Auf dem Weg zum triebhaften Computer

Presseaussendung der TU Wien vom 13.12.2010

Soll man die Roboter von morgen nach den Prinzipien der Psychoanalyse entwickeln? Ein Forschungsteam der Technischen Universität (TU) Wien verknüpft Computerwissenschaft mit Freuds Modellen – mit wertvollem Erkenntnisgewinn für beide Seiten.

Wien (TU). – Das menschliche Gehirn ist wohl die komplizierteste Struktur, die wir kennen. Unser Denken kann nicht auf simple mathematische Weise beschrieben werden – doch in der Psychoanalyse wurden Modelle entwickelt, die zumindest in groben Zügen Auskunft darüber geben, wie unser eigener Kopf funktioniert. Auch moderne Computer erreichen einen praktisch unüberblickbaren Grad an Komplexität – so ist es also naheliegend, psychoanalytische Modelle auch auf Computerprogramme anzuwenden. Computer und Psyche zu verknüpfen, das ist das Ziel von Prof. Dietmar Dietrich und Dr. Dietmar Bruckner vom Institut für Computertechnik der TU Wien – in Sigmund Freuds Heimatstadt.

Vor lauter Hirnzellen sieht man den Gedanken nicht

Wie ist der Zusammenhang zwischen Gedanken und dem Gehirn? Kann auch in Transistoren und Mikrochips so etwas wie ein Gedanke entstehen? Schon seit Jahrzehnten wird versucht, Antworten auf solche Fragen zu finden – meist durch das Analysieren der Grundstrukturen auf kleinster Skala, in der Hoffnung, dass sich die großen Zusammenhänge daraus erklären lassen. Über die Funktionsweise einzelner Nervenzellen wissen wir heute eine ganze Menge, und am Computer können neuronale Netze geschaffen werden, die das Zusammenspiel vieler Nervenzellen simulieren. Nervenaktivität in genau definierten Gehirnbereichen lässt sich durch präzise Messmethoden feststellen. Von Psyche versteht man allerdings noch nicht das Geringste, wenn man auf dieser Ebene bleibt. „Wir könnten ja schließlich auch kein Computerprogramm verstehen, indem wir die Aktivität irgendwelcher Transistoren vermessen“, meint Prof. Dietrich.

Erst die Struktur, dann die Details

Am Institut für Computerwissenschaften der TU Wien wird der umgekehrte Weg beschritten. Anstatt aus simplen Bausteinen Komplexeres zu entwickeln, beginnt man auf der komplexen Seite, bei der „Psychoanalyse“ des Computers. So soll die Steuerungssoftware für Roboter eine Struktur bekommen, die Freuds Verständnis der Psyche nachempfunden ist: Die Maschine bekommt ein „Ich“, ein durch Wert- und Moralvorstellungen geprägtes „Über-Ich“ und ein triebhaftes „Es“. Ähnlich wie ein Mensch bewegt sie sich gewissermaßen zwischen inneren Trieben und moralischen Handlungsnormen. „Warum soll nicht eine automatisierte Küche einen Reinlichkeitstrieb haben können? Warum soll ein Roboter in der Autofabrik nicht den inneren Drang verspüren können, eine Karosserie möglichst sauber zu lackieren?“ fragt sich Dietmar Bruckner. Schon vor der Programmierarbeit werden grobe Schaltpläne gezeichnet, in denen das Zusammenspiel von „Trieben“, inneren „Wertvorstellungen“ und dem tatsächlichen  Verhalten der Maschine festgelegt wird.

Freuds Widersprüche durch Computerwissenschaft gelöst

Diese neue Herangehensweise verändert nicht nur die Computertechnik, auch in die Psychoanalyse werden dadurch neue Sichtweisen hineingetragen. „Natürlich gibt es in diesen beiden Disziplinen ganz unterschiedliche Denk-Traditionen“, weiß Prof. Dietmar Dietrich aus Erfahrung. Beide Seiten können voneinander lernen. Auf Fragestellungen der Psychoanalyse kann die naturwissenschaftliche Herangehensweise ein neues Licht werfen. So hat etwa Freud selbst die Psyche auf zwei verschiedene Arten eingeteilt: Neben der Dreiteilung „Über-ich, Ich, Es“ verwendete er auch die Kategorien „unbewusst, vorbewusst, bewusst“. In der Psychoanalyse sind diese beiden Kategorisierungen nicht wirklich vereinbar. In der Computertechnik allerdings ist dieser scheinbare Widerspruch kein Problem: „In der Datenverarbeitung lernt man vom ersten Tag an, Daten von Funktionen zu unterscheiden“, erklärt Prof. Dietmar Dietrich. Daten können widersprüchlich oder unvollständig sein, Funktionen sind dazu da, um die Daten auf eindeutige Weise zu verarbeiten. „Die Teilung in ‚unbewusst‘, ‚vorbewusst‘ und ‚bewusst‘ bezieht sich auf die Daten unseres Denkens“, erklären Bruckner und Dietrich. „Die Einteilung Über-ich, Ich und Es hingegen beschreibt unterschiedliche Funktionen.“

Vom Gehirn lernen, nicht Gehirne nachbauen

Science-fiction-artige Visionen von selbstbewussten Toastern oder manisch-depressiven Sportwägen sind freilich völlig unbegründet. Das Ziel der Forschungsarbeit ist es nicht, in Maschinen menschliches Denken zu simulieren. „Wir wollen das Funktionsprinzip des Gehirns für unsere Technologie nützen – nicht ein Gehirn nachbauen“, betont Prof. Dietrich. In ähnlicher Weise hat man schließlich auch vom Flugverhalten der Vögel viel für den Flugzeugbau gelernt – und trotzdem waren Flugzeuge niemals nachgebaute Vogelkörper. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at