Vom Baum zum Bauteil: Bio-Verbundwerkstoff für die Industrie

Pressemitteilung der Universität Kassel vom 09.06.2020

Der neue ist leichter, natürlicher und schlagfester: Die Universität Kassel und das Fraunhofer Institut für angewandte Polymerforschung haben einen Bio-Verbundwerkstoff entwickelt, der Glasfaser-Verstärkungen ersetzen könnte. Er erfüllt auch die hohen Ansprüche der Auto- oder Elektroindustrie.

Um die Steifigkeit von Bauteilen zu erhöhen, nutzt die Auto- und Elektroindustrie bislang meist Glasfasern. Doch das Interesse an Bio-Verbundwerkstoffen, die sich auch für stark beanspruchte Bauteile eignen und diese Glasfasern ersetzen können, ist groß. Im Verbundprojekt „Bio-PPT und Bio-PBT mit Cellulosefaserverstärkung zur leichtbauorientierten Verwendung“ haben die Universität Kassel und das Fraunhofer Institut für angewandte Polymerforschung einen geeigneten Bio-Verbundwerkstoff entwickelt, der auf Zellstoff aus schnellwachsenden Bäumen basiert.

Polytrimethylenterephthalat (PPT) und Polybutylenterephthalat (PBT) zählen zu den technischen Thermoplasten. Statt fossiler Rohstoffe nahmen die Forscher für ihren neuen Verbundwerkstoff nachwachsende Rohstoffe in den Fokus. „Der Grundgedanke war: Wir ersetzen die Glasfaser durch Celluloseregenerat-Fasern, mit dem Effekt, dass das Bauteil leichter wird. Je nachdem wie viele Fasern wir einarbeiten, wiegt das Bauteil bis zu 25 Prozent weniger“, sagt Nicole Gemmeke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Kassel am Fachgebiet Kunststofftechnik von Prof. Hans-Peter Heim. Sie hat das Projekt betreut.

Bei der Celluloseregenerat-Faser handelt es sich zu 99 Prozent um Zellstoff, der aus schnellwachsenden Bäumen gewonnen wird. Dieser Stoff wird gelöst und chemisch aufbereitet, sodass ein homogenes Material entsteht, das weiterverarbeitet werden kann. Schließlich ist eine gleichbleibende Produktqualität in der Industrie sehr wichtig. Positiver Nebeneffekt: Cellulosefasern haben eine deutlich geringere Dichte als Glasfasern, weshalb sie sich auch für den Leichtbau eignen.

Die Wissenschaftler der Uni Kassel stellten bei ihren Versuchen die Besonderheiten des Bio-Verbundwerkstoffes fest. „Ein klarer Vorteil ist seine Kerbschlagfähigkeit“, sagt Gemmeke. Die celluloseregeneratfaserverstärkten Bio-PPT und Bio-PBT Verbundwerkstoffe sind bis zu dreimal schlagfester als die glasfaserverstärkten Kunststoffe. Das Bauteil würde also bei schlagartiger Belastung beschädigt, aber noch nicht zerstört. „Glasfaserverstärktes Material bricht bei einem spontanen Schlag dagegen mit klarer Kante“, erklärt Gemmeke.

Additive, wie Polyethylenwachs oder Aluminiumphosphat, nehmen auch Einfluss auf die Fließ- oder Flammeigenschaften des Bio-Verbundwerkstoffes. Dadurch kann der Bio-Verbundwerkstoff in allen Bereichen verwendet werden, die eine höhere Anforderung an das Material haben, als der Standardkunststoff bietet.

Das Verbundprojekt hat die Universität Kassel zusammen mit dem Fraunhofer Institut für angewandte Polymerforschung und sechs Unternehmen bearbeitet. Es wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert.

Externer Link: www.uni-kassel.de

Clever bauen mit mobilem Roboter

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 02.06.2020

Husky A200 heißt die mobile Roboterplattform, mit der erforscht wird, wie künftig mobile Plattformen autonom über Baustellen fahren und Lasten transportieren können. Der rollende Roboter ist eines von vielen Projekten, mit denen das Fraunhofer Italia Innovation Engineering Center die Digitalisierung im Bauwesen vorantreibt und eine Brücke zwischen Robotik und Bauwirtschaft schlagen will. Damit der mobile Roboter eigenständig den richtigen Weg findet, entwickeln die Forscherinnen und Forscher am Institut in Bozen die erforderliche Software-Schnittstelle.

Die steigende Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum, aber auch große und komplexe Bauvorhaben verlangen nach zeit- und kosteneffizienten Lösungen. Um diese zu realisieren und Entscheidungsfindungen in Bauprozessen zu beschleunigen, entwickelt Fraunhofer Italia Innovation Engineering Center, selbstständige Auslandsgesellschaft von Fraunhofer, Software-Systeme und Schnittstellen rund um das Building Information Modeling (BIM). Mit BIM haben alle Beteiligten – vom Planer über den Bauherren bis hin zu den Handwerkern und dem Facility Management – während des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks Zugriff auf ein digitales Gebäudedatenmodell. »Unser Anliegen ist es zum einen, BIM in Südtirol zu etablieren und in die Anwendung zu überführen. Zum anderen wollen wir die digitale Planung auf die Baustelle bringen und eine Brücke zwischen Bauwesen und Robotik schlagen«, sagt Michael Terzer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsteams Automation and Mechatronics Engineering am Bozner Center. Im Projekt ROSBIM entwickelt der Forscher gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen des Forschungsteams Process Engineering in Construction eine Software-Schnittstelle, die BIM mit dem Robot Operating System ROS verbindet. Diese modulare Open Source-Plattform ist auf einem Mini-PC installiert, der sich auf dem mobilen Roboter befindet. Da das Entwicklungstool plattformunabhängig ist, lassen sich unterschiedlichste Roboter damit ausrüsten. ROS unterstützt verschiedene Programmiersprachen.

Die Baustelle lebt

Die Schnittstelle nutzt das Dateiformat IFC der BIM-Modelle. Über diese werden digitale, objektorientierte Informationen an den Roboter übertragen. »Eine Baustelle lebt, sie verändert sich fortlaufend. Zeitabhängige Daten wie etwa Angaben zu Hindernissen, die der Roboter mithilfe seiner Sensoren nicht erkennen kann, erhält er über die Schnittstelle ROSBIM. Über das Interface wird er beispielsweise informiert, dass ein Kabel- oder Aufzugschacht auf der Baustelle an einem bestimmten Tag geöffnet ist und daher umfahren werden muss. Der Roboter kann seine Hinderniskarte über das Robot Operating System also fortlaufend erweitern«, erläutert Terzer. Sämtliche Daten werden in der BIM-Datenbank gesammelt und ständig aktualisiert. Die digitalen, objektorientierten Informationen betreffen von der Planung über die Bauausführung bis hin zum Betrieb eines Gebäudes oder eines Infrastrukturbaus alle Etappen des Bauprozesses.

»Die Digitalisierung bietet der Bauindustrie ganz neue Möglichkeiten, integrativ arbeiten zu können. BIM ist ein zentrales Element der Digitalisierung im Bausektor. Die Kombination dieser innovativen Arbeitsmethode mit Robotik ist eine von vielen Möglichkeiten, die die Digitalisierung der Bauindustrie bietet. Wir am Fraunhofer Italia IEC haben eine Schnittstelle implementiert, die BIM mit dem kommerziell erhältlichen Forschungs-Roboter verbindet, sodass er die BIM-Daten nutzen kann«, sagt Carmen Marcher, Teamleiterin des Forschungsteams Process Engineering in Construction. Ziel der Forscherteams ist es, bereits digital vorliegende Gebäudedaten auf der Baustelle optimal zu nutzen. In diesem konkreten Fall besteht der Hauptnutzen darin, den Transport von schweren Lasten wie Baumaterial und Werkzeugen mit dem mobilen Roboter in einer sich ständig ändernden Umgebung zu ermöglichen und somit die physische Arbeit auf der Baustelle zu erleichtern.

Assistent bei Logistikprozessen

Die für raue Umgebungen konzipierte mobile Roboterplattform ist mit einer Steuerungselektronik sowie mit Beschleunigungs-, Laser- und Neigungssensoren ausgestattet, die ihr helfen, im unwegsamen Gelände zu navigieren. Derzeit rollt der Roboter noch über das Institutsgelände im Bozner NOI Techpark. Er übernimmt quasi die Rolle eines Assistenten bei Logistikprozessen auf der Baustelle und folgt dem Menschen, indem der Bauarbeiter eine implementierte Follow-me-Funktion aktiviert. Dennoch ist der mobile Roboter in der Lage, autonom zu fahren, wie die Forscherinnen und Forscher in ersten Indoor-Tests demonstrieren konnten. »Der Roboter kann mit Hilfe seiner digitalen Gedächtniskarte eigenständig beispielsweise Lasten von A nach B bringen. Die autonome Fortbewegung in unstrukturierten Umgebungen ist jedoch komplex, hier sind noch weitere Entwicklungsschritte erforderlich«, so Terzer. Dank der Informationen, die die Roboterplattform durch die BIM-Daten erhält, können die Navigationsfähigkeiten verbessert und die sensorische Wahrnehmung des Roboters ergänzt werden. Denkbar ist der Einsatz des mobilen Roboters auch in anderen Anwendungsfeldern – etwa in der Landwirtschaft.

Digitalisierung als Schlüssel zu mehr Effizienz

Digitale Transformation und Automatisierung sind das Kerngebiet von Fraunhofer Italia Innovation Engineering Center in Bozen. Geforscht und entwickelt wird in drei Geschäftsfeldern: der Digitalisierung im Bauwesen, der flexiblen Automatisierung in Industrie, Handwerk und Landwirtschaft und der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle.

Externer Link: www.fraunhofer.de

technologiewerte.de – MOOCblick Juni 2020

Spannende Themen, herausragende Dozenten und flexible Lernmöglichkeiten tragen zum wachsenden Erfolg der Massively Open Online Courses (MOOCs) bei – offene, internetgestützte Kurse mit einer Vielzahl an Teilnehmern rund um den Globus.

Folgender Kurs – zu finden auf der MOOC-Plattform edX – sollte einen Blick wert sein:

Structural Materials: Selection and Economics
Thomas Eagar (Massachusetts Institute of Technology) et al.
Start: 10.06.2020 / Arbeitsaufwand: 6-9 Stunden

Externer Link: www.edx.org

Mit Mathematik Menschen retten

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 26.05.2020

Forschende der ETH Zürich und des MIT haben eine Berechnungsmethode entwickelt, um die Suche bei der Seenotrettung zu beschleunigen. Mit dem neuen Algorithmus lässt sich voraussagen, wohin Objekte oder Menschen an der Meeresoberfläche getrieben werden.

Jedes Jahr ertrinken bei Schiffsunfällen oder Flugzeugabstürzen hunderte Menschen auf dem offenen Meer. Seenotrettern bleibt nur wenig Zeit, Menschen zu bergen, die auf dem Wasser treiben, denn die Wahrscheinlichkeit, eine Person lebend zu finden, sinkt nach sechs Stunden signifikant. Neben den Gezeiten und wechselhaften Wetterbedingungen erschweren instabile Küstenströmungen die Rettungsaktionen.

Ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung von George Haller, Professor für nichtlineare Dynamik an der ETH Zürich, hat die heute angewendeten Suchstrategien mit neuen Erkenntnissen zu solchen instabilen Strömungen erweitert. Mittels Werkzeugen aus den dynamischen Systemtheorien sowie Daten der Küstenwache hat das Team einen Algorithmus entwickelt, der voraussagen kann, wohin Menschen und Objekte an der Meeresoberfläche getrieben werden. «Wir hoffen, dass unsere Arbeit hilft, mehr Menschenleben zu retten», sagt Mattia Serra, ehemaliger Postdoktorand an der ETH Zürich und nun Postdoc-Stipendiat in Harvard sowie Erstautor der kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications publizierten Studie.

Algorithmus führt zu den Vermissten

Bei heutigen Seenotrettungseinsätzen wird anhand von aufwändigen Modellen der Meeresdynamik und des Wetterberichts der Weg, den ein treibendes Objekt zurücklegt, vorausgesagt. Jedoch sind diese Vorhersagen in sich schnell verändernden Küstengewässern aufgrund unsicherer Parameter und fehlender Daten oft ungenau. Dies kann zur Folge haben, dass eine Suche am falschen Ort gestartet wird und dadurch viel Zeit verloren geht.

Durch mathematische Berechnungen haben die Forschenden entdeckt, dass sich Objekte, die an der Meeresoberfläche treiben, an bestimmten kurvenähnlichen Linien sammeln. Diese sogenannten TRansient Attracting Profiles (TRAPs), also Profile mit vorübergehender Anziehung, sind von blossem Auge nicht erkennbar, können aber mit dem neuen Algorithmus des ETH-Teams aus den Strömungsdaten der Meeresoberfläche ermittelt werden. Sie ermöglichen eine schnelle und präzise Planung der Routen für Rettungseinsätze, die weniger empfindlich auf unsichere Angaben zum Unfallzeitpunkt und –ort reagieren.

Ein neues Werkzeug für die Seenotrettung

In zwei getrennten Experimenten in der Nähe von Martha’s Vineyard vor der amerikanischen Nordostküste testeten die Forschenden in Zusammenarbeit mit einem Team des Maschinenbaudepartements des MIT, einer Gruppe des Woods Hole Oceanographic Institution und der amerikanischen Küstenwache den neuen Suchalgorithmus. Sie verwendeten dieselben Echtzeitdaten wie die amerikanische Küstenwache und beobachteten, wie sich die ausgesetzten Bojen und Testpuppen entlang der berechneten Kurven sammelten. «Wir testeten mehrere Ansätze und dies war der einzige, der vor Ort durchgehend funktionierte», betont Haller.

«Unsere Ergebnisse sind leicht interpretierbar, schnell verfügbar und günstig umzusetzen», sagt Serra. Zudem könnten mit der Methode auch grössere auf der Meeresoberfläche treibende Objekte berechnet werden, wie beispielsweise die Ausbreitung eines Ölteppichs. In einem nächsten Schritt soll die Methode in weiteren Meeresregionen getestet werden. «Wir hoffen, dass diese Methode zu einem Standardwerkzeug der Küstenwache wird», sagt Haller.

Literaturhinweis:
Serra M, Sathe P, Rypina I, Kirincich A, Ross SD, Lermusiaux P, Allen A, Peacock T, Haller G: Search and rescue at sea aided by hidden flow structures, Nature Communications, 26 May 2020, doi: 10.1038/s41467-020-16281-x

Externer Link: www.ethz.ch