Tanz der Atome

Presseaussendung der TU Wien vom 10.06.2013

Katalysatoren können ihre Wirkung verlieren, wenn die aktiven Atome auf der Oberfläche zu wandern beginnen. An der TU Wien konnte man diesen Tanz der Atome nun beobachten und erklären.

Wer alleine an der Tanzfläche steht, bewegt sich kaum. Erst wenn man den richtigen Tanzpartner findet, beginnt eine rasche Bewegung. Ähnlich verhalten sich Atome auf Eisenoxid-Oberflächen: Nur mit dem richtigen molekularen Partner starten sie einen rasanten Tanz. Das kann allerdings dazu führen, dass sie am Ende verklumpen – ein Effekt, der bei Katalysatoren großen Schaden anrichtet. An der TU Wien gelang es, die einzelnen Atome dabei zu filmen und so zu beweisen, dass Kohlenmonoxid als Partner für die rasche Bewegung und den gefürchteten Verklumpungseffekt verantwortlich ist. Die Ergebnisse wurden nun im renommierten Fachjournal „Nature Materials“ veröffentlicht.

Klumpen sind Materialverschwendung

„Metalle wie Gold oder Palladium werden oft als Katalysatoren eingesetzt um verschiedene chemische Reaktionen zu beschleunigen“, erklärt Prof. Ulrike Diebold vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien. Wenn sich die Metallatome verklumpen, kommen die meisten von ihnen nicht mehr in Kontakt mit dem umgebenden Gas und der Katalysator-Effekt wird viel geringer. Daher untersucht Ulrike Diebolds Arbeitsgruppe, wie es bei Atomen auf einer Oberfläche zu diesem Verklumpen kommt und wie man es verhindern kann.

Theorien dazu gab es schon bisher – doch an der TU Wien gelang es nun erstmals, den Atomen tatsächlich beim Verklumpen zuzusehen. „Wir verwenden Palladium-Atome auf einer extrem sauberen Eisenoxid-Oberflächen in einem Ultrahochvakuum, wo wir dann die Atome mit einem Rastertunnelmikroskop einige Stunden lang immer wieder abbilden“, erklärt Gareth Parkinson (TU Wien). Aus diesen Bildern entsteht schließlich ein Film, in dem man den Weg der einzelnen Atome nachverfolgen kann.

Der Sky-Hook-Effekt

Auf diese Weise konnte das Forschungsteam klären, wer die Tanzpartner sind, die einzelne, still herumsitzende Palladium-Atome von ihrem Platz lösen: Es sind Kohlenmonoxid-Moleküle, die sich mit einem einzelnen Palladium-Atom verbinden. Sobald das geschieht, ist das Palladium kaum noch an den Untergrund gebunden, so als wäre es vom Kohlenmonoxid ein Stück nach oben gehoben worden. „Das nennt man den Sky-Hook-Effekt“, sagt Zbynek Novotny (TU Wien).

Kohlenmonoxid und Palladium tanzen gemeinsam blitzschnell über den Boden, bis sie mit einem anderen Palladium-Atom kollidieren. Dann bleiben die Palladium-Atome aneinander haften, nach und nach können so Cluster aus vielen Atomen wachsen.

Hydroxidgruppen gegen Verklumpung?

Nachdem es jetzt möglich ist, die Mechanismen der Katalysator-Verklumpung in Echtzeit unter dem Mikroskop zu beobachten, lassen sich diese Effekte nun ganz systematisch untersuchen: „Wir konnten feststellen, dass OH-Gruppen auf der Oberfläche den Effekt unterdrücken“, sagt Gareth Parkinson. Trifft das Palladium mit der Kohlenmonoxid-Gruppe auf seinem Tanz nicht auf ein anderes Palladium-Atom, sondern auf eine OH-Gruppe, dann bleibt es an dieser Stelle kleben und kann auch nicht mehr abgelöst werden. Möglicherweise könnte eine Beschichtung mit OH-Gruppen also eine Verbesserung von Katalysatoren möglich machen. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Ein Quantensimulator für magnetische Materialien

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 23.05.2013

Physiker der ETH Zürich haben einen Quantensimulator entwickelt, in dem Atome das Verhalten von Elektronen in magnetischen Materialien nachahmen. Damit können schwierig zu verstehende Eigenschaften neuartiger Materialien systematisch untersucht werden, was letztlich auch zur Entwicklung neuer magnetischer Materialien führen könnte.

Weshalb ein Kühlschrankmagnet an bestimmten metallischen Oberflächen haften bleibt, das verstehen Physiker in jedem Detail. Magnetische Materialien existieren jedoch auch in exotischen Varianten, deren Eigenschaften trotz jahrzehntelanger Forschung noch weitgehend unverstanden sind. Tilman Esslinger und seine Gruppe am Institut für Quantenoptik und -elektronik haben nun einen wesentlichen Schritt unternommen, diese Lücken zu schliessen. Das Team kombiniert Laserstrahlen und Atome so miteinander, dass Strukturen entstehen, die sich exakt wie magnetische Materialien verhalten. Diese Methode verspricht grundlegende Erkenntnisse zu magnetischen Materialien zu liefern, die über das hinausgehen, was heutzutage mit theoretischen und computergestützten Methoden möglich ist. Die Arbeit könnte Forschern auch helfen, neue Materialien zu finden, die interessante Eigenschaften hinsichtlich zukünftiger Technologien und Anwendungen besitzen.

Das Konzert der winzigen Magneten

Magnetische Materialien verdanken ihre Eigenschaften einem komplexen Wechselspiel einer Vielzahl von winzigen Magneten, die in der Regel in der Form von einzelnen Elektronen vorliegen. Beobachtbarer Magnetismus tritt dann auf, wenn diese magnetischen Bausteine in bestimmten Mustern angeordnet sind, in denen sie durch quantenmechanische Wechselwirkungen festgehalten werden. Ein typischer Kühlschrankmagnet, zum Beispiel, besteht aus mehreren ferromagnetischen Teilstücken und in jedem Segment sind sämtliche Elementarmagnete parallel zueinander ausgerichtet, woraus das magnetische Verhalten resultiert.

In anderen magnetischen Materialien ist die Situation weniger anschaulich, da die magnetischen Bausteine in komplizierteren Mustern angeordnet sind. Ein Beispiele hierfür sind die sogenannten Quanten-Spin-Flüssigkeiten, in welchen die Elementarmagnete in einer Weise wechselwirken, die sie daran hindert, jemals in einem geordneten Zustand vorzuliegen. Physiker und Materialwissenschaftler sind an solchen unkonventionellen Magneten interessiert, weil sie grundlegende Probleme der Vielteilchen-Quantenphysik verkörpern, aber auch, weil diese Materialien Eigenschaften besitzen, die eine Grundlage bilden könnten für zukünftige magnetische Speichermedien oder für neuartige Formen der Informationsverarbeitung.

Quantensysteme mit Quantensystemen simulieren

Anders als im Fall von Kühlschrankmagneten lässt sich das Verhalten von Quanten-Spin-Flüssigkeiten und anderen exotischen magnetischen Zuständen, heutzutage nur sehr begrenzt voraussagen. Es ist ein hartnäckiges Problem, da die Wechselwirkung zwischen hunderten von Elementarmagneten berücksichtigt werden muss. Die Komplexität dieses Problems erklärt denn auch, warum viele magnetische Materialien – aber auch viele idealisierte Modellsysteme – heute nur unvollständig verstanden sind. Das fehlende Verständnis behindert Fortschritte in der Nutzung und Weiterentwicklung dieser Materialien.

Da herkömmliche Methoden für diese komplizierten Systeme häufig unzureichend sind, verfolgen Esslinger und seine Mitarbeiter einen gänzlich anderen Ansatz. Sie schaffen künstliche Materialien, die das Material, welches sie ursprünglich studieren wollen, replizieren. Mit anderen Worten, um das eigentliche Material zu untersuchen, führen die Wissenschaftler ihre Messungen an einem künstlich erschaffenen Gegenstück durch, das leichter zu handhaben ist und in dem wichtige Parameter (wie etwa die Stärke der Wechselwirkung zwischen den Elementarmagneten) verändert werden können.

Esslinger und sein Team schaffen ihre künstlichen Materialien, indem sie Atome verwenden, die sich im Wesentlichen wie Elektronen verhalten. Diese bringen sie dann in einen «Kristall» ein der durch eine Überlagerung mehrerer Laserstrahlen erzeugt wird. Sowohl die Laserstrahlen wie auch die gefangenen Atome können mit grosser Genauigkeit gesteuert werden. «Auf diese Weise können wir das quantenmechanische Verhalten von verschiedenen magnetischen Materialien simulieren», sagt Esslinger.

Vom Modell zur Anwendung

Die Erkundung von Eigenschaften eines quantenmechanischen Systems mit Hilfe eines anderen, das besser kontrollierbar ist, wird als Quantensimulation bezeichnet. In den vergangenen Jahren haben Physiker in diversen Forschungsgruppen intensiv daran gearbeitet, einen Quantensimulator für magnetische Materialien zu entwickeln – diese spezifische Anwendung gilt als eines der wichtigsten Ziele in diesem Feld. Esslinger und seinem Team ist es jetzt erstmals gelungen, ein Experiment aufzubauen, in dem das Verhalten einer grossen Anzahl von Elektronen in einem magnetischen Material direkt reproduziert wird. «Der Schlüssel zu unserem Erfolg ist eine Methode, die es uns ermöglicht, die extrem niedrigen Temperaturen zu erreichen, die benötigt werden, um Quantenmagnetismus erkunden zu können», erklärt Daniel Greif, Doktorand in der Gruppe von Esslinger und Erstautor der Studie. Ihre neue Methode ermöglichte es den Physikern, ein magnetisches System mit 5’000 Atomen zu erschaffen. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Matthias Troyer, Professor am Institut für Theoretische Physik, untersuchen sie derzeit, ob das Verhalten dieses Systems auf einem herkömmlichen Computer nachvollzogen werden kann.

Quantensimulatoren bieten die Möglichkeit, verschiedenste Szenarien durchzuspielen, wie Elektronen in einem magnetischen Material miteinander wechselwirken. Die Ergebnisse solcher Simulationen können dann mit dem Verhalten natürlicher magnetischer Materialien verglichen werden. Es besteht aber auch die Aussicht darauf, magnetische Zustände zu entdecken, die bisher noch nicht in natürlichen Materialien gesehen wurden. Dies wiederum könnte zu neuen Anwendungen führen, sagt Esslinger: «Die Triebfeder hinter neuen Technologien ist oft die Entwicklung neuer Materialien, wie etwa Hochtemperatur-Supraleiter, Graphen oder eben neue magnetische Materialien.»

Originalpublikation:
Greif D, Uehlinger T, Jotzu G, Tarruell L, Esslinger T: Short-range quantum magnetism of ultracold fermions in an optical lattice. Science, 2013

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Germanium wird lasertauglich

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 22.04.2013

Gute Nachrichten für die Computerindustrie: Einem Team von Forschern ist es gelungen, Germanium für Laser geeignet zu machen. Dadurch könnten künftig Teile eines Mikroprozessors mittels Licht kommunizieren – was die Rechner der Zukunft schneller und leistungsfähiger werden lässt.

Forscher von der ETH Zürich, dem Paul Scherrer Institut PSI und dem Politecnico di Milano haben gemeinsam eine Fabrikationstechnik entwickelt, mit der sie den Halbleiter Germanium durch starke Zugspannung lasertauglich machen können. In ihrer kürzlich in «Nature Photonics» erschienenen Publikation zeigen sie, wie sie die dazu benötigte Zugspannung auf effiziente Weise erzeugen können. Die Wissenschaftler weisen nach, dass sie mit ihrer Methode die optischen Eigenschaften des an sich für Laser ungeeigneten Germaniums wirksam verändern können: «Bei einer Dehnung von drei Prozent gibt das Material rund 25 Mal mehr Photonen ab als im entspannten Zustand», erklärt Martin Süess, Doktorand am Laboratorium für Nanometallurgie von Professor Ralph Spolenak und dem EMEZ an der ETH Zürich. «Das reicht aus, um damit Laser zu bauen», sagt sein Mitstreiter Richard Geiger, Doktorand am Labor für Mikro- und Nanotechnologie am PSI und dem Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich unter Professor Jérôme Faist.

Starker Zug durch Mikro-Brücken

Um das Germanium mit der neuen Methode in seine laserfähige gestreckte Form zu bringen, nutzen die Forscher die leichte Spannung, die im Germanium entsteht, wenn es auf Silizium aufgedampft wird. Diese Vorspannung verstärken die Wissenschaftler durch sogenannte Mikro-Brücken: Sie kerben freigelegte Germaniumstreifen, die an beiden Enden auf der Siliziumschicht fixiert bleiben, in der Mitte von beiden Seiten tief ein. Die beiden Hälften des Streifens bleiben dadurch lediglich über einen äusserst schmalen Steg verbunden. Genau dort verstärkt sich die Dehnung des Germaniums aus physikalischen Gründen so sehr, dass es an dieser Stelle lasertauglich wird.

«Die Zugspannung, die auf das Germanium wirkt, ist vergleichbar mit der Kraft, die auf einen Bleistift wirkt, an dem zwei Lastwagen in entgegengesetzte Richtungen ziehen», überträgt Hans Sigg, Projektleiter vom PSI, den Kraftakt im Mikrometerbereich auf Alltags-Grössenverhältnisse. Die Materialeigenschaften verändern sich, weil die einzelnen Atome durch die Dehnung des Materials ein wenig auseinanderrücken. Dadurch wird es für die Elektronen möglich, auf Energieniveaus zu gelangen, die für die Entstehung von Lichtteilchen, sogenannten Photonen, günstig sind.

Germanium-Laser für die Rechner der Zukunft

Die Methode des interdisziplinären Forscherteams könnte die Leistung kommender Computergenerationen bedeutend steigern. Denn um die Rechnerleistung zu verbessern, wurden vor allem Computerchips stetig verkleinert und immer dichter gepackt. Doch dieser Ansatz wird in absehbarer Zeit an seine Grenzen stossen. «Um Leistung und Geschwindigkeit weiter zu steigern, müssen die einzelnen Komponenten in Zukunft vor allem stärker verknüpft werden und effizienter miteinander kommunizieren», erklärt Süess. Dafür sind allerdings neue und schnellere Übertragungswege nötig als heute, wo die Signale noch via Strom und Kupferkabel übermittelt werden.

«Der Ansatz der Zukunft heisst Licht», sagt Geiger. Doch um dieses für die Übermittlung von Daten nutzen zu können, braucht es zuerst Lichtquellen, die so klein sind, dass sie auf einen Chip passen und sich mit Silizium, dem Grundmaterial aller Computerchips vertragen. Silizium selbst taugt nicht für die Erzeugung von Laserlicht. Das ist denn auch der Grund, wieso den Forschern viel daran liegt, Germanium laserfähig zu machen: «Germanium ist mit Silizium bestens kompatibel und wird bereits heute in der Computerindustrie bei der Herstellung von Siliziumchips verwendet», erklärt Geiger. Sollte es gelingen, mit der neuen Methode aus Germanium winzige Laser zu bauen, rückt ein Systemwechsel in greifbare Nähe. «Wir sind auf gutem Weg», sagt Süess. Das internationale Forscherteam ist momentan dabei, mit der neuen Methode tatsächlich einen Germanium-Laser zu bauen.

Originalpublikation:
Süess MJ, Geiger R, Minamisawa RA, Schiefler G, Frigerio J, Chrastina D, Isella G, Spolenak R, Faist J & Sigg H: Analysis of enhanced light emission from highly strained germanium microbridges. Nature Photonics. 2013. Published online: 14 April 2013 doi: 10.1038/nphoton.2013.67.

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PhysikerInnen stopfen „Schlupfloch“ in Quantenexperimenten

Pressemeldung der Universität Wien vom 14.04.2013

Ein Team um Anton Zeilinger, Professor für Experimentalphysik der Universität Wien und Direktor des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW, hat einen Versuch mit Photonen durchgeführt, bei dem nun ein wichtiges „Schlupfloch“ geschlossen werden konnte. Der Nachweis, dass und wie die Quantenwelt unserer Alltagserfahrung widerspricht und weitere Ergebnisse dieser Arbeit erscheinen aktuell in der renommierten Fachzeitschrift Nature (Advance Online Publication/AOP).

Wenn wir einen Gegenstand beobachten, dann gehen wir davon aus, dass einerseits seine Eigenschaften schon vor der Beobachtung eindeutig feststehen und dass andererseits diese Eigenschaften unabhängig sind vom Zustand anderer, weit entfernter Objekte. Für Gegenstände unseres Alltags ist dem auch so. Für Quantenobjekte hingegen treffen diese scheinbar selbstverständlichen Annahmen nicht ohne weiteres zu. In den vergangenen 30 Jahren haben zahlreiche Experimente gezeigt, dass das Verhalten von Quantenteilchen – wie Atome, Elektronen oder Photonen – in klarem Widerspruch mit obiger Wahrnehmung stehen kann. Jedoch haben diese Experimente nie über alle Zweifel erhabene Antworten geliefert. Stets war es im Prinzip möglich, dass die beobachteten Teilchen eine Schwäche des Experiments „ausgenützt“ hatten. Ein Team um Physiker Anton Zeilinger hat nun einen Versuch mit Photonen durchgeführt und dabei ein wichtiges „Schlupfloch“ geschlossen. Die ForscherInnen haben damit den bisher vollständigsten experimentellen Nachweis erbracht, dass und wie die Quantenwelt unserer Alltagserfahrung widerspricht.

Die Quantenphysik liefert ein extrem präzises und fundamentales Werkzeug, um die Welt um uns bis in kleinste Details zu verstehen. Sie ist aber auch Grundlage für die moderne Hochtechnologie: Halbleiter (und damit Computer), Laser, Magnetresonanztomographen und andere Geräte basieren auf quantenphysikalischen Effekten. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach mehr als einem Jahrhundert intensiver Forschung fundamentale Aspekte der Quantentheorie noch nicht vollkommen verstanden sind. Auch heute noch werden aus Laboratorien weltweit – jeder Intuition widersprechende Ergebnisse – gemeldet, die jedoch im Rahmen der Quantentheorie erklärt werden können.

Dem Rätsel der Quantenverschränkung auf der Spur

Die Wiener PhysikerInnen berichten nun aber nicht von einem neuen Effekt, sondern sind einem der grundlegendsten Phänomene der Quantenphysik, der sogenannten „Verschränkung“, tiefer auf den Grund gegangen. Die Konsequenzen der Quantenverschränkung sind verblüffend: Wenn man ein Quantenobjekt misst, das mit einem anderen verschränkt ist, dann, so sagt die Quantentheorie, ist der Zustand eines Teilchens von der Messung, die an dem anderen durchgeführt wird, abhängig. Dies ist auch der Fall, wenn die beiden Teilchen so weit voneinander entfernt sind, dass sie selbst im Prinzip nicht miteinander kommunizieren können (die Kommunikationsgeschwindigkeit ist grundlegend durch die Lichtgeschwindigkeit beschränkt). Eine große Aufgabe ist es, die Vorhersage der gegenseitigen Beeinflussung verschränkter Quantenteilchen in realen Experimenten zu testen.

Auf dem Weg zu einer abschließenden Antwort

Anton Zeilinger und den jungen WissenschafterInnen Marissa Giustina, Alexandra Mech, Rupert Ursin, Sven Ramelow und Bernhard Wittmann ist in einer internationalen Kooperation mit dem National Institute of Standards and Technology (USA), der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (Deutschland) und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik (Deutschland) ein wichtiger Schritt gelungen, um einen endgültigen experimentellen Beweis zu erbringen, dass Quantenteilchen in der Tat mehr können als die klassische Physik ihnen erlaubt. Technologische Verbesserungen gemeinsam mit einem geeigneten Aufnahmeprotokoll ermöglichten den Forschenden, verschränkte Photonen mit einer bisher nicht dagewesenen Effizienz zu detektieren. „Die erzeugten Photonen können sich nicht mehr davor drücken, gemessen zu werden“, bringt es Zeilinger auf den Punkt.

Diese engmaschige Überwachung der Photonen ist wichtig, weil damit ein wesentliches „Schlupfloch“ geschlossen wird. Bei bisherigen Experimenten dieser Art blieb stets die Möglichkeit offen, dass die gemessenen Lichtteilchen zwar die Gesetze der klassischen Physik verletzt hatten, dies aber nicht der Fall gewesen wäre, wenn alle im Experiment involvierten Teilchen hätten gemessen werden können. Diese Möglichkeit wird in dem neuen Experiment ausgeschlossen. „Viele Wissenschaftler haben sich bis jetzt gescheut, Experimente mit Photonen durchzuführen, weil diese zu einfach verloren gehen – genau dieses Problem haben wir jetzt im Griff“, erklärt Marissa Giustina, Erstautorin der aktuellen Publikation.

Noch ein Schritt zum krönenden Abschluss

Mit dem neuen Experiment von Marissa Guistina und ihren KollegInnen sind Photonen die ersten Quantenteilchen, für die – zwar nicht in einem einzigen, aber – in mehreren separaten Experimenten jede mögliche Hintertür geschlossen wurde. Die Krönung wäre jedoch noch ein einziges Experiment, in welchem den Photonen durch Mittel der klassischen Physik sämtliche mögliche Wege versperrt werden würde. Ein solches Experiment wäre auch für eine wichtige praktische Anwendung von grundlegender Bedeutung: Die sogenannte Quantenkryptographie beruht auf quantenmechanischen Prinzipien und gilt als absolut abhörsicher. Ein Lauschangriff ist aber im Prinzip möglich, solange „Schlupflöcher“ bestehen. Nur wenn diese geschlossen sind, ist ein vollkommen sicherer Austausch von Nachrichten möglich.

„Ein Experiment ohne jedes Schlupfloch“, sagt Zeilinger, „ist eine große Herausforderung. Daran arbeiten einige Gruppen weltweit.“ Diese Experimente werden nicht nur mit Photonen versucht, sondern auch mit Atomen, Elektronen und anderen Systemen, die quantenmechanisches Verhalten an den Tag legen. Das Experiment der Wiener PhysikerInnen zeigt aber deutlich das Potenzial, das in Photonen steckt, auf. Dank diesen Fortschritten gehen dem Photon die „Schlupfwinkel“ aus und die PhysikerInnen sind näher denn je an einem Experiment, das belegt, dass die Quantenphysik wirklich so sehr gegen unsere Intuition und Alltagserfahrung verstößt, wie dies die Forschungsarbeiten der vergangenen Jahrzehnte nahelegen.

Diese Arbeit entstand in Zusammenarbeit folgender Institutionen: Institut für Quantenoptik und Quanteninformation – Wien / IQOQI Wien (Österreichische Akademie der Wissenschaften), Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation, Fakultät für Physik (Universität Wien), Max-Planck-Institut für Quantenoptik, National Institute of Standards and Technology / NIST, Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Berlin.

Die Forschungsarbeit wurde unterstützt von: ERC (Advanced Grant), Austrian Science Fund (FWF), CoQuS, Marie Curie Research Training Network EMALI, die John Templeton Foundation und NIST Quantum Information Science Initiative (QISI).

Publikation:
Bell violation using entangled photons without the fair-sampling assumption: Marissa Giustina, Alexandra Mech, Sven Ramelow, Bernhard Wittmann, Johannes Kofler, Jörn Beyer, Adriana Lita, Brice Calkins, Thomas Gerrits, Sae Woo Nam, Rupert Ursin, Anton Zeilinger. In: Nature (Advance Online Publication/AOP). April 14, 2013. DOI: 10.1038/nature12012

Externer Link: www.univie.ac.at

Ketchup schlägt Purzelbäume

Pressemitteilung der TU München vom 06.03.2013

Wissenschaftler entwickeln ein Modell komplexer Flüssigkeiten:

Blut, Farbe oder Ketchup sind komplexe Flüssigkeiten, die aus mehreren unterschiedlichen Bestandteilen zusammengesetzt sind. Für die Konstruktion von Pumpen oder die Verbesserung technischer Prozesse benötigen Wissenschaft und Technik Beschreibungsmodelle. Sie machen die besonderen Eigenschaften solcher Flüssigkeiten berechenbar. Forscher der Technischen Universität München (TUM) und der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) haben nun ein solches Modell entwickelt. In der aktuellen Ausgabe des angesehenen Journals „Physical Review Letters“ stellen sie es vor.

Das ungewöhnliche Verhalten komplexer Flüssigkeiten kennen wir aus dem Alltag: Kuchenteig steigt beim Rühren am Rührstab hoch, Ketchup wird flüssiger wenn man ihn schüttelt. Auch die Technik nutzt solche Phänomene: Wenn man eine kleine Menge langkettiger Kunststoffmoleküle zugibt, kann eine Pipeline viel mehr Erdöl transportieren. Die Polymere verringern den Fließwiderstand. Doch der Ursprung dieser Effekte war bislang unklar. Die Ingenieure waren auf Schätzungen und langwierige Versuchsreihen angewiesen.

Ein Physikerteam unter Leitung von Professor Andreas Bausch, Inhaber des Lehrstuhls für Zellbiophysik an der TU München, entwickelte nun ein Beschreibungsmodell für solche Flüssigkeiten. Experimentelles Herzstück der Arbeit sind ein feiner Strömungskanal und eine Mikrokamera. Ähnlich wie die Kamera, die bei Formel 1-Rennen von oben auf die Boxengasse blickt, beobachteten die Wissenschaftler damit die Bewegungen einzelner Polymermoleküle in der Strömung.

Aus ihren Beobachtungen leiteten sie ein theoretisches Modell für die Bewegung verschieden steifer Moleküle in der Strömung ab. Darüber hinaus gelang es ihnen auch, für von Kollegen vermutete Bewegungsmuster eine experimentelle Bestätigung zu liefern.

Herausforderung für Theorie und Experiment

„Aufgrund der unglaublich großen Zahl von Freiheitsgraden ist die Untersuchung und Beschreibung der Bewegung von Polymeren eine große Herausforderung“, sagt Markus Harasim, einer der beiden Hauptautoren. Schon ein einfaches System aus Wasser und Polymer zeigt die Effekte komplexer Flüssigkeiten. Um darin die lang gestreckten Moleküle sichtbar zu machen, markierten die Physiker die Polymere mit einem fluoreszierenden Farbstoff. So konnten sie die Bewegungen unter verschiedenen Bedingungen studieren.

Bei der mathematischen Modellierung zeigte sich zu ihrer Überraschung, dass bereits das einfache Modell eines steifen Stabes als Ausgangsbasis geeignet war. Dieses Modell verfeinerten die Wissenschaftler dann durch Berücksichtigung der Wärmebewegung, der Biegsamkeit des Moleküls und des höheren Strömungswiderstands eines gebogenen Polymers. „Da wir die mikroskopischen Mechanismen nun kennen, können wir darauf Modelle für kompliziertere Geometrien und Strömungen aufbauen. Und mit dem vorgestellten experimentellen Ansatz sollten sich diese auch beweisen lassen“, sagt Coautor Bernhard Wunderlich, der in seiner Freizeit Rapper bei der Hiphop-Band „Blumentopf“ ist.

Die Arbeiten wurden mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Exzellenclusters Nanosystems Initiative Munich (NIM) unterstützt.

Publikation:
Direct Observation of the Dynamics of Semiflexible Polymers in Shear Flow. Markus Harasim, Bernhard Wunderlich, Orit Peleg, Martin Kröger, and Andreas Bausch, Physical Review Letters, online, 4. März 2013. DOI: 10.1103/PhysRevLett.110.108302

Externer Link: www.tu-muenchen.de