Der Grammatik biologischer Zellen auf der Spur

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 16.03.2016

Chemiker entwickeln MOSAIC-Methode, um nicht nur einzelne Zellsignale, sondern das räumliche Zusammenwirken unterschiedlicher Signale zu entschlüsseln

Zellen im Körper tauschen eine Vielzahl von Signalen mit ihrer Umgebung aus. Defekte Signalwege können die Funktion von Zellen beeinträchtigen und Krankheiten auslösen. Heutzutage kennt man jedoch kaum mehr als die Vokabeln der zellulären Sprache, nicht aber wie „Worte“ in „Sätzen“ zusammenwirken. Wäre die Zell-Grammatik bekannt, könnte man die komplexen Abläufe in Zellen erst wirklich verstehen. Forscher des KIT haben im Fachmagazin Angewandte Chemie eine Methode vorgestellt, um die Grammatik der Zellsignale zu entschlüsseln. DOI: 10.1002/anie.201509772

„Rezeptoren auf Zellmembranen reagieren auf eine Vielzahl von Signalmolekülen. Diese bilden das Vokabular der Kommunikation“, erklärt Christof Niemeyer vom Institut für Biologische Grenzflächen des KIT. In der Regel werden mehrere, räumlich verteilte Rezeptoren gleichzeitig angesprochen, so wie auch in der menschlichen Sprache mehrere Worte pro Satz genutzt werden. Die genaue Bedeutung des einzelnen Wortes erschließt sich erst im Zusammenspiel aller Satzbausteine. „Mit unserer neuen MOSAIC-Methode können wir nun gezielt nicht nur Vokabeln, sondern ganze Sätze der Zellsprache entschlüsseln.“

Um eine einzelne Zelle mit einem definierten Satz anzusprechen, haben Niemeyer und sein Team zunächst die gewünschten Signalmoleküle mit einer Genauigkeit von 5 Nanometern auf einer Art Stecktafel fixiert, die etwa 100 Nanometer lang ist. Anschließend wurden Dutzende dieser Stecktafeln auf dem Zellträger aufgebracht. Damit ist es nun erstmals möglich, auf einer größeren Fläche viele Moleküle mit Nanometergenauigkeit zu positionieren. „Entscheidend war, dass wir sowohl die Selbstorganisation von Molekülen als auch eine mikroskopische Drucktechnik in der MOSAIC-Methode vereinen konnten“, so Niemeyer.

Die Stecktafeln setzen die Wissenschaftler aus langen DNA-Molekülen nach einem genauen Bauplan zusammen. Das DNA-Molekül faltet sich dann selbstorganisiert zu einer 100 Nanometer langen und 50 Nanometer breiten Platte, welche an den definierten Plätzen die gewünschten Signalmoleküle aufnehmen kann. Auf dem Zellträger werden ebenfalls aus DNA-Stücken die passenden Fundamente für die Stecktafeln gedruckt. Diese spezifischen Fundamente sind wenige Mikrometer im Durchmesser und lassen sich auf einer Fläche bis zu einem Quadratzentimeter aufdrucken. Durch die Wahl der passenden DNA-Sequenzen haften die Stecktafeln in der richtigen Orientierung auf dem richtigen Fundament. Um die Funktionsweise der MOSAIC-Methode (Multiscale Origami Structures as Interfaces for Cells) zu beweisen, haben die Forscher in der ersten Studie gezeigt, dass die Modellzelllinie MCF7 auf unterschiedlich dicht besetzte Stecktafeln unterschiedlich reagiert.

„Viele Krankheiten wie Krebs oder Autoimmun-Erkrankungen lassen sich auf die Fehlfunktion von Rezeptoren und Signalen in Zellen zurückführen. Komplexe Signalwege zu verstehen, legt also die Grundlagen für kommende Therapieansätze und Medikamentenentwicklungen“, betont Niemeyer. (kes)

Publikation:
Multiscale Origami Structures as Interface for Cells (pages 15813–15817), Alessandro Angelin, Simone Weigel, Ruben Garrecht, Dr. Rebecca Meyer, Jens Bauer, Ravi Kapoor Kumar, Dr. Michael Hirtz and Prof. Dr. Christof M. Niemeyer, DOI: 10.1002/anie.201509772

Externer Link: www.kit.edu

Eintopf-Rezept für organische Elektronik

Presseaussendung der TU Wien vom 15.03.2016

An der TU Wien wurde ein neues Verfahren für die Herstellung von Cyanoarenen entwickelt, die eine wichtige Rolle in der organischen Elektronik spielen.

Die meisten Halbleiter, die heute in der Elektronik verwendet werden, basieren auf Silizium, allerdings lassen sich auch bestimmte organische Materialien für elektronische Bauteile nutzen. An der TU Wien gelang es nun, ein einfaches Herstellungsverfahren für Cyanoarene zu entwickeln. Sie bilden eine Materialklasse, die für die organische Elektronik besonders interessant ist. In Zukunft könnte man aus solchen Molekülen Transistoren und andere elektronische Bauteile herstellen. In einem simplen zweistufigen Verfahren, das man in einem einzigen Reaktionsgefäß ablaufen lässt, können die gewünschten Cyanoarene nun aus relativ einfachen, kommerziell erhältlichen Bestandteilen synthetisiert werden.

Breite Palette an organischen Molekülen

Wenn man organische Materialien für elektronische Schaltungen verwendet, hat man es mit einer großen Auswahl an verschiedenen Molekülen zu tun. „Man kann ganz unterschiedliche funktionelle Gruppen an den Molekülen anbringen und damit ihre elektronischen Eigenschafen verändern“, erklärt Florian Glöcklhofer, der in der Forschungsgruppe von Prof. Johannes Fröhlich am Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien an seiner Dissertation arbeitet.

In den letzten Jahren wurden immer wieder Computersimulationen und theoretische Arbeiten über Cyanoarene publiziert. Experimentelle Ergebnisse gibt es aber erst recht wenige, weil viele Moleküle dieser Materialklasse bisher nur sehr schwer oder gar nicht hergestellt werden konnten.

In einer aktuellen Publikation im Fachjournal „Chemistry – A European Journal“ präsentiert das Team der TU Wien nun zahlreiche Ergebnisse, die mit einem neuen, recht einfachen Syntheseverfahren erzielt werden konnten. „Wir haben lange daran gearbeitet, die richtigen Lösungsmittel und Katalysatoren zu finden“, sagt Florian Glöcklhofer. „Auch die Wahl der richtigen Temperatur spielt eine wichtige Rolle.“

Die Eintopfreaktion

Das Besondere an dem neuen Verfahren ist seine Einfachheit: Es besteht zwar aus zwei verschiedenen Reaktionsschritten, die man aber im selben Reaktor ablaufen lassen kann, man spricht in diesem Fall von einer sogenannten „Eintopfreaktion“. Als Ausgangsprodukt verwendet man Chinone – viele unterschiedliche Moleküle dieser Klasse sind heute problemlos kommerziell erhältlich oder können auf recht einfache Weise hergestellt werden, aus denen dann eine breite Palette an Cyanoarenen zugänglich ist.

„Wir konnten zeigen, dass manche Cyanoarene Kristalle bilden, in denen sich die Moleküle im Muster einer Ziegelwand anordnen. Das bedeutet, dass unser Verfahren für die Herstellung von Materialien für organische Feldeffekttransistoren sehr interessant ist“, meint Glöcklhofer. Außerdem sind die Cyanoarene auch für organische Leuchtdioden einsetzbar und fluoreszieren sehr stark.

Nun soll untersucht werden, welche Cyanoarene sich für elektronische Anwendungen besonders gut bewähren – vielversprechende Zielmoleküle gibt es in dieser reichhaltigen Materialklasse jedenfalls genug. (Florian Aigner)

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TU-Forschung entschlüsselt die inneren Qualitäten von Asphalt

Presseaussendung der TU Wien vom 01.12.2015

Was hält Asphalt zusammen und macht unsere Straßen haltbar? Analysen an der TU Wien bringen neue Einblicke in die Chemie von Bitumen und sollen alten Asphalt wieder jung erscheinen lassen.

Bitumen ist das klebrig-schwarze Bindemittel, das im Asphalt die Steine zusammenhält. Die Qualität dieses Erdölproduktes bestimmt die Eigenschaften und die Haltbarkeit des Asphalts, daher ist es wichtig, das Verhalten von Bitumen auf mikroskopischer Skala genau zu verstehen. An der TU Wien stieß man nun durch die Kombination unterschiedlicher Analysemethoden auf überraschende Ergebnisse: Die unterschiedlichen Bestandteile werden von einer Art molekularer Schutzhülle fixiert. Mit dieser Erkenntnis möchte man nun Asphalt haltbarer machen oder sogar alten Asphalt wieder verjüngen.

Rezept für gutes Bitumen: Asphaltene und Maltene

Bitumen ist keine homogene Substanz. Ähnlich wie Milch, bei der kleine Fetttröpfchen in einer wässrigen Umgebung verteilt sind, besteht Bitumen aus verschiedenen Komponenten. Wie gut sich die unterschiedlichen Bestandteile vermischen können, hängt zu einem großen Teil von ihrer Polarität ab. Bei stark polaren Molekülen ist die elektrische Ladung nicht gleich verteilt, sie haben ein positiv und eine negativ geladene Seite.

„Die Asphaltene beinhalten die polarsten und größten Moleküle im Bitumen“, erklärt der Chemiker Florian Handle, der diese Zusammenhänge in seiner Dissertation genau untersucht hat. „Um sie herum findet man viele aromatische Moleküle, die weniger stark polar und meist etwas kleiner sind.“

Wie die einzelnen Komponenten im Bitumen verteilt sind, kann man mit unterschiedlichen Methoden untersuchen. An der TU Wien wurde das Bitumen mit Laserstrahlen beleuchtet, manche der Komponenten werden damit zum Fluoreszieren angeregt. „Mit Hilfe der Fluoreszenzmikroskopie wird abgebildet, an welchen Orten sich fluoreszierende Moleküle aufhalten. Die Fluoreszenzeigenschaften von Stoffgruppen oder einzelnen Molekülen können mittels Fluoreszenzspektroskopie untersucht werden. Kombiniert man diese beiden Informationen so erhält man einen klaren Blick in die Chemie und Mikrostruktur des sehr komplizierten Materials Bitumen“, sagt Florian Handle.

Was leuchtet hier eigentlich?

„Bisher dachte man, für die Fluoreszenz seien die Asphaltene verantwortlich, oder vielleicht auch bestimmte Wachse“, sagt der Chemiker Prof. Hinrich Grothe vom Institut für Materialchemie der TU Wien. „Wir haben die Komponenten nun allerdings voneinander getrennt und erstaunlicherweise festgestellt, dass nicht die Asphaltene fluoreszieren.“ Wie sich herausstellt, werden die Asphaltene im Bitumen nämlich von einer Schicht aromatischer Verbindungen umgeben – und sie sind die Hauptursache für die Fluoreszenz.

Dass sich diese aromatischen Verbindungen wie eine Schale um die wenige Mikrometer kleinen Asphalten-Einschlüsse legen, spielt für die Eigenschaften des Bitumens eine wichtige Rolle. „Dieser Schutzmantel ist letztlich dafür verantwortlich, dass Bitumen und Asphalt rissfest, dehnbar und trotzdem relativ steif ist“, erklärt der Bauingenieur Bernhard Hofko vom Institut für Verkehrswissenschaften (TU Wien). Der aromatische Schutzmantel hat nämlich eine Polarität, der zwischen der Polarität der Asphaltene im Inneren und den anderen Bestandteilen des Bitumens liegt. Dadurch ergibt sich ein sanfterer Übergang, hochpolare und niedrigpolare Moleküle stoßen nicht direkt aneinander, und das hilft der Stabilität des Bitumens.

Verjüngungskur für die Straße?

Wenn der Asphalt altert, kann genau diese Schutzschicht beschädigt werden, etwa durch Oxidation. Der Asphalt verliert dann seine Flexibilität, er wird spröde und brüchig. „Es gibt Versuche, alten Asphalt durch Zugabe bestimmter Substanzen wieder zu verjüngen“, sagt Bernhard Hofko. „Das geschah bisher eher durch Versuch und Irrtum. Wenn wir nun allerdings die Ursachen für die Alterung auf molekularer Ebene kennen, dann können wir gezielt die fehlenden Bestandteile des gealterten Asphalts wieder herstellen.“

Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Materials and Structures“ publiziert und nun zu einem der zehn besten Publikationen des Jahres gewählt – ein deutliches Zeichen, dass die Forschungsarbeit der TU Wien an der Schnittstelle zwischen Bauingenieurwesen und Chemie auch international Aufmerksamkeit erregt. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

In acht Schritten zum Naturstoff

Presseinformation der LMU München vom 08.09.2015

Die erste Totalsynthese von Epicolacton zeigt den biosynthetischen Ursprung des Naturstoffs und seine Nähe zum Farbstoff Purpurogallin.

Forscher um Dirk Trauner, Professor für Chemische Biologie und Genetik an der LMU, haben erstmals den Naturstoff Epicolacton biomimetisch nachgebaut. Darüber berichten sie aktuell in der Fachzeitschrift Nature Chemistry. „Uns ist eine der kürzesten und elegantesten Synthesen eines Naturstoffes gelungen“, sagt Dirk Trauner. Die LMU-Chemiker haben in einer minimalen Anzahl von Schritten eine sehr hohe molekulare Komplexität erreicht. „Das kommt in die Nähe einer idealen Synthese.“ Zudem konnte das Team um Trauner aufklären, wie Epicolacton entsteht und seine allgemeine Bedeutung aufzeigen.

Der Naturstoff Epicolacton wurde erstmals im Jahr 2012 isoliert. Er ist ein Stoffwechselprodukt des endophytischen Pilzes Epicoccum, der unter anderem tropische Nutzpflanzen wie Zuckerrohr und Kakaobäume kolonisiert. Epicolacton ist chemisch sehr komplex. Die Verbindung enthält mehrere Stereozentren und weist eine verschlungene mehrringige Struktur auf. „Wir wollten wissen, wie diese wunderschöne Struktur in der Natur entsteht. Ihre Komplexität macht es jedoch zu einer Herausforderung, diesen Naturstoff zu synthetisieren“, sagt Dirk Trauner.

Simpler Vorläufer, komplexer Stoff

Bislang war ungeklärt, wie Epicolacton gebildet wird. Die LMU-Chemiker haben festgestellt, dass das molekulare Muster von Epicolacton dem von Purpurogallin ähnelt. Purpurogallin gilt als Urform bestimmter natürlicher Farbstoffe. Er ist beispielsweise für die Färbung schwarzen Tees und verschiedener Pilze verantwortlich. Auch die Eisengallustinte, mit der bereits vor mehr als 2000 Jahren mit der Feder geschrieben wurde, verdankt ihre schwarze Farbe Purpurogallin.

„Aufgrund des Verständnisses der Entstehung von Purpurogallin ist uns dann eine biomimetische Totalsynthese gelungen. Sie beginnt bei Vanillylalkohol und führt in nur acht Schritten zu Epicolacton“, sagt Trauner. „Das ist ein weiteres Beispiel, wie sich ein strukturell komplexer Naturstoff aus einem vergleichbar einfachen Vorläufer bildet.“ Im Rahmen dieser Synthese haben die Forscher eine weitere Verbindung isoliert – Isoepicolacton – die auch in den endophytischen Pilzen vorkommen dürfte.

Die Forschungsergebnisse ermöglichen nun, Epicolacton in größerem Maßstab im Labor herzustellen. Als nächstes wollen die LMU-Chemiker den Mechanismus der chemischen Kaskade im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 749 (Intermediates of Molecular Transformations) weiter analysieren, um deren allgemeine Bedeutung noch besser zu verstehen.

Publikation:
Nature Chemistry 2015

Externer Link: www.uni-muenchen.de

In die Zange genommen

Presseinformation der LMU München vom 03.08.2015

Zuerst wird das Gerüst geknackt, dann werden defekte Bauteile ausgetauscht: Zellen reparieren beschädigte DNA anders als bisher angenommen, wie LMU-Chemiker zeigen.

Defekte in der DNA können schwere Schäden im Organismus auslösen bis hin zum Zelltod oder der Entstehung von Krebs. Effiziente Reparaturmechanismen sind daher essenziell. Die LMU-Chemiker Professor Christian Ochsenfeld, Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Chemie der LMU, und Dr. Keyarash Sadeghian aus seiner Arbeitsgruppe haben erstmals die Arbeitsweise eines menschlichen DNA-Reparaturenzyms detailliert aufgeklärt. Ihre Computersimulationen zeigen, dass die Reparatur anders abläuft als bisher gedacht. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Journal of the American Chemical Society.

Die DNA setzt sich aus bestimmten Grundbausteinen zusammen, die aus jeweils einer Nukleinbase, einem Zucker und einer Phosphatgruppe bestehen. In der Abfolge der Nukleinbasen sind die Erbanlagen kodiert. Die über die Phosphatgruppen miteinander verbundenen Zucker, an die jeweils eine Nukleinbase gebunden ist, bilden das Gerüst der DNA. Reaktive Sauerstoffspezies, die als Nebenprodukt der Atmung in jeder Zelle entstehen, attackieren die DNA. Sie greifen oft die Nukleinbase Guanin an und oxidieren diese zu einer sogenannten 8OG-Base. Dieser Defekt kann zu einer fehlerhaften DNA-Replikation und damit zu schädlichen Mutationen führen. DNA-Reparaturenzyme sind deshalb dafür zuständig, solche Basen zu erkennen, in ihrem Reaktionszentrum zu binden und aus dem DNA-Strang zu entfernen.

„Es ist sehr bemerkenswert, dass das menschliche Reparaturenzym hOGG1 nur die oxidierte Guanin-Form aus der DNA herausschneidet, die normale Base aber nicht, obwohl es auch das normale ungeschädigte Guanin in seiner aktiven Tasche binden kann und beide Formen identische Positionen einnehmen“, sagt Sadeghian, der Erstautor der Studie.

Umweg führt zum Ziel

Mithilfe von komplexen quantenmechanischen Computersimulationen, die in Ochsenfelds Gruppe entwickelt wurden, konnten die Wissenschaftler nun erstmals aufklären, wie das Reparaturenzym zwischen normaler und oxidierter Base unterscheidet. Der Trick dabei ist: Das Enzym nimmt einen Umweg. „Im Gegensatz zu der bisherigen Annahme, dass für die Reparatur zuerst die oxidierte Form des Guanins aktiviert werden muss, haben wir nun zeigen können, dass der mit ihm verbundene Zucker für den ersten Schritt eine entscheidende Rolle spielt“, sagt Sadeghian. „Das Reparaturenzym öffnet zuerst die Ringstruktur des Zuckers, indem es ihn wie eine Zange von zwei Seiten gleichzeitig angreift. Dieser Schritt funktioniert nur, wenn der Zucker mit der oxidierten Form der Base verbunden ist. Ist sein Partner ein normales Guanin, wird das Enzym gestoppt und kann seine Aktivität nicht mehr fortsetzen.“ Die Öffnung des Zuckers destabilisiert die sonst sehr stabile chemische Bindung zwischen der oxidierten Nukleinbase und dem DNA-Strang, die dann in weiteren Schritten gelöst wird.

Diese clevere Strategie verfolgt nicht nur das menschliche Reparaturenzym hOGG1, sondern auch ein bakterielles Reparaturenzym, das sich strukturell von ihm unterscheidet, wie die Wissenschaftler zeigen konnten. „Unser Fund, dass DNA-Reparaturenzyme einen Umweg gefunden haben und ihr Zielobjekt nicht direkt im ersten Schritt angreifen, öffnet neue Perspektiven für ein Verständnis dieser Prozesse“, sagt Ochsenfeld. „Mithilfe unserer Computersimulationen können wir erstmals chemische Reaktionen verfolgen, die in der Natur so hochkomplex ablaufen, dass sie experimentell nicht immer einzufangen sind. So können wir in Zukunft hoffentlich klären, ob diese DNA-Reparaturmechanismen auch für weitere Enzyme mit ähnlicher Funktion in Frage kommen.“ (göd)

Publikation:
JACS 2015

Externer Link: www.uni-muenchen.de