Mit vereinten Kräften – Blitzschnelles 3D-Mikrodrucken mit zwei Lasern

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 14.10.2022

Forschende des Exzellenzclusters „3D Matter Made to Order“ drucken Mikrostrukturen durch Kreuzen roter und blauer Laserstrahlen – Veröffentlichung in Nature Photonics

Objekte aus Kunststoff präzise, schnell und kostengünstig zu drucken, ist das Ziel vieler 3D-Druckverfahren. Geschwindigkeit und hohe Auflösung sind jedoch nach wie vor eine technologische Herausforderung. Ein Forschungsteam des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), der Universität Heidelberg und der Queensland University of Technology (QUT) ist diesem Ziel ein großes Stück nähergekommen. Es entwickelte ein Laserdruckverfahren, mit dem mikrometergroße Teile innerhalb eines Wimpernschlags gedruckt werden können. Die Arbeit veröffentlichte das internationale Team in Nature Photonics.

Der 3D-Druck im Stereolithographie-Verfahren ist derzeit eines der beliebtesten additiven Fertigungsverfahren für Kunststoffe, sowohl für private als auch für industrielle Anwendungen. Bei der Stereolithografie werden die Schichten eines 3D-Objekts nacheinander in einen mit Harz gefüllten Behälter projiziert. Das Harz wird durch UV-Licht gehärtet. Bisherige Stereolithografie-Verfahren sind jedoch langsam und haben eine zu geringe Auflösung. Der von den Forschenden des KIT eingesetzte 3D-Lichtblattdruck (engl. Light-Sheet 3D Printing) ist eine schnelle und hochauflösende Alternative.

3D-Druck mit zwei Farben in zwei Stufen

Beim „Light-Sheet-3D-Druck“ wird blaues Licht in einen Behälter projiziert, der mit einem flüssigen Harz gefüllt ist. Durch das blaue Licht wird das Harz voraktiviert. In einer zweiten Stufe liefert ein roter Laserstrahl die zusätzliche Energie, die zum Aushärten des Harzes erforderlich ist. Schnell drucken lassen sich aber im 3D-Druck nur Harze, die rasch aus dem voraktivierten Zustand in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren. Erst dann kann die nächste Schicht gedruckt werden. Die Rückkehrzeit diktiert folglich die Wartezeit zwischen zwei aufeinander folgenden Schichten und damit die Druckgeschwindigkeit. „Bei dem Harz, das wir verwendet haben, betrug die Rückkehrzeit weniger als 100 Mikrosekunden, was hohe Druckgeschwindigkeiten ermöglicht“, so Erstautor Vincent Hahn vom Institut für Angewandte Physik (APH) des KIT.

Mikrometergroße Strukturen in nur einem Wimpernschlag

Um die Vorteile dieses neuen Harzes zu nutzen, haben die Forschenden einen speziellen 3D-Drucker gebaut. In diesem Drucker werden blaue Laserdioden verwendet, um Bilder mithilfe eines hochauflösenden Displays mit hoher Bildfrequenz in das flüssige Harz zu projizieren. Der rote Laser wird zu einem dünnen „Lichtblatt“-Strahl geformt und kreuzt den blauen Strahl senkrecht im Harz. Mit dieser Anordnung konnte das Team mikrometergroße 3D-Teile in wenigen hundert Millisekunden, also in einem Wimpernschlag, drucken. Dabei soll es jedoch nicht bleiben: „Mit empfindlicheren Harzen könnten wir sogar LEDs statt Laser in unserem 3D-Drucker einsetzen“, sagt Professor Martin Wegener vom APH. „Letztlich wollen wir zentimetergroße 3D-Strukturen drucken und dabei die Auflösung im Mikrometerbereich und die hohe Druckgeschwindigkeit beibehalten.“

Die Publikation entstand im Rahmen des gemeinsamen Exzellenzclusters „3D Matter Made to Order“ des KIT und der Universität Heidelberg. Beteiligt seitens der Universität Heidelberg war Juniorprofessorin Dr. Eva Blasco, Leiterin einer Arbeitsgruppe am Organisch-Chemischen Institut und am Institute for Molecular Systems Engineering and Advanced Materials. (rli)

Originalpublikation:
V. Hahn, P. Rietz, F. Hermann, P. Müller, C. Barner-Kowollik, T. Schlöder, W. Wenzel, E. Blasco, and M. Wegener: Light-sheet three-dimensional microprinting via two-colour two-step absorption. Nature Photonics, 2022. DOI: 10.1038/s41566-022-01081-0

Externer Link: www.kit.edu

Kernfusion: Neue Lösung für Instabilitätsproblem

Presseaussendung der TU Wien vom 11.10.2022

Für Fusionsreaktoren wie ITER sind Plasma-Instabilitäten eine große Herausforderung. Ein Forschungsteam rund um die Kernfusionsgruppe der TU Wien fand nun eine vielversprechende Lösung.

Kernfusionskraftwerke könnten unsere Energieprobleme eines Tages nachhaltig lösen – doch immer noch ist kein kommerzieller Kernfusionsreaktor in Betrieb. Um Fusionsreaktionen zu realisieren, muss das Plasma im Zentrum sehr heiß sein (ca. 100 Mio °C), gleichzeitig darf die Wand des Reaktors nicht schmelzen. Der Rand des Plasmas muss also gut von der Reaktorwand isoliert sein. In diesem Bereich kommt es allerdings immer wieder zu sogenannten Plasma-Instabilitäten. Dabei werden kurzzeitig energiereiche Teilchen an die Wand des Reaktors geschossen, die dadurch beschädigt werden kann. Diese Instabilitäten sind eines der wichtigsten Hindernisse auf dem Weg zu einem kommerziellen Reaktor.

Nun konnte das Kernfusions-Team der TU Wien zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching (Deutschland) zeigen: Es gibt einen Betriebsmodus für Fusionsreaktoren, der dieses Problem vermeidet. Statt großer potenziell zerstörerischer Instabilitäten nimmt man ganz bewusst viele kleine Instabilitäten in Kauf, die für den Reaktor kein Problem darstellen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review Letters“ als Editors‘ Suggestion publiziert.

Die Renaissance einer verworfenen Betriebsart

In einem torusförmigen Tokamak-Fusionsreaktor bewegen sich die ultraheißen Plasmateilchen mit hoher Geschwindigkeit. Mächtige Magnetspulen sorgen dafür, dass die Teilchen eingesperrt bleiben anstatt mit zerstörerischer Wucht auf die Wand des Reaktors zu treffen. „Perfekt von der Reaktorwand isolieren möchte man das Plasma aber auch nicht, schließlich muss neuer Brennstoff zugeführt und das bei der Fusion entstandene Helium abtransportiert werden“, erklärt Friedrich Aumayr, Professor für Ionen- & Plasmaphysik am Institut für Angewandte Physik der TU Wien.

Die Details der Dynamik im Inneren des Reaktors sind kompliziert: Die Bewegung der Teilchen hängt von Plasmadichte, Temperatur und Magnetfeld ab. Je nachdem, wie man diese Parameter wählt, sind unterschiedliche Betriebsarten möglich. In einer jahrelangen Zusammenarbeit zwischen der Gruppe von Friedrich Aumayr an der TU Wien und dem IPP Garching koordiniert durch Elisabeth Wolfrum (Gruppenleiterin am IPP Garching und TU Wien Professorin) wurde nun ein neuartiger Betriebsmodus entwickelt und gezeigt, dass dieser besonders zerstörerische Plasmainstabilitäten (genannt Typ-I ELMs) verhindern kann.

Schon vor einigen Jahren zeigten Experimente: Wenn man durch die Magnetspulen das Plasma leicht verformt, sodass der Plasmaquerschnitt nicht mehr elliptisch aussieht, sondern eher an ein abgerundetes Dreieck erinnert, und wenn man gleichzeitig die Dichte des Plasmas speziell am Rand erhöht, dann lassen sich die gefürchteten Typ-I ELMs verhindern.

„Zunächst dachte man aber, das sei ein Szenario, das nur in den momentan laufenden kleineren Maschinen wie ASDEX Upgrade (IPP Garching) auftritt und für einen großen Reaktor irrelevant ist“, erklärt Lidija Radovanovic, die derzeit an der TU Wien an ihrer Dissertation zu diesem Thema arbeitet. „Mit neuen Experimenten und Simulationen konnten wir aber nun zeigen: Die Betriebsart kann auch in für Reaktoren wie ITER vorgesehenen Parameterbereichen die gefährlichen Instabilitäten verhindern.“

Wie ein Topf mit Deckel

Durch die dreieckige Form des Plasmaquerschnitts und das gezielte Einblasen zusätzlicher Teilchen am Rand treten viele kleine Instabilitäten auf – und zwar mehrere tausend Mal pro Sekunde. „Diese kleinen Teilchen-Bursts treffen die Wand des Reaktors schneller als die sich aufheizen und wieder abkühlen kann“, sagt Georg Harrer, Erstautor der Publikation, der zur weiteren Untersuchung des neuen Betriebsmodus einen zweijährigen EUROfusion Researcher Grant von der EU erhalten hat. „Daher spielen diese einzelnen Instabilitäten für die Reaktorwand keine große Rolle.“ Wie das Team durch detaillierte Simulationsrechnungen zeigen konnte, verhindern diese Mini-Instabilitäten aber die großen Instabilitäten, die sonst Schaden anrichten würden.

„Es ist ein bisschen wie bei einem Kochtopf mit Deckel, in dem das Wasser zu kochen beginnt“, erklärt Georg Harrer. „Wenn sich immer wieder Druck aufbaut, den Deckel hebt und der Dampf entweicht, dann wird der Deckel heftig klappern. Wenn man hingegen den Deckel leicht schräg stellt, dann kann kontinuierlich Dampf entkommen, aber der Deckel bleibt stabil und klappert nicht.“

Diese Fusionsreaktor-Betriebsart lässt sich in unterschiedlichen Reaktoren realisieren – nicht nur am ASDEX-Upgrade-Reaktor in Garching, Deutschland, sondern auch am derzeit in Bau befindlichen ITER in Frankreich oder auch in künftigen Fusionskraftanlagen wie DEMO. „Unsere Arbeiten stellen einen Durchbruch im Verständnis des Auftretens und der Verhinderung von großen Typ-I-ELMs dar“, sagt Elisabeth Wolfrum. „Die von uns vorgeschlagene Betriebsart ist wohl das vielversprechendste Szenario für zukünftige Fusionskraftwerksplasmen.“

Die beschriebene Forschung ist Teil des österreichischen Fusionsforschungsprogramms Fusion@ÖAW und wurde im Rahmen des EU-Projekts EUROfusion durchgeführt. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
G. F. Harrer, et al. „A quasi-continuous exhaust scenario for a fusion reactor: the renaissance of small edge localized modes” Physical Review Letters.

Externer Link: www.tuwien.at

Ultrakalte Schaltkreise

Medienmitteilung der Universität Basel vom 22.09.2022

Materialien extrem abzukühlen ist wichtig für die physikalische Grundlagenforschung und technische Anwendungen. Basler Forschern ist es nun gelungen, einen elektrischen Schaltkreis auf einem Chip durch Verbesserung eines speziellen Kühlschranks und eines Niedrigtemperatur-Thermometers auf 220 Mikrokelvin zu kühlen – nahe dem absoluten Temperatur-Nullpunkt.

Kühlt man Materialien auf extrem niedrige Temperaturen ab, so verhalten sie sich oft ganz anders als bei Raumtemperatur. Ein bekanntes Beispiel ist die Supraleitung, bei der einige Metalle und andere Stoffe unterhalb einer kritischen Temperatur elektrischen Strom komplett verlustfrei leiten. Bei noch tieferen Temperaturen können dann weitere quantenphysikalische Effekte auftreten, die sowohl für die Grundlagenforschung als auch für Anwendungen in Quantentechnologien höchst interessant sind.

Solche Temperaturen – weniger als ein Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt von 0 Kelvin oder -273.15 Grad Celsius – zu erreichen, ist allerdings äusserst schwierig. Physiker aus der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Dominik Zumbühl an der Universität Basel haben nun gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des VTT Technical Research Centre in Finnland und der Lancaster University in England einen neuen Niedrig-Temperaturrekord aufgestellt. Ihre Ergebnisse haben sie soeben im Fachjournal Physical Review Research veröffentlicht.

Abkühlen mit Magnetfeldern

«Das Problem ist nicht nur, ein Material stark abzukühlen», erklärt Christian Scheller, wissenschaftlicher Mitarbeiter in Zumbühls Labor, «sondern auch, die extrem tiefen Temperaturen dann verlässlich zu messen.» In ihren Experimenten kühlten die Forscher einen kleinen elektrischen Schaltkreis aus Kupfer auf einem Siliziumchip ab, indem sie ihn zuerst einem starken Magnetfeld aussetzten, dann mit einem als Kryostat bezeichneten speziellen Kühlschrank abkühlten und schliesslich das Magnetfeld langsam herunterfuhren. Dadurch wurden die Kernspins der im Chip enthaltenen Kupferatome anfangs wie kleine Magnete ausgerichtet und am Ende durch die vom Herunterfahren des Magnetfelds herbeigeführte Verringerung ihrer magnetischen Energie effektiv noch weiter abgekühlt.

«Mit solchen Methoden arbeiten wir zwar schon seit zehn Jahren», sagt Omid Sharifi Sedeh, der als Doktorand an dem Experiment beteiligt war, «doch bislang waren die tiefsten Temperaturen, die man so erreichen konnte, durch die Vibrationen des Kühlschranks begrenzt.» Diese Vibrationen, die durch das stetige Verdichten und Verdünnen des Kühlmittels Helium in einem so genannten «trockenen» Kryostaten entstehen, heizen den Chip merklich auf. Um das zu verhindern, entwickelten die Forscher eine neue Halterung, die so fest verdrahtet ist, dass sie den Chip trotz der Vibrationen auf niedrigste Temperaturen abkühlen können.

Robustes Thermometer

Um diese Temperaturen auch genau messen zu können, verbesserten Zumbühl und seine Mitarbeiter ein spezielles Thermometer, das in den Schaltkreis eingebettet ist. Das Thermometer besteht aus Kupfer-Inseln, die über sogenannte Tunnelkontakte verbunden sind. Durch diese Kontakte können Elektronen sich je nach Temperatur mehr oder weniger leicht bewegen. Die Physiker fanden nun eine Methode, um das Thermometer robuster gegen Materialfehler und zudem temperaturempfindlicher zu machen. Das erlaubte es ihnen schliesslich, eine Temperatur von nur 220 Millionstel Grad über dem Nullpunkt (220 Mikrokelvin) zu messen.

In Zukunft wollen die Basler Forscher mit ihrer Methode die Temperatur nochmals um einen Faktor zehn senken und langfristig auch Halbleiter-Materialien abkühlen. Damit ist dann der Weg frei für die Untersuchung neuer quantenphysikalischer Effekte, aber auch für verschiedene Anwendungen, wie etwa die Optimierung von Qubits in Quantencomputern.

Originalpublikation:
Mohammad Samani et al.
Microkelvin electronics on a pulse-tube cryostat with a gate Coulomb-blockade thermometer
Physical Review Research (2022), doi: 10.1103/PhysRevResearch.4.033225

Externer Link: www.unibas.ch

Neue Quantenmaterialien am Computer entworfen

Presseaussendung der TU Wien vom 19.09.2022

Eine neues Designprinzip kann nun die Eigenschaften von bisher kaum erforschbaren Quantenmaterialien vorhersagen: So wurde erstmals mit dem Computer ein hochkorreliertes topologisches Halbmetall entdeckt.

Wie findet man neuartige Materialien mit ganz bestimmten Eigenschaften – zum Beispiel einem speziellen Zusammenspiel von Elektronen, wie man es für Quantencomputer benötigt? Meist ist das eine sehr komplizierte Aufgabe: Man produziert verschiedene Verbindungen, in denen potenziell erfolgversprechende Atome in bestimmten Kristallstrukturen angeordnet sind und untersucht das Material dann, etwa im Tieftemperaturlabor der TU Wien.

Nun gelang es durch eine Kooperation von Rice University (Texas), TU Wien und anderen internationalen Forschungsinstitutionen, geeignete Materialien am Computer aufzuspüren. Aus der unüberschaubar großen Anzahl von möglichen Materialien werden durch neue theoretische Methoden besonders vielversprechende Kandidaten identifiziert. Messungen an der TU Wien zeigten dann: Die gesuchten Materialeigenschaften sind tatsächlich messbar, die Methode funktioniert. Für die Forschung an Quantenmaterialien ist das ein wichtiger Schritt nach vorn. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Physics“ publiziert.

Topologische Halbmetalle

Auf der Suche nach neuartigen Quantenmaterialien mit ganz besonderen Eigenschaften arbeiteten die Rice University in Texas und die TU Wien schon in vergangenen Jahren sehr erfolgreich zusammen: 2017 wurde von den beiden Forschungsgruppen erstmals ein sogenanntes „Weyl-Kondo Halbmetall“ präsentiert – ein Material, das unter anderem für die Forschung an Quantencomputer-Technologien eine wichtige Rolle spielen könnte.

„Die Elektronen in einem solchen Material kann man nicht einzeln beschreiben“, erklärt Prof. Silke Bühler-Paschen vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Es kommt zu sehr starken Wechselwirkungen zwischen den Elektronen, sie überlagern sich nach den Gesetzen der Quantenphysik als Wellen, gleichzeitig stoßen sie einander durch ihre elektrische Ladung ab.“

Genau diese starke Wechselwirkung führt zu Anregungen der Elektronen, die man nur mit sehr aufwändigen mathematischen Methoden beschreiben kann. In den nun untersuchten Materialien spielt außerdem die Topologie eine wichtige Rolle – sie ist ein Teilgebiet der Mathematik, das sich mit geometrischen Eigenschaften befasst, die durch kontinuierliche Verformung nicht verändert werden, wie etwa die Zahl der Löcher in einem Doughnut, die auch dann gleichbleibt, wenn das Doughnut leicht gequetscht wird.

Auf ähnliche Weise können elektronische Zustände im Material stabil bleiben, auch wenn das Material leicht gestört wird. Genau deshalb sind diese Zustände für praktische Anwendungen wie Quantencomputer so nützlich.

Mit dem Computer mögliche Kandidaten identifizieren

Das Verhalten aller stark miteinander wechselwirkenden Elektronen im Material exakt zu berechnen ist unmöglich – kein Supercomputer der Welt ist dazu imstande. Doch auf Basis der bisherigen Erkenntnisse gelang es nun, ein Designprinzip zu entwickeln, das auf Basis vereinfachter Modellrechnungen zusammen mit mathematischen Symmetrieüberlegungen und einer Datenbank aus bekannten Materialien Vorschläge liefert, in welchem dieser Materialien die theoretisch erwarteten topologischen Eigenschaften vorliegen könnten.

„Drei solche Kandidaten hat diese Methode geliefert, eines dieser Materialien haben wir dann hergestellt und in unserem Labor bei tiefen Temperaturen vermessen“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Und tatsächlich deuten diese ersten Messungen darauf hin, dass es sich um ein hochkorreliertes topologisches Halbmetall handelt – das erste, das auf theoretischer Basis mit Hilfe eines Computers vorhergesagt wurde.“

Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg war, die Symmetrien des Systems auf kluge Weise auszunutzen: „Wir haben postuliert, dass stark korrelierte Anregungen immer noch gewissen Symmetrieanforderungen unterliegen. Deshalb kann ich viel über die Topologie eines Systems aussagen, ohne auf Ab-Initio-Berechnungen zurückgreifen zu müssen, die oft erforderlich sind, aber bei der Untersuchung stark korrelierter Materialien eine besondere Herausforderung darstellen“, sagt Qimiao Si von der Rice University. „Alles weist darauf hin, dass wir ein robustes Verfahren gefunden haben, um Materialien zu identifizieren, die die Eigenschaften aufweisen, die wir haben möchten.“ (Florian Aigner)

Originalpublikation:
L. Chen et al., “Topological semimetal driven by strong correlations and crystalline symmetry”, Nature Physics 913, 191 (2022). DOI: 10.1038/s41567-022-01743-4

Externer Link: www.tuwien.at

Die Elektronen-Zeitlupe: Ionenphysik auf Femtosekundenskala

Presseaussendung der TU Wien vom 22.08.2022

Wenn Ionen ein Material durchdringen, laufen hochkomplexe Prozesse ab – so schnell, dass man sie bisher kaum analysieren konnte. Aber durch ausgeklügelte Messungen gelang das nun.

Wie reagieren verschiedene Materialien auf den Einschlag von Ionen? Das ist eine Frage, die in vielen Forschungsbereichen eine wichtige Rolle spielt – etwa bei der Kernfusionsforschung, wenn die Wände des Fusionsreaktors von energiereichen Ionen bombardiert werden, aber auch in der Halbleitertechnik, wenn man Halbleiter mit Ionenstrahlen beschießt um winzige Strukturen herzustellen.

Das Resultat eines Ioneneinschlags auf einem Material ist nachträglich leicht zu untersuchen. Schwierig ist es aber, den zeitlichen Ablauf solcher Prozesse zu verstehen. An der TU Wien gelang es nun, auf einer Zeitskala von einer Femtosekunde zu analysieren, was mit den einzelnen beteiligten Teilchen passiert, wenn ein Ion Materialien wie Graphen oder Molybdändisulfid durchdringt. Entscheidend war dabei eine sorgfältige Analyse der Elektronen, die dabei emittiert werden. Aus ihnen kann man den zeitlichen Ablauf des Prozesses rekonstruieren – so wird die Messung gewissermaßen zur „Elektronen-Zeitlupenaufnahme“. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review Letters“ publiziert und sogar als „Editors‘ Suggestion“ auserkoren.

Zwanzig- bis vierzigfach geladene Teilchen

In der Forschungsgruppe von Prof. Richard Wilhelm am Institut für Angewandte Physik der TU Wien arbeitet man mit hochgeladenen Ionen. Xenon-Atomen, die im neutralen Zustand 54 Elektronen haben, werden zwischen 20 und 40 Elektronen entrissen, die stark positiv geladenen Xenon-Ionen, die übrigbleiben, werden dann auf eine dünne Materialschicht geschossen.

„Besonders interessieren wir uns für die Wechselwirkung dieser Ionen mit dem Material Graphen, das nur aus einer einzigen Lage von Kohlenstoffatomen besteht“, sagt Anna Niggas, die Erstautorin des aktuellen Papers ist. „Wir wussten nämlich schon aus unseren früheren Experimenten, dass Graphen ganz besonders interessante Eigenschaften hat: Der Elektronentransport in Graphen ist extrem schnell.“

Die Teilchen reagieren so schnell, dass man die Vorgänge nicht direkt beobachten kann. Doch es gibt spezielle Tricks, die man anwenden kann: „Bei solchen Prozessen wird meist auch eine große Anzahl von Elektronen emittiert“, erklärt Anna Niggas. „Wir konnten die Anzahl und die Energie dieser Elektronen sehr genau messen, die Ergebnisse mit theoretischen Berechnungen vergleichen, die unsere Ko-Autoren von der Universität Kiel beisteuerten, und auf diese Weise konnten wir auf Femtosekunden-Skala entschlüsseln, was hier genau passiert.“

Femtosekunden-Reise durch das Graphen

Zunächst nähert sich das hochgeladene Ion der dünnen Materialschicht. Durch seine positive Ladung erzeugt es ein elektrisches Feld und beeinflusst dadurch die Elektronen des Materials – schon kurz vor dem Aufprall bewegen sich Elektronen des Materials in Richtung der Einschlagstelle. Irgendwann wird das elektrische Feld so stark, dass Elektronen aus dem Material herausgerissen und vom hochgeladenen Ion eingefangen werden. Unmittelbar darauf schlägt das Ion dann in der Oberfläche ein und durchdringt das Material. Dabei kommt es zu einer komplizierten Interaktion, das Ion überträgt in kurzer Zeit viel Energie auf das Material, dabei werden Elektronen fortgeschossen.

Wenn im Material Elektronen fehlen, bleibt dort positive Ladung zurück. Das wird allerdings rasch durch nachrückende Elektronen aus anderen Bereichen des Materials ausgeglichen. Bei Graphen ist dieser Prozess extrem schnell, innerhalb des Materials entstehen auf atomarer Skala kurzfristig starke Ströme. In Molybdändisulfid ist dieser Prozess etwas langsamer. In beiden Fällen beeinflusst die Verteilung der Elektronen im Material aber ihrerseits wieder die Elektronen, die schon zuvor aus dem Material herausgelöst wurden – und genau dadurch können sie dann, wenn man sie sorgfältig detektiert, Auskunft über die zeitliche Struktur des Einschlags liefern. Nur schnelle Elektronen können das Material verlassen, langsamere Elektronen kehren um, werden wieder eingefangen und landen nicht im Elektronendetektor.

Das Ion braucht nur rund eine Femtosekunde, um eine Graphen-Schicht zu durchdringen. Prozesse auf derart kurzen Zeitskalen konnte man bisher schon mit ultrakurzen Laserpulsen vermessen – doch die würden in diesem Fall viel Energie im Material deponieren und den Prozess völlig verändern.

„Wir haben mit unserer Methode einen Zugang gefunden, der ganz fundamentale neue Einblicke erlaubt“, sagt Richard Wilhelm, Leiter eines FWF START Projektes an der TU Wien. „Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie Materie auf sehr kurze und sehr intensive Strahlungseinwirkung reagiert – nicht nur auf Ionen, sondern letztlich auch auf Elektronen oder Licht.“

Die beschriebene Forschung wurde durch das „Innovative Projekte“ Programm und das Doktoratskolleg TU-D der TU Wien sowie den FWF gefördert. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
A. Niggas et al., Ion-induced surface charge dynamics in freestanding monolayers of graphene and MoS2 probed by the emission of electrons, PRL 129, 086802, 2022.

Externer Link: www.tuwien.at