Durchbruch in den Nanowissenschaften

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 18.06.2009

Regensburger Physiker messen erstmals Ladungszustand einzelner Atome

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von IBM erzielten Forscher der Universitäten Regensburg und Utrecht einen Durchbruch auf dem Gebiet der Nanotechnologie. Sie konnten zum ersten Mal den Ladungszustand von einzelnen Atomen direkt mittels Rasterkraftmikroskopie (RKM) messen. Die Präzision, mit der sie dabei zwischen ungeladenen bzw. positiv oder negativ geladenen Atomen unterscheiden konnten, betrug eine einzelne Elektronenladung bei einer nanometergenauen räumlichen Auflösung. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Erforschung von Nanostrukturen und Bausteinen auf atomarer und molekularer Skala in Anwendungsbereichen wie etwa der molekularen Elektronik, der Katalyse oder der Photovoltaik.

Die Arbeit von Jascha Repp und Franz Giessibl von der Universität Regensburg, Peter Liljeroth von der Universität Utrecht und von Leo Gross, Fabian Mohn und Gerhard Meyer vom IBM Forschungslabor Zürich ist in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Science erschienen. Sie berichten darin, wie sie einzelne, unterschiedlich geladene Gold- und Silberatome abbilden und deren Ladungszustand aufgrund kleinster Unterschiede in der Kraft zwischen der Spitze eines Rasterkraftmikroskops und diesen Atomen exakt bestimmen konnten.

Für ihre Experimente verwendeten die Forscher eine Kombination aus Rastertunnel- (RTM) und Rasterkraftmikroskop (RKM), betrieben im Ultrahochvakuum und bei tiefen Temperaturen (5 Kelvin), um die für diese Messungen notwendige Stabilität zu erreichen. Ein RKM misst mittels einer atomar feinen Spitze, die auf einem schwingenden Federbalken angebracht ist, die Kräfte, die zwischen dieser Spitze und den Atomen auftreten. In der vorliegenden Arbeit verwendeten die Forscher einen so genannten qPlus Kraftsensor, bei dem die Spitze auf einem Zinken einer Stimmgabel, wie man sie in mechanischen Uhrwerken von Armbanduhren findet, angebracht ist, während der andere Zinken fixiert ist. Die Stimmgabel wird mechanisch angeregt und schwingt mit einer Amplitude von 0.02 Nanometer. Dies entspricht nur etwa einem Zehntel des Durchmessers eines Atoms. Wird die RKM-Spitze nun sehr nah über der Probe, etwa über einem einzelnen Atom, platziert, verändert sich die Resonanzfrequenz der Stimmgabel aufgrund der Kräfte, die zwischen Probe und Spitze auftreten.

Mit dieser Methode und unter extrem stabilen Bedingungen konnten die Forscher nun die minimalen Unterschiede in der Kraft messen, die zwischen Spitze und einzelnen, unterschiedlich geladenen Atomen herrscht. Die Kraftdifferenz zwischen einem neutralen Goldatom und einem Goldatom mit einem zusätzlichen Elektron, beträgt nur etwa 11 Pikonewton, gemessen bei einer minimalen Distanz zwischen Spitze und Probe von ungefähr einem halben Nanometer. Die Messgenauigkeit dieser Experimente liegt im Bereich von 1 Pikonewton, was der Gravitationskraft entspricht, die zwei Menschen in einem Abstand von mehr als einem halben Kilometer aufeinander ausüben. Die Forscher bestimmten zudem, wie sich die Kraft mit der zwischen Spitze und Probe angelegten Spannung veränderte. Dies erlaubte die Unterscheidung, ob das entsprechende Atom negativ oder positiv geladen war.

Dieser Durchbruch ist ein weiterer wichtiger Fortschritt auf dem Gebiet der Nanoforschung. Im Gegensatz zum RTM, das auf elektrisch leitfähige Proben angewiesen ist, kann das RKM auch für nichtleitende Proben verwendet werden. In der molekularen Elektronik, in der die Verwendung von Molekülen als funktionale Bausteine in zukünftigen Schaltkreisen und Prozessoren erforscht wird, werden nichtleitende Trägersubstanzen benötigt. Deshalb würde bei solchen Experimenten bevorzugt die Rasterkraftmikroskopie zum Einsatz kommen.

Schon 2008 gelang es Wissenschaftlern der Universität Regensburg in Zusammenarbeit mit dem IBM Almaden Research Center in Kalifornien, mit einem qPlus-RKM erstmals die Kraft zu messen, die benötigt wird, um ein Atom auf einer Oberfläche zu verschieben. Dies bahnte den Weg für die aktuellen Experimente.

Nanotechnologie an der Universität Regensburg und bei IBM:

IBM ist seit der Erfindung des Rastertunnelmikroskops im Jahr 1981 durch Gerd Binnig und Heinrich Rohrer am Zürcher Labor Pionier auf dem Gebiet der Nanowissenschaft. Für diese bahnbrechende Erfindung, dank derer einzelne Atome abgebildet und später auch manipuliert werden konnten, erhielten Binnig und Rohrer 1986 den Nobelpreis für Physik. Das RTM wird generell als das Instrument angesehen, das das Tor zum Nanokosmos öffnete. Das Rasterkraftmikroskop, das eng mit dem RTM verwandt ist, wurde 1986 von Binnig erfunden. Die Physik der Nanostrukturen ist ein Schwerpunkt der physikalischen Fakultät an der Universität Regensburg. Sowohl experimentelle als auch theoretische Physiker forschen in Regensburg innerhalb des Sonderforschungsbereichs 689 „Spinphänomene in reduzierten Dimensionen“ und des neu eingerichteten Graduiertenkollegs 1570 „Elektronische Eigenschaften von Nanostrukturen auf Kohlenstoff-Basis“ auf dem faszinierenden und zukunftsträchtigen Gebiet der Nanophysik.

Literatur:

Die wissenschaftliche Arbeit von L. Gross, F. Mohn, P. Liljeroth, J. Repp, F. J. Giessibl, und G. Meyer mit dem Titel „Measuring the Charge State of an Adatom with Noncontact Atomic Force Microscopy“ erschien in Science, Vol. 324, Nr. 5933, S. 1428 – 1431 (12. Juni 2009).

Siehe auch das Science Perspective von E. Meyer, T. Glatzel mit dem Titel „Novel Probes for Molecular Electronics“, erschienen in Science, Vol. 324, Nr. 5933, S. 1397 – 1397 (12. Juni 2009).

Externer Link: www.uni-regensburg.de