Wie Moleküle zur rechten Zeit den rechten Ort finden

Presseinformation der LMU München vom 20.04.2011

Essenzielle Transportmaschine der Zelle entschlüsselt

In Zellen muss molekulares Frachtgut von einem Ort zum anderen transportiert werden, um lokal seine jeweilige Funktion erfüllen zu können. Häufig werden dafür aktive Transportprozesse eingesetzt, etwa um in der Zelle Asymmetrie zu etablieren. mRNAs übermitteln genetische Information aus dem Zellkern in das Zellinnere, wo dann anhand dieser Vorlage Proteine synthetisiert werden – wenn möglich gleich am künftigen Einsatzort. „Leider ist bislang sehr wenig von den molekularen Grundlagen dieses Frachttransportes bekannt“, sagt Dr. Dierk Niessing, der eine Gruppe des Helmholtz Zentrums München am Genzentrum der LMU leitet. „Wir konnten nun erstmals die Bauanleitung einer solchen molekularen Transportmaschine entschlüsseln und können damit jetzt die Prinzipien des RNA-Transports im Detail analysieren.“ Möglicherweise lassen sich die an Hefezellen gewonnenen Ergebnisse auch auf höhere Organismen übertragen. Neuronale Synapsen etwa, die Schaltstellen zwischen Neuronen, hängen in ihrer Aktivität und Plastizität vom Transport bestimmter mRNAs ab. Und ganz grundsätzlich gilt: Wird der Transport gestört, kommt es zum molekularen Chaos – und die Zelle stirbt ab. (PloS Biology, 19. März 2011)

Alle mehrzellige Organismen verfügen über lange Zytoskelett-Stränge, die sich wie Eisenbahnschienen ihren Weg durch die Zelle bahnen. Entlang dieser als Aktin-Fasern oder Mikrotubuli bezeichneten Stränge können Motorproteine zelluläre Frachten wie beispielsweise Membranvesikel, Boten-RNAs, Proteine und selbst ganze Organellen transportieren. Wird dieser Transport gestört, kommt es zum molekularen Chaos – und die Zelle stirbt. Für den Transport binden Motorproteine gewöhnlich an eine Vielzahl von Hilfsfaktoren und bilden so große Transport-Partikel.

Diese Partikel lassen sich im Lichtmikroskop gut beobachten. Dennoch sind alle Versuche, ihren Zusammenbau und ihre Funktion im Detail zu verstehen, weitgehend gescheitert. „Wir haben nun mit der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae bewusst ein sehr einfaches System für den mRNA-Transport gewählt“, sagt Dr. Marisa Müller, die einen Großteil der Experimente durchgeführt hat. „Die Transportfaktoren umfassen hier eine überschaubare Zahl und sind zudem bereits alle bekannt.“

„So wissen wir, dass für den aktiven Transportprozess neben dem Myosin-Motor Myo4p auch die Faktoren She2p und She3p nötig sind“, ergänzt Roland Heym, der ebenfalls maßgeblich beteiligt war und sich die Erstautorenschaft mit Müller teilt. She2p ist ein RNA-Bindungsprotein, das bislang als alleinig verantwortlich für die spezifische Erkennung der mRNA galt, die transportiert werden soll. Diese Identifizierung sollte, so wurde vermutet, sehr früh im Zellkern und damit direkt nach dem Ablesen der genetischen Information erfolgen.

Der eigentliche Transport aber selbst beginnt erst im Zytoplasma, also nach dem Verlassen des Zellkerns. Hier kommt dann She3p zum Zuge: Das zytoplasmatische Adapterprotein verbindet She2p – und auch die molekulare mRNA-Fracht mit dem Motorprotein Myo4p. Wie, wann und in welcher Reihenfolge sich dieser Transportkomplex zusammensetzt, konnte das Team um Niessing mithilfe einer Kombination aus klassischen biochemischen, modernen biophysikalischen und in vivo-Methoden zeigen.

„Zu unserer Überraschung fanden wir dabei heraus, dass stabile und spezifische Komplexe aus She2p und mRNAs nur in Anwesenheit von She3p gebildet werden – und zwar nur mit mRNAs, die auch für den Transport bestimmt sind“, so Niessing. „Dabei interagiert She3p nicht nur mit dem Motor Myo4p und She2p, sondern auch direkt mit der mRNA. „Allerdings reicht weder die individuelle Bindung von She3p oder She2p an die mRNA aus, um die richtige RNA-Fracht gezielt zu erkennen: Vielmehr müssen She2p, She3p und die mRNA zusammenkommen, damit ein Komplex mit hoher Stabilität und Spezifität zusammengebaut wird.

Dies funktioniert aber nur mit mRNAs, die sich durch bestimmte molekulare Marker als Frachtgut präsentieren. Ohne diese Kennzeichen wird die Bindung zwischen der mRNA und dem Transportkomplex wieder aufgelöst. „Unsere Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie wenig von diesen essenziellen Prozessen bekannt ist“, betont Niessing. „Es wird noch einer Reihe von Studien bedürfen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des molekularen Transports in einfachen und höheren Organismen zu verstehen.“ (suwe)

Publikation:
„A Cytoplasmic Complex Mediates Specific mRNA Recognition and Localization in Yeast“;
M. Müller, R. G. Heym, A. Mayer, K. Kramer, M. Schmid, P. Cramer, H. Urlaub, R.-P. Jansen, D. Niessing;
PloS Biol, 2011 Apr.; 9(4): e 1000611;
doi: 10.1371/journal.pbio.1000611

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Neu entdecktes Gen schützt vor Hirnschädigung

Pressemitteilung der Universität Heidelberg vom 21.04.2011

Perspektiven für die Therapie bei Schlaganfall und neurodegenerativen Erkrankungen

Ein Gen, das vor den Folgen eines Schlaganfalles schützt, haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg unter Leitung von Prof. Dr. Hilmar Bading entdeckt. Die Forscher am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) konnten nachweisen, dass die vermehrte Herstellung dieses Genproduktes die Nervenzellen im Gehirn widerstandsfähiger macht. Sauerstoffmangel und zu hohe Konzentrationen von Neurotransmittern führen bei einem Schlaganfall zu ausgedehntem Zelluntergang im Gehirn. Gehirnzellen, die durch Gentransfer mit dem neu entdeckten Gen ausgestattet wurden, sind unter diesen toxischen Bedingungen überlebensfähiger. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse jetzt in der amerikanischen Fachzeitschrift „The Journal of Neuroscience“.

Zu den besonderen Eigenschaften des neu entdeckten Gens gehört, dass es Teil eines körpereigenen Schutzprogramms ist: Es wird immer dann von Nervenzellen angeschaltet, wenn diese aktiv sind – ein aktives Gehirn baut sich also sein eigenes Schutzschild auf. „Erste Hinweise auf eine mögliche Schutzfunktion dieses Gens erhielten wir durch Experimente an sogenannten Nervenzellkulturen, mit denen man die Bedingungen, denen das Gehirn bei einem Schlaganfall ausgesetzt ist, simulieren kann. Wir konnten daraufhin in einem Mausmodell zeigen, dass die Hirnschädigung, die durch mangelhafte Blutversorgung bei einem Schlaganfall hervorgerufen wird, durch das Schutzgen vermindert werden kann“, erläutert Prof. Bading.

Die Heidelberger Forscher gehen davon aus, dass das Gen nicht nur vor den Folgen eines Schlaganfalles schützt, sondern die Zellen generell widerstandsfähiger macht. So könnte es auch gegen das Absterben von Nervenzellen als Folge von Alterungsprozessen oder zum Beispiel auch in der Therapie neurodegenerativer Erkrankungen wie Morbus Alzheimer eingesetzt werden. Der genaue Mechanismus, über den das Gen die Zelle vor dem Sterben schützt, ist den Wissenschaftlern zwar noch nicht bekannt, die Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass das Schutzgen bestimmte „Selbstmordgene“ blockieren kann.

Die Tatsache, dass der Körper dieses Gen eigenständig anschalten kann und damit in der Lage ist, sich diesen Schutz selbst aufzubauen, bedeutet, so Prof. Bading, „dass man nicht nur ins Fitnessstudio gehen sollte, um seinen Körper fit zu halten, sondern sich auch geistig betätigt – denn ein aktives Gehirn ist besser geschützt“. Die Erkenntnisse der Heidelberger Wissenschaftler bieten einerseits neue Perspektiven für die Therapie von Schlaganfällen und neurodegenerativen Erkrankungen. Sie unterstreichen aber auch, wie wichtig geistige Aktivität für die Gesundheit ist.

Originalveröffentlichung:
Zhang, S.-J., Buchthal, B., Lau, D., Hayer, S., Dick, O., Schwaninger, M., Veltkamp, R., Zou, M., Weiss, U., Bading, H. (2011): A Signaling Cascade of Nuclear Calcium-CREB-ATF3 Activated by Synaptic NMDA Receptors Defines a Gene Repression Module That Protects against Extrasynaptic NMDA Receptor-Induced Neuronal Cell Death and Ischemic Brain Damage. J. Neurosci. 31: 4978-4990.

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Nature: Saarländische Wissenschaftler identifizieren wichtiges menschliches Geruchs-Gen

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 23.03.2011

Was haben Schmerzempfinden und die Wahrnehmung von Gerüchen miteinander zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Auf genetischer Ebene aber sehr viel. Wie saarländische Wissenschaftler nun gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien, den USA und Frankreich herausgefunden haben, ist ein einziges Gen dafür verantwortlich, dass Menschen sowohl Schmerz als auch Düfte wahrnehmen können. Bei Patienten mit einem Funktionsausfall dieses Gens, das die Bezeichnung SCN9A trägt, fehlen diese beiden wichtigen Sinnesempfindungen. Die neuen Ergebnisse zeigen detailliert, wie die Funktion dieses Gens zu einer direkten Kontrolle der gesamten Nervenaktivität des Geruchssystems führt. Diese Erkenntnisse wurden jetzt im renommierten Fachmagazin Nature veröffentlicht.

Seit 2006 sorgen Studien über das fehlende Schmerzempfinden bei einer bestimmten Gruppe von Patienten in der Fachwelt für Aufsehen. Diese Patienten brechen sich zum Beispiel die Knochen, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Da dieser Defekt besonders oft in bestimmten Familien vorkommt, haben die Wissenschaftler eine genetische Veränderung dahinter vermutet. Tatsächlich konnte ein einziges Gen identifiziert werden, das für das fehlende Schmerzempfinden verantwortlich ist. Dabei handelt es sich um das Gen mit der Bezeichnung SCN9A, das einen bestimmten Natrium-Ionenkanal kodiert. Trägt dieses Gen eine spezifische Mutation, so kann dieser Natrium-Kanal vom Körper nicht hergestellt und in die Zellmembran der schmerzempfindlichen Nervenzellen eingebaut werden. Die Folge ist, dass keine Nervenreize mehr weitergeleitet werden können, so dass letztendlich im Gehirn kein Schmerzempfinden ausgelöst werden kann.

„Wir haben uns gefragt, ob derselbe Natrium-Kanal auch für die Funktion der Nervenzellen im Riechsystem wichtig sein könnte“, erklärt Professor Frank Zufall, Leiter der Abteilung „Molekulare Medizin Sensorischer Systeme“ am Institut für Physiologie der Universität des Saarlandes in Homburg und federführender Wissenschaftler der Geruchs-Studie, die Fragestellung des „Nature“-Artikels.

Nachdem das Forscherteam herausfinden konnte, dass dieser spezielle Natrium-Kanal namens Nav1.7 auch stark in den olfaktorischen Sinneszellen der Nase vorhanden ist, stellte sich die Frage nach der konkreten Funktion dieses Kanals. Dazu wurde das Gen in den Riechsinneszellen von Mäusen ausgeschaltet. Tatsächlich zeigten diese Mäuse, genau wie die Patienten mit einem veränderten SCN9A-Gen, einen völligen Ausfall ihres Geruchssystems, ein Zustand, der als „generelle Anosmie“ bezeichnet wird.

Dabei hatten die Wissenschaftler eine harte Nuss zu knacken: „Das Schwierige war, dass die Sinneszellen in der Nase, die am Anfang der Wahrnehmung stehen, nach wie vor auf Düfte reagieren und Aktionspotenziale feuern, wenn der Nav1.7-Kanal ausgeschaltet ist“, erklärt Frank Zufall. Das heißt, die Zellen in der Nase funktionieren trotz defektem Gen einwandfrei und leiten elektrische Reize, die von Düften ausgelöst werden, weiter. Die Forscher mussten also weitersuchen, bis sie herausfanden, dass bei fehlendem Nav1.7-Kanal im Verlauf des Geruchsnervs, an der ersten Schaltstelle zum Gehirn, die Reizweitergabe in Richtung Gehirn völlig blockiert war.

Die Wissenschaftler haben damit eine neue Strategie entwickelt, um menschliche Gene, die für das Riechen verantwortlich sind, zu identifizieren und ihre Funktionsweise zu entschlüsseln: Sie suchen nach Genen, die für den Defekt eines Sinnessystems – hier Schmerzempfinden – verantwortlich sind, und überprüfen, ob dieselben Gene auch für andere Sinnessysteme – hier das Riechen – benutzt werden. Das hat pragmatische Gründe: „Vielleicht gibt es ja auch Patienten mit angeborener Taubheit oder Blindheit, die gleichzeitig nicht riechen können“, erklärt Professor Zufall dieses Vorgehen. Die Gene, die den menschlichen Geruchssinn steuern, sind bisher so gut wie unbekannt.

Neben der Identifizierung des ersten menschlichen Gens, das die Nervenübertragung des gesamten Geruchssystems direkt steuert, sowie einem besseren molekularen Verständnis unserer Sinnessysteme kann diese Arbeit auch ganz konkrete Anwendungen möglich machen. „Die Erkenntnisse sind von großem kommerziellen Interesse, da der Nav1.7-Natriumkanal einen wichtigen Angriffspunkt für die Herstellung neuartiger Schmerzmittel darstellt“, erklärt Frank Zufall. Damit können potentielle Nebenwirkungen dieser Medikamente besser verstanden werden.

Diese Arbeit wurde unter anderem von den DFG-Sonderforschungsbereichen SFB 530 „Räumlich-zeitliche Interaktionen zellulärer Signalmoleküle“ und SFB 894 „Ca2+-Signale: Molekulare Mechanismen und Integrative Funktionen“, der internationalen Graduiertenschule GK 1326 „Calcium-Signaling and Cellular Nanodomains“ sowie der Volkswagen-Stiftung gefördert.

Publikation:
„Loss-of-function mutations in sodium channel Nav1.7 cause anosmia“; Frank Zufall, Trese Leinders-Zufall, Jan Weiss, Martina Pyrski, Eric Jacobi, Bernd Bufe, Bernhard Schick, Vivienne Willnecker, Samuel J. Gossage, John N. Wood, C. Geoffrey Woods, Charles A. Greer, Philippe Zizzari; Nature, doi: 10.1038/nature09975

Externer Link: www.uni-saarland.de

Wie die Wirtszelle HIV den Weg bereitet

Presseinformation der LMU München vom 11.03.2011

Zelluläres Enzym wird vor viraler Freisetzung aktiv

Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) – der Erreger der Immunschwächekrankheit AIDS – dringt in menschliche Immunzellen ein und lässt sie neue Virionen produzieren, die dann selbst neue Zellen befallen. Ein Team um den LMU-Forscher Professor Don C. Lamb und Privatdozentin Barbara Müller vom Universitätsklinikum Heidelberg hat nun die Beteiligung bestimmter zellulärer Komponenten an der Freisetzung der Virionen analysiert und festgestellt, dass das Enzym VPS4A dabei eine aktivere Rolle spielt als bisher angenommen. Dieses Molekül war bisher nur als Akteur nach der Abschnürung der Viruspartikel aufgefallen. Dank hoch entwickelter Mikroskopietechnik konnten die Forscher nun aber nachweisen, dass mehrere Komplexe aus jeweils einem Dutzend VPS4A-Molekülen an der Stelle der Zellmembran aktiv wird, an der kurz darauf ein neu synthetisiertes Virion freigesetzt wird. „Wir können so erstmals im Detail zeigen, wie zelluläre Proteine mit HIV in der Zelle interagieren, damit neue Viren entstehen. Letztendlich ist es unser Ziel, den gesamten Lebenszyklus von HIV zu beleuchten“, sagt Lamb. „Mit unseren Methoden können wir zudem den Effekt von Therapeutika in der Zelle beobachten, um sie möglicherweise zu verbessern oder um neue Wirkstoffe zu entwickeln.“ (Nature Cell Biology online, 10. März 2011)

Viren sind Freibeuter: Sie schleusen ihr Erbgut in Wirtszellen ein und programmieren diese so um, dass der zelluläre Stoffwechsel neue Viren synthetisiert. Für seine Freisetzung aus den befallenen menschlichen Immunzellen benutzt HIV auch zelluläre Komponenten. Der sogenannte ESCRT-Komplex etwa spielt in der Zelle eine wichtige Rolle bei der Beladung und Abschnürung zellulärer Transportvesikel. HIV nutzt ESCRT, um beim Austritt des Virions die Verbindung zwischen Virushülle und Zelloberfläche zu kappen. VPS4A ist Teil der ESCRT-Maschinerie und war bisher für seine Rolle beim Recycling des Komplexes bekannt: das Enzym sorgt dafür, dass Komponenten des ESCRT-Komplexes nach erfolgtem Einsatz wieder freigesetzt und an anderer Stelle verwendet werden können.

Ohne VPS4A kommt es aber gar nicht erst zur Abschnürung, wie sich jetzt zeigte: Die Forscher markierten das Enzym mit dem grün fluoreszierenden Protein GFP. Dieser biologische Marker ist im Mikroskop sichtbar und verrät so auch den Aufenthaltsort des Moleküls, an den er gebunden ist. So zeigten kleine fluoreszierende Lichtblitze an, dass sich mehrere VPS4A-Enzyme zu einem größeren Komplex zusammenschlossen. „In diesem Fall konnten wir sogar zählen, wie viele Enzymmoleküle in einem bestimmten Zeitraum interagieren“, sagt Müller.

Komplexe aus etwa drei VPS4A Dodecameren werden für etwa eine Minute an der Virusknospe aktiv, was sich als fluoreszentes Blitzlichtgewitter im Mikroskop verfolgen ließ. Wo die Enzymkomplexe versammelt waren, trat dann kurz darauf das Virion aus. Weil die Freisetzung nicht unmittelbar auf die enzymatische Aktivität folgt, vermuten die Forscher noch einen weiteren zwischengeschalteten Prozess.

Dieser lässt sich möglicherweise in Nachfolgeprojekten aufklären. „Schließlich erlaubt uns unsere Methodik nun, den Zusammenbau einzelner Virionen zu betrachten. Für die Zukunft arbeiten wir an Methoden, mit denen wir den gesamten Lebenszyklus von HI-Viren aufklären können“, sagt Lamb. „Schon jetzt können wir auf Ebene eines einzelnen Virus einzelne Schritte in der Zelle verfolgen, etwa auch welche Moleküle interagieren und in welcher Geschwindigkeit. Damit steht uns offen, therapeutische Wirkstoffe zu markieren und dann ihre Effekte in der Zelle zu verfolgen: Medikamente könnten auf diesem Weg verbessert oder überhaupt erst entwickelt werden.“

Die Untersuchung entstand im Rahmen der Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM), Nanosystems Initiative Munich (NIM) und „CellNetworks“ Heidelberg. Außerdem wurden die Arbeiten im Rahmen des Schwerpunktprogrammes 1175 „Dynamik von zellulären Membranen und ihre Ausnutzung durch Viren“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. (göd)

Publikation:
„Dynamics of HIC budding site interactions with an ESCRT component visualized in live cells“;
V. Baumgärtel, S. Ivanchenko, A. Dupont, M. Sergeev, P.W. Wiseman, H.-G. Kräusslich, C. Bräuchle, B. Müller, D.C. Lamb;
Nature Cell Biology; doi: 10.1038/ncb2215

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Polymerbürsten mit Minieiweißen schützen Implantate

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 16.03.2011

KIT-Wissenschaftler haben zusammen mit Kollegen der University of British Columbia eine biokompatible Schutzschicht für Implantate entwickelt, die das Besiedeln mit Bakterien verhindert.

Infektionen an Implantaten sind gefürchtete Komplikationen bei medizinischen Eingriffen. Rund 2 bis 6 Prozent aller Patienten sind davon betroffen. Wissenschaftlern des KIT-Instituts für Funktionelle Grenzflächen (IFG) ist es gelungen, eine Schutzschicht zu entwickeln. Sie verhindert, dass Bakterien Implantate besiedeln und durch das Entstehen gefährlicher Biofilme schwerwiegende Infektionen auslösen. Im Tierversuch erwies sich die Schutzschicht als hochwirksam und zugleich als zellverträglich. Die Ergebnisse wurden in der Online-Ausgabe von „Biomaterials“ veröffentlicht.

In Zusammenarbeit mit Kollegen der University of British Columbia haben die IFG-Wissenschaftler zunächst in einem Screening-Verfahren Verbindungen darauf getestet, ob sie eine Infektion an einer Oberfläche abwehren können. Sie untersuchten anti-mikrobielle Peptide (AMPs), kleine Eiweiße, die aus einer kurzen Kette von Aminosäuren bestehen. Diese AMPs sind hochinteressant für die Infektionsbekämpfung, weil sie sowohl gramnegative als auch grampositive Bakterien, aber auch Pilze, Viren oder Parasiten abtöten können, also eine Breitbandwirkung haben.

In einem nächsten Schritt wurden Peptide mit antibiotischer Wirkung mittels Polymeren auf Implantat-Oberflächen fixiert. Das Konstrukt, das in der Form an eine Flaschenbürste erinnert, hat mehrere Vorteile: „Durch den Träger und seine besondere Form konnten wir die Konzentration an Peptiden erhöhen. Die Fixierung verhindert zugleich eine Diffusion der anti-mikrobiellen Peptide“, so Projektleiter Dr. Kai Hilpert.

Bereits jetzt gibt es Ansätze, Implantate mit anti-mikrobiellen Stoffen  zu tränken, um eine lokale Infektion zu verhindern. Dieses Verfahren erwies sich jedoch bis jetzt als wenig Erfolg versprechend wenn nicht gar als kontraproduktiv. „Durch die Diffusion der Antibiotika bildet sich ein Konzentrationsgradient, der die Resistenzbildung der Bakterien fördert“, erläutert Hilpert. Auch besteht bei dieser Methode die Gefahr der so genannten adaptiven Resistenz. „Durch den Gradienten können sich Bakterien früh auf den Wirkstoff einstellen und Abwehrstrategien aktivieren. Dadurch überleben sie eine höhere Konzentration des Antibiotikums“, so Hilpert.

Für die Infektionen sind Biofilme an den Implantaten verantwortlich. Sie entstehen, wenn sich Bakterien an dem Implantat festsetzen. „Die Bakterien entlassen bestimmte Substanzen, die ein Gerüst bilden, in dem Bakterien dreidimensional aufwachsen und sich innerhalb dieses Systems spezialisieren können“, so Hilpert. Biofilme sind um ein Vielfaches widerstandsfähiger gegenüber Antibiotika. Um Bakterien in Biofilmen abzutöten, müssen die Antibiotika-Konzentrationen bis um das 1000-fache erhöht werden. „Erstaunlicherweise verhindern in unserem Konstrukt die AMPs auch die Biofilmbildung“, erklärt Hilpert. Wurden beschichtete Implantat-Stücke in eine Nährlösung mit sehr hoher Konzentration von Bakterien gelegt, stellten die Wissenschaftler im Unterschied zu unbeschichteten Implantaten kaum einen Bewuchs mit Bakterien fest. Die Wirksamkeit konnte auch im Tierversuch nachgewiesen werden. Zugleich belegten Versuche in Zellkultur und an Ratten, dass die Schutzschicht biokompatibel, also unschädlich für Körperzellen ist. Bisher wurden die Beschichtungen an Titanoberflächen untersucht, da dieses Material in sehr vielen Implantaten vorkommt. „Das gleiche Prinzip lässt sich aber auch auf anderen Oberflächen anwenden, beispielsweise bei Kathetern aus Kunststoff“, so Hilpert.

„Die Ergebnisse von Dr. Hilpert und seinen Kollegen eröffnen eine neue und attraktive Option für die Beschichtung von Implantaten. Momentan werden am IFG die zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen intensiv erforscht und die technologischen Grundlagen für eine schnelle Umsetzung entwickelt, damit baldmöglichst mit klinischen Studien begonnen werden kann“, zeichnet IFG-Direktor Prof. Dr. Christof Wöll die weiteren Perspektiven auf. (rl)

Externer Link: www.kit.edu