Neuer Ansatz gegen Netzhautdegeneration

Presseinformation der LMU München vom 18.07.2012

Die erbliche Augenkrankheit Retinitis pigmentosa führt häufig zur Erblindung, da Sinneszellen der Netzhaut degenerieren. Eine neue Gentherapie verspricht Hoffnung: Bei Mäusen war eine deutliche Besserung langfristig nachweisbar.

In Deutschland leiden etwa 20 000 Menschen unter Retinitis pigmentosa (RP). Die Krankheit beginnt meist im Jugendalter mit Nachtblindheit. Im weiteren Krankheitsverlauf engt sich das Gesichtsfeld immer weiter ein, oft werden die Betroffenen blind. Ursache der RP ist die Degeneration der Fotorezeptoren der Netzhaut: zunächst der Stäbchen, die dem Sehen bei geringer Helligkeit dienen und anschließend der sehr lichtempfindlichen Zapfen, die für die Farbwahrnehmung notwendig sind.

Problemfall Fotorezeptor

Mutationen in über 50 Genen können die Krankheit auslösen. Für bestimmte Formen der Erkrankung existieren bereits Erfolg versprechende Ansätze für Gentherapien. „Es gibt aber bisher keine effiziente Behandlungsmöglichkeit bei direkt betroffenen Fotorezeptoren, was die häufigsten Ursache ist“, sagt der LMU-Pharmakologe Stylianos Michalakis, der nun gemeinsam mit der Biologin Regine Mühlfriedel von der Augenklinik der Universität Tübingen eine Gentherapie bei Mutationen bestimmter Ionenkanäle der Stäbchen entwickelte.

„Die sogenannten CNG-Kationenkanäle in der Plasmamembran der Stäbchen spielen eine entscheidende Rolle für die Wahrnehmung von Licht“ erklärt Mühlfriedel. Aufgebaut sind die Kanäle aus vier Untereinheiten, eine davon ist das große Transmembranprotein CNGB1. Mäuse, bei denen das CNGB1-Gen deaktiviert wurde, zeigen einen ähnlichen Krankheitsverlauf wie menschliche Patienten und werden im Alter von etwa einem Jahr blind.

Therapie mit Langzeiteffekt

Durch den Einsatz sogenannter AAV-Gentransfervektoren gelang es den Wissenschaftlern, ein therapeutisches Gen in die Retina von Mäusen mit defektem CNGB1-Gen einzuschleusen –  und tatsächlich konnte dadurch die Produktion von CNGB1 wieder aktiviert werden und die Stäbchen reagierten wieder auf Lichtreize. „Besonders wichtig ist, dass das Gehirn der therapierten Mäuse die neuen Informationen auch korrekt verarbeitet, was wir mit einem Sehtest nachweisen konnten“, betont Michalakis.

Neben seiner Effizienz zeichnet sich der neue Ansatz auch durch seine lang anhaltende Wirkung aus: Auch ein Jahr nach Therapiebeginn war der positive Effekt im behandelten Teil der Netzhaut noch deutlich nachzuweisen. Die Ergebnisse der Münchener und Tübinger Gemeinschaftsarbeit sind daher ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung und klinischen Anwendung einer Gentherapie degenerativer Netzhauterkrankungen auch beim Menschen. (göd)

Publikation:
Hum. Mol. Gen., 16. Juli 2012

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Matrix modifiziert

Presseinformation der Ruhr-Universität Bochum vom 28.06.2012

Das Schicksal von Stammzellen in die Hand nehmen

RUB-Forscher erzeugen gezielt unreife Nervenzellen

RUB-Biologen haben gezielt Stammzellen aus dem Rückenmark von Mäusen in unreife Nervenzellen umgewandelt. Das gelang, indem sie die Zellumgebung, extrazelluläre Matrix genannt, durch die Substanz Natriumchlorat veränderten. Über Zuckerseitenketten bestimmt die extrazelluläre Matrix, welchen Zelltyp eine Stammzelle annimmt. „Vorläuferzellen pharmakologisch so zu beeinflussen, dass sie sich in einen bestimmten Typ verwandeln, kann zukünftig bei Zellersatztherapien helfen“, so Prof. Dr. Stefan Wiese, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Zellbiologie. „Therapien zum Beispiel für Parkinson, Multiple Sklerose oder Amyotrophe Lateralsklerose könnten dann effizienter werden.“ Das Team beschreibt seine Ergebnisse in der Zeitschrift Neural Development.

Sulfat entscheidet über Stammzellschicksal

Natriumchlorat wirkt in der Zelle auf Enzyme des Stoffwechsels, die Sulfatgruppen an Proteine anhängen. Werden diese Sulfate nicht eingebaut, bildet die Zelle zwar weiterhin Proteine für die extrazelluläre Matrix, allerdings mit veränderten Zuckerseitenketten. Diese Ketten wiederum senden Signale aus, die das Schicksal der Stammzellen definieren. Stammzellen können sich nicht nur zu Nervenzellen entwickeln, sondern auch Astrozyten oder Oligodendrozyten bilden, die zum Beispiel für den Mineralhaushalt der Nervenzellen verantwortlich sind oder deren Isolierschicht bilden. Was mit Stammzellen passiert, wenn durch Natriumchlorat das Sulfatmuster geändert wird, untersuchte ein Forscherteam um Dr. Michael Karus zusammen mit der AG Molekulare Zellbiologie.

Positiver Nebeneffekt: Nervenzellen bleiben unreif

Für die Studie kooperierten die RUB-Labore von Prof. Dr. Stefan Wiese, Prof. Dr. Andreas Faissner und Prof. Dr. Irmgard Dietzel-Meyer. Mit Antikörpern wiesen die Forscherinnen Forscher nach, dass Zellen, die sie mit Natriumchlorat behandelt hatten, sich zu Nervenzellen entwickelten. Sie analysierten außerdem den Fluss von Natriumionen in das Innere der Zellen. Das Ergebnis: Behandelte Zellen wiesen einen geringeren Natriumstrom auf als reife Nervenzellen. Natriumchlorat begünstigt also die Entwicklung von Stamm- zu Nervenzellen, hemmt aber gleichzeitig auch die Reifung – ein positiver Nebeneffekt, wie Wiese erklärt: „Wenn Natriumchlorat die Nervenzellen in einer frühen Entwicklungsphase stoppt, könnte das dafür sorgen, dass sie sich nach einer Transplantation besser ins Nervensystem integrieren, als es reife Nervenzellen tun würden.“ (Julia Weiler)

Titelaufnahme:
M. Karus, S. Samtleben, C. Busse, T. Tsai, I.D. Dietzel, A. Faissner, S. Wiese (2012): Normal sulphation levels regulate spinal cord neural precursor cell proliferation and differentiation, Neural Development, doi:10.1186/1749-8104-7-20

Externer Link: www.ruhr-uni-bochum.de

Molekulare Algebra in Säugetierzelle

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 04.06.2012

ETH-Forscher haben Säugetierzellen so umprogrammiert, dass sie wie ein Taschenrechner logische Rechenoperationen ausführen können. Diese Fähigkeit verdanken die Zellen einem der komplexesten genetischen Netzwerke, das je in eine höhere Zelle eingebaut wurde.

ETH-Forscher haben unter der Leitung von Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel, ein Netzwerk aus verschiedenen Genen gebaut, welches Rechenoperationen durchführen kann und als Resultat der «Berechnungen» vorgegebene Stoffwechselschritte einleitet.

Im Prinzip haben die Wissenschaftler aus biologischen Bestandteilen Schaltelemente entwickelt, die in der Computer- und Elektrotechnik als logische Gatter bekannt sind. Die Grundlage der ausgeführten Rechenoperationen ist die Boolesche Logik, welche beispielsweise mit UND oder XOR-Verknüpfungen funktioniert.

Zelle kann mit binären Zahlen rechnen

Es gelang den Forschenden, diese verschiedenen Gatter miteinander zu kombinieren und zu verschalten. Daraus konnten sie zwei wichtige Schaltnetze aus der digitalen Elektronik zusammenstellen – den Halbaddierer und den Halbsubtraktor. Ein Halbaddierer zählt zwei binäre Zahlen – also Nullen und Einsen – zusammen, ein Halbsubtraktor zieht sie voneinander ab.

Die ETH-Forscher verwenden für die Programmierung des Zelltaschenrechners zwei Inputsignale, die das Gennetzwerk steuern. Zu Testzwecken setzten die Biologen dafür das Antibiotikum Erythromycin und das Apfelmolekül Phloretin ein. So müssen beispielsweise bei einem UND-Gatter beide Inputs – also Phloretin und Erythromycin – vorhanden sein, damit die Zelle am Ausgang eine Eins berechnet. Als Folge dieser Eins löst das Gen-Netzwerk die Bildung eines fluoreszierenden Proteins aus, welches die Zelle zum Leuchten bringt. Fehlt eines der beiden Eingangssignale, leuchtet die Zelle nicht auf.

Neue Komplexitätsstufe erreicht

„Mit der Kombination mehrerer logischer Gatter haben wir eine nie dagewesene Komplexität eines synthetischen Gennetzwerkes in Zellen erreicht“, betont Prof. Martin Fussenegger. Weiter sei bemerkenswert, dass der Bio-Rechner zwei unterschiedliche Input- und Output-Signale parallel verarbeiten könne. Dies unterscheidet den Bio-Computer von digitaler Elektronik, da dieser ausschliesslich mit Elektronen arbeitet. „Eine Zelle kann von Natur aus viele verschiedene Stoffwechselprodukte parallel verarbeiten“, führt Prof. Fussenegger weiter aus. Der biologische Taschenrechner beherrscht bisher nur die binären Grundrechenarten und kann deshalb noch lange nicht mit einem leistungsfähigen PC verglichen werden. „Dennoch ist es genial, dass eine Säugetierzelle so rechnen kann“, sagt Prof. Fussenegger.

Zellrechner könnte Stoffwechsel überwachen

In Hefen und Bakterien haben Wissenschaftler schon diverse Schaltelemente realisiert. Neu ist aber, dass Biotechnologen ein gesamtes System in eine einzige Zelle einbauen konnten, und zwar in einer Säugetierzelle.

Für Prof. Martin Fussenegger ist es denkbar, dass implantierte Zelltaschenrechner in ferner Zukunft den Stoffwechsel von Patienten überwachen und nach Bedarf eingreifen. „Intelligente“ Zellimplantate könnten zum Beispiel bei Diabetespatienten zum Einsatz kommen, indem ein Schaltkreis entwickelt werde, der krankheitsrelevante Stoffwechselprodukte erkennt und die Ausschüttung von therapeutisch wirksamen Stoffen, beispielsweise Insulin, steuert. Von einer solchen Anwendung sind die Forscher jedoch noch weit entfernt.

Publikation:
Ausländer S, Ausländer D, Müller M, Wieland M & Fussenegger M. Programmable single-cell mammalian biocomputers. Nature, Advanced Online Publication, 3rd June 2012. DOI: 10.1038/nature11149

Externer Link: www.ethz.ch

Ein Kompass für Pollenschläuche

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 25.05.2012

Forscher überwinden Barrieren für die Kreuzung von Pflanzenarten

Seit Jahrzehnten ist es ein Traum von Biologen und Pflanzenzüchtern auf der ganzen Welt: Der Genpool an Nutzpflanzen ließe sich wesentlich erweitern und verbessern, wenn die bestehenden Barrieren für die Kreuzung von Pflanzenarten überwunden werden könnten. Davon würde vor allem die Agrarwirtschaft profitieren. Allerdings konnten die molekularen Grundlagen vieler Kreuzungsbarrieren und die Vorgänge bei der doppelten Befruchtung von Blütenpflanzen lange Zeit nicht untersucht werden. Viele Kreuzungsversuche schlugen fehl, weil es nicht gelang, das Wachstum des männlichen Pollenschlauchs (der die Spermazellen transportiert) zum weiblichen Eiapparat anzuregen. Ein Forschungsteam der Universität Regensburg unter der Leitung von Dr. Mihaela-Luiza Márton und Prof. Dr. Thomas Dresselhaus vom Biochemie-Zentrum Regensburg (BZR) schaffte jetzt einen bedeutenden Durchbruch. Die Forscher programmierten den Eiapparat der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) um und versetzten deren Samenanlagen in die Lage, Pollenschläuche der Nutzpflanzen Mais anzulocken. Darauf aufbauend sind künftig Kreuzungen von Pflanzenarten möglich, die bislang nicht miteinander kombinierbar waren.

Damit eine Blütenpflanze befruchtet wird, muss zunächst der Pollen auf die Narbe gelangen, die mit Griffel und Fruchtknoten den weiblichen Blütenanteil – den sogenannten Stempel – bildet. Von der Narbe ist es aber noch ein verhältnismäßig langer Weg bis zu den Eiapparaten der Pflanze, die oft tief eingebettet und geschützt in den Samenanlagen der Blüte liegen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Spermazellen von Blütenzellen – im Gegensatz zu Spermazellen von Tieren – unbeweglich sind. Sie benötigen den Transport über einen Pollenschlauch zum Eiapparat. Der Pollenschlauch mit zwei Spermazellen an der Spitze wächst durch die verschiedenen Gewebe der weiblichen Blüte. Ziel ist das Zentrum des weiblichen Fruchtknotens mit den Samenanlagen. Hier verschmelzen anschließend jeweils zwei weibliche und zwei männliche Keimzellen, wodurch eine doppelte Befruchtung ermöglicht wird. Dabei entstehen ein Embryo und ein Nährgewebe (das Endosperm), das die pflanzlichen Nährstoffe enthält und später bei den wichtigsten Nutzpflanzen – den Gräsern – einen Großteil des Samens ausmacht.

Die doppelte Befruchtung ist das Markenzeichen aller Blütenpflanzen und damit der meisten Nutzpflanzen. Hier spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine wichtige Rolle. So sind beispielsweise für die Keimung und das Wachstum der Pollenschläuche zahlreiche Akteure auf molekularer Ebene verantwortlich, wie genetische Untersuchungen in den letzten Jahren gezeigt haben. Márton und Dresselhaus konnten bereits in einer früheren Arbeit nachweisen, dass das kleine Protein ZmEA1 für den letzten Schritt der Pollenschlauch-Wanderung durch die weiblichen Blütenteile erforderlich ist.

Im Rahmen ihrer neuen Untersuchungen wollten die beiden Biologen prüfen, ob die Eigenschaften des Proteins auch auf andere Pflanzenarten übertragbar sind. Die Regensburger Biologen griffen dafür auf die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) zurück, die unter anderem aufgrund ihrer Größe und relativ kurzen Generationszeit zu den beliebtesten Modellpflanzen gehört. Ihr Lebenszyklus von der Keimung bis zum fertigen Samen liegt bei nur sechs bis acht Wochen, so dass Wissenschaftler in einer überschaubaren Zeit das Ergebnis von Kreuzungsexperimenten untersuchen können. Die Forscher brachten das Protein ZmEA1 in den Eiapparat der Acker-Schmalwand ein und konnten auf diese Weise in vitro das Wachstum und die Wachstumsrichtung von Mais-Pollenschläuchen kontrollieren.

Die Versuche des Forscherteams zeigen erstmals, dass es grundsätzlich möglich ist, sogar Kreuzungsbarrieren unterschiedlichster Pflanzenarten zu überwinden. Zunächst ist angedacht, das Protein auch in die Eiapparate anderer Nutzpflanzen einzubringen, um auf diese Weise neuartige Kreuzungen zu ermöglichen und so den Genpool von Nutzpflanzen zu erweitern. Es gilt darüber hinaus, weitere molekulare Schalter zu identifizieren, um alle Kreuzungsbarrieren auf dem Weg des Pollenschlauches zum Eiapparat zu überwinden.

Die Untersuchungen der Regensburger Biologen sind gestern in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht worden (DOI: 10.1016/j.cub.2012.04.061). (Alexander Schlaak)

Externer Link: www.uni-regensburg.de

Molekularer Turbolader

Pressemitteilung der Universität Bonn vom 17.05.2012

Genetiker der Universität Bonn entschlüsseln eine wichtige Grundlage für die Fortbewegung von Zellen

Lebende Zellen haben keine Beine und Füße, sind aber trotzdem erstaunlich beweglich. So verfolgen zum Beispiel Fresszellen des Immunsystems Erreger und beseitigen die Eindringlinge. Doch auch Krebszellen können mobil werden – quasi als Voraussetzung für die Bildung von Metastasen. Wissenschaftler unter Federführung der Universität Bonn haben einen wichtigen molekularen Mechanismus entschlüsselt, der für die Mobilität von Tumorzellen mitverantwortlich ist. Die Ergebnisse werden nun im Journal „Current Biology“ vorgestellt.

Die Tumorzellen des schwarzen Hautkrebses und viele andere Zellen bewegen sich mithilfe so genannter Lamellipodien fort. „Dabei handelt es sich um sehr flache und breite Zellfortsätze“, berichtet Prof. Dr. Klemens Rottner vom Institut für Genetik der Universität Bonn, Hauptautor der Studie. Als „Motor“ für diese Fortsätze dienen Aktinfilamente, die Bestandteil des so genannten Zellskeletts sind. Im Muskel des Menschen verbinden sich diese fadenförmigen Aktin-Proteine mit Myosinfäden, die Ruderbewegungen ähnlich aneinander vorbeigleiten und Kraft erzeugen. „In Lamellipodien erzeugen die Verbindungen mit Myosin Widerlager für die Vorwärtsbewegung, wohingegen die eigentliche Bewegung durch das Wachstum der Filamente an der Spitze dieser Zellfortsätze entsteht“, erklärt Dr. Jennifer Block, die als Erstautorin im Team von Prof. Rottner an der Studie beteiligt war und nun in der Industrie arbeitet.

Forscher beobachten Aktinfilamente beim Wachsen

Beim Wachstum von Aktinfilamenten fügen sich einzelne Proteinbausteine zu einer langen Kette zusammen. Dieser Prozess ist strikt reguliert und kann heutzutage direkt beobachtet werden. Den Startschuss dazu gibt die sogenannte „Nukleation“, die nachfolgende Verlängerung wird als „Elongation“ bezeichnet. Wie verschiedene Regulatoren diese unterschiedlichen Phasen des Aktinfilamentwachstums molekular steuern, untersuchten die Bonner Wissenschaftler mit Hilfe einer speziellen Form der Fluoreszenzmikroskopie. „In unseren Experimenten konnten wir erstmals dabei zusehen, wie Nukleation und Elongation von Aktinfilamenten molekular gekoppelt sind“, erläutert Prof. Rottner. „Daraus konnten wir zurück schließen, was passieren würde, wenn wir diese Faktoren bei der Zellbewegung inaktivieren würden.“

Wissenschaftler schalteten bestimmte Gene „stumm“

Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass die Ausbildung der Fortsätze, mit denen sich die Zellen fortbewegen, hauptsächlich durch den sogenannten Arp2/3-Proteinkomplex gesteuert wird. „Wir konnten nun aber zeigen, dass auch Formine eine wichtige Rolle in Lamellipodien spielen können, und mit diesem Komplex kooperieren, indem sie die Verlängerung der von ihm erzeugten Aktinfilamente deutlich steigern“, berichtet Prof. Rottner. Als Beweis schalteten die Wissenschaftler das Gen für die Bildung eines bestimmten, in Lamellipodien vorkommenden Formins stumm. „Daraufhin zeigte sich, dass die gebildeten Lamellipodien sich langsamer vorwärts bewegten und die Effizienz der Zellwanderung insgesamt deutlich eingeschränkt war“, ergänzt Dr. Block. Dieses Ergebnis untermauert nun auch die direkte Bedeutung von Forminen bei Zellbewegungsprozessen.

Erkenntnisse sind von medizinischer Relevanz

An der Studie waren neben den Wissenschaftlern der Universität Bonn unter anderem auch Forscher des Instituts für Biophysikalische Chemie der Medizinischen Hochschule Hannover um Prof. Dr. Jan Faix und des Max-Planck-Instituts für Molekulare Physiologie in Dortmund um Dr. Matthias Geyer beteiligt. Bei den Untersuchungen handelt es sich um Grundlagenforschung mit medizinischer Relevanz. „Wenn wir einmal in der Lage sind, die Zellwanderung auf molekularer Ebene vollständig zu verstehen, können wir vielleicht auch die Mobilität von Tumorzellen hemmen und damit die Ausbildung von Metastasen verhindern“, sagt Prof. Rottner. Bis dahin sei es aber noch ein langer Weg. (Johannes Seiler)

Publikation:
FMNL2 Drives Actin-Based Protrusion and Migration Downstream of Cdc42, Journal Current Biology, DOI: 10.1016/j.cub.2012.03.064

Externer Link: www.uni-bonn.de