Presseaussendung der TU Wien vom 29.01.2013
An der TU Wien werden mechanische Hilfsmittel entwickelt, die Personen mit Nervenerkrankungen Kraft und Bewegungsfreiheit zurückgeben.
Exoskelette kennt man aus Superheldenfilmen, in denen sie als panzerartige Spezialanzüge übermenschliche Kräfte verleihen. In Wirklichkeit hat Forschung an Exoskeletten einen ganz anderen Zweck: An der TU Wien werden Exoskelette entwickelt, die Menschen mit degenerativen Nervenerkrankungen oder Querschnittlähmungen einen Teil ihrer Bewegungsfähigkeit zurückgeben. Dazu benötigt man weder Batterie noch Motor: Nur durch Seilzüge und Federn wird der Bewegungsapparat unterstützt.
Mechanische Konstruktion hilft bei Armbewegungen
„Bei gewissen degenerativen Nervenerkrankungen können die Muskeln zwar noch bewusst angesteuert werden, kontrollierte, gezielte Bewegungen sind aber kaum mehr möglich“, erklärt Prof. Margit Gföhler vom Institut für Konstruktionswissenschaften und Technische Logistik der TU Wien. Gemeinsam mit Werner Reichenfelser und Jakob Karner entwickelt sie daher eine mechanische Vorrichtung, die auf die Arme geschnallt werden kann und dann die Bewegung unterstützt.
„Für die Patienten ist es oft einfach nicht möglich, das Gewicht des eigenen Arms zu halten – schon gar nicht, wenn eine zusätzliche Last im Spiel ist, etwa ein Getränkebecher, der zum Mund geführt werden soll“, sagt Margit Gföhler. Das Exoskelett unterstützt die Bewegungen durch ein ausgeklügeltes System von Seilzügen und Federn.
Hilfe im Alltag
„Einerseits kann das mechanische System zusätzliche Kraft aufbringen, wenn eine Bewegung erleichtert werden soll, andererseits kann es durch eine Bremse das Gewicht der Arme kompensieren, damit sie nicht unkontrolliert absacken“, sagt Werner Reichenfelser. Das Exoskelett wurde in zwei Versionen konstruiert: Eine Variante wird an einem Rollstuhl fixiert, eine zweite, leichtere Variante wird ohne Rollstuhl am Körper getragen.
Wichtig war für das Forschungsteam, dass die Konstruktion alltagstauglich ist. Es gibt bereits größere, schwerere Modelle, die in der klinischen Rehabilitation für das Training benutzt werden. Das Gerät, das an der TU Wien entwickelt wird, soll allerdings möglichst ohne fremde Hilfe zu Hause eingesetzt werden. „Das bedeutet auch, dass wir auf komplizierte Kalibrierung und unnötig aufwändige Elektronik verzichten“, sagt Margit Gföhler.
Einsatz im Rehabilitationszentrum
Derzeit ist das Exoskelett im italienischen Rehabilitationszentrum Villa Beretta in Costamasnaga, Italien im Einsatz. Im Rahmen einer klinischen Studie verwenden es dort Patienten mit neurodegenerativen Nervenerkrankungen oder hoher Querschnittlähmung als Unterstützung, um den möglichen Bewegungsraum des Armes zu vergrößern.
Künstliche Aktivierung der Muskulatur durch Neuromuskuläre Elektrostimulation macht das Exoskelett auch für Menschen interessant, die ihre Arme gar nicht mehr bewegen können. Entweder werden Signale von anderen Muskeln verstärkt, oder man sucht über Augenbewegungen aus einem Computermenü die Bewegungsmuster aus, die man ausführen möchte. „Die mechanischen Freiheitsgrade unseres Exoskelettes sind genau jene, die auch elektrisch stimuliert werden können“, sagt Margit Gföhler, „das Exoskelett wurde von vornherein speziell auf Elektrostimulation vorbereitet.“ Auch die Elektrostimulation wird derzeit im Reha-Zentrum Villa Beretta getestet. So können auch Personen, die nur noch über minimale motorischen Restfunktionen verfügen, wichtige Bewegungen des Alltags wieder selbstständig durchführen – etwa alleine einen Becher zum Mund führen und daraus trinken. (Florian Aigner)
Externer Link: www.tuwien.ac.at