Zwei Dirigenten für eine chemische Reaktion

Presseaussendung der TU Wien vom 20.11.2023

Erstmals gelang es an der TU Wien, die Wirkungsweise sogenannter Promotoren einer katalytischen Reaktion in Echtzeit zu beobachten. Sie spielen in der Technik eine wichtige Rolle, galten aber bisher als wenig verstanden.

Katalysatoren braucht man für unzählige chemische Technologien – von der Abgasreinigung bis zur Herstellung wertvoller Chemikalien und Energieträger. Oft werden dabei auch noch winzige Spuren anderer Substanzen verwendet, die den Katalysator erst richtig effektiv machen. Man bezeichnet sie als „Promotoren“. Sie spielen in der Technik eine wichtige Rolle, sind aber notorisch schwer zu untersuchen.

Meist kann man nur durch Versuch und Irrtum herausfinden, welche Menge welcher Promotoren welche Wirkung hat. Nun gelang es an der TU Wien, die Rolle von Lanthan-Promotoren bei der Wasserstoff-Oxidation direkt zu beobachten. Die Rolle einzelner Lanthan-Atome wird mit High-Tech-Methoden sichtbar gemacht. Dabei zeigte sich: Zwei Oberflächenbereiche des Katalysators sind Taktgeber, ähnlich wie Dirigenten beim Orchester. Der Promotor spielt dabei eine entscheidende Rolle bei ihrer Interaktion – er steuert die Taktgeber. Das Ergebnis wurde nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.

Live bei der Reaktion zusehen

„Bei vielen chemischen Prozessen verwendet man Katalysatoren, die in Form winziger Nanopartikel vorliegen“, sagt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien. Die Leistungsfähigkeit von Katalysatoren lässt sich leicht über Produktanalyse ermitteln, mikroskopische Einblicke gewinnt man dadurch aber nicht.

Das ist heute anders: Günther Rupprechter hat mit seinem Team über Jahre hinweg Methoden entwickelt, mit denen man sogar einzelne Nanopartikel direkt während der chemischen Reaktion beobachten kann. Dabei zeigt sich, wie sich die Aktivität an unterschiedlichen Stellen dieser Nanopartikel während des Reaktionsablaufs ändert.

„Wir verwenden Rhodium-Nanospitzen, die sich wie Nanopartikel verhalten“, sagt Günther Rupprechter. „Sie können zum Beispiel als Katalysator dienen, wenn man Wasserstoff und Sauerstoff zu Wassermolekülen vereint – das ist die Reaktion, die wir im Detail untersuchen.“

Pendeln zwischen „aktiv“ und „inaktiv“

Schon in den vergangenen Jahren fand das Team an der TU Wien heraus, dass unterschiedliche Abschnitte der Nanopartikel-Oberfläche unterschiedliches Verhalten zeigen: Sie oszillieren zwischen einem aktiven und einem inaktiven Zustand hin und her. Mal findet an einem bestimmten Punkt die gewünschte chemische Reaktion statt, dann wieder nicht.

Mit speziellen Mikroskopen konnte man nachweisen: Auf jedem Nanopartikel finden verschiedene solche Oszillationen statt – und sie alle beeinflussen einander. Bestimmte Abschnitte der Nanopartikel-Oberfläche, die oft nur eine Breite von wenigen Atomdurchmessern haben, spielen dabei eine bedeutsamere Rolle als andere: Sie sind besonders effiziente „Taktgeber“ und steuern sogar die chemischen Oszillationen anderer Abschnitte.

In dieses Taktgeben können nun Promotoren eingreifen – und genau das ließ sich nun mit den an der TU Wien entwickelten Methoden untersuchen. Wenn man Rhodium als Katalysator verwendet, kann Lanthan als Promotor für katalytische Reaktionen dienen. Daher platzierte man einzelne Lanthan-Atome auf der winzigen Oberfläche eines Rhodium-Nanopartikels. Ein und derselbe Partikel konnte dadurch einmal mit und einmal ohne Promotor vermessen werden. So kann man im Detail sehen, welchen Effekt einzelne Lanthan-Atome auf den Ablauf der chemischen Reaktion haben.

Mit Lanthan ist alles anders

Maximilian Raab, Johannes Zeininger und Carla Weigl haben die Experimente durchgeführt. „Der Unterschied ist enorm“, sagt Maximilian Raab. „Ein Lanthan-Atom kann Sauerstoff binden, und das ändert die Dynamik der katalytischen Reaktion.“ Durch die winzige Menge Lanthan wird die Kopplung zwischen den unterschiedlichen Bereichen des Nanopartikels verändert.

„Das Lanthan kann bestimmte Taktgeber selektiv ausschalten“, erklärt Johannes Zeininger: „Stellen wir uns vor, ein Orchester hat zwei Dirigenten – da werden wir ziemlich komplexe Musik zu hören bekommen. Der Promotor sorgt dafür, dass es nur noch einen Taktgeber gibt, dadurch wird die Situation einfacher und geordneter.“

Zusätzlich zu den Messungen entwickelte das Team, weiter verstärkt durch Alexander Genest und Yuri Suchorski, auch ein mathematisches Modell, mit dem man die Kopplungen zwischen den einzelnen Bereichen des Nanopartikels simulieren kann. So ergibt sich eine neue leistungsfähige Herangehensweise, chemische Katalyse viel präziser als bisher zu beschreiben: Nicht nur auf Basis von Input und Output, sondern in einem komplexen Modell, das berücksichtigt, wie unterschiedliche Bereiche des Katalysators zwischen Aktivität und Inaktivität hin und her wechseln und sich dabei – gesteuert von Promotoren – gegenseitig beeinflussen.

Die Arbeiten wurden vom FWF gefördert (P32772-N und SFB TACO F81-P08). (Florian Aigner)

Originalpublikation:
M. Raab et al.: Lanthanum modulated reaction pacemakers on a single catalytic nanoparticle; Nature Communications, 14, 7186 (2023)

Externer Link: www.tuwien.at

Chemiker aus dem Saarland und San Diego beschreiben neues Kohlenstoff-Molekül in Nature

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 21.09.2023

Wissenschaftler der Universitäten San Diego und des Saarlandes haben jüngst ein neues Kohlenstoff-Molekül entdeckt. Dieses Molekül ist eine Weiterentwicklung der so genannten Carbene. Diese Stoffe, deren künstliche Erzeugung vor einigen Jahrzehnten erstmals gelang, haben heute eine überragende Bedeutung in der Industrie, etwa in OLED-Displays oder als Katalysatoren in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Ihre wegweisenden Erkenntnisse haben die Wissenschaftler nun in Nature publiziert.

Die Welt der Stoffe und Moleküle folgt in der Natur festen Regeln. So besagt die sogenannte Oktett-Regel, dass Kohlenstoffmoleküle mit jeweils acht Elektronen pro Atomhülle stabil sind. In jüngster Zeit gelang es der Chemie jedoch, diese Regeln bis zu einem gewissen Grad zu brechen, um Moleküle zu erschaffen, die ganz neuartige und in der modernen Welt gefragte Eigenschaften haben. Dies gelang vor drei Jahrzehnten mit den Carbenen, welche nur noch sechs Valenzelektronen aufweisen.

Anfangs wusste man noch nicht so recht, wozu die neuartigen Verbindungen nützlich sein könnten. „Sehr schnell stellte sich dann heraus, dass Carbene eine überragende Rolle in der organischen Photovoltaik und Mikroelektronik, etwa bei der Entwicklung so genannter organischer LED-Bildschirme, kurz OLEDs, spielen werden“, führt Dominik Munz als Beispiel an. Carbene seien inzwischen auch in der chemisch-pharmazeutischen Industrie als Katalysatoren von chemischen Prozessen nicht mehr wegzudenken, so Munz weiter.

Dem Professor für Koordinationschemie an der Universität des Saarlandes ist es nun gemeinsam mit Kollegen der Universität San Diego gelungen, von diesem Molekül noch zwei weitere Elektronen zu entfernen, so dass eine ganz neue Stoffklasse entstehen kann. Ihre Erkenntnisse sind so bedeutsam, dass sie es nun ins Fachmagazin Nature geschafft haben.

„Die internationale Zusammenarbeit beruht auf meiner Postdoc-Phase in den USA, die ich in der Arbeitsgruppe von Guy Bertrand an der Universität von San Diego verbracht habe“, erklärt der Wissenschaftler. „In dieser Zeit sowie in den letzten Jahren haben wir solche Moleküle quantenchemisch vorhergesagt und uns auch überlegt, wie man diese im Labor herstellen könnte.“ Durch eine elegante Synthesemethode ist es nun Ying Kai Loh, Postdoktorand bei Professor Bertrand an der Universität San Diego, gelungen, solch ein Molekül tatsächlich im Labor zu erschaffen.

Ob damit ebenfalls derart umwälzende Anwendungen wie mit den Carbenen möglich sind, steht in den Sternen. Vor 30 Jahren jedenfalls standen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Oktett-Regel damals brechen konnten, ebenfalls vor der Frage: „Und nun?“

Der Rest ist Geschichte.

Originalpublikation:
Loh, Y.K., Melaimi, M., Gembicky, M. et al. A crystalline doubly oxidized carbene. Nature (2023).

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Chemiker entwickeln flexible bunte Kollektoren für die Stromerzeugung

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 19.04.2023

So genannte lumineszierende Solarkonzentratoren können diffuses Sonnenlicht einfangen, um es für die Stromerzeugung zu verwenden. Die Sonnenstrahlung wird durch farbige Kunststoffplatten aufgefangen, an den Rändern wandeln Mikrosolarzellen das entstandene Licht in Elektrizität um. In einer Kooperation der Universität des Saarlandes mit der Universität Pisa wurde ein an der UdS entwickeltes Material nun erstmals für flexible Solarkonzentratoren eingesetzt.

An vielen Orten der Erde trifft genügend Sonneneinstrahlung auf, um Energie zu erzeugen. Jedoch will man nicht überall die klassischen dunklen Photovoltaikelemente zur Energieerzeugung verwenden. Lumineszierende Solarkonzentratoren ermöglichen die Kombination von Energieerzeugung und farbigen Designelementen beispielsweise im Bereich des Bauwesens. In der Arbeitsgruppe von Guido Kickelbick, Professor für Anorganische Festkörperchemie an der Universität des Saarlandes, wird seit einigen Jahren an flexiblen, silikonartigen Materialen geforscht, die speziell für optische Anwendungen geeignet sind. „Durch Einbettung von fluoreszierenden Farbstoffen gelingt es uns, langzeitstabile optische Elemente zu erzeugen, die farbig sind und beim Auftreffen von Licht an den Seiten stark leuchten“, so Professor Kickelbick. Das Phänomen ist von Designelementen aus dem Garten bekannt. Dort gibt es flache Skulpturen, die nahezu transparent sind und an den Rändern stark fluoreszieren.

Das Funktionsprinzip hinter dieser Technologie ist, dass ein Farbstoff, der in Kunststoff eingebettet ist, durch bestimmte Wellenlängen des sichtbaren Lichts angeregt wird. Dabei werden Elektronen im Farbstoff auf höhere Energieniveaus angeregt; beim Zurückfallen in den Grundzustand schließlich wird Licht einer längeren Wellenlänge emittiert, welches an den Rändern des Kunstoffkörpers aufkonzentriert wird.

Bringt man an den Kanten kleine Solarzellen an, so lässt sich Strom erzeugen. Dieses Prinzip funktioniert selbst mit diffusem Licht in der Dämmerung. „Bisher war es lediglich möglich, solche Bauelement aus hartem Plastik, wie zum Beispiel Plexiglas, zu erzeugen. Unser Material, welches aus einem speziell vernetzten Silikonharz besteht, ermöglicht nun auch flexible Bauelemente“, erläutert Guido Kickelbick. Aufgrund der chemischen Eigenschaften des in Saarbrücken synthetisierten Materials zeigen die Bauelemente eine hohe Umwandlungsleistung und eine hohe Lebensdauer, was sie für Außenanwendungen prädestiniert.

Die Eigenschaften der Farbstoff-Silikonharz Mischungen wurden an der Universität Pisa in der Arbeitsgruppe von Professor Andrea Pucci untersucht. Mit lumineszierenden Solarkonzentratoren ist selbst an Standorten mit einer hohen indirekten Strahlung eine Nutzung des konzentrierten Sonnenlichts möglich, auch wenn die Effizienz nur gering ist. Sie liegt im optimalen Fall nur bei wenigen Prozent.

Dennoch stellen die Elemente eine interessante Ergänzung zu herkömmlichen Photovoltaikelementen dar. Die bunten, transparenten und lichtdurchlässige Solarkollektoren können aufgrund der ansprechenden Optik direkt in Gebäudestrukturen integriert werden, beispielsweise in Lärmschutzwände an Autobahnen. Bisher wurden lediglich rote Farbstoffe für die Einbettung verwendet, aber in Zukunft sind auch weitere Farben geplant.

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Chaos auf Nanometer-Skala

Presseaussendung der TU Wien vom 27.02.2023

Manchmal laufen chemische Reaktionen nicht nur stationär in eine Richtung ab, sondern zeigen räumlich-zeitliche Schwankungen. An der TU Wien wurde dabei nun ein Übergang zum chaotischen Verhalten auf der Nanometer-Skala beobachtet.

Chaotisches Verhalten kennt man normalerweise von großen Dingen: Vom Wetter zum Beispiel, von Asteroiden im Weltraum, die von mehreren großen Himmelskörpern gleichzeitig angezogen werden, oder von schwingenden Pendeln, die man miteinander koppelt. Auf atomaren Größenordnungen hingegen stößt man normalerweise nicht auf Chaos – dort überwiegen fast immer andere Effekte. Nun konnte man an der TU Wien allerdings erstmals klare Anzeichen von Chaos auf Nanometer-Skala nachweisen – und zwar bei chemischen Reaktionen auf winzigen Rhodium-Kristallen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.

Von inaktiv zu aktiv – und wieder zurück

Die chemische Reaktion, die man analysierte, ist eigentlich ganz einfach: mit Hilfe eines Edelmetall-Katalysators reagiert Sauerstoff mit Wasserstoff zu Wasser, das ist auch das Grundprinzip einer Brennstoffzelle. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt dabei von äußeren Bedingungen (Druck, Temperatur) ab. Unter bestimmten Voraussetzungen zeigt diese Reaktion allerdings ein oszillierendes Verhalten, obwohl die äußeren Bedingungen konstant sind. „So ähnlich wie ein Pendel von links nach rechts schwingt und wieder zurück, oszilliert die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen kaum wahrnehmbar und hoch und damit das katalytische System zwischen inaktiv und aktiv hin und her“, erklärt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien.

Ein Pendel ist ein klassisches Beispiel für etwas Berechenbares – wenn man es ein bisschen stört oder es zweimal auf leicht unterschiedliche Arten in Bewegung setzt, verhält es sich danach im Großen und Ganzen gleich. Es ist in gewissem Sinn das Gegenteil von einem chaotischen System, bei dem minimale Änderungen der Ausgangsbedingungen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen im Langzeitverhalten führen. Ein Paradebeispiel für ein solches chaotisches System sind mehrere Pendel, die mit elastischen Schnüren miteinander verbunden sind.

Zweimal exakt gleiche Anfangsbedingungen sind unmöglich

„Grundsätzlich legen Naturgesetze natürlich immer noch exakt fest, wie sich die Pendel verhalten“, sagt Prof. Yuri Suchorski (TU Wien). „Könnten wir ein solches gekoppeltes System aus Pendeln zweimal exakt auf dieselbe Art starten, würden sich die Pendel beide Male genau gleich bewegen.“ Doch in der Praxis ist das unmöglich: Man wird beim zweiten Mal nie perfekt dieselbe Ausgangssituation herstellen können wie beim ersten mal – und schon ein winziger Unterschied in der Ausgangslage bewirkt, dass sich das System später völlig anders verhält als beim ersten Mal – das ist der berühmte „Schmetterlingseffekt“: Winzige Unterschiede in den Anfangsbedingungen führen zu riesengroßen Unterschieden im Zustand zu einem späteren Zeitpunkt.

Etwas ganz Ähnliches konnte man nun anhand von chemischen Oszillationen auf einem Rhodium-Nanokristall beobachten: „Der Kristall besteht aus vielen verschiedenen winzigen Oberflächen-Facetten, so ähnlich wie ein geschliffener Diamant, allerdings viel kleiner, in einer Größenordnung von Nanometern“, erklären Maximilian Raab und Johannes Zeininger, die die Experimente durchgeführt haben. „Auf jeder dieser Facetten oszilliert die chemische Reaktion, aber die Reaktionen auf benachbarten Facetten sind miteinander gekoppelt.“

Umschalten – von Ordnung zu Chaos

Das Kopplungsverhalten lässt sich nun aber auf bemerkenswerte Art steuern – und zwar, indem man die Menge an Wasserstoff verändert. Zunächst dominiert eine Facette und gibt wie ein Dirigent den Takt vor. Alle anderen Facetten schließen sich an und oszillieren im selben Takt mit. Erhöht man die Wasserstoff-Konzentration, wird die Situation komplizierter. Unterschiedliche Facetten oszillieren mit unterschiedlichen Frequenzen – aber immer noch ist ihr Verhalten periodisch und gut vorhersagbar. Wenn man dann allerdings die Wasserstoff-Konzentration noch weiter erhöht, bricht diese Ordnung plötzlich zusammen. Das Chaos gewinnt, die Oszillationen werden unvorhersehbar, winzige Unterschiede in der Anfangssituation führen zu völlig unterschiedlichen Schwingungsmustern – ein klares Anzeichen von Chaos.

„Das ist bemerkenswert, weil man chaotisches Verhalten in nanometergroßen Strukturen eigentlich nicht erwarten würde“, sagt Yuri Suchorski. Je kleiner das System, desto größer ist der Beitrag des stochastischen Rauschens, eigentlich müsste das Rauschen, das etwas völlig anderes als Chaos ist, das Verhalten des Systems dominieren: umso interessanter, dass es gelungen ist, die Indizien für Chaos „herauszufiltern“. Ein theoretisches Modell, entwickelt von Prof. Keita Tokuda (Universität Tsukuba), hat dabei wesentlich geholfen.

Chaosforschung auf Nano-Chemie übertragen

„An Chaostheorie forscht man seit Jahrzehnten, es ist auch bereits gelungen, diese an chemische Reaktionen in größeren (makroskopischen) Systemen anzuwenden, aber unsere Studie ist der erste Versuch, das umfassende Wissen aus diesem Bereich auf die Nanometer-Skala zu übertragen“, sagt Günther Rupprechter. „Winzige Abweichungen in der Symmetrie des Kristalls können darüber entscheiden, ob sich der Katalysator geordnet und vorhersagbar oder ungeordnet und chaotisch verhält. Das ist für unterschiedliche chemische Reaktionen wichtig – und vielleicht sogar für biologische Systeme.“

Die Arbeiten wurden vom FWF gefördert (P32772-N und SFB TACO F81-P08). (Florian Aigner)

Originalpublikation:
M. Raab et al.: Emergence of chaos in a compartmentalized catalytic reaction nanosystem; Nature Communications, 14, 736 (2023).

Externer Link: www.tuwien.at

Chemiker der Saar-Uni drucken weltweit erstmals komplexe 3-D-Objekte in schillernden Strukturfarben

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 26.01.2023

Den Effekt kennt man von Schmetterlingen oder Opalen: Je nach Lichteinfall schillern Tiere oder Edelsteine in verschiedenen Regenbogenfarben. Solche „Strukturfarben“ verblassen nicht und sind ungiftig. Bisher konnten solche Farben künstlich nur als dünner Film hergestellt werden. Die Chemiker Lukas Siegwardt und Markus Gallei von der Universität des Saarlandes haben nun ein Verfahren gefunden, wie sie dreidimensionale komplexe Objekte drucken können, die brillante Strukturfarben zeigen.

Ihre Methode haben sie im renommierten Fachjournal Advanced Functional Materials veröffentlicht.

Im menschlichen Miteinander gilt „Harte Schale, weicher Kern“ als Gütezeichen für den menschlichen Charakter. Im Falle des Forschungsgegenstandes von Markus Gallei und Lukas Siegwardt hingegen verhält es sich genau andersherum. Der Professor für Polymerchemie und sein Doktorand haben „perfekte Partikel“ hergestellt, deren harter Kern von einer weichen Schale umgeben ist. „Perfekte Partikel“ bezeichnet in diesem Fall Teilchen, die allesamt identisch groß und geformt sind. Diese Ausgangsmaterialien, die in der Regel aus gängigen Materialien wie Polystyrol oder Ethylacrylaten bestehen, haben Lukas Siegwardt und sein Professor nun so verändert, dass sie auch im 3-D-Drucker verarbeitet werden können.

Das war bisher nicht möglich. Seit 2001 können solche Farben zwar künstlich hergestellt werden, allerdings nur als sehr dünner Film, der Bruchteile eines Millimeters dick ist. „Dabei wird das Material mittels Industriepressen oder Folienwalzanlagen verarbeitet. Daraus wird dann ein buntes Material, das seine Farbe verändern kann“, erklärt Professor Gallei. Man kann daran ziehen, Strom anlegen, die Temperatur verändern, den pH-Wert und viele weitere Parameter beeinflussen, die allesamt dazu führen, dass die Farbe sich ändert. „Man kann das Material beliebig schalten“, nennt Markus Gallei solche Vorgänge. Solche Farben haben zwei große Vorteile: Sie sind zum einen völlig unschädlich im Gegensatz zu vielen anderen Farben. Und sie bleichen niemals aus. Hinzu kommt ihre schier unendliche Wandlungsfähigkeit, die bisher nur dadurch begrenzt wurde, dass sie als hauchdünner Film hergestellt werden konnten. Nun hingegen wären 3-D-Objekte aus solchen Materialien als vielfältig einsetzbare Sensoren für allerlei Messmethoden oder als Fälschungsschutz für Waren denkbar, um nur zwei Beispiele zu nennen. Man kann die Partikel so herstellen, dass sie jede denkbare Eigenschaft besitzen und ebenfalls leicht in Form zu bringen sind.

Lukas Siegwardt demonstriert die Wandlungsfähigkeit des Stoffes, indem er an einem ausgedruckten, etwa fünf Zentimeter langen Prüfling zieht. Die vormals rote Farbe des Objekts verändert sich immer mehr ins Blaue, je mehr der Doktorand daran zieht. „Damit habe ich schon einen einfachen Sensor, der auf Zug- und Druckkräfte reagiert“, erklärt der junge Wissenschaftler.

Markus Gallei erklärt die Chemie, die dahintersteckt. Die hat mit den eingangs erwähnten „perfekten Partikeln“ aus den Standard-Polymeren zu tun, die in Rohform als weißes, pudriges Pulver in die Industriepresse und nun auch in den 3-D-Drucker kommen. „Diese Partikel ordnen sich während des Druckens in einem regelmäßigen Muster an, welche dann unterschiedliche Farben haben, je nachdem, wie die Abstände zwischen den Partikeln sind.“ Die weichen Schalen der einzelnen Partikel zerfließen zu einer fließfähigen Masse, welche die harten Kerne umgibt. Zieht man an einem Objekt, verändert man die Abstände zwischen den einzelnen Kern-Partikeln, und die Farbe ändert sich. Die harten, perfekten Partikel bewegen sich in dem weichen umgebenden Medium und ordnen sich zu einem neuen Muster an. „Man quetscht quasi den Honig zwischen den einzelnen Kügelchen raus“, erklärt Markus Gallei mit einem Bild den Vorgang auf molekularer Ebene. So verändern sich die Partikelabstände und damit auch die Farbwiedergabe.

Um ein solches Material auch für einen 3-D-Druck aufzubereiten, war eine Menge Laborarbeit nötig. Das war insbesondere Lukas Siegwardts Part. „Ich habe das Material so verändert, dass es sich drucken lässt. Ich habe Monate gebraucht, bis ich die richtige Zusammensetzung gefunden habe“, sagt der Doktorand rückblickend. Dabei waren zwei harte Nüsse zu knacken: Zum einen musste Siegwardt die Fließeigenschaften des pulvrigen Ausgangsstoffes so verändern, dass sie die Düsen des Druckers nicht verstopften, sprich: das Pulver möglichst rückstandsfrei gedruckt werden konnte. „Zweiter Punkt waren die thermischen Eigenschaften. Beim Pressen muss das Ausgangsmaterial etwa 120 Grad Celsius verkraften. Beim 3-D-Druck fallen aber Temperaturen von 140 bis teilweise 200 Grad Celsius an“, erklärt der Wissenschaftler die Anforderungen an das Material. „Viele Materialien sind mir im Laufe der Monate kaputtgegangen“, erinnert er sich. Bis er letzten Endes doch die richtige Mischung gefunden hat.

So haben die beiden saarländischen Wissenschaftler die Basis dafür geschaffen, dass mit der neuartigen Methode nun Anwendungsgebiete gefunden werden können, in denen die schillernden Objekte sinnvoll nutzbar sein können. Weicher Schale, hartem Kern sei Dank.

Externer Link: www.uni-saarland.de