Bewegungsanalyse soll Arthrose sichtbar machen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 19.08.2014

Mit computergestützten Modellen können KIT-Forscher Veränderungen im Bewegungsmuster detailliert erfassen. Ihr Ziel ist, Gelenkverschleiß dadurch früher als bisher zu erkennen.

Bei Arthrose verschleißen Gelenke stärker als altersbedingt üblich. Rund 150.000 Deutsche im Jahr erhalten deswegen ein künstliches Kniegelenk. Dabei ließen sich mit einer frühzeitigen Diagnose und entsprechenden Therapien viele Operationen hinauszögern oder ganz vermeiden. Gelenke nutzen sich allerdings ganz allmählich über mehrere Jahre hinweg ab, bevor sie zu schmerzen beginnen und die Betroffenen einen Arzt aufsuchen. An einem System, das bereits erste Anzeichen für Arthrose am veränderten Bewegungsmuster eines Menschen erkennt, arbeiten derzeit Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Kooperation mit dem Sana Gelenk- und Rheumazentrum Bad Wildbad.

Funktionieren Gelenke nicht mehr wie gewohnt, gleichen Menschen dies zunächst aus, indem sie ihre Bewegungen unbewusst anpassen. Bei Kniearthrose beispielsweise belasten sie verstärkt das gesunde Bein. Dadurch schonen sie zwar das abgenutzte Kniegelenk, zögern aber auch die Schmerzen hinaus, die auf eine beginnende Arthrose hinweisen würden. Gelenkverschleiß im Frühstadium bleibt daher oft unentdeckt. „Wir wollen nun über eine computergestützte Analyse des Gangs ein Frühwarnsystem entwickeln, das sich routinemäßig in der Vorsorge einsetzen ließe“, sagt Professor Stefan Sell, Leiter des Lehrstuhls für „Sportorthopädie und Belastungsanalyse“ am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) des KIT und zugleich Chefarzt für Gelenkchirurgie am Sana Gelenk- und Rheumazentrum Bad Wildbad. Für erkrankte Patienten könne man auf diese Weise auch schonendere Bewegungsabläufe entwickeln und erproben. Gerade im Anfangsstadium könne sogar Sport noch sinnvoll sein, sofern er richtig ausgeführt werde: Wer beispielsweise trotz Kniearthrose Tennisspielen wolle, sollte darauf achten durchzulaufen, anstatt abrupt abzustoppen. Bis das Frühwarnsystem marktreif ist, werde es allerdings noch etwa zwei Jahre dauern.

Die Forscher am IfSS arbeiten gerade daran, einen Katalog menschlicher Bewegungsmuster zu erstellen. Abweichungen in der Ausführung beschreiben sie mathematisch über die Wahrscheinlichkeit, mit der diese auftreten. Parallel erfassen die Sportwissenschaftler auch Bewegungsdaten von Patienten, die bereits unter Kniearthrose leiden. „Bei ihnen beobachten wir gemeinsame Merkmale in den Bewegungsabläufen, die für körperlich unbeeinträchtigte Menschen höchst unwahrscheinlich sind“, sagt Andreas Fischer, der das Projekt am BioMotion Center des IfSS betreut. Beispielsweise sei der Kniewinkel oft eingeschränkt. Auch verlagerten viele Patienten ihr Gewicht deutlich langsamer auf das betroffene Bein, um den Stoß beim Aufsetzen abzumildern. In fortgeschrittenem Stadium ist dieses Verhalten mit dem Auge sichtbar und wird von Schmerzen begleitet. Mathematisch lassen sich aber bereits die ersten Anzeichen als Abweichen von der normalen Wahrscheinlichkeitsverteilung ausmachen.

Um Bewegungen am Computer mathematisch analysieren zu können, müssen die Wissenschaftler sie zunächst digital abbilden. Dazu bringen sie 39 Markierungen am Körper der Probanden an: Die kleinen grauen Kugeln lassen sich einfach mit Klebeband auf der Haut befestigen. „Wichtig dabei ist, die Drehpunkte der Gelenke möglichst genau zu treffen“, erklärt Fischer. Bewegt sich der Proband nun unter Infrarotlicht, wird dieses von den Kugeln reflektiert und von Kameras aufgezeichnet. Am Computer erscheinen die Gelenkmarkierungen als Bildpunkte, anhand derer sich der restliche Körper nachmodellieren lässt. Hinzu kommen die Werte zweier Kraftmessplatten. Läuft der Proband darüber, zeichnen sie genau auf, wann und wo ein Fuß die Platte berührt und welche Kräfte zwischen Boden und Proband wirken. Lichtschranken vor und hinter den Kraftmessplatten erfassen zudem die Durchschnittsgeschwindigkeit.

„Anhand dieser Werte können unsere Rechenmodelle bereits verschiedene Bewegungsmuster erkennen: Etwa ob jemand geht oder läuft, sich im Flachen bewegt oder eine Steigung nimmt“, so Fischer. Auch könne das System Personen allein an ihrem Gang unterscheiden. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Wissenschaftler ihre Rechenmodelle vorher entsprechend „trainiert“ haben: Dafür müssen die Probanden eine Bewegung mehrfach wiederholen, damit das System erkennt, welches die jeweils typischen Merkmale sind. „Unser System lernt auf diese Weise, wie sich Menschen normalerweise bewegen. Es braucht diesen Vergleich, um Abweichungen, die auf eine Erkrankung deuten, überhaupt als solche erkennen zu können“, sagt Fischer. (lcp)

Externer Link: www.kit.edu