Physiker entwickeln Methode, mit der Quantencomputer 72 Mal schneller starten können als bisher

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 23.06.2014

Theoretische Physiker der Universität des Saarlandes haben eine Methode entwickelt, mit der ein Quantencomputer in fünf Minuten eingestellt und stabil ist. Bisher dauerte das im Experiment sechs Stunden. Die Wissenschaftler haben sich dabei mathematischer Modelle aus dem Ingenieurwesen bedient. Für die Quantenphysik bedeuten diese Erkenntnisse eine ganz neue Qualität für Experimente: Blieb bislang nur eine kurze Zeit, um mit einem Quantenprozessor zu experimentieren, bevor die empfindlichen Einstellungen wieder stundenlang nachjustiert werden mussten, können Forscher künftig viel schneller ein Experiment vorbereiten und viel länger experimentieren. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht. In derselben Ausgabe haben Experimentalphysiker der University of California in Santa Barbara einen Aufsatz veröffentlicht, der die Methode der Saarbrücker Physiker erfolgreich im Experiment bestätigt.

Startknopf drücken, Monitor anschalten, Kaffee holen, los geht’s: Übliche Computer sind in Windeseile hochgefahren und betriebsbereit. Bei einem Quantencomputer sieht das ganz anders aus. Um einen Chip mit fünf Quantenbits, dem quantenphysikalischen Äquivalent der Bits in normalen Rechnern, so einzustellen, dass man damit arbeiten und experimentieren kann, musste bisher ein Wissenschaftler stundenlang Dutzende Einstellungen aufs Feinste kalibrieren. Lag er nur wenig daneben, lief der Chip nicht.

Denn das Problem ist, dass Quantencomputer ähnlich wie ein Musikinstrument auf kleinste Unterschiede in der Umgebung reagieren. Ist es beispielsweise nur ein wenig wärmer oder kälter, ist der Luftdruck höher oder niedriger als am Vortag, funktioniert das komplexe Geflecht der Quantenbits nicht mehr, der Quantencomputer ist sozusagen „verstimmt“ und muss neu eingestellt werden. „Bisher haben sich Quantenphysiker also jeden Tag aufs Neue hingesetzt und geschaut, was anders ist als am Vortag. Sie haben jeden Parameter gemessen und den Chip immer wieder mühsam neu kalibriert“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes. Die Fehlerquote beim Messen der Umgebungsbedingungen darf nur sehr gering sein, etwa im Bereich unter 0,1 Prozent. „Das bedeutet, dass nur bei einer von 1000 Messungen ein Fehler passieren darf. Sind nur zwei von 1000 Messungen fehlerhaft, kann die Software das nicht mehr korrigieren und der Quantencomputer läuft fehlerhaft“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch die Empfindlichkeit. Bedenkt man, dass rund 50 verschiedene Parameter in die Kalibrierung mit einfließen, erhält man eine Vorstellung von dem Aufwand, mit dem sie betrieben werden muss.

Gemeinsam mit seinem Doktoranden Daniel Egger hat er überlegt, was man grundsätzlich anders machen kann. „Wir haben uns gefragt, warum man jeden Tag aufs Neue verstehen muss, was anders ist als am Vortag? Also haben wir uns irgendwann gesagt: Das müssen wir gar nicht. Entscheidend ist, dass die Einstellung am Ende funktioniert. Warum sie funktioniert, ist nicht so wichtig.“ Mit diesem pragmatischen Ansatz gingen Wilhelm-Mauch und Egger an die Arbeit. „Wir haben für die Kalibrierung einen Algorithmus aus der Ingenieurmathematik, genauer gesagt, aus dem Bauingenieurwesen, verwendet. Denn auch dort sind Versuche teuer“, sagt Physiker Wilhelm-Mauch.

Mithilfe dieses Kniffs gelang es den Theoretikern, die Fehlerquote beim Kalibrieren auf unter die benötigten 0,1 Prozent zu drücken und gleichzeitig die Geschwindigkeit des Einstellverfahrens von sechs Stunden auf fünf Minuten zu reduzieren. Das haben Experimentalphysiker der University of California in Santa Barbara gezeigt, die die Saarbrücker Methode, welche von den Physikern auf den Namen „Ad-HOC” (Adaptive Hybride Optimale Kontrolle) getauft wurde, erstmals auf Herz und Nieren testeten. Das Experiment ist in derselben Ausgabe der Physical Review Letters veröffentlicht wie der Saarbrücker Aufsatz.

Für weitere Experimente bei der Erforschung von Quantencomputern ist dieser Fortschritt ungemein wichtig. Nun müssen in den Laboren der Physiker nicht mehr jeden Tag stundenlange Vorarbeiten gemacht werden, um eine kurze Zeit lang zu experimentieren. „Denn während der langen Kalibrierungsphase haben sich viele Parameter wie Temperatur, Licht und Luftdruck ja bereits wieder leicht verändert, so dass die Zeitspanne, in der der Chip fehlerfrei läuft und man damit experimentieren kann, immer kürzer wird“, sagt Wilhelm-Mauch, der hinzufügt, dass seine Überlegungen skalierbar seien. Sind bisher also aus rein technischen Gründen Experimente mit einem Chip möglich, auf dem fünf Quantenbits die Rechenoperationen durchführen, sind in Zukunft der Größe des Chips mit dieser Methode kaum Grenzen gesetzt, er ist beliebig vergrößerbar.

Zudem gibt es einen Clou an der Methode, auf den Frank Wilhelm-Mauch mit einer Portion Humor hinweist: „Unsere Methode ist im Gegensatz zu der bisherigen Kalibrierung von Hand vollautomatisch. Der Wissenschaftler drückt also tatsächlich nur einen Knopf wie bei einem herkömmlichen Computer und geht Kaffee holen, bis der Quantencomputer einsatzbereit ist.“ Im Alltag ein nicht zu vernachlässigender Gewinn.

Publikation:
Adaptive Hybrid Optimal Quantum Control for Imprecisely Characterized Systems, 20. Juni, Physical Review Letters, DOI: 10.1103/PhysRevLett.112.240503

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