Programmierbare Nester für Zellen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 09.12.2019

Forscherinnen und Forscher des KIT entwickeln neuartige Kompositmaterialien aus DNA, Silica-Partikeln und Kohlenstoff-Nanoröhren – Eigenschaften lassen sich auf verschiedene Anwendungen abstimmen

Aus der Erbsubstanz DNA, kleinsten Silica-Partikeln und Kohlenstoff-Nanoröhren haben Forscherinnen und Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) neue programmierbare Materialien entwickelt. Diese Nanokompositmaterialien lassen sich für verschiedene Anwendungen maßschneidern und so programmieren, dass sie schnell und schonend abgebaut werden können. Für medizinische Anwendungen können sie Umgebungen schaffen, in denen sich menschliche Stammzellen einnisten und weiterentwickeln können. Sie eignen sich aber auch für den Aufbau von Biohybridsystemen, beispielsweise zur Stromgewinnung. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature Communications und auf der Plattform bioRxiv vor.

Das Kultivieren von Stammzellen dient der Grundlagenforschung wie auch der Entwicklung wirksamer Therapien gegen schwere Erkrankungen, beispielsweise um geschädigtes Gewebe zu ersetzen. Allerdings können sich Stammzellen nur in einer geeigneten Umgebung zu gesundem Gewebe entwickeln. Besonders zum Aufbau dreidimensionaler Gewebestrukturen bedarf es Materialien, welche die Zellfunktionen durch eine perfekte Elastizität unterstützen. Neue programmierbare Materialien, die sich als Substrate für biomedizinische Anwendungen eignen, hat nun die Forschungsgruppe um Professor Christof M. Niemeyer am Institut für Biologische Grenzflächen 1 – Biomolekulare Mikro- und Nanostrukturen (IBG 1) des KIT gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Mechanische Verfahrenstechnik und Mechanik, vom Zoologischen Institut und vom Institut für Funktionelle Grenzflächen des KIT entwickelt. Mit diesen Materialien lassen sich unter anderem Umgebungen schaffen, in denen sich menschliche Stammzellen einnisten und weiterentwickeln können.

Wie die Forscherinnen und Forscher in der Zeitschrift Nature Communications berichten, bestehen die neuen Materialien aus der Erbsubstanz DNA sowie kleinsten Silica-Partikeln und Kohlenstoff-Nanoröhren. „Diese Kompositmaterialien werden durch eine biochemische Reaktion aufgebaut und lassen sich über die Mengen der Einzelbestandteile in ihren Eigenschaften präzise einstellen“, erklärt Christof M. Niemeyer. Darüber hinaus lassen sich die Nanokompositmaterialien so programmieren, dass sie schnell und schonend abgebaut werden können und die darin gewachsenen Zellhaufen freisetzen. Diese lassen sich dann für weitere Experimente nutzen.

Neue Materialien für Biohybridsysteme

Wie das Team des IBG 1 des KIT in einer weiteren Publikation auf der Biowissenschafts-Plattform bioRxiv berichtet, lassen sich die neuen Nanokompositmaterialien auch für den Aufbau programmierbarer Biohybridsysteme verwenden. „Der Einsatz von lebenden Mikroorganismen, die in elektrochemische Geräte integriert sind, ist ein expandierendes Forschungsgebiet“, erläutert Professor Johannes Gescher vom Institut für Angewandte Biowissenschaften (IAB) des KIT, der an dieser Studie beteiligt war. „So lassen sich beispielsweise mikrobielle Brennstoffzellen, mikrobielle Biosensoren oder mikrobielle Bioreaktoren herstellen.“ Das von den Karlsruher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufgebaute Biohybridsystem enthält das Bakterium Shewanella oneidensis. Dieses ist exoelektrogen, das heißt, es produziert beim Abbau organischer Substanz unter Sauerstoffmangel einen elektrischen Strom. Wird Shewanella oneidensis in den am KIT entwickelten Nanokompositmaterialien kultiviert, bevölkert es die Matrix des Verbunds. Das nicht exoelektrogene Bakterium Escherichia coli dagegen bleibt auf seiner Oberfläche. Der Shewanella-haltige Verbundstoff hält sich mehrere Tage stabil. In zukünftigen Arbeiten wird die Forschungsgruppe weitere biotechnologische Anwendungen der neuen Materialien erschließen. (or)

Originalpublikationen:

Yong Hu, Carmen M. Domínguez, Jens Bauer, Simone Weigel, Alessa Schipperges, Claude Oelschlaeger, Norbert Willenbacher, Stephan Keppler, Martin Bastmeyer, Stefan Heißler, Christof Wöll, Tim Scharnweber, Kersten S. Rabe & Christof M. Niemeyer: Carbon-nanotube reinforcement of DNA-silica nanocomposites yields programmable and cell-instructive biocoatings. Nature Communications, 2019. DOI: 10.1038/s41467-019-13381-1 (Open Access)

Yong Hu, David Rehnlund, Edina Klein, Johannes Gescher & Christof M. Niemeyer: Cultivation of Exoelectrogenic Bacteria in Conductive DNA Nanocomposite Hydrogels Yields a Programmable Biohybrid Materials System. bioRxiv, 2019. DOI: 10.1101/864967 (Open Access)

Externer Link: www.kit.edu

Faire Dienstpläne: Start-up der Universität des Saarlandes setzt auf Künstliche Intelligenz

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 20.12.2019

Immer mehr Menschen wollen ihre Arbeitszeit ihren individuellen Bedürfnissen anpassen können. Dynamische und flexible Dienst- und Schichtpläne könnten dabei helfen, tun dies jedoch nur selten. Denn die planenden Personen sind schnell überfordert, existierende Computerprogramme helfen nicht genug. Ändern soll dies eine neue Software, die mithilfe Künstlicher Intelligenz aus den Bewertungen der Mitarbeiter lernt.

„Die Komplexität steigt exponentiell und macht sich bereits bemerkbar, wenn nur zehn Mitarbeiter, deren Wünsche und Arbeitszeiten über 30 Tage hinweg erfasst werden müssen. Ein Mensch kann das  nicht mehr bewältigen“, erklärt Andreas Karrenbauer. Er berät die drei Gründer des Start-ups „ChronoFair“, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit dem Exist-Gründerstipendium unterstützt werden. Karrenbauer arbeitet am Max-Planck-Institut für Informatik auf dem Saarland Informatics Campus in Saarbrücken. Dort erforscht er, wie sich komplexe Probleme durch Rechenverfahren lösen lassen.

Zusammen mit Matthias Manderscheid hat Karrenbauer die Grundlagen des Onlinesystems „ChronoFair“ konzipiert. ChronoFair berechnet nicht nur den jeweiligen Dienstplan nach vorgegebenen Nebenbedingungen. Es ermöglicht auch Angestellten, diesen online zu bewerten. Die so erhaltenen Rückmeldungen verarbeitet das System dann mithilfe von Maschinellem Lernen, um in Zukunft noch bessere, auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Personalpläne zu liefern. „Bisher ist so etwas bereits an der Kommunikation der Beteiligten untereinander gescheitert, ganz zu schweigen von der rechnerischen Komplexität“, erklärt Karrenbauer.

ChronoFair kombiniert Webtechnologie und Künstliche Intelligenz: Zuerst gibt der Planer online alle notwendigen Daten zu Angestellten und Schichtsystem ein. Angestellte können auch per Browser Wünsche und Präferenzen mitteilen. Das System fasst all diese Daten zusammen und formt daraus ein komplexes Optimierungsproblem, das je nach Anzahl der Angestellten und dem jeweiligen Schichtsystem mehrere Millionen Gleichungen und Ungleichungen umfassen kann. Aus den möglichen Lösungen dafür wählt ChronoFair mittels einer speziellen Bewertungsfunktion die beste aus und schlägt diese als Dienstplan vor. In diesem können nun der Planer und Angestellte online einzelne Schichten und ganze Schichtabfolgen bewerten. „Mit diesen Rückmeldungen und dem Maschinellen Lernen können wir Nuancen berechnen, die zwar für den betrieblichen Ablauf keine Rolle spielen, aber für Mitarbeiter den Unterschied zwischen Schicht-Paradies und Dienst-Hölle ausmachen“, so Karrenbauer. Die Gründer beenden gerade die letzten Softwaretests in Zusammenarbeit mit Hydac. Das saarländische Unternehmen lässt ChronoFair mit den im Unternehmen angewendeten Schichtmodellen und Personalkonzepten rechnen, ohne Personaldaten weiterzugeben. Die Saarländische Wagnisfinanzierungsgesellschaft investiert bereits in das Start-up, zu dessen Gründern auch Paul Manderscheid und Sven Foit gehören.

Externer Link: www.uni-saarland.de

Ein neues Leben für alte Leintücher

Presseaussendung der TU Wien vom 15.12.2019

Mit neuen biochemischen Methoden, die von der TU Wien, der Boku Wien und der Montanuni Leoben gemeinsam entwickelt wurden, lassen sich nun Mischtextilien effizient recyceln.

Alte Textilien sind viel zu schade für den Abfall. Aber sie zu neuen, hochwertigen Produkten weiterzuverarbeiten ist nicht einfach – vor allem dann, wenn es sich um Mischfasern handelt, die etwa aus Baumwolle und Polyester bestehen. In einem großen Forschungsprojekt, an dem neben der TU Wien, der Universität für Bodenkultur Wien und der Montanuni Leoben auch verschiedene Industriepartner beteiligt waren, wurde nun eine Methode entwickelt, textile Abfälle aus Mischfasern chemisch aufzutrennen. Die Baumwolle wird in Zucker umgewandelt, der Polyesteranteil wird aufbereitet und wiederverwendet. Am Ende entstehen neue Textilien mit derselben Qualität wie die alten.

Fasern halten nicht ewig

In Europa fallen pro Jahr etwa 5 Millionen Tonnen Textilabfälle an. Ein großer Teil davon wird verbrannt oder deponiert. Das soll sich ändern, eine neue EU-Richtlinie schreibt daher vor, dass Alttextilien ab 2025 getrennt gesammelt werden. „Ganz besonders viele Alttextilien fallen in Hotels oder in Krankenhäusern an“, sagt Dr. Andreas Bartl vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der TU Wien. „Nach ungefähr 100 Waschgängen sind die Textilien kaputt. Durch das wiederholte Waschen und Trocknen brechen die Fasern, das Material löst sich auf und bekommt Löcher.“

Das Forschungsteam arbeitete mit Leintüchern, die aus 60 % Baumwolle und 40 % Polyester bestehen. Zunächst wurden sie in feine Flocken zerteilt, dann wurde die Baumwolle mit Hilfe von Enzymen vom Polyester getrennt und in Glucose umgewandelt. „Dieser Schritt ist entscheidend, man braucht dafür ganz spezifische Enzyme“, erklärt Andreas Bartl. „Außerdem muss man Wege finden, den Prozess auf großen, industriellen Maßstab zu skalieren.“

Nach der enzymatischen Trennung hat man Polyesterfasern und Zuckerlösung. Die Fasern werden getrocknet und gereinigt, in speziellen Recyclinganlagen aufgeschmolzen und zu Granulat aufbereitet. Dieses Granulat wird dann zu einem Garn versponnen, der dann beispielsweise durch Zugabe von neuer Baumwolle weiterverarbeitet werden kann. So entsteht am Ende wieder eine Materialmischung, die dem Ausgangsstoff entspricht und dieselbe Qualität hat.

Weniger CO2

Bisher wird Polyester aus fossilen Rohstoffen gewonnen. Recycling von Textilien ist daher ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der CO2-Bilanz. „Wir wollen mit unserem Projekt die Grundlage für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft schaffen“, sagt Andreas Bartl.

Der enzymatische Prozess wurde an der Universität für Bodenkultur entwickelt, an der TU Wien wurde das Verfahren auf großen Maßstab skaliert und an der Montanuniversität Leoben wurden die Eigenschaften des Kunststoffs genau analysiert, um eine möglichst gute Qualität zu gewährleisten.

Auszeichnung

Im Rahmen des Projekts konnten die Universitäten in enger Zusammenarbeit mit den Firmenpartnern die Machbarkeit des Prozesses demonstrieren. Besonders stolz sind die Projektpartner darauf, dass das Projekt im November 2019 mit dem „Clusterland Award 2019“ ausgezeichnet wurde, einem mit 5.000 Euro dotierten Preis, der von der Raiffeisen-Landesbank Niederösterreich-Wien als Generalsponsor und ecoplus, der Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich, vergeben wird. Derzeit feilen die Projektpartner an einem Nachfolgeprojekt, um einen optimierten, KMU-tauglichen Prozess für ein qualitätsgesichertes stoffliches Recycling zu entwickeln. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Neue Streaming-Methode verändert die Spielewelt

Presseaussendung der TU Graz vom 02.12.2019

TU Graz-Forscher Dieter Schmalstieg entwickelte ein Verfahren, das die Vorzüge von Cloud Computing und Virtual Reality kombiniert. Damit können Videospiele zukünftig auch auf günstigen und kabellosen VR-Brillen in hoher Qualität dargestellt werden.

Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime sind längst Normalität. Nun hält die nächste digitale Technologie Einzug in die Unterhaltungsindustrie: Cloud Gaming. Die Technik gleicht jener von Videodiensten. Das Computerspiel läuft auf einem Server des Cloud-Anbieters. Die Spielenden greifen per Internet auf das Programm zu und bekommen Bild und Ton auf jedes beliebige Endgerät geschickt. Voraussetzung ist dabei nicht mehr so sehr die neueste Hardware, sondern eine schnelle Internetverbindung, die die großen Datenmengen von den Rechenzentren zu den Spielgeräten transportiert – möglichst verzögerungsfrei und damit ohne nerviges Ruckeln.

Cloud Computing soll außerdem Virtual Reality-Spiele auf eine neue Stufe heben. Hier stellt der Datenaustausch eine noch größere Herausforderung dar. Die „flüssige“ Darstellung von Sequenzen auf Virtual-Reality-Brillen benötigt eine bis zu zehnmal höhere Rechenleistung als konventionelle Videospiele, da mehr Pixel und mehr Bilder pro Sekunden dargestellt werden müssen. Die traditionelle Videoübertragung stößt hier rasch an ihre Grenzen. Dieter Schmalstieg vom Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen hat mit seinem Team nun ein neues Verfahren entwickelt, das der kabellosen VR-Technologie zum endgültigen Durchbruch in der Spieleindustrie verhelfen kann.

Neues Verfahren verbessert die Latenz drastisch

Das sogenannte „Shading Atlas Streaming“ erlaubt es, die nötige Übertragungsrate deutlich zu senken. „Vereinfacht ausgedrückt streamen wir mit unserem System keine Videos, sondern geometrisch codierte Informationen, die von der VR-Brille decodiert und in ein Bild übersetzt werden“, erklärt Schmalstieg die Technologie.

Die Latenz – also die Verzögerungszeit, die bei der Signalübertragung, beim Zwischenspeichern von Daten oder beim Prüfen von Datenpaketen entsteht – wird mit dem System nicht vermieden, sondern quasi ausgeglichen. „Latenz vollständig zu vermeiden ist unmöglich. Unsere Art der Codierung erlaubt es aber, innerhalb eines kleinen Zeitfensters in die Zukunft korrekte Bilder vorherzusagen. So können wir die Latenzzeit ausgleichen, die wahrgenommene Latenz ist damit nahezu Null“, so Schmalstieg. Konkret werden mithilfe des Shading Atlas Streaming die Pixelfehler in der Darstellung auf ein paar wenige Prozent reduziert, sodass sie nicht als störend wahrgenommen werden.

Effiziente Nutzung vorhandener Hardware

Für die praktische Anwendung ist es wichtig, die neue Technik in bestehende Infrastruktur integrieren zu können. Daher verwenden die Forscher das herkömmliche MPEG-Kompressionsverfahren zum Transport der Daten. Die notwendige Leistung für das Decodieren der 3D-Information ist in VR-Brillen bereits vorhanden. Es ist also keine neue Hardware nötig, um Shading Atlas Streaming nutzen zu können.

Shading Atlas Streaming ist überall dort einsetzbar, wo 3D-Daten anfallen und VR-Brillen zum Einsatz kommen. Mit dem Chiphersteller Qualcomm als Partner wird bereits an einer kommerziellen Umsetzung der Forschungsergebnisse gearbeitet. (Christoph Pelzl)

Externer Link: www.tugraz.at