Nicht EHEC, sondern EAHEC

Presseinformation der Universität Göttingen vom 15.06.2011

Göttinger Mikrobiologen entschlüsseln Genom des Erregers – Erklärung für aggressives Verhalten

(pug) Wissenschaftler der Universität Göttingen haben die genetische Information des Bakteriums Escherichia coli (E. coli O104:H4) entschlüsselt, das die sogenannten EHEC-Erkrankungen verursacht. Zum Einsatz kam dabei die Roche-454-Sequenzierungstechnologie. Die untersuchten Proben stammen von zwei Patienten aus Hamburg. „Die Ergebnisse erlauben wichtige Rückschlüsse darauf, weshalb das besonders in Norddeutschland grassierende Bakterium so aggressiv ist“, so Dr. Rolf Daniel, Leiter des Göttinger Laboratoriums für Genomanalyse.

Die neuen Sequenzdaten deuten darauf hin, dass die Patientenisolate nicht etwa aus einem EHEC-Erreger hervorgegangen sind, sondern vielmehr aus einem Keim, den man als EAEC (Entero-Aggregativer Escherichia coli) bezeichnet. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er sich besonders fest an Epithelien bindet, Zellaggregate bildet und sein normales, krank machendes Programm abspult. Mehr als 96 Prozent des nun untersuchten genetischen Materials aus Hamburg und eines EAEC-Stammes sind identisch. Der EAEC-Keim hat sein krank machendes Potenzial erheblich gesteigert, indem er aus anderen E. coli-Stämmen wie beispielsweise EHEC mit Hilfe von Bakterienviren (Phagen) ein spezielles Gen übernommen und fest in seinem eigenen Chromosom verankert hat. Dieses Gen bildet das sogenannte Shiga-Toxin, welches ursprünglich aus dem Erreger der Bakterienruhr stammt. Es ist ein besonderes Gift, das das hämorrhagisch-urämische Syndrom (HUS) auslösen kann, also Blutzersetzung, sowie dessen Folgeschäden wie beispielsweise Nierenversagen. Diese Kombination verleiht dem neuen Keim seine Gefährlichkeit: Seine Zellen können durch Anheftung und Aggregation einen massiven Infektionsherd im Darm bilden, und diese Zellmasse produziert mit dem Shiga-Toxin ein sehr wirksames Gift. Darüber hinaus schützt ein sogenanntes Resistenzplasmid den Keim vor einem breiten Spektrum von Antibiotika.

Die Göttinger Wissenschaftler schlagen für den neuen Erreger die Bezeichnung EAHEC (Entero-Aggregativer-Hämorrhagischer E. coli) vor.

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Wenn Ribosomen steckenbleiben

Presseinformation der LMU München vom 09.06.2011

Entsorgung defekter RNA sichtbar gemacht

Die genetische Information aus dem Zellkern wird von sogenannten mRNAs – dem Erbmolekül DNA eng verwandte Botenmoleküle – in das Zellinnere übermittelt, wo anhand dieser Vorlage Proteine synthetisiert werden. Damit dabei keine Fehler auftreten, besitzt die Zelle ein eigenes Qualitätsmanagement, das defekte mRNAs erkennt und entsorgt. Ein Team um Professor Roland Beckmann vom Genzentrum und Department für Biochemie der LMU München und dem Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CiPSM) konnte nun zum ersten Mal einen durch fehlerhafte mRNA blockierten Proteinkomplex strukturell analysieren. Dabei gelang es den Wissenschaftlern, visuell darzustellen, wie der Komplex durch bestimmte Proteinfaktoren erkannt und destabilisiert wird, sodass defekte mRNA entsorgt werden kann.

Das zellinterne Qualitätsmanagement ist wichtig, um die Akkumulation fehlerhafter Proteine zu vermeiden und auch, um die zellulären Proteinfabriken – die Ribosomen – von solchen Problem-RNAs abzulösen, sodass wieder funktionale Proteine produziert werden können. In Zellen höherer Organismen gibt es drei Hauptwege,  mit denen fehlerhafte mRNA erkannt und abgebaut werden kann: Die sogenannten Nonstop-Decay (ND) beziehungsweise Nonsense-Mediated-Decay (NMD) Abbauwege erkennen vor allem mRNA, denen bestimmte Sequenzen fehlen oder deren Verarbeitung vorzeitig stoppt. Der sogenannte No-Go-Abbauweg (Nogo-Decay) dagegen richtet sich gegen mRNA, die im Ribosom stecken bleibt und so die Produktion weiterer Proteine blockiert. Der verstopfte Komplex wird von den Faktoren Dom34 und Hbs1 erkannt und letztlich dem Abbau zugeführt – wie die Erkennung vor sich geht und welche strukturellen Eigenschaften nötig sind, damit die fehlerhafte mRNA abgebaut werden kann, war bisher nicht bekannt.

Die Wissenschaftler um Beckmann untersuchten den No-Go-Abbauweg mittels Kryo-Elektronenmikroskopie und konnten mithilfe dieser Methode erstmals einen blockierten ribosomalen Komplex dreidimensional darstellen. „Wir haben mit einer Verstopfungs-mRNA steckengebliebene Ribosomen erzeugt und diese anschließend dreidimensional visualisiert. So konnten wir untersuchen, wie die Faktoren Dom34/Hbs1 den Komplex erkennen und an das Ribosom binden“, sagt Beckmann. Im Ergebnis fanden die Wissenschaftler, dass Dom34/Hbs1 den Komplex destabilisiert, sodass entweder der gesamte Komplex zerlegt oder nur die mRNA gelöst und abgebaut werden kann. Auf Grundlage ihrer Analysen entwickelten die Forscher ein Modell, nachdem die Bindung von Dom34/Hbs1 an den ribosomalen Komplex energetisch vorteilhaft ist, wenn das Ribosom blockiert ist. Die Art des mRNA-Fehlers scheint dabei keine Rolle zu spielen, sodass der Dom34/Hbs1-Komplex gemeinsam mit weiteren Faktoren möglicherweise auch über den No-Go-Abbauweg hinaus allgemein als Rettungssystem für blockierte Ribosomen dient. (göd)

Publikation:
Structure of the no-go mRNA decay complex Dom34-Hbs1 bound to a stalled 80S ribosome.
T. Becker, J.-P. Armache, A. Jarasch, A.M. Anger, E. Villa, H. Sieber, B. Abdel Motaal, T. Mielke, O. Berninghausen & R. Beckmann.
Nature Structural & Molecular Biology Vol.18, pp 715-720 (2011)
doi:10.1038/nsmb.2057

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Forscher lüften das Geheimnis um extrem widerstandsfähige Krebszellen

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 01.06.2011

Publikation in „BMC Cancer“

Das Chondrosarkom ist ein besonders schwierig zu behandelnder Knochentumor, der zudem eine verhältnismäßig hohe Widerstandskraft hat. So ist dieser Tumortyp offensichtlich resistent gegenüber Behandlungsmethoden wie der Chemotherapie oder der Bestrahlungstherapie. Einer der Hauptgründe für die Überlebensfähigkeit des Tumors scheint dabei das Protein Survivin zu sein, das im Wesentlichen nur von Krebszellen produziert wird und den programmierten Zelltod (die Apoptose) hemmt. Es wird deshalb auch „Überlebens-Protein“ genannt. Das Protein Survivin ist vor diesem Hintergrund ein wichtiger Ansatzpunkt für moderne Krebstherapien. Allerdings ist die Funktion des Proteins im Zusammenhang mit der Entwicklung des Chondrosarkoms nur unzureichend untersucht.

Ein Team von Forschern um Dr. Philipp Lechler von der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und orthopädische Chirurgie für die Universität Regensburg in Bad Abbach haben die Rolle von Survivin bei Erkrankungen mit dem Chondrosarkom nun eingehend untersucht. Die Analysen der Wissenschaftler fanden dabei „in vitro“ statt, also in einer kontrollierten künstlichen Umgebung außerhalb eines lebenden Organismus. Dafür wurden Chondrosarkom-Zellen von insgesamt zwölf Patienten entnommen und mit den neusten Methoden der Histologie untersucht: unter anderem wurde die Prozesse des Zellwachstums, des Zelltods und der Genexpression – also die Produktion von RNA und Proteine aus den genetischen Informationen in der Zelle – eingehend analysiert.

Das Forscherteam konnte nachweisen, dass auch in Chondrosarkom-Zellen eine Vielzahl von Survivin-Proteinen über Genexpression produziert wird. Dies weist auf die zentrale Bedeutung des Proteins bei der Resistenz des Chondrosarkoms gegenüber der Chemotherapie hin. Allerdings gelang es den Forschern auch, über die gezielte Beeinflussung der RNA-Interferenz – einem natürlichen Mechanismus in biologischen Zellen, der der Abschaltung oder Stilllegung von Genen dient – die Apoptose von Chondrosarkom-Zellen in vitro zu fördern. Damit bieten sich weitere Möglichkeiten, um das Chondrosarkom zukünftig auch dann zu behandeln, wenn es schon gefährliche Metastasen gebildet hat.

Die Ergebnisse der Forscher sind vor kurzem in der international bekannten Fachzeitschrift „BMC Cancer“ veröffentlicht worden (DOI: 10.1186/1471-2407-11-120). (Alexander Schlaak)

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Ein molekularer Wegweiser

Presseinformation der LMU München vom 18.05.2011

Proteinkomplex übernimmt Doppelrolle bei Gen-Expression

Die Umsetzung der in der Erbsubstanz DNA festgelegten genetischen Information ist ein hoch komplexer Prozess, der in eukaryotischen Zellen zeitlich und räumlich getrennt abläuft: Im Zellkern wird die DNA abgelesen und in das Botenmolekül mRNA übersetzt – dieser Vorgang wird als Transkription bezeichnet. Anschließend verlässt die mRNA den Zellkern in Richtung Cytoplasma, wo die entsprechenden Proteine produziert werden. Eine entscheidende Rolle bei diesen Vorgängen spielt der TREX-Komplex, der die Transkription mit dem mRNA-Export ins Cytoplasma koppelt. Bisher war allerdings völlig unklar, wie TREX an die DNA-Sequenzen dirigiert wird, die gerade abgelesen werden. Ein Team um die LMU-Biologin Dr. Katja Sträßer vom Genzentrum der LMU konnte nun den ersten Faktor identifizieren, der hierfür notwendig ist: Der Proteinkomplex Prp19, der bisher nur für seine essenzielle Rolle beim „Zurechtschneiden“ der mRNA bekannt war, hat offensichtlich eine Doppelfunktion und ist auch für die Rekrutierung von TREX zuständig. (Genes & Development, Mai 2011)

Die fadenförmige DNA im Zellkern enthält die Bauanleitung für die Funktionsträger der Zelle: die Proteine. Diese genetische Information wird in der sogenannten Transkription in das Botenmolekül mRNA übersetzt. Die mRNA überbringt die Information aus dem Zellkern ins Zytoplasma, wo das entsprechende Protein produziert wird. Die einzelnen Schritte dieser sogenannten Genexpression sind jeder für sich bereits gut untersucht. „Aber die verschiedenen Schritte dieses Prozesses laufen nicht separat ab, sondern sie sind miteinander verbunden“, erklärt Sträßer. Eine wichtige Rolle spielt dabei der sogenannte TREX-Komplex, der die Transkription mit dem Export der synthetisierten mRNA koppelt und so die Genexpression effizienter macht. Dies gelingt TREX, indem der Komplex sowohl mit der Transkriptionsmaschinerie interagiert, als auch bestimmte Exportmoleküle rekrutiert, die die mRNA ins Cytoplasma schleusen. Die Funktionsweise von TREX ist ein Schwerpunkt von Sträßers Forschung, die bereits an der Entdeckung dieses Komplexes beteiligt war. TREX kommt vom Einzeller bis zum Menschen in allen Organismen vor – dieser hohe Konservierungsgrad unterstreicht die Wichtigkeit des Komplexes, der sich im Lauf der Evolution kaum verändert hat. „Bisher war aber völlig unbekannt, wie der TREX-Komplex an das abzulesende Gen rekrutiert wird“, erklärt Sträßer. Nun konnte die Biologin mit ihrem Team den ersten Faktor identifizieren, der diese Aufgabe erfüllt: Zur Überraschung der Wissenschaftler übernimmt der Proteinkomplex Prp19, der bisher lediglich für seine Rolle beim Spleißen der neu produzierten RNA bekannt war, auch diese zweite Funktion. Beim Spleißen werden die Abschnitte der neu entstandenen RNA entfernt, die für die Produktion des jeweiligen Proteins nicht benötigt werden. In seiner neu entdeckten Funktion als molekularer Wegweiser für TREX interagiert Prp19 sowohl mit TREX als auch mit dem Enzym RNA-Polymerase II, das die Synthese der RNA katalysiert. Prp19 ist dabei essenziell notwendig, damit TREX sich an die abgelesenen Gene anheften und die volle Transkriptionsaktivität erreicht werden kann. Nun will die Wissenschaftlerin weiter untersuchen, welche Mechanismen bei der Interaktion von TREX und Prp19 genau ablaufen, „denn nach wie vor gibt es dabei viele offene Fragen“, sagt Sträßer. (göd)

Publikation:
„The Prp19 complex is a novel transcription elongation factor required for TREX occupancy at transcribed genes“;
S. Chanarat, M. Seizl, K. Sträßer;
Genes & Development
16. Mai 2011
doi: 10.1101/gad.623411

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Vom Stallstaub zu Nasentropfen

Presseinformation der Ruhr-Universität Bochum vom 04.05.2011

Kapitalgeber fördern Medikamentenentwicklung

Protectimmun: Erfolgreiche Vermarktung von RUB-Forschungsergebnissen

Die Vermarktung Bochumer Forschungsergebnisse zu einem wirksamen Medikament für die Allergievorbeugung bei Kindern kommt voran: Die Protectimmun GmbH, eine Ausgründung aus der Ruhr-Universität Bochum, erhält insgesamt 1,3 Millionen Euro von Investoren. Der Hightech-Gründerfonds (HTGF), der von EnjoyVenture gemanagte ELS-Fonds und die KfW-Bankengruppe unterstützen das junge Unternehmen bei der Entwicklung von Nasentropfen zur gezielten Prävention von Heuschnupfen und allergischem Asthma. Grundlage sind wissenschaftliche Ergebnisse der RUB und des Forschungszentrums Borstel. Die Forscher identifizierten erfolgreich den Stoff im Stallstaub, der Landkinder vor Allergien schützt.

Präklinische Studien zügig umsetzen

„Wir freuen uns sehr, diese erfahrenen Investoren in unser Unternehmen einbinden zu können“, so Dr. Marion Kauth, Geschäftsführerin und Mitgründerin von Protectimmun. „Die finanziellen Mittel unterstützen uns bei der zügigen Umsetzung der notwendigen präklinischen Studien.“ Protectimmun entwickelt ein Medikament, das Kinder vor der Entstehung von Heuschnupfen und allergischem Asthma lang anhaltend bewahren soll. Es basiert auf natürlichen Substanzen und Bakterien aus dem bäuerlichen Milieu – unter anderem auf Arabinogalaktan. Das ist ein pflanzliches Zuckermolekül, das das Immunsystem an überschießenden Abwehrreaktionen hindert, wenn es im ersten Lebensjahr in hoher Konzentration eingeatmet wird. Das Molekül kommt in großen Mengen in Futterpflanzen wie dem Wiesenfuchsschwanz (Alopecurus pratensis) vor. Der „Proof-of-Concept“ im Tiermodell für die angestrebte Allergieprophylaxe liegt bereits vor. Nach Abschluss weiterer toxikologischer Studien kann voraussichtlich 2013 der Eintritt in die klinische Phase erfolgen.

Protectimmun: Aus der Forschung entstanden

Das biopharmazeutische Unternehmen Protectimmun ist aus einer Forschungskooperation der Ruhr-Universität Bochum, Abteilung für Experimentelle Pneumologie (Prof. Dr. Albrecht Bufe) und dem Forschungszentrum Borstel in Schleswig-Holstein, Strukturbiochemie (Prof. Dr. Otto Holst) entstanden. Die wegweisenden Forschungsergebnisse der beteiligten Wissenschaftler bilden die Grundlage der Produktentwicklung. Zudem nutzt die Firma die Laborräume der Experimentellen Pneumologie im Universitätsklinikum Bergmannsheil für die weitere Forschung. Protectimmun wurde 2007 gegründet und setzte sich 2008 erfolgreich im Businessplanwettbewerb „ruhr@venture“ des Gründercampus Ruhr durch. (Jens Wylkop)

Externer Link: www.ruhr-uni-bochum.de