Doppelangriff auf Diabetes

Pressemitteilung der TU München vom 12.11.2012

Neue Hormonkombination bessert Metabolisches Syndrom

Wissenschaftlern der Technischen Universität München und des Helmholtz Zentrums ist es gemeinsam mit amerikanischen Kooperationspartnern möglicherweise gelungen, eine der großen Herausforderungen bei der gewebsspezifischen Anwendung von Medikamenten zu meistern. Durch Kopplung mit dem Darmhormon GLP-1 gelang es, Östrogen spezifisch nur zu bestimmten Zelltypen zu dirigieren, wo es einen Rückgang der Symptome des Metabolischen Syndroms bewirkt. Die Studie erscheint im renommierten Fachjournal Nature Medicine.

Wird Östrogen chemisch mit dem Magen-Darmhormon GLP-1 gekoppelt, gelangt das Hormon nur in Zielzellen von GLP-1, nicht aber in Östrogen-sensitive Organe wie die Gebärmutter. Das zeigt das Team um Professor Matthias Tschöp, Lehrstuhl-Inhaber an der Technischen Universität München, Institutsdirektor am Helmholtz Zentrum München und Träger einer Humboldt-Professur, in Kooperation mit Kollegen um Professor Richard DiMarchi von der Indiana University.

Mit einem neuartigen Konjugat zwischen Peptid (Aminosäurenkette) und Steroid konnten die Wissenschaftler im Tiermodell zeigen, dass Östrogen die Wirkung von GLP-1 bei der Blutzuckersenkung und beim Körperfettabbau maximieren kann, erstmalig jedoch ohne die Nebenwirkungen von Östrogen auf die Gebärmutter oder das Tumorrisiko. Auf der Basis von GLP-1 gibt es bereits einige zugelassene Medikamente gegen Diabetes.

„Möglicherweise haben wir mit dieser Studie ein vollkommen neues Behandlungskonzept entwickelt, das sich in Analogie auch auf eine ganze Reihe weiterer Erkrankungen übertragen lässt, die ebenfalls von Steroidhormonen beeinflusst werden. Das werden wir in Folgestudien ebenfalls untersuchen“, so Studienleiter Matthias Tschöp.

„Unser Konjugat zeigt sowohl bei der Behandlung von Adipositas wie auch von Diabetes im Tiermodell eine deutlich bessere Wirkung als GLP-1 allein“, sagt Brian Finan vom Helmholtz Zentrum München, der Erstautor der Studie. „Der Trick ist, über den Darmhormon-Träger Östrogen nur an ganz bestimmte Zellen auszuliefern.“

Die Adipositas und Diabetes Epidemie schreitet ungehemmt in Deutschland und weltweit voran. Durchbrüche zu neuen Therapiekonzepten mit stärkeren Effekten aber ohne Nebenwirkungen werden dringend benötigt.

Original-Publikation:
Finan B. et al. (2012) Targeted estrogen delivery reverses the metabolic syndrome. Nature Medicine, advances online publication, 11. November 2012.

Externer Link: www.tu-muenchen.de

Basler Chemiker schaffen erstes künstliches Metalloenzym

Medienmitteilung der Universität Basel vom 26.10.2012

Chemiker der Universität Basel haben durch die Kombination von chemisch und genetisch modifizierten Bausteinen ein künstliches Enzym geschaffen, das eine synthetisch wertvolle chemische Reaktion in guten Ausbeuten und mit hoher Selektivität katalysiert. Dank dieser Eigenschaft kann das Enzym als Katalysator bei der Synthese wichtiger Strukturelemente verwendet werden, wie die Forscher im Fachjournal «Science» berichten.

An einer katalytischen Reaktion ist neben den Reaktanden ein weiterer Stoff, der Katalysator, beteiligt, der die Reaktion beschleunigt und nach deren Ablauf unverbraucht daraus hervorgeht. In lebenden Zellen kommt diese Aufgabe Enzymen zu – von der Natur geschaffene, komplexe Katalysatoren – welche die biochemischen Prozesse in Lebewesen ermöglichen. Dem Chemiker Prof. Thomas Ward und seinem Team von der Universität Basel ist es nun erstmals gelungen, ein künstliches Metalloenzym zu synthetisieren.

Metalloenzyme – Hybride aus Proteinen und Metallkomplexen

Dank genetischer Verfahren können heute Enzyme so modifiziert werden, dass sie sich als nützliche Werkzeuge in der chemischen Synthese etabliert haben. Dennoch bleibt der Aufbau eines künstlichen Enzyms auf der Basis eines katalytisch nicht aktiven Gerüsts eine grosse Herausforderung für Chemiker, da nach wie vor nicht verstanden ist, wie die dreidimensionale Struktur eines Proteins seine katalytische Funktion beeinflusst.

Die Chemiker um Thomas Ward generierten ein künstliches Metalloenzym, ein Hybrid aus Protein und Metallkomplex. Dazu bauten sie ein künstliches, katalytisch aktives Metallfragment in ein Proteingerüst ein, das eine geeignete dreidimensionale Struktur aufweist. Als Wirtsprotein diente den Forschenden der Streptavidin-Biotin-Komplex, als Metallfragment ein an Biotin gebundener Rhodiumkomplex. Das künstliche Metalloenzym katalysierte zwar die beabsichtigte Reaktion, jedoch nur in geringer Ausbeute. Durch den Austausch zweier Aminosäuren im Streptavidinteil gelang es den Chemikern, die ursprüngliche Reaktion mit hoher Ausbeute auf das nahezu 100-Fache zu beschleunigen. Zudem erfolgte die Umsetzung – anders als die rein chemisch katalysierte Reaktion – mit hoher Selektivität bezüglich der theoretisch möglichen Produkte.

Künstliche Enzyme mit Anwenderpotential

Enzyme sind den von Chemikern synthetisierten metallorganischen Katalysatoren in mancher Hinsicht überlegen, da sie spezifischer und präziser arbeiten. Die Entwicklung künstlicher Enzyme hat daher grosses Potenzial für Anwendungen in der chemischen Synthese und der synthetischen Biologie. Chemisch betrachtet handelt es sich bei Enzymen um Proteine, Makromoleküle, die aus vielen Aminosäuren bestehen und oft ein Metallion im aktiven Zentrum haben. Bei Katalysatoren, die in der synthetischen Chemie eingesetzt werden, handelt es sich hingegen meist um weniger komplexe chemische Verbindungen. Durch die Kombination von chemisch und genetisch modifizierten Bausteinen konnten die Basler Wissenschaftler ein Enzym generieren, das so in der Natur nicht vorkommt und ein Reaktionsvermögen zeigt, das mit den Einzelkomponenten alleine nicht erzielt werden kann.

Originalbeitrag:
Todd K. Hyster, Livia Knörr, Thomas R. Ward, Tomislav Rovis
Biotinylated Rh(III) Complexes in Engineered Streptavidin for Accelerated Asymmetric C-H Activation
Science (2012), published online 26 October 2012 | doi: 10.1126/science.1226132

Externer Link: www.unibas.ch

Traditioneller Naturstoff hemmt Metastasen

Presseinformation der LMU München vom 12.10.2012

Bei Arthrose und anderen Leiden ist die Gelbwurzel seit Jahrtausenden als Heilmittel bekannt. Sie enthält einen Wirkstoff, der Entzündungen hemmt und auch der Bildung von Metastasen vorbeugen kann, wie neue Ergebnisse nun zeigen.

Prostatakarzinom ist eine der häufigsten Krebsarten in der westlichen Welt, die oft aber erst diagnostiziert wird, wenn sich schon weitere Tumoren in anderen Organen gebildet haben. Drei Prozent der Patienten sterben an diesen Metastasen. Ein Forscherteam um die LMU-Privatdozentin Dr. Beatrice Bachmeier hat einen Wirkstoff untersucht, der die Bildung von Tochtergeschwulsten hemmt. Er stammt aus der Gelbwurzel, die seit Jahrtausenden als Heilmittel bekannt ist – und in Currys verwendet wird.

Bachmeiers Team fokussierte sich auf den aus der Gelbwurzel gewonnenen Pflanzenstoff Curcumin. Dieses natürliche Polyphenol ist sehr gut verträglich und wäre potenziell geeignet für den Einsatz sowohl zur primären Tumorprävention, also bevor ein Tumor entsteht, als auch zur sekundären Tumorprävention in einem bereits fortgeschrittenem Tumorstadium: Bachmeier gelang in einer vorangegangenen Arbeit der Nachweis, dass die Substanz bei fortgeschrittenem Brustkrebs die Bildung von Metastasen verhindert.

Krebszellen entschärfen

In der aktuellen Studie ging es darum die Wirksamkeit von Curcumin zur Prävention von Prostatakarzinom-Metastasen zu testen und den zugrundeliegenden Wirkmechanismus zu entschlüsseln. In einem ersten Schritt untersuchte das Team, welche molekularen Prozesse bei Prostatakrebs auftreten, und welche Stoffe dabei in den Tumorzellen gebildet werden. Bei Tumoren die mit chronisch-latenten Entzündungen assoziiert sind, wie das Prostatakarzinom oder das Mammakarzinom, werden oft bestimmte Immunfaktoren, etwa die Zytokine CXCL1 und CXCL2, gebildet.

Den Forschern gelang erstmals der Nachweis, dass Curcumin die Synthese dieser Proteine gezielt hemmt. Das führt letztlich – wie auch im Mausmodell gezeigt – zur verminderten Bildung von Metastasen. „In den Krebszellen wurden dank der Wirkung des Curcumins weniger Zytokine gebildet, die das Wachstum von Metastasen begünstigen“, so Bachmeier. „Als Konsequenz davon war die Entstehung von Tochtergeschwulsten in der Lunge der Tiere sowohl beim Mammakarzinom, wie auch in der akutellen Studie gezeigt, beim Prostatakarzinom, statistisch signifikant gehemmt.“

Gute Verträglichkeit

Bachmeier schließt daraus, dass sich Curcumin etwa bei Brust- und Prostatakrebs zur Chemoprävention von Tumoren und Metastasen eignen könnte, weil diese Tumorarten oft mit einer chronisch-latenten Entzündung assoziiert sind. „Das bedeutet aber nicht, dass diese Substanz die gängigen Therapiestrategien ersetzen sollte“, betont die Wissenschaftlerin. „Vielmehr ist denkbar, Curcumin einzusetzen, bevor ein Tumor diagnostiziert wurde – oder aber um die Bildung und Ausbreitung von Metastasen zu verhindern. Dabei ist uns die gute Verträglichkeit sehr wichtig, weil wir die Einnahme von Curcumin dann auch einer gesunden Bevölkerungsgruppe mit erhöhtem Risiko für Tumoren empfehlen möchten.“

Curcumin ist auch in Dosierungen von bis zu acht Gramm pro Tag relativ unbedenklich: Seit Jahrtausenden wird es unter anderem wegen seiner entzündungshemmenden Wirkung bei einer Vielzahl von Leiden eingesetzt. Für eine Behandlung kämen etwa Männer mit benigner Prostatahyperblasie (BPH), die oft im Verlauf zu Prostatakrebs führt, in Frage. Das gilt auch für Frauen mit familiär hohem Brustkrebsrisiko. Denkbar ist zudem ein Einsatz des Wirkstoffs in Begleitung zu bestimmten Krebstherapien. In allen Fällen aber muss die Substanz vor einer Verwendung kontrollierte klinische Tests durchlaufen, wie sie Bachmeier nun an Patienten mit therapieresistentem Prostatakarzinom plant. (bedo / suwe)

Publikation:
Carcinogenesis online, 5. Oktober 2012

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Katalysatoren mögen’s heiß

Presseaussendung der TU Wien vom 08.10.2012

An der TU Wien konnte nun geklärt werden, wovon die nötige Betriebstemperatur von Auto-Katalysatoren abhängt.

Auto-Abgaskatalysatoren arbeiten schlecht, solange sie noch nicht aufgewärmt sind. Winzige Metallpartikel in einem Abgaskatalysator brauchen eine Mindesttemperatur, um effizient zu funktionieren. An der TU Wien konnten mit einer neuen Messmethode nun viele unterschiedliche Typen dieser Partikel gleichzeitig untersucht werden. Damit sind nun erstmals verlässliche Aussagen darüber möglich, wovon die Effizienz der Abgaskatalysatoren genau abhängt.

Niedrige Zündungs-Temperatur gesucht

„Einen großen Teil der Schadstoffemissionen verursacht ein Motor gleich nach dem Start, während der Katalysator noch kalt ist“, erklärt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien. „Erst wenn eine bestimmte Temperatur überschritten wird, kommt es zur sogenannten katalytischen Zündung, und der Katalysator funktioniert mit hoher Effizienz.“ Um diese kritische Temperatur möglichst rasch zu erreichen, wurden bereits komplizierte und teuere Katalysator-Heizungen entwickelt. Energie- und kostensparender wäre es freilich, einen Katalysator zu bauen, der bereits bei möglichst niedrigen Temperaturen gut funktioniert.

Gerade oder schräg? Auf den Winkel kommt es an

Die kritische Temperatur, die der Katalysator erreichen muss, hängt vom verwendeten Material ab: besonders oft werden bei Abgaskatalysatoren die Edelmetalle Platin und Palladium verwendet. Wichtig ist aber auch, welche kristallographische Orientierung die Oberflächen der winzigen Metall-Körnchen haben. Kristalle kann man in unterschiedlichen ganz bestimmten Richtungen schneiden – das kennt man von geschliffenen Edelsteinen. Auch natürlich gewachsene Kristalle bilden die Oberflächen in verschiedenen Richtungen aus, und die Orientierung dieser Oberflächen bestimmt das chemische Verhalten. „Es zeigt sich, dass Oberflächen mit unterschiedlichen kristallographischen Richtungen bei unterschiedlich hohe Temperaturen für die katalytische Zündung benötigen“, erklärt Assoc. Prof. Yuri Suchorski, der mit Prof. Rupprechter zusammenarbeitet.

Viele Messungen in einem Experiment

Diesen Effekt im Detail zu untersuchen, war bisher kaum möglich: Ein Katalysator ist aus unzähligen winzigen Körnchen aufgebaut. „Bis jetzt konnte man nur die überlagerte Aktivität all dieser unterschiedlich orientierten Körnchen messen“, sagt Rupprechter. Ihm und seinem Team gelang es nun allerdings mit einem Photoemissions-Elektronenmikroskop, das auf Einsteins berühmtem „Photoeffekt“ basiert, die Zündungs-Temperaturen der einzelnen Metall-Körnchen während der laufenden Reaktion  individuell zu analysieren. Verwendet wurde eine Folie, auf der viele winzige Kristalle – mit einem Durchmesser von nur etwa 100 Mikrometern – dicht nebeneinander angeordnet sind. Ihre Richtungen sind zufällig verteilt, man kann daher verschiedene Varianten von Kristallen bei einem einzigen Experiment untersuchen.

Unter dem Mikroskop wurde die Temperatur der Folie langsam erhöht – und tatsächlich zeigte sich, dass die katalytische Zündung je nach Orientierungsrichtung bei unterschiedlichen Temperaturen stattfand. „Wichtig ist für uns, unterschiedliche Kristallkörner dicht nebeneinander während eines einzigen Versuchs bei exakt gleichen Bedingungen untersuchen zu können“, erklären die Forscher. „Bei mehreren Versuchen hintereinander könnte man die äußeren Bedingungen niemals so perfekt reproduzieren, dass die einzelnen Messungen direkt vergleichbar wären.“

Mit den neuen Erkenntnissen kann nun gezielt nach Herstellungsverfahren für Katalysatoren mit niedrigerer Zündungs-Temperatur gesucht werden. „Wir wissen nun, dass Palladium besser funktioniert als Platin, und wir wissen, welche kristallographische Richtung die niedrigste Zündungs-Temperatur verspricht“, sagt Günther Rupprechter. Nun soll es gelingen, diese Erkenntnisse auch technologisch umzusetzen, um Katalysatoren zu bauen, die im Auto nach dem Start möglichst rasch ihre Wirkung entfalten. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
D. Vogel, Ch. Spiel, Y. Suchorski, A. Trinchero, R. Schlögl, Henrik Grönbeck, G. Rupprechter, „Local light-off in catalytic CO oxidation on low-index Pt and Pd surfaces: a combined PEEM, MS and DFT study“, Angewandte Chemie International Edition, 51 (2012) 10041-10044.

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Cholesterinsenker hemmen Lymphgefässwachstum

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 03.09.2012

Eines der weltweit meistverwendeten Medikamente wirkt möglicherweise auch gegen die Bildung neuer Lymphgefässe und könnte daher für den Einsatz in der Krebsmedizin interessant werden. Diesen überraschenden Befund machten Forschende der ETH Zürich mit einem von ihnen entwickelten dreidimensionalen Zellkultursystem.

Forschende des Instituts für Pharmazeutische Wissenschaften haben eine völlig unerwartete Entdeckung gemacht. Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen, die bei Tumoren die Metastasen-Bildung hemmen, fanden sie Hinweise darauf, dass auch eine altbekannte Wirkstoffgruppe hierbei wirken könnte: die Statine. Es sind dies Substanzen, die wegen ihrer cholesterinsenkenden Wirkung sehr häufig bei Patienten mit Herzkreislaufproblemen eingesetzt werden, um das Fortschreiten einer Arteriosklerose zu verhindern. Statine gehören zu den weltweit meistverwendeten Medikamenten überhaupt.

Wissenschaftler aus der Gruppe unter der Leitung von Michael Detmar, Professor für Pharmakogenomik, machten diese Entdeckung mit einem neuen Zellkultursystem, mit dem sie untersuchen konnten, ob Wirkstoffe das Wachstum von Lymphgefässen beeinflussen. Das Wachstum von Lymphgefässen ist daran beteiligt, dass sich bei Krebspatienten Metastasen bilden. Zudem spielt es eine Rolle bei Organtransplantationen, weil es beeinflusst, ob ein transplantiertes Organ vom Immunsystem des Empfängers abgestossen wird. Für ihr Testsystem beschichteten die Forschenden winzige Kügelchen aus einem Naturkunststoff mit Lymphgefässwand-Zellen aus menschlicher Haut und gossen diese in ein Gel. Wurden die Lymphgefässwand-Zellen in diesem System mit wachstumsfördernden Botenstoffen stimuliert, begannen sie, sogenannte Aussprossungen zu bilden, aus denen neue Lymphgefässe entstehen.

Automatisierte Zellkultur in 3D

Zur Unterscheidung von herkömmlichen Zellkulturverfahren, die aus einem zweidimensionalen «Zell-Rasen» in einer Zellkulturschale bestehen, nennen die Forscher ihr System mit den Kügelchen ein dreidimensionales System. Darin testeten sie über 1000 chemische Substanzen. «Es war uns möglich, eine so grosse Zahl von Substanzen zu testen, weil wir den ganzen Prozess automatisieren konnten», erklärt Postdoc Martin Schulz, Erstautor der entsprechenden Studie im Fachmagazin «PNAS». Dazu nutzen die Wissenschaftler ein automatisiertes Screening-Mikroskop am Lichtmikroskopie-Zentrum der ETH Zürich.

Entstanden sind dabei rund 100’000 hochauflösende Bilder der beschichteten Mikro-Kügelchen, auf denen sichtbar ist, ob die Zellen Aussprossungen gebildet haben. Die Anzahl dieser Aussprossungen werteten die Wissenschaftler mit einem eigens dafür entwickelten Algorithmus aus. «Würde man die Auswertung von Hand machen wollen, könnte man realistischerweise vielleicht zehn Wirkstoffe testen, aber niemals 1000», sagt Schulz.

System könnte Zahl von Tierversuchen reduzieren

Mithilfe von Substanzen, die dafür bekannt sind, dass sie das Wachstum der Lymphgefässe hemmen, zeigten die Forschenden: Die Ergebnisse ihres 3D-Systems stimmen besser mit solchen aus Tierversuchen überein als die Resultate von herkömmlichen Zellkultur-Testsystemen. «Unser System hat somit eine höhere Vorhersagekraft», sagt Michael Detmar. «Und gegenüber einem Tierversuch hat unser System den Vorteil, dass wir damit direkt die Wirkung in menschlichen Zellen untersuchen können», ergänzt Martin Schulz. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass mit solchen 3D-Systemen in Zukunft vermehrt Tierversuche ersetzt werden können, vor allem wenn es darum geht, grosse Mengen von chemischen Substanzen auf eine pharmakologische Wirkung hin zu testen.

Das sogenannte Screening der über 1000 Substanzen förderte rund 30 Stoffe zutage, die das Lymphgefässwachstum hemmen. Unter mehreren entdeckten Wirkstoffen, von denen diese Wirkung bisher nicht bekannt war, untersuchten die Forscher zwei genauer. Einer der zwei gehört – wie bereits vorweggenommen – der Substanzklasse der Statine an. Die hemmende Wirkung verschiedener Statine bestätigten die Forscher anschliessend in Versuchen an Mäusen, in Zusammenarbeit mit Kollegen der University of California in Berkeley.

Bisher keine geeigneten Medikamente vorhanden

Die Forscher sehen es als möglich an, dass Statine in Zukunft nicht nur bei Herzkreislaufpatienten, sondern auch bei Krebspatienten eingesetzt werden könnten. Wie schon seit einiger Zeit bekannt ist – unter anderem dank Forschung aus der Gruppe von Michael Detmar -, verbreiten sich viele Krebsarten im Körper über die Lymphgefässe. Von einigen Tumoren weiss man, dass sie Stoffe ausschütten, um das Wachstum von Lymphgefässen zum Tumor hin zu fördern. Die Krebsmedizin hat also ein Interesse an Wirkstoffen, die dieses Wachstum hemmen. «Bisher gibt es in der Klinik keine Medikamente, die das zuverlässig bewirken», sagt Detmar.

«Es wäre denkbar, in Zukunft beispielsweise Patienten mit einem stark erhöhten Risiko für Krebserkrankungen mit solchen Medikamenten zu behandeln, um einen sich entwickelnden Tumor an der Bildung von Metastasen zu hindern, bevor man ihn überhaupt entdeckt hat», sagt Detmar. Weil Statine bereits ausgiebig getestet und für eine andere Krankheit zugelassen sind, müssten die Medikamente für einen Einsatz als Hemmstoffe des Lymphgefässwachstums von den Zulassungsbehörden «umgewidmet» werden, was erheblich einfacher wäre als die Zulassung eines neuen Wirkstoffs. Um zu entscheiden, ob Statine ein taugliches Mittel sind, müsste man laut Detmar allerdings zuerst untersuchen, ob sie in den gewöhnlich verabreichten Dosen das Lymphgefässwachstum genügend hemmen.

Originalpublikation:
Schulz MMP, Reisen F, Zgraggen S, Fischer S, Yuen D, Kang GJ, Chen L, Schneider G, Detmar M: Phenotype-based high-content chemical library screening identifies statins as inhibitors of in vivo lymphangiogenesis. Proceedings of the National Academy of Sciences 2012, in press

Externer Link: www.ethz.ch