugel geschraubt, die wiederum mit einer Pfanne im Becken verbunden wird. Im Oberschenkel bildet sich dann neuer Knochen, der den Prothesenschaft umschließt und die Prothese hält. „Cool, oder? Was der menschliche Körper alles kann, ist – “, Jan Lützelberger schüttelt den Kopf, in seinen Augen strahlt Begeisterung: „einfach Wahnsinn!“ Eine künstliche Hüfte ist eine geniale Verbindung von Körper und Technik. Aber sie hält nicht ewig. Mal liegt es an einer bakteriellen Infektion, mal ist‘s einfach Abnutzung: Irgendwann lockert sich das Implantat. Klassische medizinische Verfahren wie Röntgen oder CT sind nicht geeignet, um das frühzeitig festzustellen. Deshalb kamen Ärzte des Regiomed-Klinikum Coburg mit dem ISAT ins Gespräch. Dr. Alexander Franck, Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, unterstützt das UltraHip-Team schon lange mit seiner medizinischen Expertise.

Spaltmessung mithilfe von Schallwellen

ISAT-Leiter Prof. Dr. Klaus Drese berichtet, dass bereits 2017 die Idee entstand, den Abstand zwischen Hüftprothese und Knochen mithilfe von Schallwellen zu ermitteln. „Ursprünglich gab es den Ansatz, mit sogenannten geführten Wellen zu arbeiten. Auf die jetzige Methodik sind wir über andere Projekte gestoßen“, erklärt Drese. Auf den Oberschenkel wird ein Schallwandler aufgesetzt, ein Gerät, das etwa die Größe und Form eines Lippenstiftes hat. Es sendet und empfängt Schallwellen. Fleisch, Knochen, Spalt, Metall: Jede Schicht verändert die Schallwellen und genau diese Veränderung wird per Software ausgewertet, um punktgenaue Informationen über den Spalt zu erhalten – wie dick er ist und was sich darin befindet. „In dem Thema steckte eine große Chance.“ Drese nickt seinem Studenten dabei anerkennend zu. Jan Lützelberger hat die Chance genutzt.

Die Ergebnisse seiner Bachelorarbeit wurden vergangenes Jahr bereits in einem bedeutenden wissenschaftlichen Fachmagazin, dem Journal Sensors, veröffentlicht, er präsentierte sie auch schon auf einer Konferenz. Im März wird ihn die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) den Georg-Simon-Ohm-Preis feierlich überreichen. Viel Ansehen für einen 24-jährigen Nachwuchs-Wissenschaftler. „Ich habe viele verschiedene Aspekte mitbekommen“, erzählt er. Medizinerinnen und Mediziner denken anders als Physiker oder Physikerinnen. „Und die Firmen haben wieder einen ganz anderen Fokus. Durch die Anwendungsnähe am ISAT fühle ich mich einfach fitter als wenn ich alles im Studium nur theoretisch gelernt hätte.“ Seit dem Bachelorabschluss studiert er Simulation und Test an der Hochschule Coburg und schreibt jetzt schon an seiner Masterarbeit zur neuen Ultraschall-Messtechnik.

Erfolg beim DATI-Pitch

Drese erklärt: „Ziel ist, die Technologie so weiterzuführen, dass sie zu einer Firma transferiert werden kann. Wir suchen einen Industriepartner.“ Für die Weiterentwicklung gibt es nun schon einmal 18 Monate lang Unterstützung durch die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) des Bundesforschungsministeriums. Das neue Konzept DATIpilot soll gute Ideen und Forschungsleistungen schneller zu den Unternehmen und zu den Menschen bringen. Von 3000 eingereichten Projekten wurden 600 dazu eingeladen, ihre Idee im Rahmen eines Pitch-Vortrags auf der Bühne zu präsentieren – bei 23 Veranstaltungen zwischen November 2023 und März 2024 in verschiedenen deutschen Städten. Wer eingeladen ist, gehört automatisch auch zur Jury, die entscheidet, welche Projekte eine Förderung erhalten. Mit dem besonders innovativen Gedanken, dem hohen gesellschaftlichen Nutzen, einer passenden Umsetzungsstrategie und einem mitreißenden Pitch konnte „UltraHip – Nicht-Invasives Ultraschall-Messverfahren zur Frühdiagnostik der Lockerung bei Hüftprothesen“ das Publikum überzeugen. (Natalie Schalk)

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Kleider-Check mit Smartphone, KI und Infrarot-Spektroskopie

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 04.10.2023

Fraunhofer-Forschende haben ein ultrakompaktes Nah-Infrarot-Spektrometer entwickelt, das sich für die Analyse und Bestimmung von Textilien eignet. Durch die Kombination von Bildgebung, speziellen KI-Algorithmen (KI, Künstliche Intelligenz) und Spektroskopie lassen sich auch Mischgewebe zuverlässig erkennen. Die Technologie könnte das Recycling von Altkleidern optimieren und die sortenreine Trennung von Altkleidern ermöglichen. Eine extrem miniaturisierte Variante des Systems passt sogar in Smartphones. Dadurch könnten sich für Konsumenten zahlreiche neue Anwendungen im Alltag ergeben – vom Kleider-Check beim Shopping bis zur Prüfung auf Plagiate.

Infrarot-Spektrometer sind leistungsstarke Messinstrumente, wenn es darum geht, organische Materialien zerstörungsfrei zu analysieren. Jetzt hat das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS in Dresden ein Spektralanalyse-System entwickelt, das Textilgewebe analysiert und erkennt. Auch Mischgewebe erkennt das System zuverlässig. Die Anwendungsmöglichkeiten reichen vom Materialcheck beim Kauf über das korrekte Reinigen der Kleidung bis hin zum nachhaltigen und sortenreinen Recycling. Das Spektrometer ist so klein, dass es sich in ein Smartphone integrieren lässt.

Um die nötige Zuverlässigkeit und Präzision bei der Bestimmung von Textilien zu erreichen, setzen die Fraunhofer-Forschenden auf die Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIR). Das System arbeitet mit Wellenlängen zwischen 950 und 1900 Nanometer, also nah am sichtbaren Spektralbereich. Vorteile der Nah-Infrarot-Technik sind die einfache Handhabung und die vielfältigen Einsatzgebiete. »Wir kombinieren NIR-Spektroskopie mit Bildgebung und KI und erreichen so eine höhere Genauigkeit bei der Erkennung und Bewertung von Objekten«, erklärt Dr. Heinrich Grüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Sensorische Mikromodule am Fraunhofer IPMS.

So funktioniert die Textilanalyse

Im ersten Schritt wird ein Bild des Kleidungsstücks mit einem herkömmlichen Kameramodul aufgenommen. Die KI wählt aus den Bildinformationen des Textilgewebes einen prägnanten Punkt, der vom Spektralanalyse-Modul untersucht werden soll. Das vom Stoff reflektierte Licht wird vom Spektrometer-Modul erfasst. Dort dringt es durch einen Eintrittsspalt, wird mit einem Kollimations-Spiegel in parallele Lichtstrahlen gebracht und über einen Scanner-Spiegel auf ein Gitter gelenkt. Je nach Ein- und Austrittswinkel teilt das Gitter die Lichtstrahlen in verschiedene Wellenlängen auf. Das vom Gitter reflektierte Licht wird über den Scanner-Spiegel auf einen Detektor geleitet, der das Licht als elektrisches Signal erfasst. Dann digitalisiert ein A/D-Wandler (Analog-Digital) die Signale, die schließlich im Signalprozessor ausgewertet werden. Das so entstehende spektrometrische Profil des Textilgewebes verrät durch Abgleich mit einer Referenzdatenbank, um welche Fasern es sich handelt. »Das optische Auflösungsvermögen liegt bei 10 Nanometer. Durch die hohe Auflösung kann das NIR-Spektrometer mithilfe von KI auch Mischgewebe wie etwa Kleidungsstücke aus Polyester und Baumwolle bestimmen«, sagt Grüger. Mit einer Fläche von 10 mal 10 und einer Höhe von 6,5 Millimeter ist das System so kompakt, dass man es problemlos in ein handelsübliches Smartphone integrieren könnte.

Recycling von Altkleidern

Eine wichtige Anwendung für das KI-gesteuerte Spektrometer sieht Grüger vor allem im Recycling. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden 2021 bei den privaten Haushalten in Deutschland rund 176 200 Tonnen Textil- und Bekleidungsabfälle gesammelt. Durch die NIR-Spektroskopie könnte das Recycling optimiert und der Altkleiderberg reduziert werden. Altkleiderverwerter hätten dann die Möglichkeit, Kleidung besser und schneller zu sortieren. Textilien, die noch intakt sind, gehen beispielsweise in den Second-Hand-Handel. Beschädigte Textilien werden sortenrein recycelt und die darin enthaltenen Fasern wie Leinen, Seide, Baumwolle oder Lyocell wiederverwendet. Hoffnungslos verschmutzte Textilwaren würden thermisch verwertet oder beispielsweise zu Dämmmatten verarbeitet. Die Spektroskopie-Technik erledigt das Bestimmen und Sortieren der Textilien genauer und deutlich schneller als ein Mensch.

Wird die NIR-Spektroskopie in ein Smartphone integriert, könnten auch Konsumenten von der Technik des Fraunhofer-Instituts profitieren. Beim Kauf von Kleidern zeigt ein schneller Check mit dem Smartphone, ob der teure Seidenschal auch wirklich aus Seide ist und das exklusive Kleid des Modelabels nicht vielleicht doch ein Plagiat, das sich durch eine andere Gewebemischung verrät. Und sollte einmal das Etikett mit den Reinigungshinweisen nicht mehr lesbar sein, hilft das Smartphone via Textilscanner, das Gewebe zu identifizieren und damit den passenden Waschgang einzustellen.

Lebensmittel-Check und Dermatologie

Für die Forschenden aus dem Fraunhofer IPMS sind auch Anwendungen außerhalb des Textilbereichs denkbar. Mit Spektrometer ausgestattete Smartphones können beim Kauf von Lebensmitteln wie Gemüse und Obst Auskunft über die Qualität geben. Außerdem wäre es denkbar, die Technik für die Untersuchung der Haut einzusetzen. Ein schneller Scan mit dem Handy-Spektrometer könnte besonders trockene oder fettige Stellen identifizieren. Selbst Anwendungen in der medizinischen Diagnose etwa bei der Untersuchung von Stellen auf der Haut, bei denen der Verdacht auf ein Melanom besteht, ließen sich realisieren, hier allerdings mit fachärztlicher Unterstützung.

Bei der Entwicklung kommt dem Fraunhofer-Team jahrzehntelange Erfahrung mit dem Bau von NIR-Spektrometern in MEMS-Technik (Micro-Electro-Mechanical Systems) zugute. »Über die Jahre ist es uns gelungen, die großen Spektroskopie-Geräte aus dem Labor mit MEMS-Technologie so zu verkleinern, dass sie auch für den mobilen Einsatz geeignet sind«, sagt Grüger. Er hatte bereits im Jahr 2000 gemeinsam mit dem heutigen Institutsleiter Prof. Harald Schenk das Scanning-Grating-Spektrometer erfunden, das noch heute als Einstieg in die MEMS-Spektroskopie gilt.

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Sichere Tanks für Wasserstofffahrzeuge

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.09.2023

Wasserstoff ist ein Hoffnungsträger im Kontext der Energie- und Mobilitätswende. Doch das Gas ist auch hochexplosiv und es bedarf strenger Sicherheitsvorkehrungen, um Wasserstoff sicher zu verwenden. Aktuelle Brennstoffzellenfahrzeuge führen den Wasserstoff gasförmig in Drucktanks mit. Diese Kernelemente des H2-Antriebssystems müssen selbst bei maximalen Betriebsbelastungen sicher bleiben. Um Gefahrensituationen zu vermeiden, sind regelmäßige Wartungen der Hochdruck-Speichersysteme Pflicht. Doch die aktuell im Abstand von zwei Jahren vorgeschriebene Prüfung des Tanks ist nur eine äußerliche Sichtprüfung. Schäden im Innern des Tanks können mit dieser konventionellen Prüfmethode nicht detektiert werden. Im Verbundprojekt HyMon entwickeln Forschende des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF gemeinsam mit Partnern eine sensorbasierte On-Board-Strukturüberwachung, die eine dauerhafte Kontrolle der H2-Drucktanks ermöglichen und so eine hohes Sicherheitsniveau von Wasserstofffahrzeugen gewährleisten soll.

Wasserstoff wird derzeit gasförmig unter hohem Druck von bis zu 700 bar in Behältern aus Faserverbundwerkstoffen (FVK) gespeichert. Diese sind im Vergleich zu Metalltanks aufgrund ihrer geringen Masse für den Einsatz im Mobilitäts- und Transportsektor prädestiniert. Aus Sicherheitsgründen werden die H2-Drucktanks vor ihrem ersten Einsatz aufwendigen Prüfungen unterzogen, um einen sicheren Betrieb über die Lebensdauer zu gewährleisten. Darüber hinaus muss die Integrität des Behälters bei wiederkehrenden Belastungen durch Betankung und Entnahme des Wasserstoffs wie auch im Schadensfall (z. B. Auffahrunfall) sichergestellt sein. Die derzeit vorgeschriebenen Sichtprüfungen auf eine äußere Beschädigung des Tanks können dies nicht leisten. Alternativ kann die Schadensdetektion durch eine dauerhafte Überwachung – sogenanntes Structural Health Monitoring, kurz SHM – des Druckbehälters realisiert werden. Ein entsprechendes intelligentes System zur permanenten Zustandsüberwachung von Wasserstofftanks entwickeln Forschende des Fraunhofer LBF in Darmstadt in enger Zusammenarbeit mit Partnern im Projekt HyMon. Diese On-Board-Strukturüberwachung – bestehend aus geeigneter Sensorik und Auswerteelektronik – soll zum einen die Daten für den Service- und Reparaturfall liefern. »TÜV-Prüfer erhalten durch unsere Technologie beispielsweise nach einem Unfall objektive Informationen über die Belastungen des Tanks und können so objektiv entscheiden, ob dieser noch wiederverwendbar ist oder ausgetauscht werden muss«, sagt Johannes Käsgen, Wissenschaftler am Fraunhofer LBF. Zum anderen soll sie dabei unterstützen, die Wartungskosten zu senken und eine sichere Ausnutzung der Tanks über die gesamte Lebensdauer zu gewährleisten.

Schallemissions- und Dehnungssensoren detektieren Schäden im Tank

Im Fokus der Forschungsarbeiten stehen Schallemissionssensoren bzw. Acoustic-Emission-Sensoren. Reißt eine einzelne Kohlefaser im Drucktank, entsteht eine Schallwelle, die durch die Fasern läuft. Die Sensoren erfassen die hochfrequente Schallwelle und können so die Anzahl der gebrochenen Fasern ermitteln. »Durch Sonderlastfälle, beispielweise Auffahrunfälle, können die Tanks lokal beschädigt werden, wodurch innerhalb kürzester Zeit viele Fasern brechen«, erklärt Käsgen. »Die Messsignale werden durch eine Auswerteelektronik verarbeitet und informieren so über den Gesundheitszustand des Tanks.« Die erforderlichen Algorithmen und Methoden zur Detektion von Faserbrüchen werden am Fraunhofer LBF entwickelt. Diese umfassen beispielsweise die Frequenzanalysen der Schallwelle. »Sensoren am Tank nehmen die hochfrequenten Schallwellen im Falle eines Faserbruchs auf, die Algorithmen detektieren die Faserbrüche, die gezählt werden. Nimmt die Rate an Faserbrüchen plötzlich zu, so ist das ein Indiz, dass der Wasserstofftank am Ende seiner Nutzungszeit ist«, resümiert der Forscher den Ablauf. Die durchgängige On-Board-Strukturüberwachung garantiert ein erhöhtes Sicherheitsniveau von Wasserstofffahrzeugen, da mögliche Schäden auch bei kleinen Impacts – etwa durch das Aufsetzen auf einen Poller – und die Restlebensdauer des Tanks abgeschätzt werden kann. Durch die umfassende Qualitätssicherung lässt sich darüber hinaus ein unnötiger Austausch der Wasserstofftanks vermeiden.

Neben Acoustic-Emission-Sensoren werden auch faseroptische Dehnungssensoren in die Tanks integriert. Diese bestehen aus lichtleitenden Glasfasern, in die sogenannte Faser-Bragg-Gitter-Sensoren integriert sind. Die Glasfasern werden direkt bei der Herstellung in die FVK-Schicht des Tanks eingewickelt oder nachträglich auf die Oberfläche aufgebracht, um eine kontinuierliche oder periodische automatisierte Überwachung von Dehnungen rund um den Wasserstofftank zu ermöglichen. Anders als konventionelle Dehnungssensoren eignen sich diese Glasfasern aufgrund ihrer Robustheit gegenüber hohen Materialdehnungen und Belastungszyklen besonders für die Überwachung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen. Mit den Messdaten der Dehnungssensoren werden zum einen die Berechnungsmodelle der Drucktanks verifiziert und zum anderen Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich das Materialverhalten über die Lebensdauer des Tanks verändert, um hieraus Rückschlüsse auf den Ermüdungszustand des Materials zu ziehen.

Komplettsystem wird im Versuchsfahrzeug getestet

Im Prüfstand am Fraunhofer LBF werden zunächst anhand von sensorbestückten Kohlefaser-Flachproben verschiedene Arten von Schädigungen erzeugt – etwa Faserbrüche, Matrixbrüche oder Delaminationen – und mit den Sensoren die Schädigungssignale erfasst. Anschließend wird beurteilt, ob die Sensoren in der Lage sind, die Signale in ausreichender Qualität aufzuzeichnen, und ob die Algorithmen anhand der Signale die Schädigungsmechanismen richtig zuordnen können. Im nächsten Schritt wird das komplette Sensorsystem an dünnwandigen Modellbehältern und anschließend an Hochdruck-Wasserstofftanks überprüft, die unter Innendruck bis zum Versagen zyklisch beansprucht werden. Dabei untersuchen die Forscherteams wie viele Sensoren für die Strukturüberwachung erforderlich sind, an welchen Positionen und mit welchen Klebstoffen diese optimalerweise am Wasserstofftank angebracht werden müssen. Abschließend wird ein Versuchsfahrzeug mit Sensorik und On-Board-Strukturüberwachung ausgerüstet und durch die Kombination von virtuellem Crash und realem Prüfaufbau validiert. Ziel der Projektpartner ist es, das Komplettsystem als zukünftige serienmäßige Zustandsüberwachung zu ertüchtigen.

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Damit der Airbag sicher auslöst

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.08.2023

Über 358 000 Menschen kamen in Deutschland 2022 laut Statistischem Bundesamt bei Verkehrsunfällen zu Schaden. Oft verhindert ein Airbag dabei Schlimmeres. Während der Fahrt liegt er gut verborgen unter einer hochwertigen Kunststoff-Oberfläche, die große Teile des Cockpits überzieht: der Slush-Haut. Damit diese an den richtigen Stellen reißt, wenn der Airbag auslöst, wird sie nach der Produktion vorsichtig angeritzt. Doch Material und eingebrachte Sollrissstelle müssen optimal aufeinander abgestimmt sein, sodass der Airbag sich im Ernstfall voll entfalten kann. Um dies sicherzustellen, kommt zur Überprüfung der Slush-Häute nun nutzerfreundliche Spitzentechnologie zum Einsatz: Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern hat ein handgeführtes Terahertz-Messsystem entwickelt, mit dem eine individuelle und zerstörungsfreie Qualitätskontrolle von Slush-Häuten möglich ist.

Slush-Häute mit ihrer lederähnlichen Optik werden heute in vielen Fahrzeugen der Mittel- und Oberklasse eingesetzt, um Armaturen zu verkleiden. Sie zeichnen sich durch sehr flexibel gestaltbares Design und Haptik aus und überzeugen zusätzlich in Sicherheitsfragen. Ihr Name leitet sich von ihrem Herstellungsverfahren, dem Pulversintern (engl. powder slush oder slush moulding) ab. Dabei wird eine Negativ-Form aus Metall aufgeheizt, im nächsten Schritt mit Kunststoffpulver gefüllt und gedreht. Das Pulver beginnt zu schmelzen und haftet an; beim Abkühlen entsteht eine durchgängige Haut.

Um Gewicht und Material einzusparen und zugleich eine bessere Anhaftung auf dem Cockpit zu ermöglichen, hat die Antolin Straubing GmbH ein Zweischichtsystem für Slush-Häute entwickelt. Für das neue Produkt galt es, ein serienbegleitendes Prüfverfahren zu konzipieren, welches sicherstellt, dass der Airbag die Slush-Haut bei einem Verkehrsunfall sicher durchdringt und die Personen im Fahrzeug schützt.

Wie lässt sich jede einzelne Slush-Haut überprüfen?

Mit dieser Problemstellung trat der Automobilzulieferer an das Fraunhofer ITWM heran. Gemäß neuen Vorgaben sollten die zweischichtigen Slush-Häute nicht mehr nur stichprobenartig durch Analyse unter dem Mikroskop, sondern individuell und zugleich zerstörungsfrei kontrolliert werden. Die Expertise der Forschenden am Fraunhofer ITWM im Bereich der Dickenmessung von Mehrschichtlacken vor Augen nahm der Zulieferbetrieb Kontakt zur Abteilung Materialcharakterisierung und -prüfung auf. Seit mehreren Jahren arbeitet die Forschungsgruppe »Optische Terahertz-Messtechnik« unter Leitung von Dr. Daniel Molter am Einsatz von Terahertz-Technologien für die Industrie und erzielte dabei vielversprechende Resultate, indem sie etwa eine zuverlässige und schonende Prüfmethode für lackierte Oberflächen im Automobilbereich entwickelte. Nun stellte sich die Frage: Lässt sich Terahertz-Messtechnik auch für die ungleichmäßige Struktur von Slush-Häuten einsetzen, sodass die Dicke beider Schichten sicher bestimmt werden kann?

Schichtdickenmessung mit Terahertz-Technologie

Terahertz-Wellen sind elektromagnetische Wellen, die mit einer Länge von etwa 300 µm zwischen dem Mikrowellen- und dem Infrarotbereich liegen. »Die Terahertz-Technologie ist im Vergleich zur Technologie anderer Spektralbereiche vergleichsweise jung, und über die letzten Jahre hat sich die Schichtdickenmessung als einer der vielversprechendsten Anwendungsfälle herausgestellt«, beschreibt Daniel Molter das Arbeitsgebiet der Gruppe. »Dafür nutzen wir Femtosekundenlaser, deren Pulse wir mit einem photoleitenden Schalter in Terahertz-Pulse umwandeln. Damit entsteht ein kurzer elektromagnetischer Impuls. Dieser wird dann auf ein Mehrschichtsystem geschickt, und bei jedem Schichtübergang – z. B. von der Luft zum überprüften Material und dann zu einem Metall – entsteht ein Zwischenreflex. Der zeitliche Unterschied zwischen den Reflexen lässt Rückschlüsse auf die Dicke der einzelnen Schichten zu, wenn man deren optische Eigenschaften kennt.«

Bei Mehrschichtlacksystemen funktioniert die bisherige Auswertungstechnik der Signale zuverlässig, weil ihre Struktur homogen ist und Grenzschichten gut definiert sind. Um die ungleichmäßig aufgebauten und mit Luftblasen durchsetzen Schichten von Slush-Häuten vermessen zu können, mussten die Forschenden die bestehende Methodik weiterentwickeln. Anstatt die einzelnen Schichtantworten mathematisch zu modellieren, arbeiteten sie mit einer Reihe von Filteralgorithmen und der Dekonvolution (Entfaltung) von Signalen: Unter Kenntnis einer Eingangsgröße (einem Referenzsignal bzw. der Systemcharakteristik) und des Ergebnisses (Messergebnis) konnten sie die zweite Eingangsgröße – nämlich das Schichtmodell der vorliegenden Slush-Haut – berechnen.

Mobiles, handgehaltenes Messsystem

Damit die Messung direkt vor Ort nach der Produktion der Slush-Häute durchgeführt werden kann, hat die Projektgruppe das neue Messsystem als mobilen Rollwagen mit handgeführtem, 3D-gedrucktem Messkopf konzipiert. Neben einer eigens entwickelten Software verfügt es unter anderem über eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, einen Touchscreen mit ausziehbarerer Tastatur sowie einen drahtlosen Barcode/QR-Scanner zur Produkterfassung und ist einfach zu bedienen. Zur Qualitätskontrolle einer fertig produzierten Slush-Haut wird der Messkopf an vorab definierten Punkten aufgesetzt. Bei erfolgreicher Messung ertönt ein akustisches Signal, und die Schichtdicken lassen sich auf einen Blick im Display ablesen.

Mit der erfolgreichen Entwicklung des Messystems für diesen sehr speziellen Anwendungsfall hat die Gruppe um Daniel Molter Pionierarbeit geleistet: »Trotz unserer bisherigen Erfahrung in der Schichtdickenmessung ist das Projekt einzigartig, da wir viele kundenspezifische Anforderungen adressieren mussten.« Zukünftig seien auch weitere Einsatzmöglichkeiten von der Messung anderer Kunststoffschichten im Autocockpit bis hin zur Prüfung von Rohr-Wandstärken vorstellbar. »Im Prinzip eignet sich das System überall dort, wo Wandstärken von etwa 10 µm bis hin zu wenigen Millimetern gemessen werden sollen und ein handgehaltenes System von Vorteil ist«, so Molter. Schon jetzt steht fest: Mit dem von ihnen entwickelten Terahertz-Prüfsystem leisten die Forschenden einen Beitrag für mehr Sicherheit und Nachhaltigkeit in der Automobilproduktion.

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Neuartiges Radarverfahren analysiert Produktionsprozess von Rotorblättern automatisch

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.03.2023

Defekte in Faserverbundmaterialien schon während des Produktionsprozesses entdecken – dies gelingt künftig mit Hilfe eines neuartigen Radarverfahrens, das die Kontrolle des Fertigungsprozesses von Faserverbundwerkstoffen wie Rotorblättern von Windkraftanlagen zerstörungsfrei und automatisch ermöglicht. Bislang erfolgte das Monitoring manuell per Sichtprüfung. Das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR hat das innovative Verfahren zusammen mit den Konsortialpartnern Ruhr-Universität Bochum, Fachhochschule Aachen und der Aeroconcept GmbH im Projekt FiberRadar entwickelt.

Bei der Herstellung von glasfaserverstärkten Strukturbauteilen, wie sie etwa in Rotorblättern vorkommen, wird die Faserstruktur mit einer Harzmatrix fixiert. Unregelmäßigkeiten in der Ausrichtung und/oder im Verlauf der Faserverstärkung verändern die Struktureigenschaften und reduzieren somit die Qualität des entstandenen Verbundwerkstoffs. »Bei der Produktion von Rotorblättern werden Glasfaserlagen übereinander in einer Schale ausgelegt. Erfolgt dies nicht akkurat, kann es zu verschiedenen Defekten wie Wellenbildungen bzw. Ondulation kommen. Aber auch die Richtung der Faser kann sich verdrehen und somit die mechanischen Eigenschaften des Bauteils beeinflussen«, erläutert Projektleiter Dr. André Froehly vom Fraunhofer FHR in Wachtberg. Bislang war eine Untersuchung des Faserverlaufs und der Faserschichtung vor dem Einbringen der Harzmatrix nicht zuverlässig möglich, sodass Fehlstellen erst im Nachgang etwa durch Ultraschalluntersuchung gefunden werden konnten. Dies machte eine kontrollierte Prozesskette unmöglich und führte zu kostenintensiver Nacharbeit oder sogar zum Verschrotten von Bauteilen.

Großes Potenzial für die Produktion von Verbundwerkstoffen

Im Projekt FiberRadar haben die Forschenden nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich erstmalig auch die Ausrichtung der unteren Glasfaserschichten überprüfen lässt – zerstörungsfrei und automatisiert. Möglich macht es ein Millimeterwellen-Scansystem, bestehend aus einem Roboter, einem voll-polarimetrischen Radar und zugehöriger Bildgebungssoftware. Dieses nutzt auch die Polarisation (der Begriff kennzeichnet in der Antennentechnik die Richtung der elektrischen Feldkomponente einer elektromagnetischen Welle) der elektromagnetischen Wellen, das heißt, es kann mögliche Defekte auch durch Änderung der Polarisationsrichtung erkennen. Der Roboter scannt das Bauteil, das Radar übernimmt die Messungen, die anschließend von der Software zu einem 3D-Bild zusammengesetzt werden. Das Besondere: Während übliche Radare nur über einen Kanal verfügen und somit eine Polarisation zum Senden als auch zum Empfangen nutzen, schickt das neue Radar Signale in zwei Polarisationen aus – auch empfangen wird in zwei Polarisationen. Damit lassen sich nicht nur Faserstrukturen hochauflösend darstellen, sondern auch Defekte in tieferen Schichten einfach offenlegen. Zusätzlich verbessert die Brechungskompensation die Bildqualität: Sie rechnet Effekte heraus, die durch die Brechung vor allem in tieferen Schichten problematisch sein können. Indem die Forscherinnen und Forscher mit dem Radar die einzelnen Schichten abbilden, können sie auch Abweichungen in der Faserorientierung entdecken und das gesamte Volumen des Materials zerstörungsfrei überprüfen.

Im Projekt FiberRadar wurde die integrierte Radartechnologie der Ruhr-Universität, die Algorithmenexpertise des Fraunhofer FHR und die Robotikkompetenz der FH Aachen genutzt, um ein Messsystem zu realisieren, das die Fertigung von Faserverbundwerkstoffen und Kontrolle der gefertigten Bauteile in bis dato unerreichbarer Präzision ermöglicht. Durch die Erfahrung der Aeroconcept GmbH kann die Technologie damit direkt in den Fertigungs- und Monitoringprozess im Bereich der Windradblattherstellung integriert und eine Schlüsseltechnologie für qualitativ hochwertige Verbundwerkstoffe etabliert werden. »Wir freuen uns sehr über die vielversprechenden Ergebnisse zum Abschluss des Projekts FiberRadar. Wir planen, in Folgeprojekten das System in Richtung Produktreife weiterzuentwickeln, um es im Produktionsprozess einzusetzen. Hier möchten wir neben der Geschwindigkeit auch die Tiefenauflösung verbessern, um in kürzerer Zeit noch mehr mögliche Defekte zu erkennen«, so Froehly zu den nächsten Schritten. Das Projekt wurde aus den Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert.

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