Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 02.03.2023
Was bis vor kurzem noch wie Science-Fiction wirkte, kann schon bald Wirklichkeit werden: virtuelle Welten im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbar“ zu machen. Jürgen Steimle, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes, möchte dies mittels hauchdünner elektronischer Folien erreichen, die wie Abzieh-Tattoos auf den Körper aufgetragen werden können.
Um die Technologie, die er mit seiner Forschungsgruppe im Rahmen des EU-geförderten Projektes „InteractiveSkin“ entwickelt hat, näher zur Marktreife zu bringen, wird Steimle nun erneut durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem so genannten „Proof-of-Concept-Grant“ unterstützt.
Virtual- und Augmented-Reality (VR und AR), oftmals als „Extended Reality (XR)“ zusammengefasst, bewegen sich immer mehr hinaus aus dem Nischen-Markt hin zum Massenprodukt – man denke nur an das Metaverse, Gaming, oder Anwendungen in der Industrie und innovativen Bereichen der Telemedizin. Die meisten Anwendungen der erweiterten Realität haben eines gemeinsam: Sie sprechen nur oder hauptsächlich den Sehsinn an. „Der Tastsinn bleibt in der Regel außen vor, obwohl er ein ganz entscheidender Faktor dabei ist, wie wir unsere Welt wahrnehmen“, erklärt der Informatik-Professor Jürgen Steimle, der die Forschungsgruppe zu Mensch-Computer-Interaktion an der Universität des Saarlandes am Saarland Informatics Campus leitet. Den Tastsinn zentral in virtuelle Welten zu integrieren, würde erheblich dazu beitragen, dass Nutzer diese immersiv erleben, so der Professor.
Bedingt geht das nämlich schon heute: Eine verbreitete Möglichkeit sind in den Händen gehaltene Controller, die durch bewegliche Teile wie Motoren haptische Eindrücke erzeugen, oder auch Handschuhe, in die ebenfalls vibrierende und anderweitig bewegliche Elemente eingebaut sind. Hier bessere Ansätze zu entwickeln, hat sich Professor Jürgen Steimle zur Aufgabe gemacht.
Herausgekommen ist dabei unter anderem das Projekt „Tacttoo“: Der Name ist ein Kofferwort aus „taktil“, also den Tastsinn betreffend, und „Tattoo“ und beschreibt somit prägnant, was in dem Projekt entwickelt wurde: Eine hauchdünne, nur 35 Mikrometer (= tausendstel Millimeter) dicke elektronische Folie, die wie ein Abzieh-Tattoo auf die Haut aufgetragen werden kann und dort nur durch elektrische Reize, ganz ohne bewegliche Teile, den Tastsinn stimulieren kann. Weil die Folie so dünn ist, können Gegenstände noch wie zuvor wahrgenommen und ertastet werden. Das eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten: Wie auch mit anderen Methoden können durch Tacttoo völlig neue haptische Erfahrungen für rein digitale Objekte erzeugt werden (wenngleich auch wesentlich realistischer dank höherer Auflösung), zusätzlich können aber auch reale Objekte um andere Sinneseindrücke erweitert werden.
So könnte die Technik beispielweise beim Produktdesign zum Einsatz kommen: Mit Hilfe von Augmented Reality und eines physischen Prototyps könnte die Haptik verschiedener Materialien ausprobiert werden, bevor es in die Produktion geht. Oder im Falle eines elektrischen Gerätes könnten verschiedene Positionierungen von Knöpfen und anderen physischen Bedienelementen erprobt werden, indem man diese als künstliche haptische Sinneseindrücke simuliert. Auch in der Ausbildung, beispielsweise von Chirurgen, wäre die Technik denkbar. Denn bereits heute werden hier Virtual-Reality-Umgebungen eingesetzt. Diese könnten mithilfe von Steimles Methode um realistisches haptisches Feedback erweitert werden, ohne die nötige Feinmotorik der auszubildenden Mediziner einzuschränken.
In dem nun vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt namens „Feel-XR: Feel-through Haptic Feedback for Augmented and Virtual Reality“ geht es Steimle und seinem Team um den Technologie-Transfer, also exakt darum, neue Anwendungsfälle zu identifizieren und bestehende zu verfeinern: „Durch Marktanalysen, Entwicklung von Anwendungen sowie die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft wollen wir das kommerzielle Potenzial der Technologie explorieren, um Tacttoo in die Praxis zu bringen“, sagt der Professor. Die Europäische Union hat speziell für diesen Zweck die sogenannten „Proof-of-Concept-Grants“ vorgesehen, die nur an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben werden, die bereits eine höher dotierte EU-Förderung erhalten haben und dabei Grundlagentechnologien mit hohem Anwendungspotenzial entwickelt haben. Das Fördervolumen eines solchen Grants beträgt 150.000 Euro über 18 Monate.
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