Optimale Auslastung von Versandkartons

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.03.2024

Online bestellte Produkte kommen häufig in überdimensionalen Kartons vor der Haustür an. Die Ausmaße der Pakete sind oftmals viel größer als der Inhalt. So landet etwa ein Parfum in einem Schuhkarton-großen Umkarton, Polstermaterialien füllen den leeren Raum. Nachhaltig ist das nicht. Abhilfe schafft die Optimierungssoftware CASTN des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML, indem sie kundenindividuell die optimale Karton-Auftrag-Kombination zusammenstellt. Ausgeklügelte Algorithmen berechnen die beste Auslastung der Pakete auf Basis der Artikel- und Auftragsstruktur.

Der Onlinehandel unterliegt einem stetigen Wandel – aktuelle Trends und saisonale Schwankungen beeinflussen die Artikel- und Auftragsstruktur. Mit der steigenden Vielfalt an Produkten und der variierenden Auftragsstruktur wächst mit der Zeit auch das Spektrum an Versandkartonagen. Obwohl die zur Verfügung stehenden Verpackungen immer vielfältiger werden, nimmt der Volumennutzungsgrad häufig ab. Wenig Platz beanspruchende Artikel wie Parfums, Kosmetika oder Schmuck landen in überdimensionierten Kartons. Das liegt vor allem daran, dass Verpackungen nicht auf die veränderten Anforderungen wie Abmessungen und Gewicht der Produkte und Aufträge abgestimmt sind. Dieses Problem adressieren Forschende am Fraunhofer IML mit der Kartonset-Optimierungssoftware CASTN (Carton Set Optimization). Die Entwicklung der Software wurde vom Fraunhofer-Leistungszentrum für Logistik und IT gefördert.

CASTN stellt für Versandunternehmen ein optimal auf deren jeweilige Auftrags- und Artikelstruktur abgestimmtes Kartonset zusammen. »Will ein Händler etwa ein Set mit zehn verschiedenen Kartons an seinen Packstationen einsetzen, so müssen diese auf die Auftrags- und Artikelstruktur angepasst werden, um den bestmöglichen Volumennutzungsgrad zu erzielen. Die Produkte müssen also möglichst viel Volumen des Kartons ausfüllen, sodass nur wenig Füllmaterial wie Polsterfolie verwendet werden muss«, erläutert Lukas Lehmann, Wissenschaftler am Fraunhofer IML. Um dies zu realisieren, spielt das Entwicklerteam des Fraunhofer IML die Kundendaten (Bestell- und Artikelstammdaten sowie Verpackungsspezifikationen) in CASTN ein. Um einen repräsentativen Zeitraum und saisonale Schwankungen abzubilden, bewähren sich in der Regel die Daten eines Jahres. Mithilfe dieser Inputparameter berechnen zwei miteinander verknüpfte Software-Algorithmen im Zusammenspiel das optimale Kartonset. Dabei werden Kundenanforderungen wie minimale oder maximale Packgrößen ebenso berücksichtigt wie die Vorgaben der Logistikdienstleister.

30 Prozent Artikel, 70 Prozent Luft

Zentral für CASTN sind zwei Algorithmen: Der erste verwendet einen evolutionären Ansatz, um verschiedene Kartonsätze auf der Grundlage von Parametern wie der Anzahl der zulässigen Kartons oder der maximalen und minimalen Abmessungen zu erstellen. Der zweite Algorithmus, ein Bin-Packing-Algorithmus, sorgt dafür, dass die Bestellungen effizient in die ausgewählten Kartons gepackt werden. Ziel ist es, das minimale Packvolumen und das kleinste Gesamtvolumen mit der Ware herzustellen. Am Ende dieses Vorgangs bewertet die Software jeden einzelnen Karton eines Sets und prüft, wie gut das Innenvolumen mit dem bestehenden Auftrag ausgenutzt wurde. Diese Informationen fließen wieder in den evolutionären Algorithmus, der anhand des Scorings der Kartons neue, bessere Sets zusammenstellt. Dies erfolgt iterativ so lange, bis keine weitere Verbesserung des Volumennutzungsgrades erreicht wird. »Die Kunden kennen den Volumennutzungsgrad ihrer Kartons häufig nicht, dieser liegt meist nur bei rund 30 Prozent. Sie wissen nicht, wieviel Luft sie verschicken. Das berechnet unsere Software«, sagt der Forscher. Im Anschluss an die Optimierung erfolgen die Analyse und Beratung mit dem Kunden, um die geeigneten Kartonsets auszuwählen.

Mehrere Industriepartner mit jeweils eigenem Onlinehandel konnten bereits von der Kartonset-Optimierung profitieren und ihre Volumenauslastung bei gleichzeitiger Reduzierung der Anzahl der Kartonvarianten um 35 bis 45 Prozent steigern.

Mehr Umweltschutz im E-Commerce

Im nächsten Schritt wollen Lehmann und sein Team den Funktionsumfang der Software um komplexe Geometrien von Artikeln und zusätzliche Artikeleigenschaften erweitern. »Mit CASTN wollen wir mehr Nachhaltigkeit in der Logistik fördern. Durch optimal abgestimmte Kartonsets lassen sich Verpackungs- und Füllmaterial reduzieren. Das führt zu einer besseren Auslastung der Lkws, kann Platzverschwendung vermeiden und CO2-Emissionen senken«, sagt Lehmann. Versendende Unternehmen können durch den Einsatz von CASTN einen Beitrag zum Umweltschutz leisten und zugleich Verpackungs- und Transportkosten einsparen.

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Hundehaut aus dem Labor ermöglicht Tests medizinischer Therapeutika

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.02.2024

Erstmals ist es gelungen, eine reproduzierbare In-vitro-Hundehaut im Labor herzustellen. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB haben das Vollhaut-Äquivalent auf Basis echter Hautzellen entwickelt. Es ermöglicht, die Wirkung medizinischer Therapeutika für die empfindliche Hundehaut präzise zu testen. Auch Pflegemittel wie Shampoo oder Fellseife lassen sich damit auf Verträglichkeit untersuchen – ganz ohne Tierversuche.

Sie laufen bei Wind und Wetter im Freien herum und wälzen sich auch gerne mal im Gras. Hunde sind offenbar robuste Tiere. Doch der Schein trügt, denn die Vierbeiner haben eine überdurchschnittliche Veranlagung für Hauterkrankungen. Die atopische Dermatitis, eine Form der Neurodermitis, trifft etwa 10 bis 15 Prozent der Hunde. Die Haut wird trocken und schuppig, die Tiere beginnen sich zu kratzen, häufig treten auch Entzündungen auf. Zwar gibt es Cremes und Salben gegen die Dermatitis, doch der Behandlungserfolg ist ungewiss. Die Therapeutika bleiben unter Umständen wirkungslos und können im schlimmsten Fall die Symptome noch verschlechtern.

Genau dieses Problem sind Dr. Anke Burger-Kentischer, Abteilungsleiterin Zell- und Gewebetechnologien, und ihr Team am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB angegangen. Im Projekt WowWowSkin haben sie erstmals im Labor eine In-vitro-Hundevollhaut entwickelt und damit die Grundlage für die Entwicklung und Testung von medizinischen Therapeutika und Pflegeprodukten für Hunde in In-vitro-Modellen gelegt. »Wir wollten ein reproduzierbares Hundehaut-Äquivalent etablieren, das spezifische Tests von therapeutischen Produkten für Hunde ermöglicht. Das gibt es bisher noch nicht«, erklärt Dr. Burger-Kentischer.

Das Vollhaut-Äquivalent aus dem Labor ist mit echter Hundehaut nahezu identisch. Damit lassen sich aussagekräftige und präzise Tests von medizinischen Wirkstoffen durchführen. Ebenso lässt sich die Verträglichkeit marktüblicher Pflegeprodukte wie Shampoos oder Seifen damit testen. Auch sie können im Zweifelsfall der Hundehaut schaden, da die oberste Schutzschicht der Haut, die Epidermis, bei Hunden deutlich dünner als bei Menschen ist und auch kaum verhornt.

Hautzellen im Nährmedium

Den ersten Schritt hat das Forschenden-Team mit einem Stück originaler Hundehaut gemacht. Entscheidend für den Aufbau des Vollhaut-Äquivalents sind die obersten zwei Schichten: Erst die verhornte Schutzschicht, die Epidermis mit den Keratinozyten, welche die Hornschicht der Haut ausbilden, und darunter die Dermis mit den Fibroblasten, spezifischen Zellen des Bindegewebes. »Nach der mechanischen Trennung der Schichten haben wir die Zellen durch spezielle Enzyme aus dem Gewebeverband gelöst, immortalisiert und dann in Kultivierungsschalen mit einem Nährmedium vermehrt. Anschließend haben wir die so erhaltenen immortalen Keratinozyten der Epidermis und die immortalen Fibroblasten der Dermis wieder zu einem Vollhaut-Äquivalent zusammengeführt«, erklärt Dr. Burger-Kentischer.

»Die Suche nach der richtigen Zusammensetzung der Enzyme und Medien benötigte eine ganze Reihe von Versuchen« sagt Dr. Burger-Kentischer. Doch am Ende ist sie perfekt gelungen. Das Vollhaut-Äquivalent aus dem Labor ist unter dem Mikroskop kaum von echter Hundehaut zu unterscheiden.

Für den Test von medizinischen Therapeutika, etwa zur Behandlung von Dermatitis, können die Fraunhofer-Forschenden das Vollhaut-Äquivalent mit pathogenen Keimen besiedeln und damit ein Krankheitsmodell generieren. »Wir können auf den Hautäquivalenten entzündliche Prozesse nachstellen, indem wir sie mit Bakterien verkeimen. Wenn man Wirkstoffe oder Substanzen aufbringt, zeigt sich schnell, ob das Medikament wirkt und die Anzahl der Keime zurückgeht, ob es wirkungslos bleibt oder ob es das Krankheitsbild sogar verschlimmert«, weiß Dr. Burger-Kentischer.

Die Originalhautproben werden von Tierarztpraxen geliefert, die beispielsweise bei medizinisch notwendigen Operationen Haut wegschneiden. Es wird kein Gewebe extra für das Projekt entfernt, sondern nur Hautgewebe zur Verfügung gestellt, das im Rahmen einer Operation ohnehin entfernt werden muss.

Verträglichkeits-Tests von Pflegeprodukten ohne Tierversuche

Für die In-vitro-Testung von Fellpflegeprodukten eignet sich das Vollhaut-Äquivalent ebenso, da hiermit festgestellt werden kann, ob Shampoos oder Seifen die Haut belasten oder gar schädigen. Für die Hersteller von veterinärmedizinischen Therapeutika oder Pflegeprodukten ist damit der Weg frei, ihre Produkte präzise auf Wirksamkeit und Verträglichkeit zu testen.

Bei Kosmetika, die neu auf den Markt kommen, gilt seit 2013 ein EU-Verbot für Tierversuche. Entsprechend groß ist das Interesse an der Ersatzmethode. Erste Hersteller von veterinärmedizinischen Produkten und Pflegeprodukten haben bereits Interesse an dem Vollhaut-Äquivalent angemeldet.

Im nächsten Schritt will das Fraunhofer-Team weitere Vollhaut-Äquivalente differenziert nach Hunderassen aufbauen. Zudem sollen weitere Hautmodelle für Pferde und Katzen entwickelt werden.

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Gezielte Schädlingskontrolle mit RNA-Spray

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 02.01.2024

Schädlinge auf Pflanzen wirkungsvoll bekämpfen, ohne dabei anderen Organismen zu schaden – daran arbeiten Forschende in dem vom Julius Kühn-Institut (JKI) koordinierten Verbundprojekt ViVe_Beet, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert wird. An dem Projekt beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des JKI-Instituts für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und des Instituts für Zuckerrübenforschung (IfZ). Die Projektpartner verfolgen den Ansatz, speziell zugeschnittene doppelsträngige RNA-Moleküle zu nutzen, welche mittels gängiger Auftragsmethoden in geeigneter Formulierung ausgebracht werden, um Zuckerrüben zukünftig vor Vergilbungsviren zu schützen.

Der Einsatz von chemisch-synthetischen Insektiziden und Pestiziden in der Landwirtschaft hat einen negativen Einfluss auf die Insektenvielfalt und Bienengesundheit. Deshalb hat die EU 2019 die Zulassung von systemisch wirksamen Neonikotinoiden auslaufen lassen, was jedoch zu neuen Problemen in der Landwirtschaft führte: Die Grüne Pfirsichblattlaus (Myzus persicae), eines der Insekten mit den meisten Resistenzen gegen chemisch-synthetische Insektizide, lässt sich seitdem schwer bekämpfen. Vor allem die Zuckerrübe ist stark betroffen, da die Pflanzenlaus Überträger von mehreren Vergilbungsviren ist, welche zu enormen Einbußen in der Zuckerrübenernte führen. »Wir reden hier von 20 bis 50 Prozent Ertragsverlust nur durch die Viren«, erläutert Maurice Pierry, der das Projekt ViVe_Beet am Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer IME in Gießen von Beginn an begleitet.

Neuer Ansatz der Schädlingsbekämpfung: RNA-Interferenz (RNAi)

Um die Pflanzenlaus nachhaltig und wirksam zu bekämpfen, sind neue Ansätze der Schädlingsbekämpfung dringend erforderlich. Das Fraunhofer IME und die Projektpartner JKI und Ifz wählen hierfür einen biologischen, artspezifischen Ansatz und arbeiten gemeinsam daran, die Pflanzenlaus durch RNA-Interferenz (RNAi) zu bekämpfen.

Die RNAi ist eine natürliche Immunantwort der Wirte auf fremdes virales Erbgut, welches oftmals als doppelsträngige RNA (dsRNA) vorliegt. Maurice Pierry erklärt: »Viren haben RNA als Erbgut, und wenn diese in die Zelle eines Lebewesens eindringt, in unserem Fall vom Insekt, dann wird diese von einem Enzym namens Dicer in kleinere sogenannte small interfering RNA (siRNA) zerteilt. Das Ganze wird dann in einen weiteren Enzymkomplex aufgenommen und als Schablone benutzt, um darauf passende mRNA-Sequenzen abzubauen. Wenn wir diese dsRNA so auswählen, dass sie auf ein lebenswichtiges Gen des Insekts passt, dann kann man den Organismus dahin bringen, sich durch sein eigenes RNAi-System wirksam zu kontrollieren.«

Vom Labortest bis zum Feldeinsatz

Zu Beginn des Projekts, mit einer Laufzeit von Oktober 2021 bis September 2024, mussten potenziell wirksame Gene und ihre Basensequenzen identifiziert werden. Darauffolgend wurde dsRNA, welche spezifisch auf diese Basensequenzen angepasst ist, über biologische Verfahren hergestellt. Pierry erläutert: »Als Erstes mussten wir ein Gen finden, das einen Effekt hat, wenn man es mit dem RNA-Interferenz-Mechanismus ausschaltet. Die Effekte variieren von Häutungsproblemen über Rückgang der Nachkommen bis hin zur erhöhten Mortalität der Schädlinge. Nach einigen Tests haben wir schließlich mehrere Gene gefunden, die zu einer hohen Mortalität bei der Blattlaus führen, wenn man sie ausschaltet. Damit war die erste Hürde geschafft.«

Im nächsten Schritt musste eine Formulierung gefunden werden, die das doppelsträngige RNA-Molekül vor möglichen Umweltfaktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit, UV und RNA-abbauenden Enzymen beschützt, bis es am Zielort angekommen ist, z. B. im Darm der Blattlaus, wo es dann von der Zelle aufgenommen wird. »Auch da haben wir gute Ergebnisse erlangt. Das heißt unsere dsRNA ist geschützt von einer Formulierung, die den Effekt verbessert und lange haltbar ist«, so Pierry.

Inzwischen sind die Forschenden schon beim dritten Schritt: den ersten Sprühversuchen direkt an der Zielpflanze. »Wir haben eine RNA-Spray-Methode entwickelt, die wir in Gewächshausversuchen getestet haben. Bei unseren Sprühversuchen kommen wir bisher auf 70 Prozent Mortalität sowie einer Minderung der Populationsgröße. Das ist ein sehr guter Wert«, erläutert Pierry.

Der letzte Schritt sind dann Feldversuche, bei denen alle bisher ausgeklammerten Umweltfaktoren einbezogen werden. Diese werden im kommenden Sommer vom JKI und dem IfZ durchgeführt.

Selektives Pflanzenschutzmittel ist ungefährlich für andere Organismen

Der innovative Ansatz des Projektes ViVe_Beet birgt das Potenzial, künftig vollkommen neue, umweltverträgliche, selektive Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Denn die spezifischen natürlichen Moleküle könnten dabei nicht nur gegen Insekten, sondern auch gegen Viren oder Pilzerreger wirken. »Das Besondere daran ist also, dass die spezifisch angepasste dsRNA eine Wirkung auf den Ziel-Organismus hat, in unserem Fall die Grüne Pfirsichblattlaus, und nicht auf andere Organismen wie uns Menschen oder Nützlingen wie z. B. der Biene«, erklärt Pierry. Diese neue Methode der Schädlingsbekämpfung weckt Hoffnung auf nachhaltigen Pflanzenschutz und zeigt hohes Potenzial für die Zukunft.

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Vorbild Miesmuschel: Druckbarer Klebstoff für Gewebe und Knochen

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.12.2023

Hüftimplantate aus Titan halten nicht ewig. Sie lockern sich früher oder später und verlieren ihren Halt im Knochen, da sich dieser mit der Zeit zurückbildet. Forschende am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP haben gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und dem Fraunhofer USA Center for Manufacturing Innovation CMI einen Gewebekleber entwickelt, mit dem sich der frühzeitige Austausch von Prothesen künftig vermeiden lässt. Auf die Titanoberfläche des Implantats aufgebracht, stellt das biomimetische, antimikrobielle Material die Verbindung zum Knochen her – es haftet selbstständig an. Der Clou: Der Gewebekleber, der die haftende Eigenschaft von Miesmuscheln nachahmt, ist druckbar und lässt sich sogar auf gekrümmte, unebene Flächen drucken.

Sie sind das Ärgernis eines jeden Reeders: Miesmuscheln haften fest an Außen- und Unterseiten von Schiffen, der Bewuchs lässt sich nur schwer entfernen. Ein Protein, das die Aminosäure Dihydroxyphenylalanin – auch DOPA genannt – enthält, ist verantwortlich für die haftende Wirkung der Muscheln an Oberflächen. Forschende am Fraunhofer IAP im Potsdam Science Park haben in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IGB und dem Fraunhofer USA CMI einen biomimetischen Kleber entwickelt, der diese Eigenschaft nachahmt. Er zeichnet sich durch außergewöhnliche Haftungs- und Bindungseigenschaften aus und hat daher das Potenzial, in verschiedenen biomedizinischen Anwendungen eingesetzt zu werden. So lassen sich etwa offene Wunden damit verschließen. Auch können Titanoberflächen von Implantaten damit beklebt werden, damit der Körper die Oberfläche als knochenähnliche Substanz erkennt und die Verbindung zum Knochen herstellt.

»DOPA sorgt für eine äußerst effektive Haftung. Diese Eigenschaft haben wir auf unseren Klebstoff übertragen, indem wir Polymere synthetisiert haben, die den Baustein Dopamin enthalten, ein chemisches Analogon von DOPA. Der dopaminbasierte Klebstoff lässt sich mit verschiedenen Additiven, wie Apatit-Partikeln – eine Substanz, aus der Zähne bestehen –, Proteinen und Signalmolekülen versetzen. Diese fördern das Wachstum von Knochenzellen und können als Beschichtungsmaterial etwa für Titanimplantate verwendet werden«, erläutert Dr. Wolfdietrich Meyer, Wissenschaftler am Fraunhofer IAP. Die spezielle Beschichtung lässt das Implantat für den Körper natürlicher erscheinen und kann die Heilung und Integration des Implantats im Körper fördern. Der biobasierte, nachhaltig hergestellte Klebstoff besitzt zudem antimikrobielle Eigenschaften.

Die dopaminbasierten Polymere eignen sich nicht nur für Gewebeklebstoffe, sondern auch für die Entwicklung funktionalisierter Oberflächen, antibakterieller Materialien und intelligenter Beschichtungen mit speziellen Funktionen.

Photoreaktiver Kleber lässt sich auf unebene Flächen drucken

Durch chemische Synthese kann man die Funktionalität des Klebers erweitern. Er lässt sich derart modifizieren, dass er auf Licht reagiert. Wird er mit UV-Licht bestrahlt, so härtet er aus. Dabei verstärkt sich seine haftende Wirkung. Photoreaktive Materialien lassen sich im 3D-Druck in Gegenwart von UV-Strahlung verarbeiten. Auf diese Weise können komplexe Strukturen für maßgeschneiderte medizinische Implantate aufgebaut werden.

Dem Forscherteam an den Fraunhofer-Instituten IAP und IGB ist es gelungen, den Kleber durch Vernetzung der Polymere druckbar zu machen. »Wir haben quasi das Druckmaterial für den 3D-Druck entwickelt«, sagt Meyer. Am Fraunhofer Center for Manufacturing Innovation CMI in Boston, USA, wurde das Material mithilfe eines Bioprinters auf einen dreidimensionalen Titaniumshaft eines Hüftgelenks aufgebracht.

Künftig arbeiten die Forscherinnen und Forscher an Lösungen, wie man den Kleber schaltbar machen kann. »Hat der Chirurg den medizinischen Klebstoff beispielsweise geringfügig falsch platziert, muss er diesen Fehler schnell korrigieren und die klebende Wirkung deaktivieren können«, erklärt der Chemiker.

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Kleider-Check mit Smartphone, KI und Infrarot-Spektroskopie

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 04.10.2023

Fraunhofer-Forschende haben ein ultrakompaktes Nah-Infrarot-Spektrometer entwickelt, das sich für die Analyse und Bestimmung von Textilien eignet. Durch die Kombination von Bildgebung, speziellen KI-Algorithmen (KI, Künstliche Intelligenz) und Spektroskopie lassen sich auch Mischgewebe zuverlässig erkennen. Die Technologie könnte das Recycling von Altkleidern optimieren und die sortenreine Trennung von Altkleidern ermöglichen. Eine extrem miniaturisierte Variante des Systems passt sogar in Smartphones. Dadurch könnten sich für Konsumenten zahlreiche neue Anwendungen im Alltag ergeben – vom Kleider-Check beim Shopping bis zur Prüfung auf Plagiate.

Infrarot-Spektrometer sind leistungsstarke Messinstrumente, wenn es darum geht, organische Materialien zerstörungsfrei zu analysieren. Jetzt hat das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS in Dresden ein Spektralanalyse-System entwickelt, das Textilgewebe analysiert und erkennt. Auch Mischgewebe erkennt das System zuverlässig. Die Anwendungsmöglichkeiten reichen vom Materialcheck beim Kauf über das korrekte Reinigen der Kleidung bis hin zum nachhaltigen und sortenreinen Recycling. Das Spektrometer ist so klein, dass es sich in ein Smartphone integrieren lässt.

Um die nötige Zuverlässigkeit und Präzision bei der Bestimmung von Textilien zu erreichen, setzen die Fraunhofer-Forschenden auf die Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIR). Das System arbeitet mit Wellenlängen zwischen 950 und 1900 Nanometer, also nah am sichtbaren Spektralbereich. Vorteile der Nah-Infrarot-Technik sind die einfache Handhabung und die vielfältigen Einsatzgebiete. »Wir kombinieren NIR-Spektroskopie mit Bildgebung und KI und erreichen so eine höhere Genauigkeit bei der Erkennung und Bewertung von Objekten«, erklärt Dr. Heinrich Grüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Sensorische Mikromodule am Fraunhofer IPMS.

So funktioniert die Textilanalyse

Im ersten Schritt wird ein Bild des Kleidungsstücks mit einem herkömmlichen Kameramodul aufgenommen. Die KI wählt aus den Bildinformationen des Textilgewebes einen prägnanten Punkt, der vom Spektralanalyse-Modul untersucht werden soll. Das vom Stoff reflektierte Licht wird vom Spektrometer-Modul erfasst. Dort dringt es durch einen Eintrittsspalt, wird mit einem Kollimations-Spiegel in parallele Lichtstrahlen gebracht und über einen Scanner-Spiegel auf ein Gitter gelenkt. Je nach Ein- und Austrittswinkel teilt das Gitter die Lichtstrahlen in verschiedene Wellenlängen auf. Das vom Gitter reflektierte Licht wird über den Scanner-Spiegel auf einen Detektor geleitet, der das Licht als elektrisches Signal erfasst. Dann digitalisiert ein A/D-Wandler (Analog-Digital) die Signale, die schließlich im Signalprozessor ausgewertet werden. Das so entstehende spektrometrische Profil des Textilgewebes verrät durch Abgleich mit einer Referenzdatenbank, um welche Fasern es sich handelt. »Das optische Auflösungsvermögen liegt bei 10 Nanometer. Durch die hohe Auflösung kann das NIR-Spektrometer mithilfe von KI auch Mischgewebe wie etwa Kleidungsstücke aus Polyester und Baumwolle bestimmen«, sagt Grüger. Mit einer Fläche von 10 mal 10 und einer Höhe von 6,5 Millimeter ist das System so kompakt, dass man es problemlos in ein handelsübliches Smartphone integrieren könnte.

Recycling von Altkleidern

Eine wichtige Anwendung für das KI-gesteuerte Spektrometer sieht Grüger vor allem im Recycling. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden 2021 bei den privaten Haushalten in Deutschland rund 176 200 Tonnen Textil- und Bekleidungsabfälle gesammelt. Durch die NIR-Spektroskopie könnte das Recycling optimiert und der Altkleiderberg reduziert werden. Altkleiderverwerter hätten dann die Möglichkeit, Kleidung besser und schneller zu sortieren. Textilien, die noch intakt sind, gehen beispielsweise in den Second-Hand-Handel. Beschädigte Textilien werden sortenrein recycelt und die darin enthaltenen Fasern wie Leinen, Seide, Baumwolle oder Lyocell wiederverwendet. Hoffnungslos verschmutzte Textilwaren würden thermisch verwertet oder beispielsweise zu Dämmmatten verarbeitet. Die Spektroskopie-Technik erledigt das Bestimmen und Sortieren der Textilien genauer und deutlich schneller als ein Mensch.

Wird die NIR-Spektroskopie in ein Smartphone integriert, könnten auch Konsumenten von der Technik des Fraunhofer-Instituts profitieren. Beim Kauf von Kleidern zeigt ein schneller Check mit dem Smartphone, ob der teure Seidenschal auch wirklich aus Seide ist und das exklusive Kleid des Modelabels nicht vielleicht doch ein Plagiat, das sich durch eine andere Gewebemischung verrät. Und sollte einmal das Etikett mit den Reinigungshinweisen nicht mehr lesbar sein, hilft das Smartphone via Textilscanner, das Gewebe zu identifizieren und damit den passenden Waschgang einzustellen.

Lebensmittel-Check und Dermatologie

Für die Forschenden aus dem Fraunhofer IPMS sind auch Anwendungen außerhalb des Textilbereichs denkbar. Mit Spektrometer ausgestattete Smartphones können beim Kauf von Lebensmitteln wie Gemüse und Obst Auskunft über die Qualität geben. Außerdem wäre es denkbar, die Technik für die Untersuchung der Haut einzusetzen. Ein schneller Scan mit dem Handy-Spektrometer könnte besonders trockene oder fettige Stellen identifizieren. Selbst Anwendungen in der medizinischen Diagnose etwa bei der Untersuchung von Stellen auf der Haut, bei denen der Verdacht auf ein Melanom besteht, ließen sich realisieren, hier allerdings mit fachärztlicher Unterstützung.

Bei der Entwicklung kommt dem Fraunhofer-Team jahrzehntelange Erfahrung mit dem Bau von NIR-Spektrometern in MEMS-Technik (Micro-Electro-Mechanical Systems) zugute. »Über die Jahre ist es uns gelungen, die großen Spektroskopie-Geräte aus dem Labor mit MEMS-Technologie so zu verkleinern, dass sie auch für den mobilen Einsatz geeignet sind«, sagt Grüger. Er hatte bereits im Jahr 2000 gemeinsam mit dem heutigen Institutsleiter Prof. Harald Schenk das Scanning-Grating-Spektrometer erfunden, das noch heute als Einstieg in die MEMS-Spektroskopie gilt.

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