Vom Labor auf die Straße: Wie die TU Graz Fahrassistenzsysteme sicherer macht

Presseaussendung der TU Graz vom 27.11.2023

Im Christian Doppler Labor unter seiner Leitung hat Franz Wotawa mit Unternehmenspartner AVL Test- und Überwachungsverfahren entwickelt, die gängige Fahrassistenzsysteme sicherer machen.

Intelligenter Geschwindigkeitsassistent, Notbremsassistent, Notfall-Spurhalteassistent, Müdigkeitsassistent, Rückfahrassistent, Warnsystem bei nachlassender Konzentration oder Notbremslicht – ab Juli 2024 werden eine ganze Reihe von Sicherheits- und Fahrassistenzsystemen für alle Neuwagen in der Europäischen Union verpflichtend. Dass diese Systeme auch wie gewünscht funktionieren und wirklich für mehr Sicherheit sorgen, daran forscht seit Oktober 2017 das Christian Doppler Labor für Methoden der Qualitätssicherung von autonomen Cyber-Physikalischen Systemen an der TU Graz zusammen mit Unternehmenspartner AVL List GmbH. Dabei hat das Laborteam unter der Leitung von Franz Wotawa vom Institut für Softwaretechnologie der TU Graz mittels Grundlagenforschung neue Methoden entwickelt, um Fehlerquellen bei Fahrassistenzsystemen vorab auszuschließen und im laufenden Betrieb zu analysieren. AVL konnte darauf aufbauend selbst neue Methoden und Verfahren in das Portfolio im Bereich Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) aufnehmen.

Kleine Abweichungen mit großer Wirkung

Konkret mussten sich Franz Wotawa und sein Team unter anderem der Herausforderung stellen, dass schon geringfügige Abweichungen bei einem bestimmten Verkehrsszenario die Reaktion von Fahrassistenzsystemen deutlich beeinflussen können. Da die Systeme diese Abweichungen nicht erst im laufenden Betrieb erlernen sollen, wurde ein Verfahren zur automatisierten Generierung von Testfällen ausgehend von Ontologien entwickelt. Ontologien sind Beschreibungen der Umgebung, in der sich das Fahrzeug im jeweiligen Testfall befindet. Diese Beschreibungen enthalten etwa Informationen zum vorhandenen Straßennetz, Ampeln, Straßenschildern, anderen Fahrzeugen oder Fußgängern.

Für die Testfallgenerierung hat das Team ein suchbasiertes und ein kombinatorisches Testverfahren angepasst und darauf aufbauend eine algorithmusbasierte Verknüpfung der Ontologien mit einem Eingabe-Modell vorgenommen. So können automatisiert noch besser und umfangreicher Testszenarien abgeleitet und durchgespielt werden – unabhängig vom getesteten Assistenz- oder Sicherheitssystem. Beispielsweise gelang es damit, bei einem Notbremsassistenten während der Tests einige unentdeckte Fehler zu finden, die dann genauer analysiert werden konnten.

Blick auf Realbedingungen

Trotz der ausgeklügelten Testverfahren bleibt der Blick auf den laufenden Betrieb unerlässlich, da es dort immer zu unvorhergesehenen Situationen kommen kann. Hier vergleicht das Team gesammelte Auto-Sensordaten mit dem erwarteten Verhalten der Fahrzeuge und versucht dies mit formalisiertem Wissen über Objektbewegungen zu kombinieren. Der Fokus liegt dabei auf der Objekterkennung, um aus einer Sequenz von Bildern die Objektbewegung mittels logischer Ableitung zu formalisieren. Durch die Nachverfolgung der Objekte über mehrere Bildframes lassen sie sich als potenziell gefährlich oder ungefährlich klassifizieren und die geeigneten Maßnahmen ableiten – etwa ob ein Baum direkt angesteuert wird und ausgewichen werden muss oder die Fahrt doch daran vorbeigeht. Diese Erkenntnisse fließen in weiterer Folge in Updates der Assistenzsysteme ein. Zusätzlich können die Daten aus den Erfahrungen im Realbetrieb auch genutzt werden, um weitere Testfälle zu generieren.

Mit der Frame-für-Frame-Analyse in Kombination mit einem Logikmodell für räumliche Wahrnehmung können auch die Objekterkennung verbessert und so nicht durchgehend erkannte Objektbewegungen abgeleitet werden. Das ist etwa dann nützlich, wenn ein Objekt zwar für einige Frames sichtbar ist, aber aufgrund von Reflexionen oder eines Sensorfehlers für einen Frame nicht erkannt wird. Ein Assistenzsystem könnte dadurch denken, dass in diesem Bereich keine Gefahr mehr vorhanden ist. Dank des Logikmodells leitet die Software aber ab, dass das Objekt nach wie vor da sein muss, weil es nicht einfach so verschwinden kann.

Rascher Wissenstransfer in die Industrie

Für Franz Wotawa sind die bisher erreichten Ergebnisse des noch bis Ende September 2024 laufenden CD-Labors der Beleg dafür, dass die Verbindung von Grundlagenforschung mit konkreten Anwendungen durch den Unternehmenspartner viele Vorteile bietet. „Wir haben einen sehr direkten Austausch mit AVL, jede*r Doktorand*in arbeitet fünf bis zehn Stunden pro Woche auch im Unternehmen. Dadurch kennen wir die Problemstellungen aus der Industrie genau und können ausgehend davon Grundlagenforschung betreiben. Andererseits erfolgt der Wissenstransfer in die Industrie sehr rasch, weil die Mitarbeitenden direkten Zugang zur Infrastruktur von AVL haben. So konnten wir gemeinsam unsere Forschung im Bereich Sicherheit von autonomen cyberphysikalischen Systemen weit voranbringen“, erklärt Franz Wotawa.

Mihai Nica, Global Head ADAS, Automated Driving und Connectivity AVL, fügt hinzu: „In der sich rasant entwickelnden Welt des autonomen Fahrens setzt AVL auf innovative Testmethoden. Die Anwendung von AI-Gamification und ontologiebasierten Tests bietet die Möglichkeit, kritische Szenarien zu generieren und autonomes Fahren unter extremen und komplexen Bedingungen zu prüfen, die in der realen Welt nur schwer nachzubilden sind. Dies ist entscheidend, um die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Technologie zu gewährleisten, und trägt dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken. Dieses Vertrauen ist von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Integration autonomer Fahrzeuge in unsere Verkehrsnetze der Zukunft.“ (Falko Schoklitsch)

Externer Link: www.tugraz.at

Missbrauchsresistente digitale Überwachung

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 12.10.2023

Sicherheitsprotokolle sollen gesetzlich geforderte Überwachung von digitaler Kommunikation resistenter gegen Missbrauch und Massenüberwachung machen

Die digitale Überwachung von Verdächtigen muss geräuschlos sein, um diese nicht zu alarmieren. Derzeit eingesetzten Systemen fehlt es jedoch an stringenten technischen Mechanismen, um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen sicherzustellen. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Luxemburg haben nun ein Sicherheitsprotokoll entworfen, welches eine beispielsweise richterlich angeordnete Überwachung von Ende-zu-Ende verschlüsselter oder anonymer Kommunikation ermöglicht, aber zugleich massenhafte und unrechtmäßige Überwachung verhindert oder aufdeckt. Erste Ergebnisse stellte das Team in einer Publikation zur Konferenz Asiacrypt 2023 vor.

Die Privatsphäre wird in unserer digitalen Gesellschaft immer wichtiger. Es gibt eine starke Nachfrage nach Anonymität und Vertraulichkeit von Daten, die durch die Europäische Datenschutzverordnung begründet ist. Andererseits machen es Gesetze und Verordnungen wie die Resolution des Europäischen Rates über die rechtmäßige Überwachung des Fernmeldeverkehrs oder die EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung erforderlich, die Anonymität Nutzender aufzuheben oder deren verschlüsselte Kommunikation unter bestimmten, genau definierten Umständen offenzulegen, beispielsweise wenn eine Überwachungsmaßnahme gegen Verdächtige richterlich angeordnet wurde. Viele Anwendungen unterliegen daher Anforderungen oder Vorschriften, die eine Garantie für bedingungslose Anonymität verbieten.

Unerlaubte Massenüberwachung durch die Hintertür

Das Problem bei solchen „digitalen Hintertüren“ ist jedoch, dass sie auch eine unbemerkte Massenüberwachung ermöglichen. Um dies zu verhindern, sind unabhängige, vertrauenswürdige Stellen nötig, die sozusagen die Überwachenden überwachen. Es bedarf außerdem eines Systems, das technisch einen nachträglich nicht veränderbaren Gerichtsbeschluss erzwingt, wenn eine Hintertür genutzt werden soll, um somit die Rechtmäßigkeit der Maßnahme sicherzustellen. Den zurzeit verwendeten Systemen fehlt es hierfür an strikten technischen Mechanismen. „In unserer Forschungsarbeit haben wir Sicherheitsprotokolle entworfen, die beides leisten: Sie ermöglichen die Überwachung von verschlüsselter oder anonymer Kommunikation und bieten zugleich auch die Möglichkeit, unrechtmäßige Überwachungsmaßnahmen zu verhindern oder zumindest aufzudecken“, so Dr. Andy Rupp, Leiter der Forschungsgruppe „Kryptographische Protokolle“ der KASTEL Security Research Labs am KIT. „Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das ehrliche Verhalten von Betreibenden und Strafverfolgungsbehörden deutlich zu erhöhen.“

Kontrollierte Nutzung digitaler Hintertüren

In seiner Arbeit entwickelte das Forschungsteam dazu einen Baustein für eine überprüfbare Überwachung. In diesem Sicherheitsprotokoll werden Nutzende auf mehrere Arten geschützt: Digitale Hintertüren öffnen sich nur kurzfristig und benutzerspezifisch, sie werden zwischen vertrauenswürdigen Parteien geteilt, und der Zugang zur digitalen Hintertür wird nur unter bestimmten Bedingungen gewährt. Außerdem wird das Hinterlassen nicht-veränderbarer Dokumente zur Öffnung der Hintertüren technisch erzwungen. Dies ermöglicht eine spätere Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen durch einen unabhängigen Auditor sowie öffentlich überprüfbare Statistiken zur Nutzung von Hintertüren.

Die Anwendungsmöglichkeiten für diese Auditable Surveillance Systeme reichen von mobilen Kommunikationssystemen wie etwa 5G und Instant-Messaging-Diensten über elektronische Zahlungen bis hin zur datenschutzkonformen Videoüberwachung. „Unsere Arbeit liefert ein erstes Konzept für Auditable Surveillance. Für einen praktischen Einsatz müssen aber noch weitere technische und rechtliche Herausforderungen angegangen werden. Das wird Gegenstand unserer zukünftigen interdisziplinären Forschung sein“, so Rupp. (rl)

Originalpublikation:
V. Fetzer, M. Klooß, J. Müller-Quade, M. Raiber, and A. Rupp. Universally Composable Auditable Surveillance. Accepted at the 30th International Conference on the Theory and Application of Cryptology and Information Security — ASIACRYPT, 2023.

Externer Link: www.kit.edu

Künstliche Intelligenz: Erfolge auf dem Weg zur vollautomatisierten Baustelle

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 22.09.2023

Forschende des KIT haben eine Plattform entwickelt, die mittelständischen Unternehmen hilft, Dokumente zu digitalisieren und zu strukturieren

Künstliche Intelligenz ermöglicht ein digitales und vernetztes Datenmanagement in der Bauwirtschaft. Wie nützlich dies vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen ist, zeigt das vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierte Projekt „SDaC – Smart Design and Construction“. Das auf eine verlustfreie Informationsweitergabe zwischen Organisationen und Softwaresystemen gerichtete Projekt bildet einen wichtigen Forschungsbeitrag zur Mensch-Maschine-Kollaboration. Bei einem Abschlussevent stellten die Forschenden die Ergebnisse vor.

Wie kann Künstliche Intelligenz (KI) Menschen in der Bauwirtschaft unterstützen? Welche Aufgaben können Maschinen lernen? Diesen Fragen widmete sich das vom KIT koordinierte Projekt „SDaC – Smart Design and Construction“. „Wir haben eine Plattform entwickelt, auf der sich unter anderem Dokumente aus Projekten, beispielsweise PDF-Lieferscheine, digitalisieren und strukturieren lassen“, sagt der wissenschaftliche Leiter von SDaC, Professor Shervin Haghsheno vom Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB) des KIT. Außerdem entstanden gemeinsam mit den Projektpartnern neun KI-Demonstratoren, die Organisationen der Bauwirtschaft bei der Bauplanung und -realisierung unterstützen sollen. „Dabei haben wir vor allem Wert auf Transparenz und Erklärbarkeit gelegt“, so Haghsheno weiter. Die Demonstratoren sind auf der Plattform für Interessierte einsehbar und lassen sich testen, um die Mehrwerte von KI für die Bauwirtschaft zu erleben. Das TMB betreibt die aufgebaute Plattform und die entwickelten Demonstratoren über den Projektabschluss hinaus in einem Netzwerk weiter, um den Wissens- und Praxisaustausch zum Thema KI in der Bauwirtschaft zu unterstützen.

„Die Ergebnisse des Projekts bilden einen wichtigen Baustein in unserer Forschung zur Digitalisierung in der Bauwirtschaft, besonders zur Mensch-Maschine-Kollaboration“, sagt Shervin Haghsheno. Bei der Bauwirtschaft handele es sich um ein stark fragmentiertes Ökosystem mit vielen Schnittstellen, erklärt Projektleiterin Svenja Lauble vom TMB. „Daher ist eine verlustfreie Informationsweitergabe zwischen Organisationen und Softwaresystemen häufig nur schwer möglich. Mit SDaC haben wir die Mehrwerte von KI gezeigt, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Gerade diese haben mit vielen Datenformaten zu tun, die häufig nicht digital und strukturiert vorliegen.“

Plattform ermöglicht Digitalisierung von Dokumenten

Zusätzlich haben die Projektbeteiligten in SDaC eine Übersicht von 230 Softwareunternehmen erstellt, die sich mit KI für die Bauwirtschaft befassen. Auf einer Seite können KI-Expertinnen und Experten ihre Leistungen für Bau- oder Bausoftwareunternehmen anbieten. Schulungen und Netzwerkveranstaltungen werden ebenfalls organisiert. Auf der Basis des Demonstrators „Lieferscheine digitalisieren“ haben die Forschenden zudem eine App realisiert, die ab Herbst 2023 in den App-Stores zum Download bereitsteht. Jede Baustelle erhält Lieferscheine im Papierformat, die zur Rechnungsprüfung und Dokumentation manuell aufbereitet werden müssen – die App bietet eine einfache Möglichkeit, sie zu digitalisieren.

Folgeprojekt befasst sich mit intelligenten Sanierungsmaßnahmen

Einzelne in SDaC entstandene Demonstratoren werden im Folgeprojekt „NaiS – Nachhaltige intelligente Sanierungsmaßnahmen“ weiterentwickelt, das ebenfalls vom KIT koordiniert wird. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderte Projekt verknüpft Daten aus verschiedenen Quellen mithilfe von KI-Technologien auf einer digitalen Plattform, um Sanierungsmaßnahmen objektiv zu bewerten und zu optimieren.

Aus dem Projekt SDaC heraus hat sich außerdem das Start-up Valoon in Dortmund gegründet. Sein Ziel ist, Informationen aus bestehenden Kommunikationskanälen wie WhatsApp intelligent aufzubereiten und zu strukturieren.

Mehr als 40 Projektpartner aus Wissenschaft und Wirtschaft waren an SDaC beteiligt. Das Projekt wurde in einem bundesweiten Innovationswettbewerb zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz ausgezeichnet und vom BMWK über 3,5 Jahre mit rund 9 Millionen Euro gefördert. (or)

Externer Link: www.kit.edu

Forscher entwickeln fermionischen Quantenprozessor

Medienmitteilung der Universität Innsbruck vom 23.08.2023

Wissenschaftler aus Österreich und den USA haben einen neuartigen Quantencomputer entwickelt, der fermionische Atome zur Simulation komplexer physikalischer Systeme verwendet. Der Prozessor verwendet neutrale Atome in optischen Pinzetten und ist in der Lage, fermionische Modelle auf effiziente Weise mit fermionischen Gattern zu simulieren. Das Team um Peter Zoller zeigt, wie der neue Quantenprozessor fermionische Modelle aus der Quantenchemie und Teilchenphysik effizient simulieren kann.

Fermionische Atome sind Teilchen, die dem Pauli-Prinzip gehorchen; zwei von ihnen können gleichzeitig nie denselben Quantenzustand einnehmen. Das macht sie ideal für die Simulation von Systemen, in denen fermionische Eigenschaften eine entscheidende Rolle spielen, wie etwa Moleküle, Supraleiter und Quark-Gluon-Plasmen. „In Quantencomputern, die auf Qubits basieren, müssen zusätzliche Ressourcen eingesetzt werden, um diese Eigenschaften zu simulieren, in der Regel in Form von weiteren Qubits oder umfangreicheren Quantenschaltkreisen“, erklärt Daniel Gonzalez Cuadra aus der Forschungsgruppe um Peter Zoller am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und am Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck.

Quanteninformation in Fermionen speichern und verarbeiten

Ein fermionischer Quantenprozessor besteht aus einem fermionischen Register und einer Abfolge von fermionischen Quantengattern. „Das Register besteht aus einer Reihe von fermionischen Zuständen, die entweder leer oder von einem einzelnen Fermion besetzt sein können, und diese beiden Zustände bilden die lokale Einheit der Quanteninformation“, erläutert Daniel Gonzalez Cuadra. „Der Zustand des Systems, das wir simulieren wollen, z. B. ein aus vielen Elektronen bestehendes Molekül, wird im Allgemeinen eine Überlagerung vieler Besetzungsmuster sein, die direkt in dieses Register kodiert werden können.“ Diese Informationen werden dann in einem fermionischen Quantenschaltkreis verarbeitet, der beispielsweise die zeitliche Entwicklung eines Moleküls simulieren soll. Jede solche Operation kann in eine Folge von nur zwei Arten von fermionischen Gattern zerlegt werden, einem Tunnelgatter und einem Wechselwirkungsgatter.

Die Forscher schlagen vor, fermionische Atome in einer Anordnung optischer Pinzetten einzufangen. Das sind hochfokussierte Laserstrahlen, die Atome mit hoher Präzision halten und bewegen können. „Die benötigten fermionischen Quantengatter können auf dieser Plattform einfach implementiert werden: Tunnelgatter durch die Kontrolle des Tunnelns eines Atoms zwischen zwei optischen Pinzetten, Wechselwirkungsgatter, indem die Atome zunächst zu Rydberg-Zuständen angeregt werden, die ein starkes Dipolmoment haben“, sagt Gonzalez Cuadra.

Anwendungen von der Quantenchemie bis zur Teilchenphysik

Ein fermionischer Quantenprozessor ist besonders nützlich, um die Eigenschaften von Systemen zu simulieren, die aus vielen wechselwirkenden Fermionen bestehen, wie z. B. Elektronen in einem Molekül oder in einem Material oder Quarks in einem Proton, und könnte daher in vielen Bereichen Anwendung finden, von der Quantenchemie bis zur Teilchenphysik. Die Forscher zeigen, wie ihr fermionischer Quantenprozessor fermionische Modelle aus der Quantenchemie und der Gittereichtheorie effizient simulieren kann, zwei wichtige Bereiche der Physik, die mit klassischen Computern nur schwer zu lösen sind. „Da die Quanteninformation direkt in Fermionen verarbeitet wird, sind einige Eigenschaften des simulierten Systems auf Hardware-Ebene schon vorhanden, was bei einem Quantencomputer auf Qubit-Basis zusätzliche Ressourcen erfordern würde“, sagt Daniel Gonzalez Cuadra. „Ich bin sehr gespannt auf die Zukunft dieses Gebiets und möchte weiterhin dazu beitragen, indem ich die vielversprechendsten Anwendungen für die fermionische Quantenverarbeitung identifiziere und maßgeschneiderte Algorithmen entwerfe, die in bald verfügbaren Geräten laufen können.“

Die aktuellen Ergebnisse wurden in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. Finanziell unterstützt wurde die Forschung unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Europäischen Union und der Simons Foundation.

Originalpublikation:
Fermionic quantum processing with programmable neutral atom arrays. D. Gonzalez-Cuadra, D. Bluvstein, M. Kalinowski, R. Kaubruegger, N. Maskara, P. Naldesi, T. V. Zache, A. M. Kaufman, M. D. Lukin, H. Pichler, B. Vermersch, Jun Ye, and P. Zoller. PNAS 2023

Externer Link: www.uibk.ac.at

Weltweit erster Chip mit österreichischer Quantenarchitektur im Einsatz

Medieninformation der Universität Innsbruck vom 06.07.2023

Der japanische IT-Konzern NEC hat den ersten Quantenprozessor basierend auf der ParityQC Architektur gebaut. Die Parity-Technologie wurde an der Universität Innsbruck erfunden und wird vom Spin-off ParityQC weiterentwickelt und vermarktet. NEC macht den auf Optimierungsprobleme spezialisierten Quantencomputer nun über die Cloud für die Wissenschaft zugänglich.

In aller Welt arbeiten Wissenschaft und Unternehmen fieberhaft am Bau von Quantencomputern. Diese neuen Rechenmaschinen werden viele Probleme rascher und effizienter lösen als bisherige Technologien. Gerade bei der Suche nach optimalen Lösungen für komplexe Fragestellungen versprechen Quantentechnologie sehr bald schon praxistaugliche Anwendungen. Basis dafür sind Quantum-Annealing-Systeme oder adiabatische Quantencomputer, die nicht wie klassische Computer mit Gatteroperationen arbeiten. Sie nutzen die Quanteneigenschaft vielmehr zur Suche eines optimalen Zustands in einem physikalischen System. In entsprechende Algorithmen verpackt, lassen sich diese Systeme nutzen, um optimale Lösungen für viele Fragestellungen zu finden.

Japanischer Quanten-Chip mit österreichischem Know-how

Nun hat der IT-Konzern NEC einen 8-Bit-Quanten-Annealer gebaut, der auf der Architektur des Innsbrucker Spin-offs ParityQC basiert. Der erste Parity-Quantenchip besteht aus supraleitenden Parametron-Qubits und wird von NEC nun über die Cloud der Wissenschaft zugänglich gemacht. „Das ist eine eindrucksvolle Bestätigung der eigentlichen Vorteile, die der ParityQC-Ansatz bietet: Unempfindlichkeit gegen Rauschen und Skalierbarkeit zu einem vollständig verschalteten Quantencomputer unter Beibehaltung langer Kohärenzzeiten“, zeigt sich Hermann Hauser, Mitbegründer von Amadeus Capital und Acorn Computers, begeistert. „Die Übernahme der ParityQC-Architektur durch NEC, einem der weltweit führenden Supercomputer-Unternehmen, ist ein außergewöhnlicher Erfolg für das vier Jahre alte Spin-off der Universität Innsbruck. Es macht ParityQC zum weltweit ersten Unternehmen für QC-Architekturen mit einer erprobten, funktionierenden Anwendung. Die Vorteile dieses Ansatzes werden dazu führen, dass das ParityQC-Design von vielen anderen Hardware-Herstellern übernommen wird. Eine Reihe von kürzlich erfolgten Ankündigungen von QC-Konsortien in Europa belegen dies bereits“, so Hauser weiter. „NEC war das erste Unternehmen, das in den 90er-Jahren ein supraleitendes Qubit vorstellte. Wir sind sehr stolz darauf, dass ihr Quantenprozessor, der nun erstmals für die externe Nutzung verfügbar sein wird, auf unserer Architektur basiert“, freuen sich Wolfgang Lechner und Magdalena Hauser, Co-Geschäftsführer von ParityQC.

Österreichische Erfolgsgeschichte

ParityQC wurde 2020 in Innsbruck gegründet und vermarktet eine Technologie, die auf einer inzwischen patentierten Idee beruht, die Quantenphysiker Wolfgang Lechner in den 2010-er Jahren gemeinsam mit Peter Zoller und Philipp Hauke an der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entwickelt hat. Die Ausgründung erfolgte über die Transferstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft der Universität Innsbruck. „Es zeigt sich nun immer mehr, dass unsere Ersteinschätzung dieser Technologie im Zuge der Erfindungsmeldung 2015 richtig war und die Basiserfindung das Potential hat, zum Standard in der Quantencomputer-Technologie zu werden. Die Verwertung dieser Forschungsergebnisse über die Gründung eines Spin-offs ermöglicht es, die Technologie in Europa weiterzuentwickeln und somit maximalen Einfluss auf die Entwicklung dieser Branche zu nehmen und dabei gleichzeitig die Wertschöpfung in Europa zu halten. Ein großes Kompliment an die beiden Geschäftsführer dafür, wie vorausschauend und umsichtig sie ihre Entwicklungspartner auswählen“, sagt Transferstellen-Leiterin Sara Matt.

Externer Link: www.uibk.ac.at