Die Brücke, die sich dehnen kann

Presseaussendung der TU Wien vom 19.02.2018

Brücken verformen sich, daher baut man normalerweise Dehnfugen ein. An der TU Wien wurde eine Technik entwickelt, die ohne Fugen auskommt und dadurch viel Geld und Aufwand spart.

Wer im Auto mit flottem Tempo über eine Brücke fährt, spürt es sofort: Meist rumpelt man am Anfang und am Ende der Brücke über eine Dehnfuge, die dort eingebaut werden muss, weil sich die Brücke je nach Temperatur ausdehnt und zusammenzieht. Gerade diese Fugen sind teuer und wartungsintensiv. An der TU Wien wurde daher eine Brückenvariante entwickelt, bei der auf diese Dehnfugen verzichtet wird. Die Technik wurde von der ASFINAG beim Bau der Satzengrabenbrücke an der Nordautobahn erstmals eingesetzt. Nun hat die dehnfugenlose Brücke ihren ersten Winter überstanden. Die Messergebnisse zeigen, dass die neue Technik bestens funktioniert.

Drohende Winterschäden

„Kleinere Distanzen überbrückt man gerne mit sogenannten integralen Brücken – das sind monolithische Bauwerke, bei denen es keine getrennten Teile gibt, die sich gegeneinander verschieben könnten“, erklärt Prof. Johann Kollegger vom Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien. Bei längeren Brücken ist das normalerweise nicht möglich, denn der Beton kann sich abhängig von der Temperatur ausdehnen oder zusammenziehen. Bei einer Brücke mit einer Länge von 100 Metern ergeben sich schon einige Zentimeter Längenunterschied zwischen Sommer und Winter, rechnet Kollegger vor – und das ist zu viel. Besonders im Winter, wenn sich der Beton zusammenzieht, können schwere Schäden in der Asphaltfahrbahn entstehen. Im Sommer ist die Gefahr geringer, weil das Material bei höheren Temperaturen formbarer wird.

Mit Dehnfugen lässt sich das Problem beheben: Die Brücke besteht dann aus mehreren Teilen, die sich in einem gewissen Ausmaß frei gegeneinander verschieben können – doch diese Dehnfugen sind ein typischer Schwachpunkt moderner Brückenbauten. Sie brauchen immer wieder Wartung, müssen manchmal ausgetauscht werden, und sind die Ursache für etwa 20 % der Brücken-Instandhaltungskosten. „Da sind allerdings die volkswirtschaftlichen Schäden noch gar nicht mitberücksichtigt, die durch Umleitungen, Staus und Verkehrsbehinderungen anfallen“, fügt Kollegger hinzu.

Wie Perlen auf der Gummischnur

Daher entwickelte man an der TU Wien eine Alternative: Statt die Verformung in einzelnen Fugen am Anfang und am Ende der Brücke aufzunehmen, verteilt man die Verformung auf einen größeren Bereich. 20 bis 30 Betonelemente werden hintereinander aufgereiht und mit Seilen aus einem speziellen Glasfaser-Werkstoff miteinander verbunden. Die Konstruktion ähnelt einer Kette von Perlen, die auf einem Gummiband aufgefädelt sind: Wenn daran gezogen wird, erhöht sich der Abstand zwischen allen Perlen gleichmäßig im selben Ausmaß. Wenn sich die Brücke im Winter verkürzt, entstehen zwischen benachbarten Betonelementen kleine Spalten – allerdings nur im Millimeterbereich, sodass diese keine Gefahr für die Asphaltfahrbahn darstellen.

Der fugenlose Fahrbahnübergang wurde von der TU Wien, mit Unterstützung durch ihre Abteilung „Forschungs- und Transfersupport“ patentiert. Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung war auch Dr. Bernhard Eichwalder, der mehrere Jahre lang im Team von Johann Kollegger forschte und im Jahr 2017 den FSV-Preis für seine Dissertation erhielt.

Wichtig war außerdem, eine passende Asphaltmischung zu entwickeln, mit der man die Betonelemente bedecken kann. Sie muss flexibel genug sein, um die millimeterkleinen Bewegungen mitzumachen, ohne dabei rissig zu werden. Diese Aufgabe übernahm das Team von Prof. Ronald Blab vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien.

Pilotprojekt in Niederösterreich

Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG ASFINAG war von Beginn an am Projekt beteiligt und war somit auch der erste Bauträger, der die neuen Erkenntnisse umsetzen durfte: Als Teil der Nordautobahn A5 zwischen Schrick und Poysbrunn im Norden Niederösterreichs wurde die 112 Meter lange Satzengrabenbrücke errichtet – die nun längste integrale Brücke Österreichs.

Nachdem es sich um ein erstes Pilotprojekt handelte, entschied man sich dafür, ein umfangreiches Monitoringprogramm zu installieren. So können wertvolle Erfahrungen gesammelt werden. Nun, nachdem die kälteste Zeit des Jahres vorüber ist und die Daten ausgewertet wurden, lässt sich eine positive Bilanz ziehen: „Unsere theoretischen Berechnungen zur Aufteilung der Verformungen auf die einzelnen Betonelemente konnten durch die Messungen bestätigt werden“, berichtet Dr. Michael Kleiser, der zuständige Experte für Brückenbau bei der ASFINAG. So steht nun dem Einsatz der neuen Technik für weitere Brückenbauten nichts mehr im Weg. Das Team hofft, dass sich die neue Methode nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Staaten bald durchsetzt. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at