Mit der OLED auf der Spur des Vogelzugs

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 19.09.2014

Regensburger Forscher erzielen einen Durchbruch in der Spinphysik

Wie gelingt es Vögeln, das Magnetfeld der Erde wahrzunehmen? Eine mögliche Antwort auf diese lang umstrittene Frage bietet nun ein einfaches Modell, das auf den aus Handydisplays bekannten organischen Leuchtdioden (OLEDs) basiert. Ein Forscherteam von der Universität Regensburg und der University of Utah (USA) hat erstmals gezeigt, dass sich der Strom einer OLED auch mit kleinsten magnetischen Feldern schalten lässt. Diese Felder entsprechen einer Energie, die über eine Millionen Mal geringer ist als die Wärmeenergie bei Raumtemperatur. Die Ergebnisse der Studie sind in der führenden Fachzeitschrift „Science“ erschienen.

Für die Umwandlung von Strom in Licht bringen OLEDs positive und negative Ladungen zusammen, sogenannte Elektronen und Löcher. Diese Elementarladungen haben neben der elektrischen Eigenschaft noch ein weiteres Merkmal: Ein Elektron verhält sich, mikroskopisch gesehen, wie ein kleiner Stabmagnet. Richten sich viele dieser Stabmagnete zusammen in die gleiche Richtung aus, so spricht man von Magnetismus. Allerdings sind diese Ladungen nicht die einzigen „Kompassnadeln“ in der OLED. Organische Halbleiter heißen so, weil sie aus Kohlenwasserstoffen bestehen. Auch die Atomkerne des Wasserstoffs, die Protonen, haben ein magnetisches Moment – man spricht von einem „Spin“.

Die Spins der Elektronen und der Protonen können untereinander wechselwirken, genauso wie verschiedene Stabmagnete aneinander koppeln. Allerdings handelt es sich beim Spin um eine quantenmechanische Größe, deren Eigenschaften sich mit klassischen Analogien aus dem Alltag nicht vollständig veranschaulichen lassen. Am ehesten lässt sich der Elektronenspin mit einem sich drehenden Kreisel vergleichen. Der Protonenspin übt eine Kraft auf den Elektronenspin aus, er führt zu einer gewissen Ablenkung der Kreiselbewegung: der Kreisel fängt an zu „eiern“. Genau diese vom Kinderspielzeug bekannte Bewegung lässt sich jetzt direkt zeitaufgelöst im Strom einer OLED beobachten.

Es wurde schon lange vermutet, dass der Strom einer OLED von den magnetischen Eigenschaften der Protonen abhängt. Die Forscher um Prof. Dr. John Lupton (Regensburg) und Prof. Dr. Christoph Boehme (Utah) benutzten einen Trick, um diese Hypothese zu überprüfen. Mittels der aus der medizinischen Diagnostik bekannten Kernspinresonanz gelang es, die magnetischen Momente der Protonen gezielt zwischen Nord- und Südausrichtung zu schalten. Dieses Schalten hat einen direkten Einfluss auf den elektrischen Strom, der durch die OLED fließt.

Das Erstaunliche an den neuen Experimenten ist, dass die magnetische Kraft des Protons über tausend Mal geringer ist als die des Elektrons. Trotzdem bestimmt die Ausrichtung der Protonen den elektrischen Strom der Elektronen. Die Ursache hierfür ist in den quantenmechanischen Eigenschaften des Elektronenspins zu finden. Dieser lässt sich als eine Art Welle veranschaulichen, als eine regelmäßige Schwingung. Durch diese wiederkehrende Oszillation können auch kleinste Störungen zu einem großen messbaren Signal aufgebaut werden, ähnlich wie in akustischen Resonanzphänomenen, beispielsweise in einer Trompete.

Genau diese Spinschwingungen wurden bislang auch als mögliche Erklärung für den Magnetfeldsinn einiger Tiere, insbesondere der Zugvögel, vorgebracht, wobei zahlreiche Aspekte des physikalischen Mechanismus bislang im Dunkeln blieben. Die neue Perspektive auf die Elektron-Proton-Wechselwirkung in OLEDs eröffnet die Möglichkeit, konkrete quantenmechanische Experimente zu konzipieren, um die auf das Tierreich bezogenen Hypothesen direkt an einem Halbleiterbauelement zu überprüfen.

Die Ergebnisse des Forschungsteams der Universität Regensburg sowie der University of Utah und der University of Queensland wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht (DOI: 10.1126/science.1255624). (Alexander Schlaak)

Originalpublikation:
Room-temperature coupling between electrical currents and nuclear spins in OLEDs, Fachjournal “Science”, Vol. 345/1487

Externer Link: www.uni-regensburg.de

Jetzt machen wir dicht!

Presseaussendung der TU Wien vom 01.09.2014

Mit einem neuem Dichtungswerkstoff und einem Reparatur-Roboter bekämpft die TU Wien das Problem undichter Wasserleitungen.

Keine Wasserleitung ist völlig dicht, ein bisschen Wasser geht immer verloren. Damit diese Verluste möglichst klein bleiben, entwickelte man an der TU Wien eine neue Abdichtungsmethode: Ein speziell modifiziertes Harz soll in Zukunft die Rohre abdichten, anbringen will man es mit einem eigens entwickelten Rohrreparatur-Roboter. An dem österreichisch-slowakischen EU-Forschungsprojekt „DeWaLop“ (Developing Water Loss Prevention) ist „Wiener Wasser“, der Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland und die Wasserbetriebe Bratislava beteiligt.

Mit Harz gegen Wasserverschwendung

„In den 1970er Jahren hatte das Wiener Rohrsystem noch 24 Prozent Wasserverlust, heute sind es weniger als zehn Prozent. Mithilfe der neuen Technologie wird er weiter sinken“, sagt Christoph Schoberleitner vom Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien. Die Lebensdauer der Graugussrohre selbst ist sehr hoch. Das Problem sind die Dichtungen in den Muffen zwischen den einzelnen Rohren. Tritt dort über lange Zeit Wasser aus, kann das zu Problemen an der Rohrbettung führen, wodurch es im Extremfall sogar zum Bruch der Leitung kommen kann.

In Wien, Bratislava und dem nördlichen Burgenland beschloss man, dieses Problem anzupacken: Eine Methode zur kostengünstigen und schnellen Sanierung von Rohren sollte entwickelt werden. Nun wurde dieses Forschungsprojekt abgeschlossen – herausgekommen ist ein neuartig modifiziertes Epoxidharz, das in Zukunft mit einem Spezialroboter die Rohrleitungen abdichten soll.

Christoph Schoberleitner entwickelte den Dichtungswerkstoff mit seiner Dissertationsbetreuerin Prof. Vasiliki-Maria Archodoulaki. Das Material muss viele Anforderungen erfüllen: Es braucht ausreichend Steifigkeit um einem Druck von zehn Bar standzuhalten, es darf nicht darunter leiden, permanent Korrosion und dem Einfluss des Wassers ausgesetzt zu sein, und es muss gleichzeitig ausreichend elastisch sein um minimale Rohrbewegungen auszugleichen.

Mindestens fünfzig Jahre lang soll das Material halten, und selbstverständlich darf es keine Rückstände im Wasser hinterlassen, die die Qualität des Trinkwassers beeinträchtigen könnten. Nach umfangreichen Untersuchungen entschied man sich für ein Epoxidharz. Durch die Beimengung von elastischen Zusatzkomponenten, die in das Epoxidnetzwerk chemisch eingebaut sind, wurde seine mechanische Flexibilität deutlich verbessert, sodass ein Material mit optimalen Werkstoffeigenschaften für den Einsatz als Rohrdichtungsmaterial entstand.

Reparatur-Roboter

Damit dieses Harz möglichst effizient in den Rohren eingesetzt werden kann, wurde vom Dissertanten Luis Alfredo Mateos-Guzman und Prof. Markus Vincze (Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik) ein Rohrsanierungs-Roboter entwickelt. Ferngesteuert über ein Kabel bewegt sich der Roboter in den Wasserleitungen fort. Mit Hilfe mehrerer Kameras lassen sich Probleme im Rohr erkennen, die nötigen Werkzeuge können für die Sanierung punktgenau gesteuert werden.

Für sehr kleine Rohrdurchmesser gibt es bereits Roboter, in größeren Rohren können zwar Menschen arbeiten, doch diese Arbeit ist extrem beschwerlich. Der Prototyp der TU Wien wird hier wertvolle Dienste leisten er soll Menschen bei mühsamen und gefährlichen Einsätzen entlasten.

Nach umfangreichen Tests am Rohrprüfstand des Wasserleitungsverbandes Nördliches Burgenland wurde auf einer Versuchsbaustelle bereits eine 150m lange Teststrecke erfolgreich saniert. Der Dichtungswerkstoff wird derzeit einer Trinkwassertauglichkeitsprüfung unterzogen, danach ist er bereit für den Einsatz in österreichischen und slowakischen Wasserleitungen. „Besonders im Burgenland ist man bereits sehr an der raschen Verwendung des neuen Dichtungsmaterials interessiert“, sagt Christoph Schoberleitner. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Hochtemperatur-Mikroskopie

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 19.08.2014

Ein neuartiges Zusatzgerät für Lichtmikroskope wurde an der Universität Regensburg von Forschern in Zusammenarbeit mit der Elektronik-Werkstatt der Fakultät für Biologie und vorklinische Medizin entwickelt. Damit kann jedes herkömmliche Mikroskop in ein „Thermomikroskop“ umgerüstet werden.

In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Reinhard Wirth wird seit vielen Jahren untersucht, wie sich sogenannte hyperthermophile Mikroorganismen – diese besitzen eine optimale Wachstumstemperatur von über 80°C – in ihrer Umwelt verhalten. In entsprechenden Biotopen wie den sogenannten „black smokern“ kommen sehr steile Temperaturgradienten vor: im Inneren strömt Wasser mit bis zu 400°C aus dem Meeresboden, die Umgebungstemperatur in der Tiefsee liegt bei ca. 3°C. Der Abstand zwischen heißen und kalten Regionen kann im Minimum über die Wand der „black smoker“ nur 2 bis 3 cm betragen. Auf der Innenseite der porösen Struktur würden die Mikroorganismen sofort „totgekocht“, auf der Außenseite verfallen sie in absolute Kältestarre.

Das neuartige Zusatzgerät TGFD (= temperature gradient forming device) erlaubt es, über eine Distanz von nur 2 cm in einer rechteckigen Glaskapillare einen Temperaturgradienten von über 40°C anzulegen. Damit kann dann in einem einzigen Experiment verfolgt werden, wie die Mikroorganismen auf Temperaturen zwischen z. B. 70°C bis 110°C reagieren. Das bisher vorhandene, in Regensburg entwickelte und nur hier verfügbare Thermomikroskop erlaubte lediglich die Analyse bei einer Temperatur; Änderungen der Temperatur waren nur über mindestens 30-minütige Aufheizzeiten möglich. Das zukünftig auch kommerziell erhältliche TGFD erlaubt nicht nur 5 bis 10-fach schnellere Analysen; erstmals sind insbesondere auch Untersuchungen in Temperaturgradienten möglich.

Die Benutzung des TGFD erlaubte es der Arbeitsgruppe um Prof. Wirth erstmals die Existenz von Thermotaxis für Hochtemperaturorganismen nachzuweisen, d. h. dass diese aktiv in einen für sie optimalen Temperaturbereich schwimmen. Da die Aufheizzeiten des TGFD sehr kurz sind, konnte auch gezeigt werden, dass hyperthermophile Mikroorganismen, die tiefen Temperaturen ausgesetzt sind (z.B. 4°C, wie in der Tiefsee) innerhalb von weniger als 5 Sekunden auf hohe Temperaturen mit Schwimmaktivität reagieren. Dies war selbst nach einem Jahr Aufbewahrung bei 4°C der Fall! Damit wird klar, wie neu entstandene heiße Biotope von hyperthermophilen Mikroorgansimen besiedelt werden können.

Die Arbeiten wurden kürzlich in der renommierten Zeitschrift „Applied and Environmental Microbiology“ DOI:10.1128/AEM.00984-14 veröffentlicht. (Alexander Schlaak)

Externer Link: www.uni-regensburg.de

Wie Wellen im Elektronensee entstehen

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 21.07.2014

Forscher lösen altes Rätsel der Festkörperphysik

Ein Team von europäischen Forschern unter der Leitung von Physikern der Universität Regensburg hat das ultraschnelle Zusammenspiel von Elektronen und Kristallgitterstrukturen von Festkörpern untersucht. Sie konnten dabei ein vierzig Jahre altes Rätsel der Festkörperphysik lösen. Die Studie ist jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Materials“ erschienen (DOI: 10.1038/nmat4042).

Ordnung ist das halbe Leben. Dies gilt besonders für Festkörper, in denen oft spontane Ordnungsphänomene auftreten. Eines der faszinierendsten ist die Supraleitung. Nahe am absoluten Temperaturnullpunkt verbinden sich hier Elektronen spontan zu Paaren, die elektrischen Strom verlustfrei transportieren können. Um diese einzigartige Eigenschaft für die Stromtrassen der Zukunft nutzen zu können, muss man aber die treibenden Kräfte dieses Quanteneffekts genau verstehen. Titandiselenid ist dabei ein besonders genau untersuchtes Modellsystem. Neben der Supraleitfähigkeit tritt hier ein eng verwandtes Ordnungsphänomen auf: eine Ladungsdichtewelle. Während die Elektronenpaare in Supraleitern einen See von widerstandslos verschiebbaren Teilchen bilden, ist die Ladungsdichtewelle wie eine riesige Welle im Elektronensee. Nach bisherigem Wissensstand konkurrieren die beiden Phänomene miteinander.

Ziel des europäischen Forscherteams war es, zunächst zu verstehen, weshalb die Ladungsdichtewelle in Titandiselenid auftritt, um so dem Wechselspiel mit der Supraleitung auf die Spur zu kommen. In ihrem Experiment regten die Wissenschaftler um Prof. Dr. Rupert Huber vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik die Ladungsdichtewelle in einem wenige Atomlagen dünnen Film von Titandiselenid mit Hilfe eines ultrakurzen Lichtblitzes von einer Zeitdauer von nur wenigen Femtosekunden an. Eine Femtosekunde ist der millionste Teil einer Millardstel Sekunde. Mit einem nachfolgenden Lichtimpuls im Terahertz-Spektralbereich konnten die Physiker dann eine Art superschnellen Zeitlupenfilm davon anfertigen, wie die Ladungsdichtewelle gestört wird und sich anschließend wieder neu aufbaut. Das Besondere war dabei, dass die Terahertz-Impulse erstmals sowohl die Wellenordnung der Elektronen als auch die damit verbundene leichte Verzerrung des Kristallgitters beobachten konnten.

Überraschenderweise reagieren die beiden Komponenten auf Bestrahlung mit einem Femtosekunden-Laserimpuls höchst unterschiedlich. Während die elektronische Ordnung durch den Laserimpuls vollkommen zerstört werden kann, zeigt sich die Verzerrung des Kristallgitters deutlich robuster gegen optisches Störfeuer. Die Femtosekunden-Zeitlupe zeigt erstmals eindeutig, dass die Wellen im Elektronensee von Titandiselenid durch ein kooperatives Zusammenspiel des Kristallgitters mit den Elektronen verursacht werden. Dieses Bild wird auch durch eine quantenmechanische Theorie gestützt.

Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern der Universitäten Regensburg, Ilmenau, Kiel, Bielefeld und Heraklion konnte somit ein etwa vierzig Jahre altes Geheimnis der Festkörperphysik lüften. Auch die neue Methode, in superschnellen Zeitlupenfilmen gleich mehrere Ordnungen und deren Dynamik zu beobachten, dürfte entscheidend für ein besseres Verständnis der Supraleitung und vieler anderer überraschender Ordnungsphänomene in Festkörpern werden. (Alexander Schlaak)

Originalpublikation:
M. Porer, U. Leierseder, J.-M. Ménard, H. Dachraoui, L. Mouchliadis, I. E. Perakis, U. Heinzmann, J. Demsar, K. Rossnagel, and R. Huber, „Non-thermal separation of electronic and structural orders in a persisting charge density wave“, Nature Materials (2014)

Externer Link: www.uni-regensburg.de

Physiker entwickeln Methode, mit der Quantencomputer 72 Mal schneller starten können als bisher

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 23.06.2014

Theoretische Physiker der Universität des Saarlandes haben eine Methode entwickelt, mit der ein Quantencomputer in fünf Minuten eingestellt und stabil ist. Bisher dauerte das im Experiment sechs Stunden. Die Wissenschaftler haben sich dabei mathematischer Modelle aus dem Ingenieurwesen bedient. Für die Quantenphysik bedeuten diese Erkenntnisse eine ganz neue Qualität für Experimente: Blieb bislang nur eine kurze Zeit, um mit einem Quantenprozessor zu experimentieren, bevor die empfindlichen Einstellungen wieder stundenlang nachjustiert werden mussten, können Forscher künftig viel schneller ein Experiment vorbereiten und viel länger experimentieren. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht. In derselben Ausgabe haben Experimentalphysiker der University of California in Santa Barbara einen Aufsatz veröffentlicht, der die Methode der Saarbrücker Physiker erfolgreich im Experiment bestätigt.

Startknopf drücken, Monitor anschalten, Kaffee holen, los geht’s: Übliche Computer sind in Windeseile hochgefahren und betriebsbereit. Bei einem Quantencomputer sieht das ganz anders aus. Um einen Chip mit fünf Quantenbits, dem quantenphysikalischen Äquivalent der Bits in normalen Rechnern, so einzustellen, dass man damit arbeiten und experimentieren kann, musste bisher ein Wissenschaftler stundenlang Dutzende Einstellungen aufs Feinste kalibrieren. Lag er nur wenig daneben, lief der Chip nicht.

Denn das Problem ist, dass Quantencomputer ähnlich wie ein Musikinstrument auf kleinste Unterschiede in der Umgebung reagieren. Ist es beispielsweise nur ein wenig wärmer oder kälter, ist der Luftdruck höher oder niedriger als am Vortag, funktioniert das komplexe Geflecht der Quantenbits nicht mehr, der Quantencomputer ist sozusagen „verstimmt“ und muss neu eingestellt werden. „Bisher haben sich Quantenphysiker also jeden Tag aufs Neue hingesetzt und geschaut, was anders ist als am Vortag. Sie haben jeden Parameter gemessen und den Chip immer wieder mühsam neu kalibriert“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes. Die Fehlerquote beim Messen der Umgebungsbedingungen darf nur sehr gering sein, etwa im Bereich unter 0,1 Prozent. „Das bedeutet, dass nur bei einer von 1000 Messungen ein Fehler passieren darf. Sind nur zwei von 1000 Messungen fehlerhaft, kann die Software das nicht mehr korrigieren und der Quantencomputer läuft fehlerhaft“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch die Empfindlichkeit. Bedenkt man, dass rund 50 verschiedene Parameter in die Kalibrierung mit einfließen, erhält man eine Vorstellung von dem Aufwand, mit dem sie betrieben werden muss.

Gemeinsam mit seinem Doktoranden Daniel Egger hat er überlegt, was man grundsätzlich anders machen kann. „Wir haben uns gefragt, warum man jeden Tag aufs Neue verstehen muss, was anders ist als am Vortag? Also haben wir uns irgendwann gesagt: Das müssen wir gar nicht. Entscheidend ist, dass die Einstellung am Ende funktioniert. Warum sie funktioniert, ist nicht so wichtig.“ Mit diesem pragmatischen Ansatz gingen Wilhelm-Mauch und Egger an die Arbeit. „Wir haben für die Kalibrierung einen Algorithmus aus der Ingenieurmathematik, genauer gesagt, aus dem Bauingenieurwesen, verwendet. Denn auch dort sind Versuche teuer“, sagt Physiker Wilhelm-Mauch.

Mithilfe dieses Kniffs gelang es den Theoretikern, die Fehlerquote beim Kalibrieren auf unter die benötigten 0,1 Prozent zu drücken und gleichzeitig die Geschwindigkeit des Einstellverfahrens von sechs Stunden auf fünf Minuten zu reduzieren. Das haben Experimentalphysiker der University of California in Santa Barbara gezeigt, die die Saarbrücker Methode, welche von den Physikern auf den Namen „Ad-HOC” (Adaptive Hybride Optimale Kontrolle) getauft wurde, erstmals auf Herz und Nieren testeten. Das Experiment ist in derselben Ausgabe der Physical Review Letters veröffentlicht wie der Saarbrücker Aufsatz.

Für weitere Experimente bei der Erforschung von Quantencomputern ist dieser Fortschritt ungemein wichtig. Nun müssen in den Laboren der Physiker nicht mehr jeden Tag stundenlange Vorarbeiten gemacht werden, um eine kurze Zeit lang zu experimentieren. „Denn während der langen Kalibrierungsphase haben sich viele Parameter wie Temperatur, Licht und Luftdruck ja bereits wieder leicht verändert, so dass die Zeitspanne, in der der Chip fehlerfrei läuft und man damit experimentieren kann, immer kürzer wird“, sagt Wilhelm-Mauch, der hinzufügt, dass seine Überlegungen skalierbar seien. Sind bisher also aus rein technischen Gründen Experimente mit einem Chip möglich, auf dem fünf Quantenbits die Rechenoperationen durchführen, sind in Zukunft der Größe des Chips mit dieser Methode kaum Grenzen gesetzt, er ist beliebig vergrößerbar.

Zudem gibt es einen Clou an der Methode, auf den Frank Wilhelm-Mauch mit einer Portion Humor hinweist: „Unsere Methode ist im Gegensatz zu der bisherigen Kalibrierung von Hand vollautomatisch. Der Wissenschaftler drückt also tatsächlich nur einen Knopf wie bei einem herkömmlichen Computer und geht Kaffee holen, bis der Quantencomputer einsatzbereit ist.“ Im Alltag ein nicht zu vernachlässigender Gewinn.

Publikation:
Adaptive Hybrid Optimal Quantum Control for Imprecisely Characterized Systems, 20. Juni, Physical Review Letters, DOI: 10.1103/PhysRevLett.112.240503

Externer Link: www.uni-saarland.de