Schwärmen und transportieren

Mediendienst der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.03.2012

Eine einzelne Ameise ist nicht besonders schlau. Doch in der Gemeinschaft können die Insekten komplizierte Aufgaben lösen. Diese Schwarmintelligenz wollen Forscher jetzt auch für die Logistik nutzen. Viele autonome Transport-Shuttles sollen eine Alternative zu traditioneller Fördertechnik bilden.

Mit einem leisen Surren setzt sich das orangefarbene Gefährt in Bewegung. Gleich darauf starten die nächsten Shuttles, und schon bald sind Dutzende Mini-Transporter in der Halle unterwegs. Wie von Geisterhand gelenkt steuern sie auf das Hochregallager zu oder drehen sich um die eigene Achse. Die Multishuttle Moves®, so der Name der fahrerlosen Transportfahrzeuge, führen jedoch kein Roboter-Ballett auf. Sie sind im Dienst der Wissenschaft unterwegs. Am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund arbeiten Forscher daran, mit Schwarmintelligenz die logistischen Material- und Warenflüsse im Lager zu verbessern. In einer 1000 Quadratmeter großen Forschungshalle haben die Wissenschaftler ein kleines Distributionslager nachgebildet, mit einem Regallager für 600 Kleinteileladungsträger und acht Kommissionier-Stationen. Herzstück der Versuchsanlage ist ein Schwarm von 50 autonomen Fahrzeugen. »Die Transportsysteme sollen künftig alle Aufgaben von der Auslagerung im Regal bis zur Anlieferung an einer Kommissionier-Station selbstgesteuert übernehmen und damit eine Alternative zu herkömmlichen Fördertechniklösungen bieten«, erläutert Prof. Dr. Michael ten Hompel, Geschäftsführender Institutsleiter des IML.

Aber woher wissen die Gefährte, was sie wohin transportieren sollen und welches der 50 Shuttles den jeweiligen Auftrag übernimmt? »Die fahrerlosen Transportfahrzeuge werden dezentral gesteuert. Die „Intelligenz“ ist in den Transportern selbst«, verrät Dipl.-Ing. Thomas Albrecht, Leiter der Abteilung Autonome Transportsysteme, den Lösungsansatz der Forscher. »Wir setzen auf agentenbasierte Software und nutzen Ameisenalgorithmen nach Marco Dorigo. Das sind Verfahren der kombinatorischen Optimierung, die auf dem modellhaften Verhalten von realen Ameisen bei der Futtersuche basieren.« Kommt ein Auftrag herein, erfahren die Shuttles dies über einen Softwareagenten. Dann tauschen sie sich über WLAN aus, wer die Fuhre übernehmen kann. Das am nächsten befindliche freie Transportsystem erhält den Zuschlag.

Auf der Fläche bewegen sich die Shuttles völlig frei – ohne Leitlinien. Möglich macht das die integrierte Lokalisations- und Navigationstechnik. Die Fahrzeuge verfügen über ein neu entwickeltes, hybrides Sensorik-Konzept mit Funkortung, Abstands- und Beschleunigungssensoren sowie Laserscannern. So können die Fahrzeuge die jeweils kürzeste Route zum Ziel berechnen. Die Sensoren helfen auch, Kollisionen zu meiden.

Die Fahrzeuge basieren auf den Komponenten des regalgebundenen Multishuttle, das schon seit einigen Jahren erfolgreich im Einsatz ist. Gemeinsam mit ihren Kollegen von Dematic haben Forscher des IML das System weiterentwickelt. Die Besonderheit des Multishuttle Move®: Die Transporter können sich sowohl im Regallager als auch in der Halle bewegen. Die Shuttles besitzen dafür ein zusätzliches Flur-Fahrwerk. Doch welche Vorteile bieten die autonomen Transporter gegenüber der herkömmlichen Stetigfördertechnik mit Rollenbahnen? »Das System ist deutlich flexibler und skalierbar«, hebt Albrecht hervor. Es kann je nach Bedarf um einige Fahrzeuge erweitert oder reduziert werden. So lässt sich die Systemleistung an saisonale und Tagesschwankungen anpassen. Weiterer Vorteil: Die Transportwege verkürzen sich deutlich. In herkömmlichen Lagern ist der Raum zwischen dem Hochregallager und den Kommissionier-Stationen mit Fördertechnik verbaut. Die Pakete legen etwa eine zwei- bis dreifach längere Strecke zurück als auf dem direkten Weg. »Darüber hinaus erübrigen sich Regalbediengeräte und Stetigfördertechnik«, führt Albrecht weiter aus. Die Forscher untersuchen nun, wie die autonomen Transporter die Intralogistik verbessern können. »Wir wollen den Nachweis erbringen, dass die Zellulare Fördertechnik eine sowohl technisch als auch ökonomisch sinnvolle Alternative zur klassischen Fördertechnik und Regalbediengeräten sein kann«, sagt Institutsleiter ten Hompel. Gelingt dies, könnten die autonomen Fahrzeuge schon bald in Lagerhallen ihren Dienst tun.

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