Geteiltes Elektron blitzt im Streifflug auf

Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft vom 11.11.2010

Ultrakurze Laserpulse lassen sich vielleicht auf vielfältigere Weise erzeugen als gedacht

Physikern könnte sich künftig ein neuer Blick in Atome und Moleküle bieten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik haben nämlich einen neuen Weg vorgeschlagen, mit ultrakurzen Laserpulsen Information über Materie zu gewinnen. Sie haben berechnet, dass gerade der Mechanismus, durch den die Lichtpulse entstehen, auch in die Tiefe von Atomen und Molekülen blicken lässt. (Physical Review Letters, 11. November 2010)

Ein verknackster Fuß oder ein unbequem sitzender Weisheitszahn, geröntgt wurde wohl jeder schon einmal. Beim Röntgen durchleuchtet sehr energiereiche Strahlung das Knochengewebe und offenbart dessen Struktur. Doch auch Wissenschaftler sind auf verschiedene Arten von Strahlung angewiesen, wenn sie Materialien oder Prozesse in Molekülen analysieren. Dabei schneiden sie die Eigenschaften ihrer Lichtquellen auf das jeweilige Experiment zu und versuchen ständig, diese zu optimieren.

Viele dieser Verfahren beruhen auf demselben einfachen Prinzip: Materie wird von einer passenden Lichtquelle bestrahlt oder durchleuchtet. Das reflektierte oder gestreute Licht liefert dann ein Abbild der Materiestruktur. Diese Methode stößt jedoch bei sehr kleinen, komplexen Objekten mit sich zeitlich sehr rasch ändernden Strukturen an ihre Grenzen. Ultrakurze Prozesse, die in der Tiefenstruktur einzelner Moleküle oder gar Atome ablaufen, lassen sich damit nicht mehr auflösen.

Vielleicht könnte dem bald Abhilfe geschaffen werden. Zumindest den Berechnungen zufolge, die Forscher um Thomas Pfeifer am Max-Planck-Institut für Kernphysik angestellt haben. Demnach können zwei freie Teilwellen ein und desselben Elektrons ultrakurze Laserblitze erzeugen, wenn sie Atome oder Moleküle nur streifen. Dabei spüren sie zwar das Potenzial der Teilchen, werden aber nicht von ihm eingefangen. Bisher waren die Forscher davon ausgegangen, dass das Elektron mit dem Atomrumpf rekombinieren muss, um diese Art der Strahlung freizusetzen. Außerdem muss das Atom oder Molekül, dessen Potenzial die freien Elektronenwellen durchlaufen, nicht einmal ionisiert sein, um diesen Effekt hervorzurufen.

„Dies eröffnet ganz neue Möglichkeiten zur Strukturanalyse von hochkomplexen Molekülen“, sagt Pfeifer. „Denn die emittierten ultrakurzen Laserblitze enthalten Informationen über den räumlichen Potenzialverlauf auch im tiefen Innern eines Atoms oder Moleküls.“ Die so erzeugte Strahlung könnten Forscher somit selbst schon als Sonde für die Potenzialstruktur verwenden, und dies, ohne in sie einzugreifen und diese womöglich zu verändern.

Ultrakurze Laserpulse erzeugen Physiker schon länger anhand einzelner Elektronen. Dabei machen sie sich die quantenmechanische Wellennatur dieser geladenen Teilchen zu Nutze. Sie erlaubt es ihnen, ein Elektron mit einem extrem starken Laserfeld teilweise von einem Atomrumpf zu lösen, während der restliche Teil desselben Elektrons am Atom verbleibt. Trifft der freie Anteil des Elektrons wieder auf sein Ion, interferiert dieser mit dem gebundenen Eleltronanteil und sendet einen ultrakurzen, kohärenten Lichtblitz aus. Dabei rekombiniert das Elektron wieder vollständig mit dem Ion.

Die so erzeugten Laserpulse von nur Femto- oder Attosekunden Länge (10-15 beziehungsweise 10-18 Sekunden) verwenden die Wissenschaftler, um zum Beispiel chemische Prozesse in Molekülen zu studieren. Allerdings erlaubt diese Methode bislang nur den Blick auf die äußersten elektronischen Schichten eines Moleküls. Der Einblick in tiefere Schichten bleibt noch verwehrt.

Die Berechnungen, die maßgeblich von Markus Kohler im Rahmen seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Insitut für Kernphysik durchgeführt wurden, stellen nicht nur eine neue experimentelle Methode in Aussicht, die Aufschluss über die Tiefenstruktur von Molekülen geben könnte. Sie verallgemeinern auch das theoretische Verständnis, wie sich ultrakurze Laserpulse von zwei Wellenpaketen eines einzelnen Elektrons erzeugen lassen. [FM]

Originalveröffentlichung:
Markus C. Kohler, Christian Ott, Philipp Raith, Robert Heck, Iris Schlegel, Christoph H. Keitel, and Thomas Pfeifer
High Harmonic Generation Via Continuum Wave-Packet Interference
Physical Review Letters DOI:10.1103/PhysRevLett.105.203902

Externer Link: www.mpg.de

Neue Infrarot-Halbleiterlaser entwickelt

Presseaussendung der JKU Linz vom 04.11.2010

LINZ. Zwei Forschergruppen rund um a.Univ.Prof. Dr. Gunther Springholz und a.Univ.Prof. Dr. Wolfgang Heiss vom Institut für Halbleiter- und Festkörperphysik haben neue Infrarot-Halbleiterscheiben-Laser entwickelt, die neue Wellenlängen ermöglichen. Diese kleinen Laser führen zu neuen Anwendungen wie beispielsweise in den Bereichen der Umweltanalytik, Klimaforschung, medizinische Diagnostik, Abgasanalytik oder Fertigungstechnik. Diese erfolgreiche Entwicklung wurde in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „Nature Photonics“ als ein Forschungshighlight ausgewählt.

Durch die Verwendung von Materialen wie den Blei-Salz Halbleitern und durch ein verbessertes Design in Form von sogenannten Mikrodisk-Resonatoren konnten neue Laser für den mittleren infraroten Wellenlängenbereich von bis zu 4.3 Mikrometer bei einer Betriebstemperatur von bis zu 2 Grad Celsius entwickelt werden. Laser für das mittlere Infrarot (unsichtbare gebündelte Lichtquellen) werden typischerweise in Bereichen wie Umweltanalytik, Klimaforschung, oder medizinische Diagnostik eingesetzt. Durch die Erschließung dieses wichtigen Wellenlängenbereichs mit den neuen, einfachen und kostengünstigen Halbleiter-Bauelementen werden die vielfältigen Anwendungen vereinfacht, da es bisher dafür nur sehr teure und spezielle Laser gegeben hat. Beispielsweise könnten damit noch günstigere, einfache und genauere medizinische Analysen oder Autoabgas-Kontrollen durchgeführt werden. „Mit unseren neuen Infrarot-Halbleiterscheibenlaser können Lasersysteme entwickelt werden, die noch kleiner, energieeffizienter, langlebiger und kostengünstiger sind“, sagt Springholz.

Die Lichtemission von herkömmlichen Halbleiterlasern war bisher bei Raumtemperatur auf Wellenlängen kürzer als 3.3 Mikrometer limitiert. Im längerwelligen Spektralbereich treten üblicherweise starke „nicht-strahlende“ Verluste auf womit die Anregung des Lasers nicht mehr als Licht abgestrahlt wird, sondern in Form von Wärme verloren geht. Bei den neuen Infrarot-Halbleiterscheibenlasern aus Blei-Salz Halbleitern treten dagegen vergleichsweise geringe Verlusten auf. „Diese Laser erfordern daher nur sehr geringe Anregungsleistungen und strahlen bei einer einzigen scharf definierten Laserwellenlänge ab“, sagt der Wissenschafter. Das aktive Lasermaterial besteht aus hauchdünnen, nur circa 30 Atomlagen dicken Bleiselenid (PbSe)-Quantenfilmen. Die „Mikrodisk“-Laser besitzen eine laterale Größe von nur 15 Mikrometer Durchmesser und wurden mittels Lithographieverfahren im Reinraum des Instituts hergestellt. Dieser Reinraum ist nur einer von zwei Reinräumen in ganz Österreich, die ausschließlich der Forschung gewidmet sind. „Durch die Weiterentwicklung der Halbleiter-Bauelemente könnte in naher Zukunft auch der ganz ungekühlte Betrieb bei Raumtemperatur ermöglicht werden, was noch effizienter wäre“, betont Springholz. (Andrea Mairhofer)

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„Feintuning“ organischer Halbleiter: Steirische Wissenschaftler entwickeln photochemisches Verfahren

Medieninfo der TU Graz vom 18.10.2010

Interdisziplinäre Forschergruppe veröffentlicht Ergebnisse in renommierter Zeitschrift „Advanced Materials“

Physiker und Chemiker der TU Graz beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren mit dem Forschungsgebiet „Organische Elektronik“ und seit einiger Zeit auch mit darauf basierenden Dünnfilmtransistoren. Vor zwei Jahren gelang ihnen bereits eine fundamentale Erkenntnis: Der Nachweis, wie sich durch eine chemische Reaktion an einer maßgeschneiderten Zwischenschicht die Leitfähigkeit von organischen Halbleitern entscheidend verändern lässt. Nun gingen sie einen Schritt weiter: Im Rahmen einer Kooperation mit Chemikern der Montanuniversität Leoben und Materialwissenschaftlern von Joanneum Research entwickelten sie ein photochemisches Verfahren, das es erlaubt, durch unterschiedliche Belichtungszeiten Schaltungen zu steuern. Die jüngsten Forschungsergebnisse erschienen kürzlich in „Advanced Materials“, einer der bedeutendsten Zeitschriften im Bereich der modernen Materialwissenschaften.

Dünnfilmtransistoren haben die Welt der Elektronik erobert: Man findet sie etwa in Mobiltelefonen oder Digitalkameras. Spezielle Dünnfilmtransistoren, die künftig noch mehr an Bedeutung gewinnen werden, basieren dabei auf organischen Halbleitermaterialien. Ihre Vorteile: Sie lassen sich effizient, kostengünstig und über große Flächen herstellen und können beispielsweise auch auf flexiblen Substraten hergestellt werden. Dem stehen jedoch einige Nachteile im Vergleich zu konventionellen Siliziumtransistoren gegenüber, die die Herstellung komplexer Schaltungen erschweren. „Wir haben bereits vor zwei Jahren herausgefunden, wie man durch ein so genanntes „chemisches Dotieren“ mit Hilfe einer Zwischenschicht die elektronischen Eigenschaften der organischer Transistoren kontrollieren kann“, erläutert der Physiker Egbert Zojer von der TU Graz. Was zum Einsatz in Schaltungen noch fehlte, war ein neues Verfahren, mit dem man die Dotierung der Transistoren gezielt einstellen konnte. Bereits bestehende Methoden lieferten nicht den gewünschten Effekt.

Gemeinsam mit Chemikern der Montanuni Leoben, unter der Federführung von Thomas Griesser, sowie dem Team der Materialwissenschaftlerin Barbara Stadlober von Joanneum Research gelang den Physikern der TU Graz jetzt der Durchbruch: Durch den Einsatz speziell entwickelter Zwischenschichten lässt sich der Dotiergrad des organischen Halbleiters durch Belichtung gezielt einstellen. Möglich machen das so nannte Photosäuren, die sich erst durch die Belichtung bilden und als Folge der Wechselwirkung mit dem organischen Halbleiter dessen Eigenschaften kontrollieren. Diese Methode ist ideal mit fotolithographischen Techniken kompatibel, wie sie standardmäßig in der Halbleiterindustrie eingesetzt werden.

Originalarbeit:
Tuning the Threshold Voltage in Organic Thin-Film Transistors by Local Channel Doping Unsing Photoreactive Interfacial Layers. M. Marchl, M. Edler, B. Stadlober, A. Haase, A. Fian, G. Trimmel, T. Griesser, E. Zojer. On-line publiziert in Advanced Materials am 8. Oktober 2010

Externer Link: www.tugraz.at

Verlangsamte Spins für schnellere Informationsverarbeitung

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 07.10.2010

Regensburger Physiker manipulieren Umschaltzeiten von Ladungsträgern mit Hilfe von Mangan-Atomen – Veröffentlichung in „Nature Physics“

Halbleiter werden in der Elektronik auf vielfältige Weise verwendet. Dies liegt an ihren erstaunlichen Eigenschaften. Denn die elektrische Leitfähigkeit von reinen Halbleitern ist stark temperaturabhängig. Bei tiefen Temperaturen sind sie Isolatoren: sie besitzen also dann im Gegensatz zum Metall keine freibeweglichen Elektronen. Die Elektronen sitzen dabei paarweise gebunden zwischen den Atomen fest. Bei steigender Temperatur brechen einige dieser Bindungen auf, und die dann frei beweglichen Elektronen erhöhen die Leitfähigkeit. Dort, wo das negativ geladene Elektron fehlt, entsteht eine Elektronenlücke, ein Loch, das positiv geladen ist und sich auch frei bewegen kann. Die Zahl von freien Elektronen oder Löcher kann durch Zugabe von geeigneten Fremdatomen, als Dotierung bezeichnet, signifikant erhöht werden.

Ordnet man diese positiv geladenen Löcher in einer Ebene an, so erhält man ein sogenanntes zweidimensionales Lochgas. Was sich zunächst ungewöhnlich anhört, findet sich in Form von CMOS (complementary metal oxide semiconductor) Transistoren in vielen elektronischen Geräten und somit in fast jedem Haushalt. Einer Gruppe von Physikern um Prof. Dr. Dieter Weiss vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Regensburg und Prof. Dr. Werner Wegscheider, zwischenzeitlich an der ETH Zürich, konnten nun erstaunliche Eigenschaften dieser Lochgase bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt nachweisen, die bei der Quanteninformationsverarbeitung Anwendung finden könnten.

Dafür bauten die Wissenschaftler Manganatome (Mn) als Dotierstoff in zweidimensionale Lochgase ein. Die Besonderheit von Mangan ist, dass es ein magnetisches Moment (Spin) besitzt, sich also wie ein winziger Stabmagnet verhält. Im Anschluss maßen sie den elektrischen Widerstand.

Ohne angelegtes Magnetfeld blieb das Lochgas isolierend. Verstärkten die Forscher aber das Magnetfeld, so fiel der Widerstand in erheblichem Maße. Zudem konnte die Wissenschaftler dabei Hysterese des Widerstandes beobachten: d. h. der Widerstand nahm beim Hoch- und Runterfahren des Magnetfeldes unterschiedliche Werte an. Dieser magnetfeldgetriebene Übergang von einem isolierenden in einen leitfähigen Zustand und die Hysterese sind höchst ungewöhnlich und auf das Wechselspiel zwischen Mn-Atomen und Löchern zurückzuführen.

Die Wissenschaftler konnten in Kooperation mit Physikern der Polnischen Akademie der Wissenschaften klären, dass diese Effekte auf der sogenannten quantenmechanischen Austauschwechselwirkung beruhen, auf die auch der Ferromagnetismus (beispielsweise von Eisen) zurückzuführen ist. Durch diese Wechselwirkung kommt eine „antiparallele“ Kopplung der magnetischen Momente (Spins) der Löcher und der Manganatome zustande. Führt man sich die Spins als Stabmagnet mit Nordpol und Südpol vor Augen, so bedeutet dies, dass sich Nord- und Südpol eines Mn-Atoms und eines Lochs gegenüberstehen. Die Pärchen stehen auch mal Kopf, so dass in manchen Bereichen des Lochgases der Mn-Nordpol mal nach oben, mal nach unten zeigt. Dieser ungeordnete Zustand ist mit einem hohen Widerstand verknüpft: Das System verhält sich dann wie ein Isolator. Erst ein genügend starkes Magnetfeld orientiert die Spins in eine Richtung bzw. „klappt sie um“ und das System wird elektrisch leitend.

Die Regensburger Forscher konnten dabei zeigen, dass dieses „Umklappen“ sehr langsam vor sich geht und viele Sekunden dauert. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Hysterese. Eine ähnlich lange Relaxationszeit – die Zeit, die ein angeregtes Objekt benötigt, um in den Grundzustand zurückzukehren – lässt sich bei anderen Ladungsträgern nicht nachweisen. Diese extrem langen Relaxationszeiten sind für Einsatzmöglichkeiten im Bereich der Quanteninformationsverarbeitung interessant.

Die Ergebnisse der Regensburger Wissenschaftler sind vor kurzem in der renommierten Zeitschrift „Nature Physics“ erschienen. (Alexander Schlaak)

Veröffentlichung:
Nature Physics, DOI: 10.1038/NPHYS1782

Externer Link: www.uni-regensburg.de

Hochauflösendes Verfahren zur Nano-Computertomographie entwickelt

Pressemitteilung der TU München vom 22.09.2010

Fortschritt für die Knochen-Forschung:

Ein neuartiges Nano-Tomographieverfahren, das von einem Team aus Forschern der Technischen Universität München (TUM), des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der ETH Zürich entwickelt wurde, erlaubt erstmals computertomographische Untersuchungen feinster Strukturen mit einer Auflösung im Nanometerbereich. Mit Hilfe der neuen Methode können etwa dreidimensionale Innenansichten fragiler Knochenstrukturen erstellt werden. Die ersten mit diesem Verfahren erzielten Nano-CT-Bilder werden am 23. September 2010 in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Die neue Technik kann Lebens- und Materialwissenschaften gleichermaßen voranbringen.

Osteoporose, auch Knochenschwund genannt, ist eine der häufigsten Erkrankungen des alternden Knochens: In Deutschland ist etwa ein Viertel der Bevölkerung über 50 Jahre davon betroffen. Bei den Patienten schrumpft die Knochensubstanz übermäßig rasch, damit steigt das Risiko für Brüche deutlich. In der klinischen Forschung wird Osteoporose bisher fast ausschließlich über die Messung einer allgemein verringerten Knochendichte bestimmt. Diese sagt jedoch wenig über die damit verbundenen und ebenso wichtigen lokalen Struktur- und Knochendichte-Änderungen aus. Franz Pfeiffer, TUM-Professor für Biomedizinische Physik und Leiter des Forscherteams, hat das Dilemma gelöst: „Mit unserem neu entwickelten Nano-CT-Verfahren ist es jetzt möglich, die Struktur- und Dichte-Änderungen des Knochens hochaufgelöst und in 3D darzustellen. Damit kann man die der Osteoporose zugrunde liegenden Strukturänderungen auf der Nanoskala erforschen und bessere Therapieansätze entwickeln.“

Pfeiffers Team hat bei der Entwicklung auf der Röntgen-Computertomographie (CT) aufgebaut. Ihr Prinzip ist seit langem bekannt – CT-Geräte werden im Krankenhaus und in der Arztpraxis tagtäglich zur diagnostischen Durchleuchtung des menschlichen Körpers verwendet. Hierbei wird der Körper mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Ein Detektor misst dabei unter verschiedenen Winkeln, wie viel Röntgenstrahlung jeweils absorbiert wird. Im Prinzip werden einfach Röntgenbilder aus verschiedenen Richtungen aufgenommen. Aus einer Vielzahl solcher Aufnahmen können dann mittels Bildverarbeitung digitale 3D-Bilder des Körperinneren erzeugt werden.

Die neu entwickelte Methode misst nun für jeden Beleuchtungswinkel nicht nur die gesamte vom untersuchten Objekt absorbierte Intensität, sondern auch die Teile des Röntgenstrahls, die in verschiedene Richtungen abgelenkt – in Physikersprache „gestreut“ – werden. Diese erzeugen für jeden Punkt ein Streubild, das zusätzliche Informationen über die genaue Nanostruktur liefert, da die Röntgenstreuung gerade auf allerkleinste Strukturänderungen sensitiv ist. „Da wir dabei sehr viele Einzelbilder extrem präzise aufnehmen und verarbeiten müssen, war bei der Implementierung des neuen Verfahrens die Verwendung hochbrillanter Röntgenstrahlung und schneller, rauscharmer Pixel-Detektoren besonders wichtig – beides steht an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) zur Verfügung“, so Oliver Bunk, der an der vom schweizerischen PSI betriebenen Synchrotronlichtquelle den entsprechenden Experimentierplatz mit aufgebaut hat.

Die Streubilder werden anschließend mit einem Algorithmus verarbeitet, der von dem Team entwickelt wurde. TUM-Forscher Martin Dierolf, Erstautor des Nature-Artikels, erklärt: „Wir haben einen Bildrekonstruktionsalgorithmus entwickelt, der aus den über hunderttausend Streubildern ein hochaufgelöstes dreidimensionales Bild der Probe errechnet. Dabei berücksichtigt der Algorithmus nicht nur die klassische Röntgenabsorption, sondern die wesentlich sensitivere Beeinflussung der Phase der Röntgenwellen.“ Exemplarisch wurde mit der neuen Technik die mit 25 Mikrometern härchenfeine Knochenprobe einer Labormaus untersucht – mit überraschend exakten Ergebnissen. Die so genannten Phasenkontrast-CT-Aufnahmen stellen selbst kleinste Dichteunterschiede in der Knochenprobe extrem genau dar: Querschnitte durch Hohlräume, in denen Knochenzellen eingebettet sind, und deren rund 100 Nanometer feines Verbindungsnetzwerk sind gut erkennbar.

„Das neue Nano-CT-Verfahren erreicht zwar nicht die Ortsauflösung, die derzeit in der Elektronenmikroskopie möglich ist, kann aber – aufgrund des hohen Durchdringungsvermögens von Röntgenstrahlung – dreidimensionale Tomographiebilder von Knochenproben liefern“ kommentiert Roger Wepf, Leiter des Elektronenmikroskopiezentrums (EMEZ) an der ETH Zürich. „Darüber hinaus zeichnet sich das neue Nano-CT-Verfahren durch seine hohe Genauigkeit in der Knochendichtebestimmung aus, welche gerade für die Knochenforschung von entscheidender Bedeutung ist.“ Mithilfe des Verfahrens wird man insbesondere die Frühphase der Osteoporose-Erkrankung genauer studieren sowie Behandlungserfolge verschiedener Therapien in klinischen Studien evaluieren können.

Aber die neue Technik ist auch außerhalb der Medizin sehr nützlich: Weitere Anwendungsfelder liegen in der Entwicklung neuer Werkstoffe in den Materialwissenschaften oder in der Charakterisierung von Halbleiterbauelementen. Schließlich lässt sich das Nano-CT-Verfahren auch auf neuartige, laser-basierte Röntgenquellen übertragen, so wie sie derzeit im Rahmen des Exzellenzclusters „Munich-Centre for Advanced Photonics“ (MAP) und am neu bewilligten Großforschungsprojekt „Centre for Advanced Laser Applications“ (CALA) auf dem TUM-Campus Garching bei München entwickelt werden.

Originalpublikation:
Martin Dierolf, Andreas Menzel, Pierre Thibault, Philipp Schneider, Cameron M. Kewish, Roger Wepf, Oliver Bunk, Franz Pfeiffer: „Ptychographic X-Ray Computed Tomography at the Nano-Scale“. Nature, 467, 436-439, 23. September 2010 – DOI: 10.1038/nature09419

Externer Link: www.tu-muenchen.de