Wie Gene kopiert werden

Pressemitteilung der Universität Regensburg vom 21.01.2010

Wissenschaftler aus Regensburg und München publizieren in der renommierten Zeitschrift „Nature“

Alle lebenden Zellen tragen die fadenförmige Erbsubstanz DNA, die aus Tausenden von Genen besteht. Seit Längerem ist bekannt, wie Gene kopiert werden und dabei Bauanleitungen für Proteine, die Funktionsträger der Zelle, entstehen. Unklar war aber, wie die winzige „Kopiermaschine“ RNA-Polymerase II den Beginn eines Gens findet. Bahnbrechende strukturelle Arbeiten der Arbeitsgruppe von Prof. Patrick Cramer vom Genzentrum in München identifizierten neue Strukturen im so genannten Transkriptionsfaktor B. Ein Transkriptionsfaktor ist in der Molekularbiologie ein Protein, das für den Einsatz der RNA-Polymerase bei der Gen-Transkription von großer Bedeutung ist. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Michael Thomm vom Institut für Biochemie, Genetik und Mikrobiologie der Universität Regensburg wurde dann mit Hilfe des einfacheren Transkriptionssystems von Archaeen (einzellige Organismen) entschlüsselt, wie die RNA-Polymerase den Kopiervorgang am Beginn eines Gens mit Hilfe des Transkriptionsfaktors B startet . Aufbauend auf diesen Ergebnissen können nun die molekularen Schalter untersucht werden, die Gene gezielt aktivieren – und so die Entwicklung und den Erhalt eines Organismus steuern.

Lebende Organismen sind für ihre Entwicklung darauf angewiesen, dass die DNA als Trägerin der Erbinformation für die Biosynthese von Proteinen und RNA – eine dem Erbmolekül verwandte Nukleinsäure – „gelesen“ werden kann. „Die DNA ist nur ein Speichermedium und für sich genommen eher langweilig“, sagt Prof. Cramer. „Die Gene sind eigentlich stumm. Sie müssen zum Sprechen gebracht werden.“ Das ermöglicht ein Kopiervorgang, die Transkription durch RNA-Polymerase II, kurz Pol II. Dieser Enzymkomplex kopiert Gene und übersetzt sie in RNA. Dabei entsteht der Botenstoff mRNA, der die genetische Information aus dem Zellkern trägt, sodass sie in das entsprechende Protein umgesetzt werden kann.

Wie Pol II ein Gen kopiert, ist seit Längerem bekannt. Unklar war aber, wie das Enzym den Beginn eines Gens findet und die Startstelle des Kopiervorgangs festlegt. Dies konnte nun von den beiden Arbeitsgruppen in Regensburg und München arbeitsteilig geklärt werden. Den Forschern am Münchner Genzentrum unter der Leitung von Prof. Cramer gelang es zunächst zu zeigen, wie die dreidimensionale molekulare Struktur der Polymerase in Verbindung mit dem Transkriptionsfaktor B aussieht. Methodische Grundlage der Studien war die extrem aufwändige Röntgenstrukturanalyse. Dabei müssen große Mengen des gesuchten Moleküls oder Molekülkomplexes als Kristall gezüchtet werden. Dessen regelmäßige Gitterstruktur kann intensive Röntgenstrahlung in ein charakteristisches Muster beugen – was rechnergestützt die molekulare Struktur des Moleküls oder des Komplexes ableiten lässt. Diese Methode wurde auch bei den Arbeiten zur Aufklärung der Proteinfabriken eingesetzt, die im letzten Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden.

Über die Strukturanalysen der Münchner Wissenschaftler konnten neue Elemente im Transkriptionsfaktor B identifiziert werden, die wiederum von den Regensburger Forschern gezielt verändert wurden. Die Regensburger Arbeitsgruppe nutzte dabei für ihre Laboruntersuchungen den archaeellen einzelligen Organismus Pyrococcus furiosus. Die Transkriptionsmaschinerie dieses Organismus ist ein gutes Modell für die komplexeren Vorgänge in höheren Zellen. Ein großer Vorteil von Pyrococcus furiosus ist, dass Prof. Thomm und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Archaeenzentrum der Universität Regensburg dessen RNA-Polymerase gewissermaßen vollständig nachbauen konnten. Einzelne Untereinheiten der RNA-Polymerase konnten so verändert oder gar weggelassen werden, wodurch die Regensburger Forscher Rückschlüsse über die Aufgaben einzelner Bereiche der RNA-Polymerase zogen.

Darüber hinaus konnten die Regensburger Wissenschaftler auf diese Weise den neu entdeckten Elementen im Transkriptionsfaktor B bestimmte Aufgaben zuweisen. Ein Teil des Transkriptionsfaktors B hilft demnach bei der Öffnung der DNA-Doppelhelix, was die Startstelle zugänglich macht. Danach wird die geöffnete DNA durch den Polymerase-B-Komplex gescannt, um die Startstelle zu finden und die Transkription zu beginnen. Für das Scannen ist ein weiterer separater Teil des Transkriptionsfaktors B nötig. Dieser liest auf der Suche nach dem Start-Signal den vorbeilaufenden DNA-Faden wie ein Lesekopf in einem Tonbandgerät.

Die Ergebnisse der beiden Arbeitsgruppen in Regensburg und München fügen sich zu einem Modell für den Ablauf der sehr komplizierten Transkriptions-Initiation in sechs Schritten zusammen. Sie liefern aber auch denkbare Szenarien zur Funktion molekularer Schalter, die Gene bei Bedarf aktivieren oder unterdrücken. Gerade die Aussicht, eines Tages zu verstehen, wie Gene angeschaltet werden, wenn Sie im Organismus gebraucht werden, macht die Arbeit zu einem Meilenstein in einem aktuellen Forschungsfeld. Die Laboranalysen sind zudem ein herausragendes Beispiel dafür, dass die archaeelle Transkriptionsmaschinerie als Modell zum besseren Verständnis der molekularen Abläufe in höheren Zellen herangezogen werden kann.

Publikation:
„RNA polymerase II-TFIIB structure and mechanism of transcription initiation.“
Dirk Kostrewa*, Mirijam Zeller*, Karim-Jean Armache*, Martin Seizl, Kristin Leike, Michael Thomm and Patrick Cramer
*Trugen in gleicher Weise zu der Arbeit bei
Nature (2009) 462, 323-330
Doi:10.1038/nature08548

Externer Link: www.uni-regensburg.de