Presseinformation der LMU München vom 21.10.2016
Physiker der LMU haben eine neuartige Methode entwickelt, mit der sich Biomoleküle einfach und effizient auf ihre mechanischen Eigenschaften untersuchen lassen.
Für Biologen zählen zu den wichtigsten Fragen, wie Proteine und Gene in menschlichen Zellen arbeiten, wie sie ihre Aufgaben erledigen und mit etwaigen Störungen umgehen. Von großer Bedeutung ist dabei, wie die Biomoleküle auf winzigste Krafteinwirkungen reagieren. LMU-Physiker um Professor Tim Liedl haben zusammen mit Wissenschaftlern der TU Braunschweig und der Universität Regensburg nun eine neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe man gezielt konstante Kräfte auf ein einzelnes, nur wenige Nanometer großes Molekül ausüben und gleichzeitig dessen Reaktion auf die angelegte Kraft beobachten kann. So lässt sich testen, ob ein Protein oder Gen seine Aufgabe noch richtig ausführt, wenn kleinste Kräfte im Inneren einer Zelle an der Struktur zerren. Für die Untersuchung mit der neuen Kraftspektroskopie-Methode, die nanoskopische Kraftmesser einsetzt, benötigt man keine makroskopischen Werkzeuge und kann zudem eine große Zahl Moleküle parallel untersuchen, ein enormer Zeitgewinn.
Mit dem neuen Ansatz umgehen die Forscher zwei fundamentale Einschränkungen bisheriger Methoden in der Kraftspektroskopie. Sowohl beim Rasterkraftmikroskop wie auch bei den sogenannten optischen und magnetischen Pinzetten haben die untersuchten Moleküle immer eine direkte Verbindung zur makroskopischen Welt. Im Grunde muss man dabei jeweils die Position eines mindestens Mikrometer großen Objekts (Kugel oder Metallspitze) genau kontrollieren und übt dann Kräfte auf Moleküle aus, die an diesem Objekt verankert sind. Das ist technisch extrem aufwändig und verursacht zudem oft fehlerbehaftete Signale. Zudem lässt sich damit immer nur ein Molekül nach dem anderen untersuchen. Von diesen Zwängen ist die neue Methode befreit. „Unsere Strukturen arbeiten völlig autonom“, erklärt Philipp Nickels aus der Forschergruppe von Tim Liedl. „Und wir können damit unzählige Moleküle gleichzeitig untersuchen.“
Als würde man eine Feder leicht spannen
Die Münchner Forscher, die auch dem Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM) angehören, basteln mithilfe der DNA-Origami-Technik zunächst aus vielen künstlichen DNA-Strängen gezielt nanometergroße, molekulare Klammern, die so konstruiert sind, dass sie selbständig Kräfte ausüben können. In ihre speziell designten DNA-Klammern spannen sie einen in der Mitte mit einer speziellen Sequenz ausgestatteten Einzelstrang ein, an den wiederum das zu untersuchende Molekül anbindet. Kraft können sie ausüben, indem sie den in der Klammer befestigten Einzelstrang gezielt um einzelne Basen verkürzen. „Das ist, als würde man eine Feder leicht spannen“, sagt Nickels. Damit lassen sich gezielt unvorstellbar kleine Kräfte zwischen 0 und 15 Pico-Newton ausüben, das sind Billionstel Newton. Für die Physiker ist es ein ideales Untersuchungsinstrument, denn im Zellinneren wirken genau Kräfte in dieser Größenordnung auf die Proteine oder Gene ein. „Wir können im Prinzip jedes Biomolekül einspannen und dessen mechanischen Eigenschaften untersuchen“, sagt Gruppenleiter Tim Liedl.
Die Messdaten lesen die Forscher sehr elegant über den Energieaustausch zweier eingebauter Fluoreszenzfarbstoffe aus. „Wenn sich beispielsweise aufgrund der angelegten Kräfte die Struktur des untersuchten Moleküls ändert, ändert sich auch der Abstand der Farbstoffe,“ erklärt Professor Philip Tinnefeld, TU Braunschweig. Da nun beim sogenannten FRET (Förster-Resonanz-Energie-Transfer) die übertragene Energie sehr stark vom Abstand der Farbstoffe abhängig ist, kann das System wie ein Lineal auf der Nanometerskala winzigste Verschiebungen im Molekül erkennen.
In Zusammenarbeit mit Professor Dina Grohmann, Universität Regensburg, demonstrierte das Team um Liedl die Möglichkeiten der neuen Kraftspektroskopie-Methode am Beispiel des sogenannten TATA-Binding-Proteins, eines wichtigen Faktors in der Genregulation. Die Forscher fanden heraus, dass dieses Protein nicht mehr effizient arbeiten kann, wenn die Zielsequenz mit mehr als sechs Pico-Newton gespannt wird. Noch steht die neue Technologie am Anfang. Da die DNA-Klammern winzig sind und autonom arbeiten können, wäre es in Zukunft sogar denkbar, sie auch in einer lebenden Zelle einzusetzen und dort die molekularen Vorgänge live zu untersuchen.
Publikation:
Science 2016
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