Kaltes Plasma: Mit dem Disc-Jet durchstarten

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 03.04.2017

Im Zentrum von Sternen findet man Plasmen häufig – auf der Erde kommen die elektrisch geladenen Gasgemische nur selten vor, zum Beispiel in Blitzentladungen oder Polarlichtern. Man kann jedoch mit großer Hitze oder hohen elektrischen Spannungen nachhelfen. Fraunhofer-Forscher haben kalte Plasmen erzeugt und sie für die Oberflächenbehandlung temperaturempfindlicher Materialien genutzt. Dank einer neuartigen Technik waren dabei Vertiefungen oder Hinterschneidungen kein Problem mehr – der Disc-Jet kommt überall hin.

Plasmen werden in der Industrie schon lange eingesetzt, um Oberflächen zu reinigen oder so zu bearbeiten, dass Materialien wie Lacke oder Klebstoffe besser darauf halten. Der Vorteil: Auf die chemische Vorbehandlung mit Lösungsmitteln oder anderen Stoffen kann verzichtet werden. Das spart Geld und ist umweltfreundlich. Das Problem: Bisher konnten nur ebene Flächen behandelt werden, über Vertiefungen, Hohlräume oder Hinterschneidungen glitt das Plasma einfach hinweg. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik IST haben jetzt zwei Plasmaverfahren, den Plasmajet und die Gleitentladung, miteinander kombiniert, um auch dreidimensionale Bauteile effektiv bearbeiteten zu können.

Optimal für die Behandlung von Kunststoffen oder Holz

»Im Inneren des Plasmajets, der im Wesentlichen aus einer Elektrode und einer Düse besteht, wird ein kaltes Plasma mit Hilfe von Wechselspannung erzeugt«, erklärt Martin Bellmann, Ingenieur im Anwendungszentrum für Plasma und Photonik des Fraunhofer IST. Je nach Bedarf kommen unterschiedliche Gase oder Gasgemische zum Einsatz. Die hohe elektrische Spannung der Elektrode sorgt dafür, dass negativ geladenen Elektronen die Atomhülle verlassen, die größeren, positiv geladenen Ionen bleiben zurück: Das Gas wird leitfähig und damit zum energetischen Plasma. »Weil Plus- und Minuspol der Elektrode ständig wechseln, bewegen sich die Ionen kaum und setzen wenig Energie in Form von Wärme frei, sondern zittern lediglich ein wenig hin und her«, so Bellmann. Die Temperatur lässt sich auf diese Weise niedrig auf 30 bis 60 Grad halten – optimal für die Behandlung von hitzeempfindlichen Materialien wie Kunststoffen oder Holz.

Verfahren erfasst auch Hohlräume, Vertiefungen und Hinterschneidungen

Anschließend werden die freien Elektronen mit einer Düse auf das Bauteil geblasen. Weil die Materialoberfläche nicht leitet, können sie nicht mit ihr reagieren. Daher zünden sie zurück zur Unterseite des Jets. So entstehen zahlreiche kleine Blitze, so genannte Gleitentladungen, die sich konzentrisch um die Düse herum zwischen der Unterseite des Geräts und dem Bauteil flächig ausbreiten. »Die Form dieser Ausbreitung erinnert an eine CD, daher haben wir unsere Entwicklung Disc-Jet getauft.« Das Ergebnis: Eine gleichmäßige Behandlung der kompletten Oberfläche – Vertiefungen, Hohlräume und Hinterschneidungen inklusive.

Plasmastrahl wirkt physikalisch und chemisch

Der Plasmastrahl wirkt nicht nur physikalisch, indem er die Oberfläche leicht aufraut, wodurch aufgetragene Stoffe besser halten, sondern auch chemisch. Denn die instabilen Atome und Moleküle des Plasmas sind hoch reaktiv. Verwendet man zum Beispiel Luft als Plasmagas, so lösen die einzelnen Sauerstoff-Atome Wasserstoff-Atome aus den Kunststoff-Oberflächen heraus und ermöglichen damit eine bessere Anhaftung von Lacken oder Klebstoffen.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Wie Kristalle Wellen schlagen

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 13.03.2017

Physiker der Universitäten Regensburg, Marburg und Michigan erzeugen maßgeschneiderte Lichtwellen per Kristall-Symmetrie

Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen. Um die Eigenschaften von Licht möglichst präzise zu kontrollieren, möchte man daher am besten die zeitliche Form dieser Wellen direkt einstellen – ein umso schwierigeres Unterfangen, je höher die Schwingungsfrequenz ist. Ein Team von Physikern aus Regensburg (Deutschland), Marburg (Deutschland) und Ann Arbor (USA) hat nun eine Methode entwickelt, um Lichtwellen, die von beschleunigten Elektronen in einem Festkörper abgestrahlt werden, mit Hilfe der Kristallsymmetrie maßzuschneidern.

Seit einigen Jahren können Physiker extrem kurze ultraviolette Lichtblitze erzeugen. Zu diesem Zweck wird eine Methode eingesetzt, die sich „Generation Hoher Harmonischer“ nennt. Dabei entreißt ein intensiver Laser im nahinfraroten Spektralbereich gasförmigen Atomen ihre Elektronen, um sie wenig später wieder zurück in den Kern zu schleudern und bei der Kollision ultraviolettes Licht zu erzeugen. Dieser Prozess erfolgt derart rasant, dass das Licht in äußerst kurzen Impulsen emittiert wird, die nur einige zehn Attosekunden dauern. Seit Beginn unseres Universums sind noch nicht so viele Sekunden vergangen, wie Attosekunden in einer einzelnen Sekunde enthalten sind. Dieser unvorstellbar kurze Augenblick stellt jedoch die natürliche Zeitskala für die Bewegung von Elektronen in Atomen, Molekülen und Festkörpern dar.

Um solche Vorgänge zu beobachten, benutzen Forscher heute Attosekunden-Lichtblitze, mit denen sie eine Folge superschneller Schnappschüsse nach dem Prinzip einer Stroboskopkamera aufnehmen und zu einem Zeitlupenfilm zusammenfügen. Präzise Hochgeschwindigkeitsaufnahmen erfordern eine möglichst genaue Kontrolle dieser Lichtblitze. Am liebsten würde man die Wellenform eines Lichtimpulses selbst maßschneidern, anstatt nur seine Helligkeit oder Zeitdauer einzustellen. Nun gelang es einem Team von Physikern an den Universitäten Regensburg, Marburg und Ann Arbor, genau dies durch „Hohe-Harmonische-Generation“ in einem Festkörper-Kristall zu erreichen. Wenn man die Symmetrie des Kristalls geschickt ausnutzt, können ultrakurze Wellenformen mit einer Detailgenauigkeit geformt werden, die in atomaren Gasen fehlt.

Die Experimente wurden an der Hochfeld-Terahertz-Quelle an der Universität Regensburg durchgeführt, wo „Hohe Harmonische“ in einem Volumenhalbleiter erzeugt werden. Zum ersten Mal gelang es den Physikern, Details der Trägerwelle der „Hohen Harmonischen“ aufzulösen. Darüber hinaus zeigten sie, dass die Kristallorientierung die Lichtemission in einer verblüffenden Art beeinflusst: Für bestimmte Richtungen hat jeder zweite ausgesandte Lichtimpuls das genau umgekehrte Vorzeichen seines Vorgängers. Die Kristallsymmetrie kann außerdem dazu genutzt werden, eine beliebige Polarisation der Lichtwelle der „Hohen Harmonischen“ einzustellen. Die experimentellen Ergebnisse wurden durch eine quantenmechanische Simulation von den Physikern aus Marburg und Ann Arbor als raffinierter Interferenzmechanismus der angeregten und beschleunigten Elektronen erklärt.

Maßgeschneiderte Lichtwellen aus Festkörper-basierten Attosekunden-Quellen dürften schon bald in neuen superschnellen Zeitlupenkameras zum Einsatz kommen. Außerdem könnten sie als extrem schnelle Vorspannung genutzt werden, um elektrische Ströme zu treiben. Dieses Prinzip könnte eine qualitativ neue Art Lichtwellen-getriebener Elektronik ermöglichen, welche die Taktraten aktueller elektronischer Bauelemente millionenfach übertrifft.

Die Ergebnisse der Forschergruppe werden in der nächsten Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Photonics“ veröffentlicht. (Claudia Kulke)

Publikation:
F. Langer, M. Hohenleutner, U. Huttner, S. W. Koch, M. Kira, and R. Huber: “Symmetry-controlled temporal structure of high-harmonic carrier fields from a bulk crystal”.
DOI: 10.1038/nphoton.2017.29

Externer Link: www.uni-regensburg.de

Glasforschung: Neue Technologie zum Umformen von GOBs zu Glaswafern

Presseinformation der TH Deggendorf vom 16.02.2017

TAZ Spiegelau und Ullrich GmbH präsentieren Forschungserfolge

Im Rahmen des Abschlusstreffens zum Forschungsprojekt „Glaswafer aus Gobs“, kurz „GlaGOB“, trafen sich kürzlich Vertreter der Ullrich GmbH aus Zwiesel, Zwiesel Kristallglas und der Technischen Hochschule Deggendorf (THD) am TechnologieAnwenderZentrum (TAZ) in Spiegelau. Ziel des Projekts war es eine neue Technologie zum Umformen von sog. GOBs zu Glaswafern zu entwickeln.

Unter einem GOB versteht man Halbzeuge bzw. Präzisionshalbzeuge aus Glas. Aus der Schmelze werden dazu „Glastropfen“ im heißen Zustand mit einem gewünschten Volumen abgetrennt und definiert geformt. Unter Glaswafern versteht man dünne, runde Scheiben, die zunehmend Anwendung in der Elektronikindustrie, z.B. als Trägermaterial für widerstandsfähige Sensoren, und in der Biotechnologie als Substratträger finden. Bisher führt die aufwändige Herstellungstechnologie der am Markt verfügbaren Glaswafer zu hohen Beschaffungskosten, was deren Verbreitung entgegensteht. Ebenso sind Glaswafer aktuell nur aus einer sehr begrenzten Anzahl von Glassorten wie Quarzglas oder Borosilikatglas erhältlich.

Am TAZ Spiegelau erkannte man gemeinsam mit der Ullrich GmbH diese Marktlücke und beantragte eine Förderung bei der Bayerischen Forschungsstiftung. Das Projekt hatte eine Laufzeit von einem Jahr. Mit der entwickelten Technologie wurden auf einer Präzisionsblankpresse GOBs aus Tritan®-Glas von einer Ausgangsdicke von 15 mm in einem isothermen Pressprozess in einem einzigen Schritt zu einem 4“-Wafer mit einer Dicke von 1 mm gepresst. Dieser Prozess ist eine Warmumformung von Glas und wird bei Temperaturen von ca. 800 °C durchgeführt. Werkzeug und Glas werden dabei zusammen erhitzt und durch eine genau kontrollierte Presskraft plastisch verformt. Die so hergestellten Glaswafer wurden messtechnisch auf ihre Qualität und Güte untersucht und mit marktüblichen Glaswafern verglichen. Die für die Waferherstellung prozessoptimierte Technologie des Präzisionsblankpressens birgt ein erhebliches Potenzial in sich. Zum einen entfallen gegenüber bisherigen Verfahren mehrere aufwändige mechanische Herstellungsschritte. Zum anderen eröffnet sich dadurch der Weg für die bedarfsgerechte Herstellung von Glaswafern aus kundenspezifischen Glassorten.

Die Forschung und Prozessentwicklung wurden in eine studentische Arbeit integriert. Maximilian Hasenberger, Master-Student an der THD im Fach „Applied Research“ hat mit seinem motivierten Einsatz und kreativen Herangehensweise einen großen Teil der Ergebnisse des Projekts beigetragen.

Mit diesen vielversprechenden Ergebnissen im Gepäck werden nach dem erfolgreichen Projektabschluss bei der Ullrich GmbH nun die nächsten Schritte für eine mögliche neue Anwendung vorbereitet. (CM)

Externer Link: www.th-deg.de

Metamaterial: Kettenhemd inspiriert Physiker

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 19.01.2017

Forscher des KIT kehren Hall-Koeffizienten um – Struktur mittelalterlicher Kettenpanzer gab Anstoß für Metamaterial mit neuartigen Eigenschaften

Das Mittelalter hat den Ruf einer nicht wissenschaftsfreundlichen Zeit: Wer abseits ausgetretener Pfade nach neuen Erkenntnissen suchte, konnte sich auf dem Scheiterhaufen widerfinden. So gilt der Beitrag der Epoche zum technischen Fortschritt als überschaubar. Doch jetzt haben sich Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) bei der Herstellung eines neuen Metamaterials mit neuartigen Eigenschaften von mittelalterlichen Kettenhemden inspirieren lassen. Es ist ihnen so gelungen, den Hall-Koeffizienten eines Materials umzukehren.

Der Hall-Effekt beschreibt das Auftreten einer querverlaufenden elektrischen Spannung in einem stromdurchflossenen Leiter, wenn sich dieser in einem Magnetfeld befindet. Der Effekt, der zum Grundstoff des Physikstudiums gehört, bietet somit eine einfache Möglichkeit, die Stärke von Magnetfeldern zu messen. Er bildet die Grundlage magnetischer Sensoren in Autos, etwa bei Drehzahlsensoren, oder der Kompasse in Smartphones. Neben der Messung von Magnetfeldern kann der Hall-Effekt aber auch zur Charakterisierung von Metallen und Halbleitern eingesetzt werden. So kann zum Beispiel die Ladungsträgerdichte des Materials bestimmt werden. Insbesondere kann aus dem Vorzeichen der gemessenen Hall-Spannung  darauf geschlossen werden, ob die Ladungsträger im Element, aus dem der Halbleiter besteht, positive oder negative Ladung tragen.

Dass es möglich sei, den Hall-Koeffizienten eines Materials (wie etwa Gold oder Silizium) umzukehren – also sein Vorzeichen zu drehen –, hatten Mathematiker theoretisch vorhergesagt. Gelingen sollte dies mittels einer kettenhemdähnlichen dreidimensionalen Ringstruktur, die Ähnlichkeiten mit einem historischen Kettenpanzer aufweist. Das Vorhaben aber tatsächlich zu realisieren, galt bislang als zu anspruchsvoll, da das millionstel-meter-kleine Ringgeflecht dazu aus drei verschiedenen Komponenten hätte zusammengesetzt werden müssen.

Christian Kern, Muamer Kadic und Martin Wegener vom Institut für Angewandte Physik am KIT fanden nun heraus, dass ein einziges Grundmaterial ausreicht, wenn die gewählte Ringstruktur einer bestimmten geometrischen Anordnung folgt. Zunächst stellten sie mi einem höchstauflösenden 3-D-Drucker Polymergerüste her, die sie anschließend mit dem Halbleiter Zinkoxid beschichteten.

Das Ergebnis des Experiments: Sie können nun Metamaterialien herstellen, deren Koeffizient positiv ist, selbst wenn deren Komponenten einen negativen Koeffizienten haben. Das klingt fast ein wenig nach Stein der Weisen, jener Formel, mit deren Hilfe die mittelalterlichen Alchemisten eine Substanz in eine andere zu verwandeln trachteten. Irgendeine Verwandlung allerdings findet hier nicht statt: „Die Ladungsträger im Metamaterial sind nach wie vor negativ geladene Elektronen“, erklärt Christian Kern. „Es verhält sich in Hall-Messungen lediglich so, als wären diese positiv geladen, da sie durch die Struktur auf Umwege gezwungen werden.“

Einen praktischen Nutzen habe die Entdeckung bislang nicht, so Kern. Denn Feststoffe sowohl mit negativem als auch positivem Hall-Koeffizienten gibt es in ausreichendem Maße. Doch Kern möchte weiter forschen: Der nächste Schritt sei die Herstellung anisotroper Strukturen, in denen eine Hallspannung in Magnetfeldrichtung – nicht wie normalerweise senkrecht zu Strom- und Magnetfeldrichtung – auftritt. Derartige Materialien könnten Anwendung in neuartigen Sensoren zur direkten Messung von Wirbeln in Magnetfeldern finden. (mex)

Externer Link: www.kit.edu

Flashmob der Moleküle

Presseaussendung der TU Wien vom 19.01.2017

Neurotransmitter-Transporter gehören zu den begehrtesten Transportproteinen in der Forschung, kommt ihnen doch eine zentrale Rolle in der Signalverarbeitung im Gehirn zu. Eine gemeinsame Studie der TU Wien und der Medizinischen Universität Wien konnte nun erstmals zeigen, welchen strukturellen Einfluss Membranlipide auf den medizinisch relevanten Serotonin-Transporter haben.

Die Membran einer Zelle besteht aus einer Lipid-Doppelschicht. Lipide sind gute chemische und elektrische Isolatoren, die Zellinneres von Zelläußerem ideal separieren können. Membranen beherbergen aber auch eine Vielzahl von Proteinen, von denen einige den geregelten Austausch von Substanzen über die Membran hinweg regulieren. Die meisten Proteine können sich innerhalb der Lipidschichten frei bewegen, sind aber erstaunlicherweise oft in Gruppen anzutreffen. Dabei kann die Bindung von Proteinen aneinander starr und dauerhaft sein; oder Proteinmoleküle treffen sich, trennen sich und fügen sich in anderer Konstellation wieder zusammen. Das Forschungsinteresse der an der Studie beteiligten Gruppen von Prof. Gerhard Schütz vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien und von Prof. Harald Sitte vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien liegt darin, wie solche Interaktionen funktionieren, was weiteren Aufschluss über die Funktionsweise der Zellmembran und der in ihnen eingebetteten Membranproteine geben könnte.

Moleküle zählen durch Licht

Proteinmoleküle sind wegen ihrer Größe nicht mit freiem Auge beobachtbar, weshalb man ihnen mit dem Mikroskop folgen muss. Allerdings ist die Herausforderung dabei, genau jene Proteine, die für die jeweilige Fragestellung interessant sind, aus einer großen Anzahl an anderen Proteinen einer Zelle herauszufiltern. „Gemeinsam mit Prof. Harald Sitte von der Medizinischen Universität Wien interessiert uns derzeit besonders der Serotonin-Transporter (SERT), ein Protein, das für die Aufnahme des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn wichtig ist. Um es unter dem Mikroskop beobachten zu können, wird es mit Hilfe eines fluoreszierenden Biomoleküls, eines ‚green fluorenscent protein‘ (GFP), markiert“, erklärt Prof. Schütz. Dabei wird das GFP molekularbiologisch mit dem SERT verknüpft, wie ein farbiger Luftballon. „Durch die Methode der ‘Single Molecule Microscopy‘ können wir aus der Signalstärke der beobachteten Lichtpunkte feststellen, ob  sich das betreffende Molekül allein oder mit einem anderen Molekül seiner Art bewegt.“

Als Biophysiker interessiert Schütz nicht nur, dass sich die Proteine gemeinsam bewegen, sondern auch warum die beiden Moleküle zusammenkleben, also wie die zugrunde liegenden Interaktionsmechanismen funktionieren. Ein zentrales Signalmolekül ist PIP2 (Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat), das überwiegend auf der dem Zellinneren zugewandten Zellmembran-Seite vorkommt. Es dockt perfekt an den SERT an, mit erstaunlichen Konsequenzen. Ist nur eine niedrige Konzentration an PiIP2 verfügbar, so verhält sich die Oligomerisierung des SERT wie erwartet: niedrige SERT-Konzentrationen ergeben vor allem Monomere, hohe Konzentrationen führen zur Formierung von Oligomeren. „Nicht nur, dass wir eine große Anzahl an Oligomeren sehen, wir wissen auch, dass sie gegenseitig Moleküle austauschen“, beschreibt Schütz seine Forschungsarbeit. Ist jedoch das Angebot an PIP2 hoch, so bilden sich im Mittel immer gleich große Oligomere aus, unabhängig von der SERT-Konzentration. „Es ist, als ob die SERT-Proteine in einer voreingestellten Anordnung arretiert wären.“

Der Clusterbildung auf der Spur

Um den Mechanismen dieser erstaunlichen Oligomerbildung auf die Spur zu kommen, muss man ins Innere der Zelle vorstoßen. Ein Zellbereich namens Endoplasmatisches Reticulum fungiert als jener Ort, an dem alle Membranproteine – also auch SERT – hergestellt werden. Es ist de facto PIP2-frei, dort sollte SERT also unterschiedliche Oligomerisierungsgrade aufweisen, je nach SERT- Konzentration. Das wurde auch in der Tat beobachtet. „Wir vermuten, dass SERT nach seiner Herstellung im Endoplasmatischen Reticulum oligomerisiert, dieser Prozess zunächst aber reversibel ist. Erst wenn das Protein an der Zellmembran ankommt, wird der voreingestellte Oligomerisierungsgrad durch PIP2 arretiert“, sagt Schütz. „Die Beobachtungen werden durch gezielte Änderungen der Proteinstruktur bestätigt, die wir am Serotonin-Transporter eingefügt haben“, so Sitte. „Die Position der Punktmutationen konnten wir durch Computermodelle sehr gut bestimmen, die Dr. Thomas Stockner im Rahmen dieser Studie erstellt hat. Die mutierten SERT-Moleküle zeigen ein Verhalten, das die Arretierung nahezu komplett verhindert. Und die medizinische Relevanz unserer Beobachtung liegt in der Bedeutung der Oligomerisierung für die Wirkweise verschiedener Psychostimulantien, wie z.B. der Amphetamine: diese können nur dann wirken, wenn ausreichend miteinander verbundene SERT-Moleküle in der Membran vorgefunden werden.“

Diese Studie entstand im Rahmen des vom Fond zur Förderung von Wissenschaft und Forschung (FWF) geförderten Spezialforschungsbereichs F35 „Transmembrane Transporters in Health and Disease“, der vor allem Wissenschaftler_innen der Medizinischen Universität Wien umfasst. Koautor der Studie und Sprecher des SFB ist Pharmakologe Harald Sitte, der sich seit vielen Jahren mit der Funktionsweise von SERT und anderen Transporterproteinen, sowie deren Modulation durch Psychopharmaka interessiert. (Christine Cimzar-Egger)

Originalpublikation:
Anderluh, A. et al.
Direct PIP2 binding mediates stable oligomer formation of the serotonin transporter.
Nat. Commun. 7, 14089 | DOI: 10.1038/ncomms14089 (2016)

Externer Link: www.tuwien.ac.at