Pressemitteilung der Universität Kassel vom 10.02.2014
Mit Hilfe eines Tricks ist es Physikern aus Kassel und Japan gelungen, die Bewegung von Atomen in Bismut quasi zu filmen und zu manipulieren – ein Zwischenschritt zur Entwicklung ultraschneller Schalter auf atomarer Skala.
Seit langem träumen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon, die Bewegung von Atomen in Materialien in Echtzeit mit Hilfe von Licht zu visualisieren und zu kontrollieren. Wäre man in der Lage, gezielt die Atome eines Materials in bestimmte vorprogrammierte Richtungen zu verschieben, so könnte man ultraschnelle Schalter auf atomarer Skala herstellen.
Um die Bewegung der Atome zu kontrollieren, muss man sie jedoch visualisieren können: Erst wenn man versteht, wohin sich Teilchen bei Laser-Bestrahlung bewegen, kann man diese Bewegung zu seinen Zwecken einsetzen. Nur: Keine Kamera kann dies leisten. Atome sind eine Milliarde mal schneller, als die schnellste kommerzielle Kamera der Welt aufzeichnen kann, und so klein, dass eine Auflösung von 100 Billiarden Megapixeln notwendig wäre, um ihre Bewegung beobachten zu können. Prof. Dr. Martin Garcia, Leiter des Fachgebiets Festkörper und Ultrakurzzeitphysik an der Universität Kassel, und Dr. Eeuwe Zijlstra, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet, haben es dennoch geschafft: mit einem Trick.
„Tür zur Lichtmanipulation von Atomen in Festkörpern ist jetzt offen“
Mit Hilfe von extrem kurzen Lichtpulsen nämlich ist es neuerdings möglich, zeitaufgelöst zu beobachten, wie Materialien nach Laseranregung Licht anders reflektieren: Durch die Anregung werden die Atome in schnelle Schwingungen versetzt, die dazu führen, dass das Licht im Laufe der Zeit vom Material anders zurückgeworfen wird. Die Reflektivität des Materials schwingt mit den Atomen mit. Anders ausgedrückt: Wer weiß, wie genau sich die Reflektivität während des Schwingens ändert, kann von den Lichtsignalen darauf zurückschließen, wo sich die Atome zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhalten – und damit auf ihre Bewegung. Die Kasseler Physiker Garcia und Zijlstra haben eine Theorie entwickelt, mit der sich die Bewegung der Atome aus dem Reflexionsvermögen bestimmen lässt. Damit lieferten sie den fehlenden Baustein, um Atom-Bewegungen zweidimensional zu visualisieren und zu kontrollieren. „Wir haben auf diesem Weg feststellen können, wo sich die Atome aufhalten – und zwar alle Atome im Material, nicht weniger als 10 hoch 23“, betont Garcia. „Die Tür zur Lichtmanipulation von Atomen in Festkörpern steht jetzt offen.“
In Zusammenarbeit mit japanischen Kollegen unter der Leitung von Prof. Dr. Kenji Ohmori (Institute for Molecular Science, Okazaki), Prof. Dr. Katzutaka Nakamura (Tokyo Institute of Technology) und Prof. Dr. Masahiro Kitajima (Nara Institute of Science and Technology) ist es Garcia und Zijlstra gelungen, die zweidimensionale Bewegung der Atome im Element Bismut nach ultrakurzer Laserbestrahlung zu visualisieren und zu steuern. Mehr noch: Jetzt, da die Bewegungen berechenbar waren, konnten die japanischen Wissenschaftler die planaren Schwingungen der Bismut-Atome durch gezielte Umformung von Lichtimpulsen beliebig manipulieren und die Bewegung dabei, mit Hilfe der Theorie von Prof. Dr. Garcia und Dr. Zijlstra, visuell darstellen. Garcia verdeutlicht die Dimensionen durch einen Vergleich: „Nehmen wir an, jemand könnte es erreichen, dass alle Einwohner Hessens eine Stunde lang genau dieselbe Bewegung durchführen, zum Beispiel sich im Kreis zu drehen. In etwa das ist uns mit Atomen gelungen – nur, dass die Zahl der Einwohner Hessens verschwindend klein ist im Vergleich zur Anzahl der Atome in einem Material.“
Die Ergebnisse dieser Kasseler-japanischen Arbeit wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
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