Chemie mit sortierten Molekülen

Medienmitteilung der Universität Basel vom 04.10.2013

Die vollständige Kontrolle chemischer Reaktionen ist ein grosses Ziel in der Chemie. Forschern der Universität Basel und des Hamburger Center for Free-Electron Laser Science ist es nun erstmals gelungen, einzelne Formen eines Moleküls mit elektrischen Feldern auszusortieren und gezielt zur Reaktion zu bringen. Durch Analyse der Reaktionsgeschwindigkeiten konnte ein Zusammenhang zwischen der räumlichen Struktur der aussortierten Moleküle und ihrer chemischen Reaktivität hergestellt werden. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift «Science» veröffentlicht.

Die Reaktivität einer chemischen Verbindung, also ihre Fähigkeit in einer Reaktion umgesetzt zu werden, wird massgeblich durch die Form ihrer Moleküle bestimmt. Komplexe Moleküle liegen oft in unterschiedlichen Formen vor, sogenannten Konformeren, bei denen die Bausteine des Moleküls räumlich unterschiedlich angeordnet sind. Konformere wandeln sich jedoch oft leicht ineinander um, sodass sich eine detaillierte Untersuchung dieser Effekte bislang als sehr schwierig gestaltete.

Die Wissenschaftler um Prof. Stefan Willitsch vom Departement Chemie der Universität Basel und Prof. Jochen Küpper vom Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL, DESY) haben einen neuen Versuchsaufbau entwickelt, mit dem sich die Reaktivität einzelner Konformere präzise untersuchen lässt. Die Forscher erzeugten einen Strahl von Molekülen, aus dem sich in einer «molekularen Sortiermaschine» gezielt einzelne Konformere aus einer Mischung herauspicken und in eine chemische Reaktion einspeisen lassen.

Dabei machten sich die Forscher zunutze, dass durch eine Änderung der Form eines Moleküls in der Regel auch sein Dipolmoment modifiziert wird. Das Dipolmoment beschreibt, wie ein Molekül auf ein elektrisches Feld reagiert. Innerhalb der Sortiermaschine liegt nun ein ungleichmässiges elektrisches Feld vor, in dem die einzelnen Konformere unterschiedlich stark abgelenkt und somit räumlich getrennt werden.

In einem ersten Experiment trennten die Forscher zwei Konformere von 3-Aminophenol, einer gut bekannten Verbindung, die industriell breite Anwendung findet. Die beiden Konformere unterscheiden sich lediglich in der räumlichen Anordnung eines einzelnen Wasserstoffatoms. Die getrennten Konformeren wurden dann in eine Reaktionskammer gelenkt, wo sie mit elektrisch geladenen Kalziumatomen, sogenannten Ionen, in einer Falle reagierten. Die Ionen wurden dabei durch Laserlicht fast auf den absoluten Temperatur-Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius abgekühlt. Dadurch lokalisierten sie sich im Raum und bildeten ein ideales Zielobjekt für Reaktionen mit den getrennten Konformeren. So konnten die Forscher zeigen, dass das eine Konformer doppelt so schnell mit den Kalziumionen reagiert wie das andere, was mit den unterschiedlichen elektrischen Eigenschaften der beiden Molekülformen erklärt werden konnte.

Auf diese Weise erlaubt die neue Methode, Einsichten in fundamentale Reaktionsmechanismen und die Zusammenhänge zwischen Molekülkonformation und chemischer Reaktivität, mit weitreichenden Anwendungen in der chemischen Katalyse und der Synthese neuer Moleküle.

Originalbeitrag:
Yuan-Pin Chang, Karol Długołecki, Jochen Küpper, Daniel Rösch, Dieter Wild, Stefan Willitsch
Specific Chemical Reactivities of Spatially Separated 3-Aminophenol Conformers with Cold Ca+ Ions
Science (2013) | doi: 10.1126/science.1242271

Externer Link: www.unibas.ch

Lichtblick für Diabetes-Forschung: Grazer Wissenschafter entwickelten Molekül, das unerwünschten Fettabbau hemmt

Pressemitteilung der TU Graz vom 07.10.2013

Ein starkes Signal der international renommierten Lipidforschung in Graz: In Zusammenarbeit haben Wissenschafter der TU Graz, Karl-Franzens-Universität und Medizinischen Universität Graz ein Molekül entwickelt, das das fettabbauende Enzym ATGL hemmt. Ein wichtiger Fortschritt besonders im Hinblick auf die mögliche Prävention und Therapie von Diabetes Typ 2, aber auch für Krebspatienten, die unter krankhafter Abmagerung, der sogenannten Kachexie, leiden. In der aktuellen Ausgabe des angesehenen Fachjournals „Nature Chemical Biology“ präsentieren die Grazer Forscher das in aufwändiger Detailarbeit entwickelte Molekül namens „Atglistatin“ erstmals der wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Die Publikation ist ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Kooperation der drei Grazer Universitäten im Rahmen der Forschungsinitiative „BioTechMed-Graz“.

Fettabbau ist nicht immer wünschenswert: So schützt die Speicherung von Fett im Fettgewebe den Körper vor hohen Blutfetten und Fettablagerungen in anderen Organen. Wenn sich durch einen gesteigerten Fettabbau im Körper zu viele freie Fettsäuren im Blut befinden, dann führt das häufig zu einer Insulinresistenz und in der Folge zu Diabetes Typ 2 – auch Altersdiabetes genannt. Gefährlich ist zu starker Fettabbau auch im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung, da eine krankhafte Abmagerung, auch Kachexie genannt, die Überlebenschancen verringert. Seit der Entdeckung des für den Fettabbau verantwortlichen Enzyms ATGL durch Forscher der Karl-Franzens-Universität und der TU Graz im Jahr 2004 haben nähere Untersuchungen gezeigt: Eine genetische Hemmung von ATGL senkt Fettsäuren und Triglyzeride im Blut und fördert den Abbau von Glukose. Diese Hemmung schützt daher vor Diabetes Typ 2 und auch vor unerwünschtem Fettabbau bei Tumor-induzierter Kachexie.

Der lange Weg zu „Atglistatin“

Basierend auf diesen Erkenntnissen hat ein Team rund um Robert Zimmermann von der Karl-Franzens-Universität Graz und Rolf Breinbauer von der TU Graz in jahrelanger Detailarbeit erstmals ein molekulares Werkzeug entwickelt, das ATGL und damit den Fettabbau gezielt hemmt. Sein Name: Atglistatin. „Ein solches Molekül könnte in Zukunft sowohl die Erkrankung an Diabetes Typ 2, als auch die krankhafte Abmagerung von Krebspatienten verhindern“, erklären Zimmermann und Breinbauer. „Das ist insofern interessant, da Diabetes zu den großen Volkskrankheiten gehört, mit steigender Tendenz. Auch für Kachexie gibt es derzeit keine zufriedenstellende Behandlung“.

Die Entwicklung von „Atglistatin“ war sowohl für die Synthesechemiker vom Institut für Organische Chemie der TU Graz als auch für die Biowissenschafter der Karl-Franzens-Universität herausfordernd: Von ATGL gibt es keine dreidimensionale Proteinstruktur, die man für moderne computerunterstützte Modellierungs-Ansätze nützen könnte. „Uns ist nichts anderes übriggeblieben als der klassische Ansatz im ‚trial&error‘-Prinzip“, schildert Rolf Breinbauer. Konkret hieß das für die Forscher der TU Graz: Moleküle synthetisieren, diese von den Kollegen der Karl-Franzens-Universität auf ihre Wirksamkeit testen lassen und aus den gewonnenen Daten neue Moleküle entwickeln. „Der Prozess ist vergleichbar mit der Orientierung im stockfinsteren Raum: Hindernisse und Sackgassen sind selbstverständlich, aber je mehr man sich bewegt, desto mehr Gespür bekommt man für die richtige Richtung“, erklärt Breinbauer. Das „Vorantasten“ der Grazer Forscher dauerte über vier Jahre und brauchte mehr als 300 entwickelte Moleküle, bis schließlich eines die gewünschten ATGL-hemmenden Eigenschaften besaß. Im Fachjournal „Nature Chemical Biology“ publizieren die Wissenschafter nun erstmals über Atglistatin.

Die aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten sind in diverse vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekte und dem Doktoratskolleg „Molekulare Enzymologie“ eingebettet (Translational Program, Wittgenstein Award, GOLD, PLACEBO). Gleichzeitig belegen sie eindrucksvoll die erfolgreiche Kooperation von TU Graz, Karl-Franzens-Universität und Medizinischer Universität Graz im Rahmen des Kooperationsprojekts NAWI Graz und der Forschungsinitiative „BioTechMed-Graz“.

Originalpublikation:
Mayer, N., Schweiger, M., Romauch, M., Grabner, G., Eichmann, T., Fuchs, E., Ivkovic, J., Heier, C., Mrak, I., Lass, A., Höfler, G., Fledelius, C., Zechner, R., Zimmermann, R. & Breinbauer, R.: Development of small-molecule inhibitors targeting adipose triglyceride lipase. Nature Chemical Biology, 2013. doi:10.1038/nchembio.1359

Externer Link: www.tugraz.at

Nylon als Katalysatorträger

Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen vom 17.09.2013

Textilforscher veröffentlichen in Science

Plastiktüten, Düngemittel oder Schmerztabletten: Schätzungsweise 80 Prozent aller chemisch erzeugten Produkte entstehen mithilfe von Katalysatoren. Wissenschaftler des Deutschen Textilforschungszentrums Nord-West (DTNW), einem An-Institut der Universität Duisburg-Essen (UDE), und des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim haben nun erstmals eine Methode zur Wiederverwendung organischer Katalysatoren entwickelt und die Ergebnisse in Science veröffentlicht. Nylon spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Je nach vermittelter Reaktion weisen Katalysatoren unterschiedliche Zusammensetzungen und Formen auf: Vom komplizierten Eiweißmolekül im Körper, dem Enzym, über das robuste Bauteil auf Edelmetall-Basis im Auto bis hin zu pulverförmigen oder flüssigen Substanzen, die zu laufenden Prozessen hinzugefügt werden. In der sogenannten „homogenen Katalyse“, die beispielsweise in der Pharmaindustrie häufig genutzt wird, liegen sowohl die Katalysatorsubstanzen als auch die Ausgangsstoffe in der gleichen Form vor, z.B. beide gelöst in einer Flüssigkeit. Nun wird ein Katalysator während der Reaktion, die er vermittelt, nicht aufgebraucht. Das Resultat ist daher in diesem Fall immer eine Mischung aus dem gewünschten Produkt und den Katalysatorsubstanzen. Letztere müssen deshalb immer wieder aufwendig separiert werden oder bleiben – wenn sie günstig sind und sich nicht nachteilig auswirken – im Produkt.

Prof. Dr. Jochen Gutmann bringt durch seine Arbeit am DTNW und am Center for Nanointegration Duisburg-Essen (CENIDE) die ideale Erfahrungskombination mit, um eine praktischere Alternative zu entwickeln: Zusammen mit Prof. Dr. Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung (MPI KoFo) in Mülheim an der Ruhr verwendet er Nylon, wie es auch für Feinstrumpfhosen genutzt wird, als Trägermaterial für organische Katalysatoren in Molekülform. Dazu bestrahlen die Wissenschaftler Textil und Moleküle mit UV-Licht. Dadurch öffnen sich Bindungen an der Nylonoberfläche, an die sich die kleinen Katalysatoren fest andocken. Diese neuen Bindungen sind extrem stark, Chemiker sprechen von „kovalenten Bindungen“. So ergibt sich eine Oberfläche, die mit einer etwa 5 bis 10 Nanometer dicken Schicht aktiver Moleküle besetzt ist. „Nicht gebundene Katalysatoren können wir einfach wieder abwaschen und beim nächsten Mal wiederverwenden“, erklärt Gutmann. Das Projekt „Organokatalyse“ wird von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen Otto von Guericke e.V. gefördert.

Das textile System hat zwei entscheidende Vorteile: Erstens lassen sich die Katalysatoren ganz einfach am Nylon aus dem Produkt herausziehen und sofort wiederverwenden – ohne vorherige Reinigungsprozedur. Zweitens bleiben keine Rückstände der Katalysatoren im Produkt zurück. Das kann gerade in der Pharmaindustrie, wo es mitunter auf hochreine Wirkstoffe ankommt, enorm wichtig sein. Auf die katalytische Aktivität hat die Fixierung übrigens keinen Einfluss – weder generell noch nach einiger Zeit: „Auch nach 250 Katalyse-Zyklen haben wir keine nennenswerten Veränderungen in der durchweg hohen Leistung feststellen können“, berichtet Gutmann. Sogar die Katalysatormenge auf dem Textil ist ganz einfach einzustellen: Je dünner die Nylonfasern, desto größer die Oberfläche, die für Bindungen zur Verfügung steht.

Nur wenig mehr als ein Jahr haben die Wissenschaftler für diese Entwicklung gebraucht – quasi ein Wimpernschlag in der Forschung. Und das nächste gemeinsame Ziel steht für Gutmann auch schon fest: „Zusammen mit den Kollegen vom MPI wollen wir auch andere Arten von Katalysatoren auf Textilien fixieren.“ (Birte Vierjahn)

Externer Link: www.uni-due.de

Chilischärfe mit Lichtsteuerung

Presseinformation der LMU München vom 22.07.2013

Schmerzrezeptoren reagieren auf Chilischärfe, aber auch auf zahlreiche andere Reize. Nun gelang es LMU-Wissenschaftlern, ein Gegenmittel gegen Chilischärfe in einen Lichtrezeptor zu verwandeln, mit dem verschiedene Schmerzreize separat gesteuert werden können.

Ein herzhafter Biss in eine Chilischote bringt den Mund gefühlt zum Brennen – und zwar, weil der Schärfebestandteil in Chili, das Capsaicin, auf einen Rezeptor wirkt, der auch durch Hitze stimuliert wird: Der sogenannte „Transient Receptor Potential Vanilloid 1“ (TRPV1) wird hauptsächlich in schmerzwahrnehmenden Nervenzellen gebildet und von mehreren chemischen und physikalischen Reizen aktiviert – neben Capsaicin und Hitze unter anderem auch durch elektrische Spannung, Spinnengifte und niedrige pH-Werte.

TRPV1 gehört zu einer der größten Ionenkanalfamilien, die als vielseitige zelluläre Sensoren eine zentrale Rolle in der Sinnesphysiologie wahrnehmen. „TRP-Kanäle sind auch in Sehprozesse involviert und möglicherweise für die Regulation des Tag- und Nachtrhythmus in Säugetieren verantwortlich. Trotz seiner vielfältigen Aktivierungsmechanismen reagiert TRPV1 allerdings von Natur aus nicht auf Licht“, sagt Dirk Trauner, Professor für Chemische Biologie und Genetik an der LMU und Mitglied des Exzellenzclusters „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM).

Schärfehemmer wird künstlicher Lichtrezeptor

Trauner ist Spezialist dafür, Moleküle mit einem chemischen Schalter zu versehen, der auf Licht reagiert. Nun gelang es Trauners Team in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Professor Thomas Gudermann (Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie), zum ersten Mal auch TRPV1 durch Licht steuerbar zu machen – und zwar mithilfe von Capsazepin, das als kompetitiver Inhibitor den Effekt von Capsaicin auf den TRPV1-Kanal blockiert. „Wir haben TRPV1-Kanäle durch den Einsatz eines photoschaltbaren Capsazepin-Derivats in einen künstlichen Lichtrezeptor verwandelt“, sagt Marco Stein, der Erstautor der neuen Studie.

Die Wissenschaftler erreichten dies durch die Ankopplung sogenannter Azobenzole, die eine charakteristische chemische Doppelbindung enthalten, an der sie – je nach Wellenlänge des Lichts, dem sie ausgesetzt sind – abknicken (cis-Form) oder sich strecken (trans-Form). Das auf diese Weise entstandene Azo-Capsazepin 4 (AC4) erwies sich dabei als besonders vielversprechender Kandidat für die lichtabhängige Steuerung von TRPV1, denn es beeinflusst den Ionenkanal gleich auf zweierlei Weise: „In der trans-Form wirkt AC4 der spannungsinduzierten Aktivierung von TRPV1 entgegen, während es in der cis-Form als Antagonist von Capsaicin die Stimulierung von TRPV1 die Wahrnehmung von Chilischärfe blockiert“, erklärt Trauner.

Neue Dimension in der Photopharmakologie

Damit erweitert AC4 das Konzept der Photopharmakologie – also den Einsatz photoschaltbarer Verbindungen zur Steuerung der Aktivität von Ionenkanälen und Rezeptoren – um eine zusätzliche Dimension: „Da AC4 als photoschaltbarer Antagonist einen Agonisten (hier Capsaicin) in lichtabhängiger Weise hemmen kann, lassen sich Agonist und photoschaltbarer Antagonist gleichzeitig anwenden“, sagt Trauner. Da AC4 darüber hinaus je nach Wellenlänge des Lichts selektiv bestimmte Reize blockiert, könnte es zudem wichtige Erkenntnisse für die genaue Erforschung der jeweiligen Aktivierungsmechanismen liefern.

Als nächstes wollen die Wissenschaftler weitere Anwendungen von AC4 – sowie ähnlichen Verbindungen – für sinnesphysiologische Fragestellungen entwickeln. „Darüber hinaus wollen wir überprüfen, ob unsere Verbindungen in der Retina eine Form der Lichtwahrnehmung nach sich ziehen – also potenziell zur Therapie gewisser Formen von Blindheit eingesetzt werden könnten“, erläutert Stein mögliche medizinische Einsatzmöglichkeiten der neuen Substanz. (göd)

Publikation:
Angewandte Chemie 2013

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Batterie der Zukunft: Wissenschafter der TU Graz forschen an extrem schnellen Ionenleitern

Pressemitteilung der TU Graz vom 15.07.2013

Erst seit April dieses Jahres forschen Experten am Christian-Doppler-(CD)-Labor für Lithium-Batterien am Institut für Chemische Technologien von Materialien der TU Graz an den Batterien der Zukunft – und lassen bereits jetzt mit wegweisenden Ergebnissen aufhorchen: Mittels detaillierter Kernresonanzmessungen konnten sie die ultraschnelle atomare Dynamik eines hervorragenden Ionenleiters, der sich beispielsweise für Festkörper-Batterien eignet, nachweisen. Feststoff-Lithium-Ionenbatterien gelten in punkto Speicherkapazität, Langlebigkeit und Sicherheit als große Hoffnungsträger. Die Ergebnisse der Doktorarbeit von Viktor Epp wurden kürzlich im renommierten Journal of Physical Chemistry Letters veröffentlicht.

Nicht nur der nachhaltige Erfolg der Elektromobilität, auch die Entwicklung leistungsstärkerer Handys oder Notebooks stellen hohe Anforderungen an Batteriesysteme, die bei erhöhter Speicherkapazität und gleichbleibender Sicherheit immer langlebiger werden sollen. Feststoff-Lithium-Ionenbatterien zählen zu den Hoffnungsträgern in der Batterieforschung. Im Vergleich zu konventionellen Lithium-Ionenbatterien mit flüssigen Elektrolyten haben diese sogenannten „all-solid-state Batterien“ die Nase vorne, was Sicherheit, Lebensdauer und Temperaturbeständigkeit anbelangt. Forscher aus den Bereichen Festkörperchemie, Physik und Materialwissenschaft suchen daher weltweit unter Hochdruck nach geeigneten Festkörper-Ionenleitern für den Einsatz in solchen Batterien. Viktor Epp vom Institut für Chemische Technologien von Materialien der TU Graz nahm im Rahmen seiner Dissertation das Sulfid Li6PS5Br genauer unter die Lupe, das in der Arbeitsgruppe von Hans-Jörg Deiseroth an der Universität Siegen präpariert wurde. Mit der Methode der Lithium-Kernspinresonanzspektroskopie, wie sie im CD-Labor von der Arbeitsgruppe rund um Martin Wilkening betrieben wird, kam er zu einem erstaunlichen Ergebnis, das nun frühere, vorläufige Arbeiten bestätigt: Die Lithium-Ionen im untersuchten Sulfid bewegen sich unglaublich schnell. Damit qualifiziert sich Li6PS5Br als Spitzenreiter unter den Festelektrolyten, die für die Anwendung in Feststoffbatterien in Frage kommen.

„Hüpfende“ Atome: eine Milliarde Platzwechsel pro Sekunde

Die beobachteten „Hüpfprozesse“ der Atome in Li6PS5Br erwiesen sich als bemerkenswert: Mit Raumtemperatur-Sprungraten von mehr als einer Milliarde Platzwechsel pro Sekunde haben die Ionen im untersuchten Sulfid eine extrem hohe atomare Beweglichkeit. Auch in anderen Lithium-Verbindungen wurde eine solche Beweglichkeit nachgewiesen – allerdings sind viele der Materialien nicht nur ionisch, sondern auch elektronisch leitend und kommen daher für den Einsatz als Festelektrolyt nicht in Frage. Auf den ersten Blick funktioniert das Grundprinzip der elektrochemischen Energiespeicherung in einer Lithium-Ionenbatterie relativ einfach. Die Ionen bewegen sich während des Ladens und Entladens der Batterie zwischen den beiden Polen und durchqueren dabei strukturell unterschiedliche Materialien. Bei einer Feststoff-Lithium-Ionenbatterie übernimmt ein Festkörper, wie zum Beispiel ein lithiumhaltiges Oxid oder ein Sulfid, die Rolle des leitenden Elektrolyten. „Je mehr wir über die Natur des Ladungsträgertransportes in Festkörpern wissen, desto klarer wird, welche Materialien sich optimal für die zukünftige Weiterentwicklung von Batterien eignen“, erklärt Martin Wilkening, der sich mit seinem Team im CD-Labor der Untersuchung von Mikrostrukturen und dynamischen Prozessen in neuen Batteriematerialien verschrieben hat.

Publikation:
Journal of Physical Chemistry Letters; „Highly Mobile Ions: Low Temperature NMR Directly Probes Extremely Fast Li+ Hopping in Argyrodite-type Li6PSe5Br“; V. Epp, O. Gün, H.-J. Deiseroth, M. Wilkening, J. Phys. Chem. Lett., 4 (2013) 2118.

Externer Link: www.tugraz.at