Neue Metallschweißverbindungen verbessern Mittelohrimplantate

Pressemitteilung der Universität Kassel vom 01.08.2023

Schweißverbindungen zwischen Titan beziehungsweise nichtrostenden Stählen und sogenannten Nickel-Titan-Formgedächtnislegierungen sind bislang noch anfällig für die Entstehung von Rissen. Die Werkstoffkombinationen weisen daher häufig geringe Festigkeiten auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Kassel ist mit den biokompatiblen Zusatzwerkstoffen Niob, Tantal und Hafnium hier nun ein neues Verfahren gelungen – das eröffnet Möglichkeiten beispielsweise in der Medizintechnik. In einem ersten Projekt verbesserten sie die Materialfestigkeit eines Mittelohrimplantats um den Faktor 3.

Titanlegierungen, Nickel-Titan-Formgedächtnislegierungen (kurz: NiTi) sowie nichtrostende Stähle zeichnen sich unter anderem durch hervorragende Korrosions- und Medienbeständigkeit aus und zählen deshalb zu den am häufigsten genutzten Metallen in der Medizintechnik. Wegen der spezifischen Materialeigenschaften ist es jedoch aus funktionellen, fertigungstechnischen sowie aus wirtschaftlichen Gründen gewünscht, sogenannte artfremde Verbindungen zu anderen Werkstoffen herzustellen und somit deren Vorteile in Bauteilen mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu vereinen. Eine beispielhafte Anwendung aus dem Bereich der Medizintechnik sind Stapesprothesen, die als Ersatz für Steigbügel, die kleinsten Knochen im menschlichen Körper, eingesetzt werden. Mit einer Länge von 5 mm ist ein Steigbügel dreimal kleiner als der Durchmesser einer 1-Cent-Münze.

Im Rahmen des von Januar 2021 bis Dezember 2022 durchgeführten Forschungsprojekts „MeTiWeld – Artfremdes Mikro-Strahlschweißen von Titan mit Nitinol und nichtrostenden Stählen zur Herstellung eines biokompatiblen Materialverbunds und Verwendung von Zusatzwerkstoffen“ untersuchten die Forscherinnen und Forscher um Prof. Dr.-Ing. Prof. h.c. Stefan Böhm (Leiter Fachgebiet Trennende und Fügende Fertigungsverfahren) artfremde Strahlschweißverbindungen bei Titanlegierungen, nichtrostenden Stählen und NiTi unter Nutzung biokompatibler Zusatzwerkstoffe wie Niob, Tantal und Hafnium. Zum Einsatz kamen sowohl das Mikro-Elektronenstrahlschweißen als auch das Laserstrahlschweißen. „Bei der Verwendung der Zusatzwerkstoffe konnten wir herausragende Zug- und Biegefestigkeiten erzielen, welche die Ergebnisse bisheriger Studien zum artfremden Strahlschweißen der Grundwerkstoffe deutlich übertreffen“, erklärt Michael Wiegand, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets und Leiter des Projekts.

Auch ein zweites Medizinprodukt verbesserte das Forschungsteam: Am Beispiel eines Führungsdrahtes, der bei einer Herzkatheter-Untersuchung benötigt wird, zeigt das Forschungsteam, dass etwa die Zusatzwerkstoffe Niob oder Tantal zwischen nichtrostendem Stahl und NiTi-Draht zu einer fast doppelt so hohen Zugfestigkeit der Materialverbindungen gegenüber der des Strahlschweißens ohne Zusatzwerkstoffe führt. Im Falle der Stapesprothese, deren Schaft aus reinem Titan und das Ankopplungselement aus superelastischem NiTi besteht, konnte die Zugfestigkeit durch das Einschweißen einer dünnen Niob-Folie um mehr als das Dreifache gesteigert werden. „Unsere Forschungsergebnisse bestätigen auch im Hinblick auf die Biokompatibilität, dass mit dem Forschungsvorhaben eine essentielle Basis für die Übertragung auf medizintechnische Bauteile geschaffen wurde“, erläutert Prof. Böhm.

Die Kasseler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten im Projekt MeTiWeld mit dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen/ Reutlingen zusammen. Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und der Arbeitsgemeinschaft industrieller Fördervereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. mit rund 400.000 Euro gefördert.

Die Universität Kassel legt einen ihrer Forschungsschwerpunkte auf Molekulare Komponenten und Multifunktionale Materialien. Das Institut für Werkstofftechnik wiederum beschäftigt sich intensiv mit metallischen Werkstoffen. Hierzu werden regelmäßig zukunftsweisende und mit hohen Fördersummen bedachte Projekte als Teil des Forschungsclusters „BiTWerk – Biologische Transformation technischer Werkstoffe“ gestartet.

Externer Link: www.uni-kassel.de

Laser erkennt Krebsgewebe

Pressemitteilung der Universität Kassel vom 14.06.2023

Kasseler Forscherinnen und Forscher haben eine Methode entwickelt, die mit ultrakurzen Lichtblitzen Krebsoperationen schneller und schonender machen kann.

Die wichtigste Methode, um Krebs im Frühstadium zu beseitigen, ist das Herausschneiden. Um zu gewährleisten, dass der Tumor vollständig entfernt wurde, ist jedoch der richtige Sicherheitsabstand entscheidend, d.h. es muss rings um das befallene Gewebe eine minimale Hülle gesunden Gewebes mitentfernt werden. Ein zu kleiner Sicherheitsabstand kann zu Rückfällen führen, während ein zu großer die Funktion des betroffenen Organs einschränken kann.

Um zu entscheiden, ob das bösartige Gewebe vollständig entfernt wurde, wird häufig eine sogenannte Schnellschnittuntersuchung durchgeführt. Ein Laborarzt untersucht dabei das entnommene Gewebe noch während der laufenden Operation, indem er es außerhalb des OPs schockgefriert, schneidet und einfärbt. Dabei kann er feststellen, ob bei der Entnahme der richtige Sicherheitsabstand eingehalten wurde. Vom Ergebnis dieses zeitaufwendigen Prozesses hängt das weitere Vorgehen der Operation ab.

Wünschenswert wäre eine alternative oder ergänzende Technik, mit der die Art des operierten Gewebes schnell und präzise bestimmt werden kann, um die Operationszeit zu verringern und die Belastung des Patienten zu reduzieren.

Hier setzen die Arbeiten der Kassler Forscherinnen und Forscher an. An Leberkrebs- und Brustkrebsproben aus dem Archiv des Instituts für Pathologie Nordhessen erzielten sie mit einem Laserverfahren eine Genauigkeit in der Unterscheidung von gesundem zu krankem Gewebe von 95 bis nahezu 100 Prozent. Dazu werden ultrakurze Laserblitze von einigen billiardstel Sekunden Dauer auf das Gewebe geschickt, wobei ein geringer Abtrag des Gewebes stattfindet. Dabei entsteht Licht, das die chemische Zusammensetzung des Gewebes anzeigt.

Dieses Verfahren wurde am Nanostrukturzentrum der Universität Kassel vor zwanzig Jahren erstmals an pflanzlichem Gewebe gezeigt und nun auf diese Fragestellung angewendet. Zur Unterscheidung zwischen gesundem und krankem Gewebe verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Auswertungsmethoden, die auf maschinellem Lernen beruhen. Entwickelt wurde das neue Verfahren von den Kasseler Experimentalphysikern/innen Prof. Dr. Thomas Baumert, Arne Senftleben, Cristian Sarpe, Elena Ramela Ciobotea, Christoph Burghard Morscher, Bastian Zielinski und Hendrike Braun in Kooperation mit dem Mediziner Prof. Dr. Josef Rüschoff (Institut für Pathologie Nordhessen).

Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass diese Methode zur raschen Gewebebestimmung nach weiterer Forschungs- und Entwicklungsarbeit in den Operationssaal Einzug finden wird. Wenn Ultrakurzpulslaser als Schneidewerkzeuge während der Operation eingesetzt werden sollten, kann diese Methode sogar gesundes von krankem Gewebe direkt während des Schnittes unterscheiden.

Baumert: „Dieses Verfahren kann Krebs nicht heilen. Aber es kann die Behandlung schneller, sicherer und schonender machen.“

Originalpublikation:
Nature Scientific Reports, “Identification of Tumor Tissue in Thin Pathological Samples via Femtosecond Laser-Induced Breakdown Spectroscopy and Machine Learning”, DOI: 10.1038/s41598-023-36155-8

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High-Tech Schmierstoff bildet sich bei Bedarf von selbst

Presseaussendung der TU Wien vom 14.06.2023

Genau dort, wo die Reibung hoch ist, entstehen Schmierstoffe, die für geringere Reibung sorgen: An der TU Wien gelang das mit speziellen 2D-Materialien. Wichtig ist das für die Weltraumtechnik.

Unser Körper hat mit Maschinen einiges gemeinsam: Wir haben bewegliche Gelenke, es kommt zu Reibung und Verschleiß, man braucht daher geeignete Schmierstoffe. Der Körper produziert sie auf natürliche Weise ganz von selbst – etwas Ähnliches ist nun auch bei Maschinen möglich.

Durch die Wahl passender Materialien kann man erreichen, dass sich bei mechanischer Beanspruchung spezielle 2D-Materialien bilden, die höchst effektiv die Reibung verringern – hohe Reibung führt also ganz von selbst zu einer Verringerung der Reibung, das System reguliert sich selbst. Speziell für Anwendungen im Weltraum, wo flüssige Schmierstoffe versagen und keine Wartung möglich ist, birgt diese neue Technik große Vorteile.

Dünne Schichten, die übereinander gleiten

Die Tribologie, die Wissenschaft von Reibung und Verschleiß, befasst sich seit Jahren intensiv mit sogenannten 2D-Materialien – mit Partikeln, die nur aus einer oder aus wenigen Atomschichten bestehen. Zu dieser Materialklasse zählen etwa Molybdändisulfid oder Molybdändiselenid – in der Mitte befindet sich eine Schicht aus Molybdän-Atomen, darüber und darunter sind Schwefel- oder Selen-Atome angekoppelt.

„Solche ultradünnen Plättchen können mit sehr wenig Widerstand übereinander gleiten“, sagt Dr. Philipp Grützmacher vom Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung der TU Wien. „Daher sind diese Materialien ein hervorragender Schmierstoff.“ Philipp Grützmacher forscht im Team von Prof. Carsten Gachot, der den Forschungsbereich für Tribologie an der TU Wien leitet.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Schmierstoffen wie Öl, die in flüssigem Zustand verwendet werden, können 2D-Materialien in Pulverform verwendet werden. Das ist besonders dann ein großer Vorteil, wenn eine Maschine bei hohen Temperaturen oder im Vakuum funktionieren soll, wo Flüssigkeiten rasch verdampfen würden. „Deshalb spielen solche Schmierstoffe ganz besonders in der Weltraumtechnik eine wichtige Rolle, sie wurden etwa beim James-Webb-Weltraumteleskop verwendet“, sagt Carsten Gachot.

Bei gewöhnlichen Bedingungen auf der Erde sind solche Materialien aber schwer zu handhaben. Durch Kontakt mit Sauerstoff oder Luftfeuchtigkeit können sie nämlich oxidieren und werden damit unbrauchbar. „Optimal ist also ein 2D-Material, das genau dort erst entsteht, wo es gebraucht wird“, sagt Philipp Grützmacher. „Und genau das haben wir nun entwickelt.“

Reibung erzeugt Schmierstoff

Man nimmt dazu einfach ein mechanisches Bauteil aus Stahl und überzieht es mit einer wenige Mikrometer dünnen Schicht aus Molybdän. In Pulverform wird dann Selen hinzugefügt. „Bei mechanischer Beanspruchung, etwa wenn zwei solche Bauteile aneinander reiben, kommt es zu einer tribochemischen Reaktion, Selen und Molybdän verbinden sich zu Molybdändiselenid-Flakes, die dann als Schmierstoff wirken“, erklärt Grützmacher. „Unsere Messungen zeigen: Sobald starke Reibung auftritt, wird der Schmierstoff produziert, die Reibung nimmt sofort drastisch ab und sinkt im Verlauf des Experiments weiter.“ Mit speziellen bildgebenden Verfahren konnte man nachweisen, dass dieser Effekt tatsächlich durch die Entstehung von ultradünnen Molybdänselenid-Schichten zustande kommt.

Im Gegensatz zu Beschichtungen aus vorab synthetisierten 2D Materialien (z.B. MoS2) zersetzen sich die Ausgangsmaterialien (Molybdän und Selenpulver) für den Prozess in Kontakt mit Sauerstoff oder Luftfeuchtigkeit nicht. Dadurch erweitert sich der Einsatzbereich dieses Schmierstoffsystems deutlich. Interessant ist diese Technologie nicht nur für Weltraum-Anwendungen, sondern für viele Einsatzbereiche, in denen flüssige Schmierstoffe Probleme verursachen – etwa, weil hohe Temperaturen auftreten, weil der Prozess im Vakuum stattfinden soll, oder weil es bei der Verwendung von Ölen zu Kontaminationen kommen könnte.

Ein weiterer wichtiger Vorteil: Der Schmierstoff wird immer genau dort gebildet, wo er benötigt wird, was durch einfaches Zuführen von Pulver auch jederzeit wiederholt werden kann. Somit wurde ein deutlich effizienteres Schmierstoffsystem mit längerer Lebensdauer geschaffen. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
P. Grützmacher et al., Se Nano-Powder Conversion into Lubricious 2D Selenide Layers by Tribochemical Reactions, Advanced Materials (2023).

Externer Link: www.tuwien.at

Zwei Qudits vollständig verschränkt

Medienmitteilung der Universität Innsbruck vom 21.04.2023

Neuer Weg zur Verschränkung hochdimensionaler Quantensysteme

Quantencomputer rechnen nicht mehr nur mit Null und Eins wie ihr klassisches Gegenstück, sondern unterstützen flexible höherdimensionale Informationskodierung. Physiker der Universität Innsbruck haben nun eine neue Methode demonstriert, um solche hochdimensionalen Informationsträger effizient und mit hoher Güte zu verschränken.

Während wir aus dem täglichen Leben gewohnt sind mit den Ziffern Null bis Neun zu rechnen, arbeiten Computer für gewöhnlich nur mit binärer Information: Null und Eins. Die Zahl 9 stellt ein Computer als 1001 dar.

Die heutigen Quantencomputer sind aus dieser binären Denkweise gewachsen. Die Quantensysteme, in denen die Information gespeichert wird, unterstützen aber nicht nur Quantenbits (Qubits), sondern auch Quantendigits (Qudits), wie ein Team um Martin Ringbauer vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck kürzlich gezeigt hat. „Die Herausforderung bei Qudit-basierten Quantencomputern ist die effiziente Erzeugung von Verschränkung zwischen den hochdimensionalen Systemen“ erklärt Pavel Hrmo von der ETH Zürich.

Das Team um Martin Ringbauer berichtet nun in der Fachzeitschrift Nature Communications über eine neue Methode hochdimensionale Qudits in einem Quantencomputer zu verschränken und ebnet damit den Weg für noch effizientere Quantencomputer.

Denken wie ein Quantencomputer

Das Beispiel der Zahl 9 zeigt, dass die Rechnung 9 x 9 = 81 im Kopf zwar leicht gelöst werden kann, ein klassischer Computer oder Taschenrechner 1001 x 1001 aber in vielen Einzelschritten berechnen muss. Mit klassischen Computern können wir uns das erlauben, bei Quantencomputern aber, die extrem sensibel auf Umwelteinflüsse reagieren, müssen Rechnungen mit so wenig Schritten wie möglich durchgeführt werden.

Eine der besonderen Eigenschaften von Quantensystemen, und von zentraler Bedeutung für die überragende Rechenleistung von Quantencomputern, ist Verschränkung. Um dieses Potential auszunutzen, ist es von zentraler Bedeutung, Verschränkung hochdimensionaler Systeme auf effiziente und robuste Weise zu erzeugen.

Die natürliche Sprache des Quantencomputers

Die Forscher an der Universität Innsbruck haben nun eine neue Methode demonstriert, um zwei Qudits mit jeweils bis zu fünf Zuständen maximal zu verschränken. Diese Methode gibt sowohl theoretischen, als auch Experimentalphysikern ein neues Werkzeug zur Hand, um die Entwicklung nichtbinärer Quantencomputer zu beschleunigen.

Martin Ringbauer erklärt: „Quantensysteme, wie etwa gespeicherte Ionen, haben viel mehr als nur zwei Zustände, die zur Informationsverarbeitung verwendet werden können.“ Viele der anspruchsvollsten Probleme der heutigen Zeit, in so unterschiedlichen Bereichen wie Chemie, Physik oder Optimierung, können von dieser natürlicheren Sprache des Quantencomputers profitieren.

Die Forschungen wurden unter anderem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG, dem Europäischen Forschungsrat ERC, der Europäischen Union und der Industriellenvereinigung Tirol finanziell unterstützt.

Originalpublikation:
Native qudit entanglement in a trapped ion quantum processor. Pavel Hrmo, Benjamin Wilhelm, Lukas Gerster, Martin W. van Mourik, Marcus Huber, Rainer Blatt, Philipp Schindler, Thomas Monz, Martin Ringbauer. Nature Communications 14, 2242 (2023) (Open Access)

Externer Link: www.uibk.ac.at

Metamaterialien: Zeitkristall bringt Licht in Schwung

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 06.04.2023

Forschende des KIT entwickeln erstmals zweidimensionalen photonischen Zeitkristall – Anwendung verspricht Fortschritte in der drahtlosen Kommunikation und bei Lasern

Photonische Zeitkristalle, deren Eigenschaften sich periodisch ändern, versprechen wesentliche Fortschritte in Mikrowellentechnik, Optik und Photonik. Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben nun zusammen mit Partnern an der Aalto University und der Stanford University erstmals einen zweidimensionalen photonischen Zeitkristall hergestellt und wichtige Anwendungen demonstriert. Ihr Ansatz vereinfacht die Herstellung photonischer Zeitkristalle und kann die Effizienz künftiger Kommunikationssysteme verbessern. Die Forschenden berichten in Science Advances.

Zeitkristalle gehören im weitesten Sinne zu den sogenannten Metamaterialien, die künstlich hergestellt sind und Eigenschaften aufweisen, wie sie in der Natur nicht vorkommen. 2012 stellte der Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek erstmals das faszinierende Konzept der Zeitkristalle vor. Anders als gewöhnliche Kristalle ändern Zeitkristalle ihre Eigenschaften nicht im Raum, sondern periodisch in der Zeit. Forschende in der Photonik arbeiten aktuell an ersten optischen Versionen dieser Materialien, die als photonische Zeitkristalle bezeichnet werden. Diese Kristalle besitzen ein großes Potenzial zur Verbesserung drahtloser Kommunikationssignale und können künftig eine neue Generation von Lasern ermöglichen, da Licht, das sich in photonischen Zeitkristallen ausbreitet, effektiv verstärkt werden kann.

Reduktion der Dimensionalität erleichtert Realisierung

Bisher konzentrierte sich die Forschung im Bereich der photonischen Zeitkristalle auf Volumenmaterialien, das heißt dreidimensionale Strukturen. Die Realisierung von photonischen Zeitkristallen in solchen Materialien stellt aber eine enorme Herausforderung dar und die Experimente gingen bisher nicht über Modellsysteme hinaus. Zu praktischen Anwendungen dieser dreidimensionalen Strukturen kam es noch nicht. Forschende vom Institut für Nanotechnologie und vom Institut für Theoretische Festkörperphysik (TFP) des KIT haben nun zusammen mit Partnern der Aalto University in Finnland und der Stanford University in den USA einen neuen Ansatz entwickelt und in der Zeitschrift Science Advances vorgestellt: Das Team hat erstmals einen zweidimensionalen photonischen Zeitkristall gebaut. Dabei handelt es sich um eine ganz dünne Schicht eines solchen Metamaterials. „Wir haben festgestellt, dass die Reduktion der Dimensionalität von einer 3D- auf eine 2D-Struktur die Implementierung erheblich vereinfacht. Dadurch wurde es möglich, photonische Zeitkristalle zu realisieren“, erklärt Dr. Xuchen Wang, der Hauptautor der Studie, der derzeit am KIT in der Gruppe von Professor Carsten Rockstuhl am TFP forscht. Das Team hat eine zweidimensionale elektromagnetische Struktur entwickelt und synthetisiert. Diese enthält periodisch in der Zeit eingebettete, abstimmbare Komponenten, die ihre elektromagnetischen Eigenschaften ändern. Durch den Einsatz dieser Struktur gelang es, das theoretisch vorhergesagte Verhalten experimentell zu bestätigen. „Diese Entdeckung hat erstmals eine starke Wellenverstärkung in photonischen Zeitkristallen ermöglicht“, erläutert Wang.

Photonische Zeitkristalle in 2D machen Kommunikation effizienter

Die wegweisende Entwicklung ermöglicht Fortschritte in verschiedenen Technologien, beispielsweise bei der drahtlosen Kommunikation, bei integrierten Schaltkreisen und bei Lasern. Durch die Verstärkung elektromagnetischer Wellen können drahtlose Sender und Empfänger künftig leistungsfähiger und effizienter werden. Außerdem kann die Beschichtung von Oberflächen mit zweidimensionalen photonischen Zeitkristallen den Signalabfall bei der drahtlosen Übertragung verringern. Dieser stellt häufig einen Engpass dar. Die Verwendung von zweidimensionalen photonischen Zeitkristallen kann zukünftig auch die Konstruktion von Lasern vereinfachen, da komplexe Spiegelsysteme, wie sie normalerweise in Laserresonatoren eingesetzt werden, nicht mehr erforderlich sind.

Eine weitere wichtige Anwendung ergibt sich aus der Erkenntnis, dass photonische Zeitkristalle in 2D nicht nur die eintreffenden elektromagnetischen Wellen im freien Raum verstärken, sondern auch Oberflächenwellen, die für die Kommunikation zwischen elektronischen Komponenten in integrierten Schaltkreisen verwendet werden. Oberflächenwellen leiden unter Verlusten durch Absorption im Material, wodurch die Signalstärke verringert wird. „Durch den Einsatz von zweidimensionalen photonischen Zeitkristallen, die das Ausbreitungsmedium bedecken, lässt sich die Oberflächenwelle verstärken, was die Kommunikationseffizienz verbessert“, sagt Wang. (or)

Originalpublikation:
Xuchen Wang, Mohammad Sajjad Mirmoosa, Viktar S. Asadchy, Carsten Rockstuhl, Shanhui Fan, & Sergei A. Tretyakov: Metasurface-Based Realization of Photonic Time Crystals. Science Advances, 2023. DOI: 10.1126/sciadv.adg7541

Externer Link: www.kit.edu