Spielerisch das Interesse am Programmieren wecken

Pressemeldung der TU Graz vom 31.01.2024

Die TU Graz hat gemeinsam mit dem Sozialdienstleister Jugend am Werk Steiermark einen Workshop und ein Multi-User-Spiel entwickelt, um junge Frauen an das Programmieren heranzuführen. Das Spiel ist jetzt auch frei verfügbar.

Im Rahmen seiner Berufsorientierung für Jugendliche hat der Sozialdienstleister Jugend am Werk Steiermark festgestellt, dass Mädchen und junge Frauen nur wenig Interesse an IT-Berufen haben. Oft wissen sie auch nicht, welche Berufsfelder es gibt und welche Fähigkeiten dafür gebraucht werden. Im von der Sektion für Frauenangelegenheiten und Gleichstellung des Bundeskanzleramts geförderten Projekt FemQuest wurde deswegen gemeinsam mit dem Institute of Interactive Systems and Data Science der TU Graz ein Workshop entwickelt, der mit digitalen und analogen Mitteln einen niederschwelligen Einstieg in das Thema bietet. Laut Befragungen unter den Teilnehmerinnen ist das auch gelungen: Zu den Aspekten Lernen, Design und Engagement gab es größtenteils positive Rückmeldungen, in punkto Komplexität fühlte sich kaum jemand überfordert.

Anstoß für Interesse an IT

„Wir wollen mit FemQuest die Leidenschaft für Informationstechnologie bei Mädchen und jungen Frauen wecken“, erklärt Michael Holly vom Institute of Interactive Systems and Data Science, der das Projekt auf Seite der TU Graz umgesetzt hat. „Wenn die Teilnehmerinnen selbst ein grundlegendes Verständnis von der Semantik einer Programmiersprache erlangen und den Zusammenhang zwischen Input in das Gerät und dem sichtbaren Output auf einem Ausgabemedium erkennen, kann das ein wichtiger Anstoß sein, sich eigenständig mit dem Thema IT zu beschäftigen.“

„Praxisorientierte und innovative Programme wie FemQuest erleichtern jungen Frauen den Einstieg in IT-Berufe“, beschreibt Waltraud Pölzl, Geschäftsbereichsleiterin Ausbildung und Arbeitsmarkt bei Jugend am Werk Steiermark. „Damit bieten wir in der Berufsorientierung theoretisches Wissen und praktische Erfahrungen, und fördern auch wichtige Soft Skills zur Stärkung des Selbstbewusstseins für den Übergang in die Berufswelt.“

Gemeinsam die Grundkenntnisse erspielen

Kernelement des Workshops ist das Multi-User-Spiel FemQuest für Tablets und PC, durch das die Teilnehmerinnen auf spielerischem Weg die Grundzüge des Programmierens kennenlernen. Vor dem Einstieg in das Spiel gibt es einen Theorieteil, bei dem grundlegende Elemente wie Anweisungen oder Schleifen erläutert werden. Im Spiel erstellen sich die Userinnen einen Avatar, mit dem sie in eine Geschichte eintauchen und unterschiedliche Aufgaben lösen müssen. Coding ist dabei nicht nötig, ganz einsteigerfreundlich gilt es Blöcke, die verschiedene Funktionen darstellen, in passender Reihenfolge an passende Positionen zu ziehen, um so eine funktionierende Programmierung zu erstellen. Die Workshop-Leitung ist mit einem Fuchs-Avatar ebenfalls Teil des Spiels und kann Hilfestellungen geben.

Entstanden ist das Spiel gemeinsam mit weiblichen Jugendlichen, die im Zuge der Entwicklung laufend Feedback abgegeben haben. Als Spiele-Engine kam Unity zum Einsatz, die für nichtkommerzielle Zwecke kostenlos verwendet werden kann.

Spiel kostenlos zum Download verfügbar

FemQuest steht nun auf der Website der TU Graz-Forschungsgruppe Gamelab Graz kostenlos zum Download zur Verfügung. Für Android und auf der PC-Plattform Steam soll es ebenfalls kostenlos veröffentlicht werden.

Die Spielgeschichte dreht sich um eine Professorin, die verschiedene Kreaturen erschaffen wollte, wobei aber etwas schiefgegangen ist. Eine dieser Kreaturen, ein boshafter Hase, hat eine Stadt verwüstet. Nun gilt es, den Stadtbewohner*innen beim Wiederaufbau zu helfen, den Hasen zu fangen und ihn mittels eines Gegengifts gutmütig zu machen. Für diese Aufgaben müssen mittels Programmierung etwa Ziegelreihen gelegt oder als Einstieg in die Kryptographie auch einfache Cäsar-Verschlüsselungen gelöst werden, bei denen es notwendig ist, Buchstabenräder um eine bestimmte Buchstabenzahl zu verschieben, um einen Code zu knacken. (Falko Schoklitsch)

Externer Link: www.tugraz.at

Mobilität: Werkzeugkette für komplexe Anwendungen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 01.02.2024

Forschende des KIT und Partner entwickeln automatisierte Werkzeugkette für die zukünftige Mobilität

Ob für selbstfahrende Autos oder autonome Lufttaxis: Die Entwicklung eingebetteter elektronischer Systeme für die Mobilität der Zukunft setzt komplexe Verarbeitungs- und Anwendungsdienste voraus. Um diese Herausforderung besser bewältigen zu können, haben acht europäische Partner in dem vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierten Verbundprojekt XANDAR eine automatisierte Werkzeugkette entwickelt. Neben Echtzeitanforderungen erfüllt diese wichtige Sicherheitsanforderungen. Die automatisierte Werkzeugkette nutzten die Partner zur Entwicklung einer zuverlässigen Sensordatenfusion für den autonomen Straßenverkehr sowie eines Assistenzsystems, das Pilotinnen und Piloten bei der Kollisionsvermeidung unterstützt.

Für die Verkehrs- und Mobilitätswende haben Softwaresysteme einen hohen Stellenwert. Die Anforderungen an solche Systeme werden dabei immer komplexer. „Bei autonomen Fahrzeugen erfolgt die Umfelderkennung durch rechenintensive Algorithmen mit Künstlicher Intelligenz (KI). Zugleich unterstützt eine nahtlose Softwareintegration in großflächige Netzwerke die korrekte Routenumsetzung“, erklärt Professor Jürgen Becker, Leiter des Instituts für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV) des KIT. „In autonomen Fahrzeugen muss außerdem sichergestellt sein, dass unberechtigte Eingriffe von außen nicht zum Abfluss schützenswerter Daten oder zu gefährlichem Fehlverhalten der Systeme führen können.“ Ziel des Projekts war es, den manuellen Entwicklungsaufwand für solche kritischen Anwendungen weiter zu reduzieren, um den Prozess weniger zeitaufwendig, teuer und fehleranfällig zu gestalten.

Modellbasierte Transformation und Systemintegration

Im Projekt XANDAR erarbeiteten die Forschenden Konzepte zum durchgängigen Automatisieren der Entwicklung von kritischen Anwendungen. Dafür griffen sie auf einen neuartigen Ansatz zurück: X-by-Construction (XbC). Hierbei werden angestrebte Systemeigenschaften formal erfasst und durch einen schrittweisen Prozess in eine korrekte, ausführbare Realisierung des Softwaresystems überführt. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich auf eine Vielzahl von Aufgaben wie Sicherheits- und Echtzeitanforderungen anwendbar. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT evaluierten die neu entwickelten Ansätze zum Projektende auf Basis aktueller anwendungsspezifischer Anforderungen.

Erfolgreiche Evaluation im Automobil- und Luftfahrtumfeld

„Die Konzepte haben wir anschließend in eine Werkzeugkette integriert, also in eine systematische Sammlung von Programmen, die zur Erzeugung des Softwaresystems miteinander interagieren“, erläutert Tobias Dörr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ITIV. „Darüber hinaus haben wir Mechanismen entwickelt, die auf der Zielhardware zum Einsatz kommen und das zeitliche Zusammenspiel von Softwareapplikationen steuern.“ Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die BMW Group (BMW) haben die Ansätze auf ihre jeweiligen Systeme für die Luftmobilität sowie für den Straßenverkehr angewandt. Unter Verwendung der XbC-Werkzeugkette entwickelten sie ein Assistenzsystem für Pilotinnen und Piloten im Bereich der Kollisionsvermeidung sowie ein Sensorfusionssystem für autonome Straßenfahrzeuge.

Vorteile durch Senkung von Kosten und Risiko

„Mit XANDAR ist eine neue standardisierungsfähige Werkzeugkette für Entwicklerinnen und Entwickler entstanden, die kritische Softwaresysteme für die zukünftige Mobilität sicher mitgestalten kann. Hieraus ergibt sich auch eine Senkung von Risiko und Kosten im Umfeld moderner paralleler Softwaresysteme in der Mobilität“, so Becker. Neben dem KIT, dem DLR und BMW waren an der Entwicklung der Werkzeugkette die University of Peloponnese, die Queen’s University Belfast, AVN Innovative Technology Solutions, Vector Informatik und Fent Innovative Software Solutions beteiligt. Die Europäische Kommission förderte das Projekt in den vergangenen drei Jahren mit rund fünf Millionen Euro. (ase)

Externer Link: www.kit.edu

Ein Antibiotikum auf Zeitreise

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 30.11.2023

Forschungsteam der Universität Tübingen dreht die Evolution einer bakterientötenden Stoffklasse mithilfe von Computertechnik zurück – Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Medikamente

In der modernen Medizin nehmen Antibiotika eine zentrale Rolle bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen ein. In der Natur werden sie von Bakterien oder Pilzen hergestellt, die sie selbst ebenfalls zur Abwehr anderer Bakterien nutzen. Anhand einer Gruppe der Glykopeptid-Antibiotika, die wie Teicoplanin und Vancomycin in der Medizin eine wertvolle Reserve gegen vielfach resistente Krankheitserreger bilden, hat ein Forschungsteam die Evolution dieser Stoffklasse untersucht und ein hypothetisches Urantibiotikum rekonstruiert. Dr. Demi Iftime und Dr. Martina Adamek führten das interdisziplinäre Projekt unter Leitung von Professorin Evi Stegmann und Professorin Nadine Ziemert vom Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ der Universität Tübingen durch, unterstützt von Professor Max Cryle und Dr. Mathias Hansen von der Monash University in Australien.

Die Forscherinnen und Forscher ermittelten mithilfe bioinformatischer Methoden, wie die chemische Zusammensetzung des Vorläufers heutiger Glykopeptid-Antibiotika ausgesehen haben könnte und wie dieser durch Evolution umgeformt wurde. Daraus gewinnen sie Erkenntnisse, wie heutige Antibiotika für die medizinische Nutzung weiterentwickelt werden könnten. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Ermittlung eines Stammbaums

„Antibiotika sind ursprünglich vor allem die Produkte einer stetigen evolutionären Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Organismen, die jeweils versuchen, ihre Konkurrenten oder Gegner zu vernichten oder zumindest an der Ausbreitung zu hindern“, erklärt Evi Stegmann. In seiner Studie hat das Forschungsteam Teicoplanin und Vancomycin sowie eine Reihe von ähnlich strukturierten Antibiotika als Ausgangsstoffe herangezogen. Die Naturstoffe können jeweils aus bestimmten Bakterienstämmen isoliert werden. Wie der Name Glykopeptid-Antibiotika beschreibt, bestehen sie chemisch gesehen aus Aminosäuren und Zuckern. Sie lassen Bakterien absterben, indem sie deren Zellwandaufbau verhindern. In dieser Weise wirken Teicoplanin und Vancomycin auch gegen zahlreiche Krankheitserreger des Menschen.

In biologischen Verwandtschaftsanalysen werden meist verschiedene Arten in eine Baumstruktur gestellt, in der die Verzweigungen Auskunft über den Verwandtschaftsgrad geben. „Wir haben in ganz ähnlicher Weise die bekannten Glykopeptid-Antibiotika mit ihrer chemischen Struktur, kodiert über die Gencluster, die ihre Baupläne enthalten, in einen solchen Abstammungsbaum gesetzt“, sagt Ziemert. „Über Computeralgorithmen aus der Bioinformatik lässt sich sozusagen am Stamm des Baumes eine mutmaßliche Urform der Antibiotika errechnen.“ Diesen hypothetischen Vorläufer tauften sie Paleomycin. Das Forschungsteam baute die ermittelten Gene zusammen, welche die Biosynthese von Paleomycin bereits kodiert haben dürften, und ließ ein Bakterium den entsprechenden Stoff produzieren – tatsächlich hatte Paleomycin im Test antibiotische Wirkung. „Es war sehr aufregend, ein solch uraltes Molekül zu erschaffen, als würde man einen Dinosaurier oder ein Wollhaarmammut wieder zum Leben erwecken“, berichtet die Forscherin.

Vereinfachung der Struktur

„Als Ergebnis ist für uns zum einen interessant, dass nach den Berechnungen alle Glykopeptid-Antibiotika von einem einzelnen Vorläufer abstammen“, sagt Stegmann. „Zum anderen ergab sich, dass Paleomycin im Kern des Moleküls eine ähnlich komplexe Peptidstruktur aufweist wie Teicoplanin.“ Bei Vancomycin sei diese Kernstruktur demgegenüber vereinfacht. „Wir gehen davon aus, dass sich diese Vereinfachung erst in der jüngeren Evolution ergeben hat. Die Funktionsweise als Antibiotikum blieb jedoch mit dem gleichen Mechanismus erhalten“, sagt Ziemert. „Für die Bakterien, die solche Antibiotika bilden, können diese sehr nützlich sein. Doch handelt es sich um Stoffe mit einer aufwendigen chemischen Struktur, die das Bakterium viel Energie kosten. Eine Vereinfachung bei gleicher Funktion könnte einen evolutionären Vorteil bieten.“

Dem Stammbaum der verschiedenen Glykopeptid-Antibiotika stellten die Forscherinnen und Forscher einen Stammbaum der diese produzierenden Bakterienstämme gegenüber. Ausgehend von Paleomycin vollzogen sie die Veränderungen in der chemischen Struktur der Antibiotika – beziehungsweise die der unterliegenden Gencluster in den Bakterien – minutiös und Schritt für Schritt nach. Dabei stellten sie fest, welche Schlüsselschritte ungefähr gleichzeitig stattfinden müssen, um ein funktionelles Molekül entstehen zu lassen. Einige dieser Schritte konnten von den Wissenschaftlern in Australien im Labor biochemisch nachvollzogen werden. „Aus dieser Zeitreise erhielten wir tiefgehende Einblicke in die Evolution der Stoffwechselwege der Antibiotikaproduktion in den Bakterien und die Optimierungsstrategien der Natur, die zu den modernen Glykopeptid-Antibiotika führten“, sagt Ziemert. „Dadurch haben wir eine Grundlage, um diese wichtige Antibiotikagruppe mit technischen Methoden weiterzuentwickeln.“

Originalpublikation:
Mathias Hansen, Martina Adamek, Dumitrita Iftime, Daniel Petras, Frauke Schuseil, Stephanie Grond, Evi Stegmann, Max Cryle and Nadine Ziemert: Resurrecting Ancestral Antibiotics: Unveiling the Origins of Modern Lipid II Targeting Glycopeptides. Nature Communications

Externer Link: www.uni-tuebingen.de

Vom Labor auf die Straße: Wie die TU Graz Fahrassistenzsysteme sicherer macht

Presseaussendung der TU Graz vom 27.11.2023

Im Christian Doppler Labor unter seiner Leitung hat Franz Wotawa mit Unternehmenspartner AVL Test- und Überwachungsverfahren entwickelt, die gängige Fahrassistenzsysteme sicherer machen.

Intelligenter Geschwindigkeitsassistent, Notbremsassistent, Notfall-Spurhalteassistent, Müdigkeitsassistent, Rückfahrassistent, Warnsystem bei nachlassender Konzentration oder Notbremslicht – ab Juli 2024 werden eine ganze Reihe von Sicherheits- und Fahrassistenzsystemen für alle Neuwagen in der Europäischen Union verpflichtend. Dass diese Systeme auch wie gewünscht funktionieren und wirklich für mehr Sicherheit sorgen, daran forscht seit Oktober 2017 das Christian Doppler Labor für Methoden der Qualitätssicherung von autonomen Cyber-Physikalischen Systemen an der TU Graz zusammen mit Unternehmenspartner AVL List GmbH. Dabei hat das Laborteam unter der Leitung von Franz Wotawa vom Institut für Softwaretechnologie der TU Graz mittels Grundlagenforschung neue Methoden entwickelt, um Fehlerquellen bei Fahrassistenzsystemen vorab auszuschließen und im laufenden Betrieb zu analysieren. AVL konnte darauf aufbauend selbst neue Methoden und Verfahren in das Portfolio im Bereich Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) aufnehmen.

Kleine Abweichungen mit großer Wirkung

Konkret mussten sich Franz Wotawa und sein Team unter anderem der Herausforderung stellen, dass schon geringfügige Abweichungen bei einem bestimmten Verkehrsszenario die Reaktion von Fahrassistenzsystemen deutlich beeinflussen können. Da die Systeme diese Abweichungen nicht erst im laufenden Betrieb erlernen sollen, wurde ein Verfahren zur automatisierten Generierung von Testfällen ausgehend von Ontologien entwickelt. Ontologien sind Beschreibungen der Umgebung, in der sich das Fahrzeug im jeweiligen Testfall befindet. Diese Beschreibungen enthalten etwa Informationen zum vorhandenen Straßennetz, Ampeln, Straßenschildern, anderen Fahrzeugen oder Fußgängern.

Für die Testfallgenerierung hat das Team ein suchbasiertes und ein kombinatorisches Testverfahren angepasst und darauf aufbauend eine algorithmusbasierte Verknüpfung der Ontologien mit einem Eingabe-Modell vorgenommen. So können automatisiert noch besser und umfangreicher Testszenarien abgeleitet und durchgespielt werden – unabhängig vom getesteten Assistenz- oder Sicherheitssystem. Beispielsweise gelang es damit, bei einem Notbremsassistenten während der Tests einige unentdeckte Fehler zu finden, die dann genauer analysiert werden konnten.

Blick auf Realbedingungen

Trotz der ausgeklügelten Testverfahren bleibt der Blick auf den laufenden Betrieb unerlässlich, da es dort immer zu unvorhergesehenen Situationen kommen kann. Hier vergleicht das Team gesammelte Auto-Sensordaten mit dem erwarteten Verhalten der Fahrzeuge und versucht dies mit formalisiertem Wissen über Objektbewegungen zu kombinieren. Der Fokus liegt dabei auf der Objekterkennung, um aus einer Sequenz von Bildern die Objektbewegung mittels logischer Ableitung zu formalisieren. Durch die Nachverfolgung der Objekte über mehrere Bildframes lassen sie sich als potenziell gefährlich oder ungefährlich klassifizieren und die geeigneten Maßnahmen ableiten – etwa ob ein Baum direkt angesteuert wird und ausgewichen werden muss oder die Fahrt doch daran vorbeigeht. Diese Erkenntnisse fließen in weiterer Folge in Updates der Assistenzsysteme ein. Zusätzlich können die Daten aus den Erfahrungen im Realbetrieb auch genutzt werden, um weitere Testfälle zu generieren.

Mit der Frame-für-Frame-Analyse in Kombination mit einem Logikmodell für räumliche Wahrnehmung können auch die Objekterkennung verbessert und so nicht durchgehend erkannte Objektbewegungen abgeleitet werden. Das ist etwa dann nützlich, wenn ein Objekt zwar für einige Frames sichtbar ist, aber aufgrund von Reflexionen oder eines Sensorfehlers für einen Frame nicht erkannt wird. Ein Assistenzsystem könnte dadurch denken, dass in diesem Bereich keine Gefahr mehr vorhanden ist. Dank des Logikmodells leitet die Software aber ab, dass das Objekt nach wie vor da sein muss, weil es nicht einfach so verschwinden kann.

Rascher Wissenstransfer in die Industrie

Für Franz Wotawa sind die bisher erreichten Ergebnisse des noch bis Ende September 2024 laufenden CD-Labors der Beleg dafür, dass die Verbindung von Grundlagenforschung mit konkreten Anwendungen durch den Unternehmenspartner viele Vorteile bietet. „Wir haben einen sehr direkten Austausch mit AVL, jede*r Doktorand*in arbeitet fünf bis zehn Stunden pro Woche auch im Unternehmen. Dadurch kennen wir die Problemstellungen aus der Industrie genau und können ausgehend davon Grundlagenforschung betreiben. Andererseits erfolgt der Wissenstransfer in die Industrie sehr rasch, weil die Mitarbeitenden direkten Zugang zur Infrastruktur von AVL haben. So konnten wir gemeinsam unsere Forschung im Bereich Sicherheit von autonomen cyberphysikalischen Systemen weit voranbringen“, erklärt Franz Wotawa.

Mihai Nica, Global Head ADAS, Automated Driving und Connectivity AVL, fügt hinzu: „In der sich rasant entwickelnden Welt des autonomen Fahrens setzt AVL auf innovative Testmethoden. Die Anwendung von AI-Gamification und ontologiebasierten Tests bietet die Möglichkeit, kritische Szenarien zu generieren und autonomes Fahren unter extremen und komplexen Bedingungen zu prüfen, die in der realen Welt nur schwer nachzubilden sind. Dies ist entscheidend, um die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Technologie zu gewährleisten, und trägt dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken. Dieses Vertrauen ist von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Integration autonomer Fahrzeuge in unsere Verkehrsnetze der Zukunft.“ (Falko Schoklitsch)

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Missbrauchsresistente digitale Überwachung

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 12.10.2023

Sicherheitsprotokolle sollen gesetzlich geforderte Überwachung von digitaler Kommunikation resistenter gegen Missbrauch und Massenüberwachung machen

Die digitale Überwachung von Verdächtigen muss geräuschlos sein, um diese nicht zu alarmieren. Derzeit eingesetzten Systemen fehlt es jedoch an stringenten technischen Mechanismen, um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen sicherzustellen. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Luxemburg haben nun ein Sicherheitsprotokoll entworfen, welches eine beispielsweise richterlich angeordnete Überwachung von Ende-zu-Ende verschlüsselter oder anonymer Kommunikation ermöglicht, aber zugleich massenhafte und unrechtmäßige Überwachung verhindert oder aufdeckt. Erste Ergebnisse stellte das Team in einer Publikation zur Konferenz Asiacrypt 2023 vor.

Die Privatsphäre wird in unserer digitalen Gesellschaft immer wichtiger. Es gibt eine starke Nachfrage nach Anonymität und Vertraulichkeit von Daten, die durch die Europäische Datenschutzverordnung begründet ist. Andererseits machen es Gesetze und Verordnungen wie die Resolution des Europäischen Rates über die rechtmäßige Überwachung des Fernmeldeverkehrs oder die EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung erforderlich, die Anonymität Nutzender aufzuheben oder deren verschlüsselte Kommunikation unter bestimmten, genau definierten Umständen offenzulegen, beispielsweise wenn eine Überwachungsmaßnahme gegen Verdächtige richterlich angeordnet wurde. Viele Anwendungen unterliegen daher Anforderungen oder Vorschriften, die eine Garantie für bedingungslose Anonymität verbieten.

Unerlaubte Massenüberwachung durch die Hintertür

Das Problem bei solchen „digitalen Hintertüren“ ist jedoch, dass sie auch eine unbemerkte Massenüberwachung ermöglichen. Um dies zu verhindern, sind unabhängige, vertrauenswürdige Stellen nötig, die sozusagen die Überwachenden überwachen. Es bedarf außerdem eines Systems, das technisch einen nachträglich nicht veränderbaren Gerichtsbeschluss erzwingt, wenn eine Hintertür genutzt werden soll, um somit die Rechtmäßigkeit der Maßnahme sicherzustellen. Den zurzeit verwendeten Systemen fehlt es hierfür an strikten technischen Mechanismen. „In unserer Forschungsarbeit haben wir Sicherheitsprotokolle entworfen, die beides leisten: Sie ermöglichen die Überwachung von verschlüsselter oder anonymer Kommunikation und bieten zugleich auch die Möglichkeit, unrechtmäßige Überwachungsmaßnahmen zu verhindern oder zumindest aufzudecken“, so Dr. Andy Rupp, Leiter der Forschungsgruppe „Kryptographische Protokolle“ der KASTEL Security Research Labs am KIT. „Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das ehrliche Verhalten von Betreibenden und Strafverfolgungsbehörden deutlich zu erhöhen.“

Kontrollierte Nutzung digitaler Hintertüren

In seiner Arbeit entwickelte das Forschungsteam dazu einen Baustein für eine überprüfbare Überwachung. In diesem Sicherheitsprotokoll werden Nutzende auf mehrere Arten geschützt: Digitale Hintertüren öffnen sich nur kurzfristig und benutzerspezifisch, sie werden zwischen vertrauenswürdigen Parteien geteilt, und der Zugang zur digitalen Hintertür wird nur unter bestimmten Bedingungen gewährt. Außerdem wird das Hinterlassen nicht-veränderbarer Dokumente zur Öffnung der Hintertüren technisch erzwungen. Dies ermöglicht eine spätere Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen durch einen unabhängigen Auditor sowie öffentlich überprüfbare Statistiken zur Nutzung von Hintertüren.

Die Anwendungsmöglichkeiten für diese Auditable Surveillance Systeme reichen von mobilen Kommunikationssystemen wie etwa 5G und Instant-Messaging-Diensten über elektronische Zahlungen bis hin zur datenschutzkonformen Videoüberwachung. „Unsere Arbeit liefert ein erstes Konzept für Auditable Surveillance. Für einen praktischen Einsatz müssen aber noch weitere technische und rechtliche Herausforderungen angegangen werden. Das wird Gegenstand unserer zukünftigen interdisziplinären Forschung sein“, so Rupp. (rl)

Originalpublikation:
V. Fetzer, M. Klooß, J. Müller-Quade, M. Raiber, and A. Rupp. Universally Composable Auditable Surveillance. Accepted at the 30th International Conference on the Theory and Application of Cryptology and Information Security — ASIACRYPT, 2023.

Externer Link: www.kit.edu