Aluminium statt Kupfer als Leitungsmaterial im Auto-Bordnetz

Pressemitteilung der TU München vom 07.02.2011

Leichter und billiger:

In Fahrzeugen aller Art spielen Elektrik und Elektronik eine stetig wachsende Rolle. Als Leitungsmaterial wird derzeit in der Regel Kupfer verwendet. Doch im Vergleich zu Aluminium ist Kupfer schwer und teuer. Vor allem für vollelektrische Fahrzeuge wäre der Umstieg auf das billigere und spezifisch leichtere Aluminium eine interessante Option. Deshalb steht jetzt auch die Optimierung des verzweigten Elektrobordnetzes im Fokus der Ingenieure. In Zusammenarbeit mit Forschern bei BMW haben Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) nun herausgefunden, mit welchen Tricks es möglich ist, Kupfer durch Aluminium zu ersetzen.

Auf den ersten Blick ist es nicht nachvollziehbar, warum in modernen Kraftfahrzeugen mit (teil-) elektrischem Antrieb nach wie vor auf das Leitermaterial Kupfer gesetzt wird – obwohl Aluminium leichter und vor allem wesentlich kostengünstiger ist. Doch will man in der Elektrik Kupfer durch Aluminium ersetzen, muss man sich zunächst einigen technologischen Herausforderungen stellen. Vor allem bei höheren Temperaturen, wie sie auch im Auto an vielen Stellen auftreten, zeigt Aluminium ein deutliches Kriechen. Konventionelle Verbinder sind daher nicht einsetzbar, sie wären nicht dauerfest.

Auch eine mögliche Alternative, der Einsatz aluminiumbasierter Elementen in den Kabeln und kupferbasierter Elemente in der Verbindungszone ist mit Schwierigkeiten behaftet. Da zwischen dem Kupferkontakt und dem Aluminiumkabel ein großes elektrochemisches Potenzial besteht, wären solche Kabel stark korrosionsgefährdet. Darüber hinaus ist das Fügen von Kupfer und Aluminium mit den heutigen Technologien relativ aufwändig. Um den genannten technologischen Schwierigkeiten entgegenzutreten, entwickelten Forscher der Lehrstühle für Hochspannungs- und Anlagentechnik sowie für Umformtechnik und Gießereiwesen in Kooperation mit BMW im Rahmen des Projekts LEIKO ein innovatives Kontaktierungskonzept auf Aluminiumbasis.

Ein Stahlblechkäfig, aus Gründen der elektromagnetischen Verträglichkeit ohnehin notwendig, übernimmt die mechanische Stabilisierung des Steckers und sorgt für die langzeitstabile Abstützung der Kontaktkraftfeder. Indem die notwendige Kontaktkraft nicht mehr durch die Kontaktelemente selbst aufgebracht wird, wandelt sich das ursprünglich problematische Kriechverhalten von Aluminium in eine Kontakt stabilisierende und damit positive Eigenschaft. Damit ist auch über eine Lebensdauer von zehn Jahren eine konstante Kontaktkraft gewährleistet.

Die Forscher entwickelten dazu eine spezielle, keilförmige Geometrie für die Aluminiumkontakte. Das Kriechverhalten des Aluminiums führt nun dazu, dass sich die beiden Kontakte über die Laufzeit zunehmend anschmiegen und sich die elektrische Verbindung sogar noch verbessert. Durch den durchgängigen Einsatz von Aluminiumlegierungen und die geschickte Anordnung der Beschichtung mit edleren Metallen konnte außerdem die Bildung korrosionsträchtiger Lokalelemente auf unkritische Stellen im Gesamtaufbau verlagert werden.

Ein weiteres Problem bei Aluminium ist die geringere elektrische Leitfähigkeit. Besonders für Leistungsbordnetze müssen die um etwa 60 Prozent größeren Leitungsquerschnitte bei der Konstruktion von Kabelkanälen und Durchführungen berücksichtigt werden. Allerdings, so fanden die Forscher heraus, können die Richtwerte aus der Verarbeitung von Kupferkabeln, die die Biegeradien in Abhängigkeit zum Durchmesser setzen, für Aluminiumkabel verwendet werden, da Aluminium ebenfalls eine gute Biegsamkeit besitzt.

Um das Langzeitverhalten der beschichteten Aluminiumkontakte auch unter den widrigsten Kraftfahrzeug-typischen Umgebungseinflüssen bestimmen zu können, konnten die Projektpartner gemeinsam mit führenden Zulieferbetrieben ein weiteres Forschungsprojekt ins Leben rufen. Dieses von der Bayerischen Forschungsstiftung (BFS) geförderte Projekt wird bis Juli 2012 eine Aussage über das Alterungsverhalten und damit die Einsatzeignung des Konzepts treffen.

Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Materialsubstitution erhebliche Gewichts-, Kosten- und letztlich auch Emissionsvorteile ermöglichen würde. „Wir rechnen damit, dass bis 2020 die Hochvoltbordnetze der meisten Elektrofahrzeuge auf Aluminium basieren. Auch in die Niedervoltbordnetze wird Aluminium Einzug halten, da der Kupferpreis mit zunehmender Nachfrage signifikant weiter steigen wird,“ sagt Professor Udo Lindemann vom Lehrstuhl für Produktentwicklung der TU München.

Eingebettet sind diese Projekte in die wissenschaftliche Arbeit des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 768, Zyklenmanagement von Innovationsprozessen. Dieser bündelt Kompetenzen aus Informatik, Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, um die an den Schnittstellen des Innovationsprozesses liegenden Herausforderungen gemeinsam mit Partnern aus der Industrie zu untersuchen. Ziel dieser Forschung ist es, aus einer interdisziplinären Sichtweise heraus industrierelevante Lösungen zum Umgang mit dynamischen Veränderungen sowohl des Unternehmensumfelds als auch der unternehmensinternen Prozesslandschaften zu erarbeiten.

Teil der Forschungsarbeit des SFB 768 ist ein studentisches Projekt zur Entwicklung eines elektrisch betriebenen Gokarts. Um die vielfältigen Herausforderungen des Innovationsmanagements unmittelbar mitzuerleben, führten die Studenten, ausgehend von einer Standardrahmenkonstruktion, den vollständige Entwicklungsprozess für alle Teilsysteme des Gesamtfahrzeugs durch. Auch die Ergebnisse des LEIKO-Projekts fließen hier ein – das gesamte Hochvoltbordnetz ist in Aluminium ausgeführt.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten sollen auch in das TUM-Elektrofahrzeug MUTE Einzug halten, das auf der IAA 2011 vorgestellt wird.

Publikation:
Langer, S.; Lindemann, U.: Managing Cycles in Development Processes – Analysis and Classification of External Context Factors, in 17th International Conference on Engineering Design, M. N. Bergendahl, M. Grimheden, and L. Leifer, Eds. Stanford University, California, USA: Design Society, 2009, pp. 1-539 – 1-550

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Magnetische Atome unter der atomaren Lupe

Presseinformation der Universität Göttingen vom 24.01.2011

„Kondo-Effekt“: Göttinger Physiker untersuchen Wechselwirkung von Elektronen

(pug) Die physikalischen Eigenschaften aller Materialien, insbesondere der magnetischen, werden maßgeblich durch die komplexen Wechselwirkungen von Elektronen untereinander bestimmt. Das einfachste System, in dem sich solche Eigenschaften beobachten lassen, sind einzelne magnetische Atome in einem Metall. Hier kann unterhalb einer bestimmten Temperatur der sogenannte Kondo-Effekt auftreten, der das Verhalten der Elektronen zueinander verändert. Wissenschaftlern der Universität Göttingen ist nun mit einer neuen Methode ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis dieses Phänomens gelungen. Die Untersuchungen fanden am IV. Physikalischen Institut und am Institut für Theoretische Physik im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 602 „Komplexe Strukturen in kondensierter Materie“ statt. Die Ergebnisse sind in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics erschienen.

Die Göttinger Wissenschaftler verwendeten bei ihren Untersuchungen Kobalt- und Eisenatome, die sie mehrere atomare Lagen tief unter einer Kupferoberfläche vergruben. Prallen die Elektronen auf ein Fremdatom, werden sie von diesem gestreut. Dadurch entsteht ein sogenanntes stehendes Wellenmuster, das die Forscher mit Hilfe des in Göttingen entwickelten Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskops sichtbar machen konnten. „Das Rastertunnelmikroskop wurde bislang nur zur Analyse von Oberflächen genutzt. Wir haben erstmals damit ein Kondosystem unterhalb einer Oberfläche untersucht“, erläutert Dr. Martin Wenderoth vom IV. Physikalischen Institut.

Die Göttinger Wissenschaftler analysierten in ihrer jetzigen Studie die Streuung durch einzelne Atome. Bei zukünftigen Versuchen wollen sie die Anzahl der Atome schrittweise erhöhen und mit dieser Methode deren Wechselwirkungen und die daraus entstehenden Wellenmuster untersuchen. „Wir erhoffen uns davon eine neue Möglichkeit zur Charakterisierung von Nanostrukturen“, so Dr. Wenderoth.

Originalveröffentlichung:
Henning Prüser et al. Long-range Kondo signature of a single magnetic impurity. Nature Physics. DOI: 10.1038/NPHYS1876 (2011).

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Schmerzarme Kariesbehandlung mit dem Laserstrahl

Pressemitteilung der Universität Bonn vom 12.01.2011

Bonner Wissenschaftler entwickeln neues Therapiesystem für Zahnärzte

Wissenschaftler der Universität Bonn entwickeln momentan mit Partnern aus Forschung und Industrie ein neuartiges Lasertherapiesystem. Das Gerät soll künftig eine nahezu schmerzfreie und sehr präzise Zahnbehandlung ermöglichen. 6,8 Millionen Euro stellt das BMBF für das Projekt zur Verfügung, das bereits seit 2009 läuft. Jetzt wurde ein erster Prototyp fertig gestellt, den Ärzte und Physiker in Bonn momentan testen – unter anderem an Stoßzähnen von Mammuts.

Der Zahn ist schon etwas älter, rund zehntausend Jahre, grob geschätzt. Und jetzt soll er sein erstes Loch bekommen. Energisch schiebt sich Florian Schelle die Schutzbrille über die Augen und schreitet zur Tat. Mit ein paar Drehungen am Rändelrad bewegt er die Elfenbeinscheibe in den Strahlengang des Lasers. Es puckert leise, ein helles Rauchwölkchen steigt auf und verschwindet im Absaugstutzen. „Pulverisiertes Zahnbein“, kommentiert der Physiker. Nach wenigen Sekunden ist alles vorbei: Der Laser hat eine würfelförmige Ausschachtung im Mammut-Stoßzahn erzeugt, kaum größer als ein paar Zuckerkristalle. So präzise würde das kein normaler Bohrer hinbekommen.

Der Strahl, mit dem die Bonner Forscher ihre Proben malträtieren, besteht vor allem aus Dunkelheit. 500.000 Mal pro Sekunde „tropft“ aus dem Laser ein kleines Lichtpaket, ähnlich wie Wasser aus einem Wasserhahn. Zweieinhalb Millimeter ist jeder Lichttropfen lang; zwischen zwei Tropfen liegen 600 Meter Finsternis. „Unser Laser arbeitet mit ultrakurzen Pulsen“, erklärt Florian Schelle. „Das ist auch der Grund, warum man mit ihm Löcher in Zähne bohren kann.“ Zwar ist die Gesamtenergie des Strahls gar nicht mal besonders hoch. In seinen „lichten Momenten“ bringt er jedoch für extrem kurze Zeit dieselbe Leistung wie ein modernes Windkraftwerk. Wenn so ein Lichttropfen mit geballter Wucht auf den Zahn aufschlägt, zerreißt er die Moleküle. Wärme und Vibrationen werden dabei kaum übertragen. Daher dürfte die Methode für Patienten so gut wie schmerzfrei sein.

Das Projekt MiLaDi (Minimalinvasive Laserablation und Diagnose von oralem Hartgewebe) könnte für die Zahnheilkunde eine kleine Revolution bedeuten. Und zwar nicht nur deshalb, weil der Lichtbohrer Patienten die Angst vor dem Zahnarztstuhl zu nehmen verspricht. „Wir können den Bohrer beispielsweise mit einem Diagnoselaser kombinieren“, erklärt Projektleiter Professor Dr. Matthias Frentzen von der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und präventive Zahnheilkunde. „So können wir während der Behandlung analysieren, ob wir uns noch in einem Kariesherd befinden oder schon im gesunden Gewebe – und den Bohrer rechtzeitig stoppen.“

Es gibt heute bereits Laser, die das können. Sie haben aber ein begrenztes Einsatzspektrum. Grund: Jedes Gewebe spricht auf eine andere Lichtfarbe an. Ein Laser, der besonders gut Karies entfernt, eignet sich daher nicht, um altes Füllungsmaterial abzutragen oder die Aussparung für ein Inlay in den Zahn zu präparieren. Nicht so ultrakurzgepulste Laser: Sie können aufgrund ihrer hohen Leistungsdichte beinahe jedes Material bearbeiten. „Wir wollen eine Art all-in-one-System bauen“, betont Frentzen.

Frei programmierbarer Bohrkopf

Ein weiterer Vorteil ist die hohe Präzision des Laserbohrers: Der Strahl ist nicht einmal halb so dick wie eine Wimper und damit streng genommen sogar zu fein, um damit vernünftig zu arbeiten. Die Forscher verpassen ihrem Bohrer daher einen virtuellen Bohrkopf: Sie lenken den Laser über zwei Spiegel so ab, dass er rasend schnell ein frei programmierbares Muster abfährt. „Sehen Sie hier“, sagt Florian Schelle und holt mit ein paar Mausklicks ein aus vielen parallelen Linien zusammengesetztes Quadrat auf den Bildschirm. „Das ist unser Bohrkopf: Der Lichtstrahl fährt die Linien nach und fräst so eine viereckige Aussparung in den Zahn.“ Durch Variation des Musters könnten die Forscher auch runde oder sogar herzförmige Löcher bohren – und das auf hundertstel Millimeter genau.

Fast 7 Millionen Euro stehen für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt zur Verfügung. Bis 2012 wird die Förderung zunächst laufen. Mehr als anderthalb Jahre haben die Bonner Wissenschaftler zusammen mit zwei Industrieunternehmen an der Entwicklung des Prototyps gearbeitet. Jetzt stehen weitere Forschungsarbeiten auf dem Programm: Welche Pulsparameter eignen sich für verschiedene Materialien am besten? Wirkt der Strahl tatsächlich nur lokal, oder schädigt er auch die Umgebung der behandelten Stelle? Werden beim Bohren gefährliche Substanzen frei?

„Elfenbein eignet sich aufgrund seiner dentinähnlichen Struktur besonders gut für unsere Experimente“, erläutert Frentzen. Stoßzähne von Elefanten sind verständlicherweise aus Artenschutzgründen tabu. Glücklicherweise birgt aber der sibirische Permafrost-Boden Mammut-Stoßzähne zuhauf. In Zukunft wird der Bedarf der Forscher nach den eiszeitlichen Funden aber wohl zurückgehen: Sie führen viele ihrer Tests inzwischen an Schweinekiefern durch. Die sind nicht nur leicht zu bekommen, sondern ihre Zähne ähneln auch frappierend denen des Menschen. (Frank Luerweg)

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Muskelfasern machen mechanische Belastungen sichtbar

Pressemitteilung der TU München vom 20.12.2010

Neues Modellsystem zur Untersuchung der Eigenschaften von Kunststoffen:

Seit Jahrzehnten nutzen wir Materialien aus Kunststoffen. Doch bei der Weiterentwicklung stehen die Hersteller vor einem Problem: Wesentliche Einflüsse der mikroskopischen Materialstruktur auf die mechanischen Materialeigenschaften können nicht direkt beobachtet werden. Die synthetischen Polymermoleküle sind zu klein, um sie bei mechanischen Experimenten mikroskopisch beobachten zu können. Ein Team von Physikern um Professor Andreas Bausch von der Technischen Universität München (TUM) hat nun ein Verfahren entwickelt, mit dem solche Messungen möglich werden. In Nature Communications stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Streckt man eine Folie aus Polyethylen stark, so wird sie reißfester. Einkaufstüten werden so erheblich belastbarer. Der Effekt wird einer Neuordnung der Polymerketten zugeschrieben. Manche elastischen Polymere werden durch eine häufig wiederkehrende Belastung weicher. Dieses Verhalten wurde nach seinem Entdecker Mullins-Effekt genannt. Doch was die Polymerketten bei mechanischer Belastung genau tun, ist bisher nicht ausreichend verstanden. Ein Grund dafür ist, dass synthetische Polymere zu klein sind, um sie mit mikroskopischen Methoden während der mechanischen Belastungsexperimente zu beobachten. Ein besseres Verständnis der Vorgänge auf der molekularen Ebene würde bei der Entwicklung neuer Kunststoffe sehr viel Zeit und Geld sparen.

Auch die Natur macht sich die mechanischen Eigenschaften von Polymeren zu Nutze: Biologische Polymere geben Zellen ihre Stabilität und spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausführung ihrer komplexen Funktionen. Das Physiker-Team um Professor Andreas Bausch nutzte nun das Muskelfaser-Protein Aktin, um ein Polymernetzwerk zu bilden. Die Aktin-Fasern sind unter einem Fluoreszenzmikroskop sichtbar. Damit gelang es den Wissenschaftlern, die Bewegungen der einzelnen Fasern bei mechanischer Belastung des Materials direkt zu beobachten.

Durch die gleichzeitige Verwendung eines Rheometers, mit dessen Hilfe mechanische Eigenschaften von Materialien untersucht werden können, und eines konfokalen Mikroskops konnten die Wissenschaftler das Verhalten des Aktin Netzwerks während der mechanischen Verformungen beobachten und dreidimensional filmen.

Mit ihren nun im Online-Journal Nature Communications veröffentlichten Untersuchungen konnten sie zeigen, dass ihr Modellsystem nicht nur die dem Mullins-Effekt zugrunde liegenden Vorgänge auf molekularer Ebene zeigen kann sondern auch den gegenteiligen Effekt, bei dem das Material bei wiederholter Belastung härter wird.

Verantwortlich für die Änderungen der mechanischen Eigenschaften sind umfangreiche Umorganisationen der Netzwerkstruktur, die auf diese Weise erstmals direkt beobachtet werden konnten. In Zukunft wird das Modell der Physiker dabei helfen, auch die Eigenschaftsänderungen anderer Materialien besser zu verstehen.

Die Arbeiten wurden unterstützt aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Exzellenzcluster Center for Nanosystems Initiative Munich, International Graduate School of Science and Engineering der TUM) sowie dem Bayerischen Elitenetzwerk (CompInt). Die Kooperationspartner an der Georgetown University, Washington D.C., USA, wurden unterstützt aus Mitteln der National Science Foundation und des Air Force Office of Scientific Research der USA.

Originalpublikation:
Cyclic hardening in bundled actin networks, K. M. Schmoller, P. Fernández, R. C. Arevalo, D. L. Blair und A. R. Bausch, Nature Communications, Vol. 1, 134, 7. Dezember 2010 – DOI: 10.1038/ncomms1134

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Metallische Schmelzen erstarren zu massivem Glas – Forscher entdecken einheitliches Muster

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 29.11.2010

Bei der Herstellung von Glas wird flüssige Silikatschmelze verwendet. Wenn man diese abkühlt, wird sie immer dickflüssiger und „gefriert“ dann zu Glas. Schon seit langem ist bekannt, dass dies auch bei Metallen möglich ist. Aber erst heute kann man massive metallische Gläser herstellen. Saarbrücker Forscher haben jetzt entdeckt, dass auch Metallkristalle beim Abkühlen einfrieren und sich dabei genauso verhalten wie Silikatschmelzen oder metallische Gläser. Die Wissenschaftler sehen darin ein einheitliches Muster, wie sich Flüssigkeiten und Kristalle beim Abkühlen selbst ordnen und einfrieren. Die Forschungsergebnisse haben sie in der aktuellen Ausgabe von „Nature Physics“ veröffentlicht.

Wenn bei der Glasherstellung der Grundstoff, der Quarzkristall, geschmolzen wird, entstehen im Inneren ungeordnete Strukturen. Wird die Flüssigkeit dann abgekühlt, beginnen sich die Atome zu ordnen, jedoch nicht so weit, dass wieder regelmäßige Kristallstrukturen entstehen. „In diesem Zustand, den Materialforscher als unterkühlte Schmelze bezeichnen, ist das Material zähflüssig und kann zum Beispiel beim Glasblasen sehr gut geformt werden. Durch weiteres Abkühlen gefriert die unterkühlte Schmelze dann zu einem Quarzglas, das auch als Silikatglas bezeichnet wird. Man nennt dieses Einfrieren den Glasübergang“, erläutert Ralf Busch, Professor für metallische Werkstoffe der Universität des Saarlandes.

Glas herzustellen ist aber nicht nur mit Quarzkristall möglich. Das Verfahren ist auch von verschiedenen Kombinationen von Metallen, den Legierungen, bekannt, ist dort aber viel schwieriger umzusetzen. „Bereits vor 50 Jahren hat man entdeckt, wie man metallische Gläser erzeugen kann. Man brauchte jedoch extrem hohe Abkühlraten von bis zu einer Million Grad pro Sekunde und konnte deshalb nur dünne Folien herstellen“ sagt der Materialforscher. In den letzten 20 Jahren habe man aber gelernt, bis zu fünf verschiedene Metalle so zu mischen, dass man diese Legierungsschmelze nicht mehr schnell abkühlen muss, um metallisches Glas zu bilden. Diese neuen Legierungen lassen sich wie Silikate oder Kunststoffe als zähe Flüssigkeit leicht verarbeiten und sind als Glas fester als Stahl. Busch erklärt dieses Phänomen so: „Wir haben erkannt, dass Mischungen aus großen und kleinen Metallatomen zähflüssig sind und viel langsamer kristallisieren. Dadurch kann man heute bis zu mehrere Zentimeter dicke metallische Massivgläser herstellen, die sich als Konstruktionswerkstoff eignen.“

Eine Silikatschmelze ist bereits am Schmelzpunkt zähflüssig wie Honig. Das liegt daran, dass sich die Atome in ihr langsam bewegen, weshalb sie auch sehr langsam kristallisiert. Man nennt sie deshalb eine „starke“ Flüssigkeit. Viele Flüssigkeiten sind an ihrem Schmelzpunkt jedoch sehr dünnflüssig. Hierzu gehören Wasser und auch alle reinen Metalle. Die Atome bewegen sich in diesen Flüssigkeiten schnell, so dass bei wenigen Grad unter dem Schmelzpunkt Kristallisation einsetzt. Aufgrund ihrer geringen Tendenz zur Glasbildung nennt man sie „fragil“. „Wenn man jedoch Wasser auf eine ganz bestimmte Weise kühlt und verhindert, dass sich dabei Eiskristalle bilden, wird weit unter dem eigentlichen Gefrierpunkt aus dem dünnflüssigen, fragilen Wasser ein dickflüssiges, starkes Wasser, dass dann bei noch tieferen Temperaturen zu einem glasartigen Wasser einfriert“, erläutert Ralf Busch.

Die Materialforscher in Saarbrücken fanden heraus, dass auch die glasbildenden Metallschmelzen einen solchen Übergang von einem dünnflüssigen zu einem dickflüssigen Zustand aufweisen. Der Grund für den Übergang ist, dass sich die Atome in der Flüssigkeit ordnen, jedoch noch keine feste Kristallstruktur ausbilden. Die Wissenschaftler wollten nun wissen, ob dieser Übergang von der fragilen in eine starke Substanz ein generelles Phänomen ist, das in jeder Materie abläuft. Für die Publikation in „Nature Physics“ haben sie dafür eine Legierung aus Eisen und Kobalt unter die Lupe genommen. Diese hat zwar eine Kristallstruktur, aber auch hier organisieren sich die Atome von einem ungeordneten Mischkristall zu einem geordneten Kristall. Dieser Übergang ist theoretisch bereits gut verstanden.

„Japanische Forscher hatten bei diesem Werkstoff schon vor rund 70 Jahren Effekte beobachtet, die sie damals nicht erklären konnten. Sie ähneln dem Einfrieren, das wir bei Flüssigkeiten am Glasübergang beobachten“, sagt Professor Busch. Sein Team hat daher gemeinsam mit Austen Angell, Glasforscher an der Arizona State University (USA), mit dieser Legierung experimentiert. Es stellte sich heraus, dass das Einfrieren in der Eisen-Kobalt Legierung genauso abläuft wie in den Silikatgläsern und ähnlich wie in glasbildenden Metallschmelzen. Dies erhellt zum einen, warum es heute möglich ist, metallische Massivgläser herzustellen. Zum anderen hat es theoretischen Konsequenzen, die die Autoren ausführlich in ihrem Artikel in „Nature Physics“ diskutieren.

Diese grundlegende physikalische Arbeit ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass mit den metallischen Massivgläsern („bulk metallic glasses“) ein neuer Konstruktionswerkstoff im Kommen ist. „Dieses Material ist fester als Stahl, aber so elastisch wie Kunststoff. Es ist also ein idealer Federwerkstoff. Metallisches Glas lässt sich dabei mit den gleichen Methoden wie Kunststoff verarbeiten, zum Beispiel durch Spritzguss oder durch Blasformen“, erläutert Professor Busch. Anwendungen sieht der Saarbrücker Wissenschaftler beispielsweise im Feinguss, bei mikromechanischen Bauteilen oder bei dünnen, hochfesten Gehäuseteilen für elektronische Geräte.

Externer Link: www.uni-saarland.de