Oberflächenphysik: Wie das Wasser tanzen lernt

Presseaussendung der TU Wien vom 21.12.2015

Wassermoleküle, die im Kreis tanzen – an der TU Wien wurden die komplizierten Vorgänge auf der Oberfläche einer wichtigen Materialsorte entschlüsselt.

Perowskite sind Materialien, die in Batterien, in Brennstoffzellen oder auch in elektronischen Bauteilen verwendet werden, aber auch in der Natur als Mineral vorkommen. Obwohl sie technologisch so wichtig sind, weiß man über das chemische Verhalten ihrer Oberfläche bis heute sehr wenig. Dem Team von Prof. Ulrike Diebold (Institut für Angewandte Physik, TU Wien) gelang es nun allerdings mit Hilfe von Rastertunnelmikroskopen und Computerberechnungen eine alte Frage zu klären: Wie verhalten sich Wassermoleküle, die sich auf den Perowskit-Oberflächen anlagern? Nicht nur die äußersten Atome an der Oberfläche, sondern auch tieferliegende Strukturen spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Materials“ veröffentlicht.

Perowskit zerlegt Wassermoleküle

„Wir studierten Strontium-Ruthenat, einen ganz typischen Vertreter aus der Materialklasse der Perowskite“, sagt Ulrike Diebold. Es handelt sich um eine Kristallstruktur aus Sauerstoff, Strontium und Ruthenium. Die äußerste Schicht wird (wenn man den Kristall in der richtigen Richtung spaltet) nur von Strontium und Sauerstoff-Atomen gebildet, das Ruthenium befindet sich darunter, eingesperrt in eine Box aus Sauerstoff-Atomen.

Wassermoleküle, die auf diese Oberfläche auftreffen, werden in zwei Teile zerlegt: Eines der der Wasserstoffatome wird dem Molekül entrissen und von einem Sauerstoffatom der Kristalloberfläche festgehalten. Übrig bleibt eine OH-Gruppe, die durch eine sogenannte Wasserstoff-Brückenbindung an das entrissene Wasserstoffatom gebunden bleibt.

Genau diese Bindung ist die Ursache für einen merkwürdigen Effekt: Die OH-Gruppe kann sich nicht frei bewegen. Sie hüpft rund um das Wasserstoffatom herum, von Atom zu Atom, wie ein Tänzer, der mit einem Bein immer am selben Ort bleiben muss und bloß mit dem anderen verschiedene Schritte ausprobiert. „Aufgrund von theoretischen Berechnungen wurde dieser Effekt schon vor einigen Jahren vorhergesagt, wir sind nun die ersten, die das experimentell bestätigen konnten“, sagt Ulrike Diebold. Sie und ihr Team verfügen über langjährige Erfahrung im Abbilden atomarer Prozesse mit Rastertunnelmikroskopen. Wenn man eine bestimmte Region der Kristalloberfläche über längere Zeit immer wieder abbildet, kann man den Tanz der Atome auf der Oberfläche tatsächlich mitfilmen.

Musterbildung: Vom Einzeltänzer über Paarbindung zur Polonaise

Wenn man mehr Wasser auf die Oberfläche aufbringt kann es passieren, dass zwei Tänzer aufeinandertreffen. Dann müssen die OH-Gruppen ihren Tanzschritt ändern: „Die OH-Gruppe kann sich nur dann ungehindert im Kreis bewegen, wenn keiner der unmittelbar benachbarten Plätze besetzt ist“, sagt Florian Mittendorfer, der die Rechnungen gemeinsam mit seinem Dissertanten Wernfried Mayr-Schmölzer durchgeführt hat. Wenn man ein zweites Wassermolekül danebensetzt, hört die Bewegung auf – so als würden einander zwei Tanzpartner treffen und plötzlich eng umschlugen am selben Ort bleiben.

Solche Paare bilden sich allerdings nur an ganz bestimmten Stellen der Oberfläche – und das obwohl die oberste Schicht aus regelmäßig, symmetrisch angeordneten Sauerstoff und Strontium-Atomen besteht und somit alle Stellen gleichwertig sein sollten. Der Grund liegt an der Struktur unmittelbar unterhalb der Oberfläche: hier verbergen sich Oktaeder aus Sauerstoffatomen mit einem Ruthenium-Atom in der Mitte. Diese Oktaeder sind jedoch nicht alle gleich ausgerichtet, sondern ein bisschen zueinander verdreht – abwechselnd im und gegen den Uhrzeigersinn. Dadurch wird die Symmetrie der Oberfläche gebrochen und bestimmte Stellen für die Paarbildung bevorzugt. „Zunächst bilden sich Paare, dann entstehen ganze Ketten, die immer dichter werden, bis fast die ganze Oberfläche bedeckt ist.“ Was als Einzeltanz begann und zu Paarbindung führte endet bei zunehmender Konzentration von Wassermolekülen als große, geordnete Struktur, vergleichbar mit einer Polonaise, bei der viele Tanzpaare wohlgeordnet hintereinander aufgereiht sind.

Allerdings muss auch bei diesem Prozess an irgendeinem Punkt Schluss sein: Wenn alle Plätze besetzt sind, kann kein zusätzlicher Tänzer mehr auf der Tanzfläche untergebracht werden. „Wenn ein Wassermolekül auf eine Stelle trifft, an der ringsherum bereits alle Plätze von dissoziiertem Wasser besetzt sind, dann kann dieses neue Molekül nicht auch noch von der Oberfläche dissoziiert werden“, erklären die Forscher. Das Wassermolekül bleibt dann ganz, es adsorbiert molekular.

Die neuen Methoden, die vom Forschungsteam an der TU Wien entwickelt und angewandt werden, haben die Oberflächenforschung entscheidend verändert. War man früher auf indirekte Messungen angewiesen, kann man heute – mit dem nötigen Know-How – das Verhalten der einzelnen Atome auf der Oberfläche direkt abbilden und beobachten. Für die moderne Materialforschung eröffnet das ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise für die Entwicklung und Verbesserung von Katalysatoren. (Florian Aigner)

Originalpaper:
Adsorption of Water at the SrO Surface of Ruthenates, Nature Materials

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Implantat gibt Gegensteuer

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 16.12.2015

Wissenschaftler entwickelten eine neue, komplexere Art von genetischem Schaltkreis. Damit konnten sie im Mausmodell die Schuppenflechte, eine chronische Entzündungskrankheit der Haut, erfolgreich therapieren.

ETH-Professor Martin Fussenegger nennt sie molekulare Prothesen: biologische Zellen mit speziell entwickelten Gen-Schaltkreisen, die sich in einen Organismus implantieren lassen und dort Stoffwechselfunktionen übernehmen, die der Organismus selbst nicht leisten kann. Fussenegger und seinen Mitarbeitenden am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel ist es nun gelungen, eine solche molekulare Prothese zu entwickeln, die in ihrer Funktion weit komplexer ist als bisherige. Sie ist darauf zugeschnitten, die Schuppenflechte (Psoriasis), eine komplexe und chronische Entzündungskrankheit der Haut, zu therapieren.

Bisher realisierte Gen-Schaltkreise kontrollierten meist nur, ob in ihrer Umgebung ein Stoffwechselmolekül A vorhanden ist. Falls ja, stellten sie als Antwort darauf ein Stoffwechselmolekül X her. Der neue, komplexere Schaltkreis kann gleichzeitig zwei Moleküle A und B aufspüren. Und nur wenn beide vorhanden sind, stellt er die Moleküle X und Y her. «Wir haben mit Zellbauteilen ein sogenanntes logisches Und-Gatter entwickelt, wie wir es aus der Elektronik kennen und ohne dieses kein Computer funktionieren würde», sagt Fussenegger. Einen Schaltkreis mit einem solchen Und-Gatter (englisch: AND gate) haben die Forschenden in Mäuse implantiert. Dieser vermochte im Mausmodell Schübe der Schuppenflechte erfolgreich zu unterdrücken.

Die neue molekulare Prothese nutzt dabei die Sprache, mit der Immunzellen im Körper miteinander kommunizieren: die Sprache der zahlreichen Botenstoffe, welche die Immunzellen sowohl herstellen als auch erkennen können.

Prothese unterstützt das Immunsystem

Während eines Psoriasis-Schubs sind die verschiedenen Zellen des Immunsystems gleich in zweierlei Hinsicht involviert: Einerseits sind sie dafür verantwortlich, dass es zu einer Entzündungsreaktion kommt, indem sie die Produktion verschiedener Botenstoffe erhöhen, darunter jene mit den Bezeichnungen TNF und IL-22. Andererseits produzieren sie zu einem späteren Zeitpunkt eine Reihe von Botenstoffen, welche die Entzündung wieder abklingen lassen. Darunter sind die Botenstoffe IL-4 und IL-10.

Der von den ETH-Forschenden entwickelte Schaltkreis kann die entzündungsfördernden Moleküle TNF und IL-22 erkennen. Sind diese beiden Botenstoffe gleichzeitig vorhanden (und nur dann), produziert er die entzündungshemmenden Moleküle IL-4 und IL-10. «So hilft unsere molekulare Prothese dem Immunsystem, die Entzündungsreaktion zu unterdrücken», erklärt Fussenegger.

Designer-Zellen in poröser Kapsel

Die Wissenschaftler schlossen je 200 Zellen einer menschlichen Zelllinie mit diesem Gen-Schaltkreis in einer winzigen porösen Kapsel aus Algengelatine ein. Jeweils 6000 dieser kleinen Kapseln injizierten die Wissenschaftler in den Bauchraum von Mäusen. Dort bildeten sich natürlicherweise neue Blutgefässe, welche die Kapseln an den Blutkreislauf anschlossen.

Mit einem Medikament lösten die Wissenschaftler bei den Mäusen eine der Schuppenflechte ähnliche Entzündungsreaktion der Haut aus. Dabei verglichen sie Tiere, denen sie zuvor «Designer-Zell-Kapseln» implantierten, mit solchen ohne Kapsel. Nur letztere zeigten Entzündungssymptome. Das Implantat unterdrückte die Entzündungskrankheit erfolgreich.

Schaltkreis als Frühwarnsystem

Heute werden bei Schuppenflechte meistens nur die Symptome – entzündete, juckende und mitunter schuppende Hautpartien – mit einer lokal angewandten Salbe bekämpft. Darüber hinaus gibt es medikamentöse Therapien, die im ganzen Körper wirken.

In der Regel beginnt man mit solchen Therapien, wenn ein Psoriasis-Schub aufflammt. «Daher hinkt man mit den existierenden Therapien den Symptomen praktisch immer hinterher», sagt Fussenegger. Die Gen-Schaltkreis-Implantate eigneten sich hingegen gut zur Vorbeugung. «Der Schaltkreis beginnt schon früh, entzündungshemmende Botenstoffe zu produzieren – schon dann, wenn sich ein Schub auf der Ebene der entzündungsfördernden Botenstoffe abzeichnet und nicht erst, wenn Hautausschläge sichtbar werden.»

Auch für andere Entzündungskrankheiten

Bei den erfolgreichen Experimenten in Mäusen handle es sich um eine Machbarkeitsstudie, sagt Fussenegger. Ob und wann solche Designer-Zellen im Menschen eingesetzt werden können, sei ungewiss. Denkbar sei jedoch, dass solche Designer-Zellen dereinst auch in Psoriasis-Patienten implantiert werden. Weil wachsendes Bindegewebe das Implantat mit der Zeit vom Blutkreislauf abschotten könnte, müsste es ein Arzt wohl alle paar Monate ersetzen.

Auch für andere Krankheiten könnten sich solche biologischen Schaltkreise mit Und-Gatter eignen. Fussenegger: «Chronische Entzündungskrankheiten sind ein gutes Beispiel für Krankheiten, die sich nicht mit der Messung eines einzigen Moleküls diagnostizieren lassen.» Mit einer Designer-Zelle, die das Profil mehrerer Botenstoffe im Blut messe, liessen sich solche Krankheiten jedoch in der Regel diagnostizieren. Und wenn diese Designer-Zelle gleich noch therapeutische Moleküle produziere, dann täten sich künftig vielsprechende Behandlungsmöglichkeiten für eine ganze Reihe von Krankheiten auf.

Literaturhinweis:
Schukur L, Geering B, Charpin-El Hamri G, Fussenegger M: Implantable synthetic cytokine converter cells with AND-gate logic treat experimental psoriasis. Science Translational Medicine 2015, 7: 318ra201, doi: 10.1126/scitranslmed.aac4964

Externer Link: www.ethz.ch

Satelliten finden nachhaltige Energie in Städten

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 15.12.2015

Forscher des KIT ermitteln unterirdische Wärmeinseln anhand von Oberflächentemperatur und Bebauungsdichte – Publikation in „Environmental Science & Technology“

Unterirdische Wärmeinseln in Städten bergen ein enormes geothermisches Potenzial. Aus dem erwärmten Grundwasser lässt sich nachhaltige Energie zum Heizen und Kühlen gewinnen. Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben nun eine neue Methode entwickelt, die unterirdischen Wärmeinseln aufzuspüren: Sie schätzen die Grundwassertemperatur anhand der satellitengestützt gemessenen Oberflächentemperatur und der Bebauungsdichte. In der Zeitschrift „Environmental Science & Technology“ berichten sie darüber.

In größeren Städten liegen die Temperaturen üblicherweise deutlich höher als im ländlichen Umland. Diese sogenannten urbanen Wärmeinseln entstehen durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wie dichte Besiedlung, Flächenversiegelung, Wärmeabstrahlung von Gebäuden, Industrie und Verkehr sowie fehlende Vegetation. Betroffen von dem Phänomen sind Atmosphäre, Oberfläche und Untergrund in modernen Städten.

Die Temperaturanomalien können zu regionaler Luftverschmutzung und zu einer erhöhten Sterblichkeit während sommerlicher Hitzeperioden beitragen. Erhöhte Grundwassertemperaturen beeinflussen die Ökosysteme im Untergrund und können das Wachstum von Krankheitserregern im Grundwasser begünstigen. Die Wärmeinseln im Untergrund bergen aber auch große Chancen für Energieversorgung und Klimaschutz: So lässt sich die Energie aus oberflächennahen Grundwasserschichten mithilfe von Erdwärme- und Grundwasserwärmepumpen zum Heizen im Winter und zum Kühlen im Sommer einsetzen. Würde dieses geothermische Potenzial genutzt, ließe sich damit ein Teil des wachsenden Energiebedarfs der Städte decken. Dies würde auch die Emission von Treibhausgasen reduzieren und damit wiederum der Erwärmung entgegenwirken.

Oberirdische und unterirdische Wärmeinseln sind vor allem durch Wärmeleitung miteinander verbunden. Bisher untersuchte die Forschung die einzelnen Wärmeinseln meist getrennt voneinander, sodass über die Prozesse und das Verhältnis von ober- und unterirdischen Temperaturen wenig bekannt war. Eine Gruppe von Wissenschaftlern vom Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) und vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung (IMK-ASF) des KIT sowie von der ETH Zürich haben nun ober- und unterirdische Wärmeinseln in vier deutschen Großstädten in ihrem Verhältnis zueinander untersucht. Über die Ergebnisse berichten sie in der Zeitschrift „Environmental Science & Technology“.

Die Wissenschaftler griffen auf satellitengestützte Messungen der Oberflächentemperatur zurück, über die sich die zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten von oberirdischen Wärmeinseln leicht erschließen lassen. Schwieriger ist die Beschreibung der Wärmeinseln im Untergrund. Die Interpolation von Messungen der Grundwassertemperatur an existierenden Monitoringstationen ist zeitaufwendig und teuer. Daher sind andere Methoden gefragt. Die Forscher aus Karlsruhe und Zürich verglichen ober- und unterirdische Wärmeinseln in den vier Städten Berlin, München, Köln und Karlsruhe. Dabei stellten sie eine räumliche Korrelation bis zu 80 Prozent fest. Die Übereinstimmung ist in den älteren Städten wie Köln größer als im verhältnismäßig jungen Karlsruhe, da je älter die Stadt, desto ausgeprägter die Erwärmung des Untergrundes. In 95 Prozent der untersuchten Gebiete war allerdings die Grundwassertemperatur höher als die Oberflächentemperatur, was die Wissenschaftler auf zusätzliche unterirdische anthropogene Wärmequellen wie Gebäudekeller, Abwasserkanäle oder Reinjektion von Kühlwasser zurückführen.

Die satellitengestützt gemessene Oberflächentemperatur allein reicht also nicht aus, um die Grundwassertemperatur zuverlässig zu schätzen: Daher zogen die Forscher zusätzlich Bebauungsdichte und Kellertemperatur heran. So gelang es ihnen, die regionalen Grundwassertemperaturen mit einem mittleren absoluten Fehler von 0,9 Kelvin zu schätzen. „Diese Methode ermöglicht eine erste Bewertung der unterirdischen Wärmeinseln und damit der ökologischen Bedingungen im Grundwasser und des geothermischen Potenzials, ohne dass dafür aufwendige Grundwassertemperaturmessungen und Interpolationen erforderlich sind“, erklärt Philipp Blum, Professor für Ingenieurgeologie am AGW des KIT. (or)

Publikation:
Susanne A. Benz, Peter Bayer, Frank M. Goettsche, Folke S. Olesen, and Philipp Blum: Linking Surface Urban Heat Islands with Groundwater Temperatures. Environmental Science & Technology, November 2015. DOI: 10.1021/acs.est.5b03672

Externer Link: www.kit.edu

Botschaft blockiert

Presseinformation der LMU München vom 10.12.2015

LMU-Forschern ist es gelungen, die Ansammlung von Monozyten an einer Entzündungsstelle zu stoppen. Dafür haben sie im Labor ein Peptid entwickelt, das einen entscheidenden chemischen Signalweg stört.

Monozyten spielen eine wesentliche Rolle bei der Immunabwehr. Die weißen Blutkörperchen können aber auch zur Gefahr für den eigenen Körper werden, wenn sie sich in großen Mengen an der inneren Gefäßwand ansammeln und dadurch Entzündungen auslösen. Forscher um Professor Oliver Söhnlein vom Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislauferkrankungen (IPEK) der LMU ist es gelungen, die Ansammlung von Monozyten in entzündeten Geweben zu stoppen. Über ihre Ergebnisse berichten sie aktuell in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine.

Verschiedene chemische Signalwege sorgen dafür, dass die Monozyten an der Gefäßwand anheften und schließlich in diese eindringen. Die Forscher um Oliver Söhnlein haben untersucht, in welcher Weise Neutrophile, die häufigsten weißen Blutkörperchen, und Blutplättchen bei der Aktivierung von Monozyten kooperieren. „Beide haben in ihren Zellkörpern Vesikel mit Proteinen, die sie freisetzen können, sobald sie am Gewebe kleben“, sagt Söhnlein. Die Proteine formen zusammen Heteromere, die als Andockstation für die Monozyten fungieren und ihnen überhaupt erst ermöglichen, an der Gefäßinnenwand zu haften.

Fatale Signale

„Diese Heteromere eignen sich als therapeutisches Angriffsziel. Wenn sich ihre Bildung verhindern lässt, fehlt der Signalweg, durch den die Monozyten sonst an die Gefäßinnenwand binden“, sagt Oliver Söhnlein. Um diesen Prozess zu unterbinden, haben die Forscher die Interaktion von Proteinen aus Neutrophilen und Plättchen genauer analysiert. Auf Basis einer Strukturanalyse der von ihnen freigesetzten Proteine, haben sie ein eigenes Molekül entwickelt, das SKY-Peptid. „Es ist HNP1, einem Protein, das von den Neutrophilen freigesetzt wird, strukturell sehr ähnlich“, sagt Söhnlein. Mithilfe des SKY-Peptids lässt sich die Interaktion stören: Das SKY-Peptid bindet an das Protein CCL5, das von den Plättchen freigesetzt wird. Ohne die Interaktion von HNP1 und CCL5 können sich keine Heteromere bilden. Die Monozyten können somit nirgendwo andocken und wandern in der Blutbahn weiter.

„Das Peptid SKY hat das höchstmögliche Potenzial, die Interaktion zwischen CCL5 und HNP1 zu stören“, sagt Söhnlein. Dabei stört SKY nicht die grundsätzliche Funktion der beiden Botenstoffe, sondern verhindert nur die Bildung von Heteromeren. „Die reguläre Immunantwort wird durch SKY also nicht beeinträchtig“, sagt Söhnlein, der inzwischen das SKY-Peptid zum Patent angemeldet hat.

Die IPEK-Forscher haben die Interaktion von Neutrophilen und Plättchen in der aktuellen Studie am Beispiel eines Herzinfarkts untersucht. „Doch dieser grundsätzliche Mechanismus ist immer dann relevant, wenn Neutrophile und Plättchen parallel aktiviert werden. Wir gehen davon aus, dass er sich auf verschiedene Erkrankungen übertragen lässt“, sagt Söhnlein. In ihrer Studie haben die Forscher nur die Interaktion der Signalproteine CCL5 und HNP1 untersucht. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch andere Signalbotenstoffe miteinander interagieren und bestimmte Wirkungen hervorrufen. Unter anderen Bedingungen könnten auch andere Heteromere relevant sein.“ Um einen möglichen therapeutischen Nutzen ihres Ansatzes zu überprüfen, sind daher weitere Untersuchungen notwendig. „Unsere Ergebnisse weisen auf jeden Fall darauf hin, dass die gezielte Störung ausgewählter Signalwege ein therapeutischer Ansatzpunkt sein könnte“, sagt Oliver Söhnlein.

Publikation:
Science Translational Medicine, 2015

Externer Link: www.uni-muenchen.de