Herstellung von Pyrrolysin, der zweiundzwanzigsten Aminosäure

Pressemitteilung der TU München vom 18.11.2011

Auf dem Weg zu maßgeschneiderten Enzymen:

Bis auf wenige Ausnahmen setzen sich alle bekannten Proteine aus nur zwanzig Aminosäuren zusammen. Vor 25 Jahren wurde eine einundzwanzigste Aminosäure entdeckt und vor zehn Jahren eine zweiundzwanzigste, das Pyrrolysin. Wie die Zelle den ungewöhnlichen Baustein jedoch herstellt, blieb ein Rätsel. Nun gelang es Wissenschaftlern der Technischen Universität München, die Struktur eines wichtigen Enzyms im Herstellungsprozess von Pyrrolysin aufzuklären. Über ihre Ergebnisse berichtet die Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ in ihrer „Early View“ Online-Ausgabe.

Proteine sind Eiweiße, die eine Vielzahl lebenswichtiger Prozesse in allen Lebewesen steuern. Sie transportieren Stoffe, katalysieren chemische Reaktionen, pumpen Ionen oder erkennen Signalstoffe. Die Komplexität und Vielzahl an Proteinen ist groß, allein im menschlichen Körper gibt es mehr als 100.000 verschiedene. Sie alle jedoch setzen sich aus nur zwanzig verschiedenen Aminosäuren zusammen. Nur sehr wenige, hochspezialisierte Proteine enthalten zusätzlich noch Selenocystein, die 1986 entdeckte und sehr selten vorkommende 21. Aminosäure.

Umso verwunderlicher war es, als 2002 in Methan-produzierenden Archaebakterien der Familie Methanosarcinaceae noch eine 22. Aminosäure entdeckt wurde, das Pyrrolysin. Es wird, ebenso wie Selenocystein und die anderen zwanzig Aminosäuren, von den Basen der DNA direkt kodiert. Die Archaebakterien nutzen die ungewöhnliche Aminosäure in Proteinen, die sie zur Energiegewinnung brauchen. Pyrrolysin befindet sich hierbei im katalytischen Zentrum der bakteriellen Proteine und ist für deren Funktion essentiell. Ohne das Pyrrolysin würde der Energiegewinnungsprozess der Archaebakterien nicht funktionieren.

Im März diesen Jahres gelang es Wissenschaftlern der Ohio State University, Teile des Pyrrolysin-Herstellungsprozesses zu entschlüsseln. Sie schlugen einen Reaktionsmechanismus vor, nach dem das Enzym PylB den ersten Schritt der Pyrrolysin-Biosynthese katalysiert, indem es die Aminosäure Lysin zum Zwischenprodukt Metyhlornithin umwandelt. Wissenschaftlern um Professor Michael Groll, Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie am Department Chemie der TU München, gelang es nun erstmals, die Kristallstruktur von PylB durch Röntgenstrukturanalyse zu bestimmen.

Zu ihrer großen Überraschung „erwischten“ sie dabei das Enzym quasi „auf frischer Tat“: Das Produkt der Reaktion, Methylornithin, befand sich zum Zeitpunkt der Kristallisation noch im Enzym. Es lag dort in einem abgeschlossenen Raum, einer Art Reaktionskessel vor, verbunden mit jenen Zentren des Enzyms, die für seine Entstehung verantwortlich sind. „Dass das Produkt noch im Enzym vorlag, war etwas Besonderes und ein großer Glücksfall für uns“, erklärt Felix Quitterer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Biochemie und Erstautor der Publikation. „So konnten wir das Methylornithin nicht nur direkt nachweisen, sondern auch rekonstruieren wie es aus der Ausgangsaminosäure Lysin entstanden ist“.

Diese Reaktion war nicht nur bislang unbekannt, sie ist auch nur sehr schwer zu katalysieren. Im Enzym gelingt dies einem Cluster aus vier Eisen- und vier Schwefel-Atomen im aktiven Zentrum. „Es handelt sich hier um eine außergewöhnlich elegante enzymatische Reaktion. Kein Chemiker im Labor kann Methylornithin bisher in einer Einstufenreaktion synthetisch aus Lysin herstellen“, sagt Michael Groll.

Die Umwandlung von Lysin zu Methylornithin hilft Wissenschaftlern zu verstehen, wie die Archaebakterien es schaffen, ein bestehendes System so zu modifizieren, dass eine neue Aminosäure entsteht, die, eingebaut in das richtige Protein, hinterher auch eine ganz spezielle Reaktion ausführt. Diese Kenntnisse wollen Forscher nutzen, um in Zukunft künstliche Aminosäuren nach eigenen Vorstellungen zu kreieren. Eingebaut in die richtigen Proteine ließen sich so „maßgeschneiderte“ Enzyme mit speziellen Eigenschaften herstellen, die etwa in der industriellen Biotechnologie oder der Medizin Anwendung finden könnten.

Die Synthese des Pyrrolysin ist jedoch noch aus einem weiteren Grund interessant: Wissenschaftler erhoffen sich hieraus Hinweise auf die evolutionäre Entwicklung des Aminosäure-Kanons. Warum ist die gesamte Komplexität der Proteine der Lebewesen aus nur wenigen natürlichen Aminosäuren aufgebaut, obwohl der genetische Code in der Lage wäre weitaus mehr zu kodieren? Eine Antwort auf diese grundlegende Frage nach den Minimalanforderungen für Leben gibt es heute noch nicht. Selenocystein und Pyrrolysin bilden exotische Ausnahmen. Und doch helfen die Kenntnisse über ihre Entwicklung aus den Standard-Aminosäuren, der Antwort ein Stück näher zu kommen.

Die Arbeiten wurden unterstützt aus Mitteln der Hans-Fischer-Gesellschaft und der King Abdullah University of Science and Technology sowie des Exzellenzclusters Center for Integrated Protein Science Munich. Die Messungen wurden an der PXI-Beamline des Paul Scherrer Instituts (Villigen, Schweiz) durchgeführt.

Originalpublikation:
Crystal structure of methylornithine synthase (PylB): Insights into the pyrrolysine biosynthesis. Felix Quitterer, Anja List, Wolfgang Eisenreich, Adelbert Bacher und Michael Groll, Angewandte Chemie, Early View, 16. Nov. 2011 – DOI: 10.1002/ange.201106765

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