Sonnenlicht mit Kühlfaktor

Mediendienst der Fraunhofer-Gesellschaft vom Mai 2010

Mit Hilfe der Sonne kühlen ­- was wie ein Widerspruch klingt, erweist sich als originelles Energiekonzept: In Tunesien und Marokko nutzen Fraunhofer-Forscher jetzt Solarenergie sogar, um leicht verderbliche Lebensmittel wie Milch, Wein oder Früchte frisch zu halten.

»Mit Sonnenlicht gekühlt« – dieses Ökolabel könnte künftig auf Lebensmittelpackungen gedruckt sein: Zur Gebäudeklimatisierung wird Solarenergie bereits heute genutzt, doch jetzt wollen Forscher auch Früchte und andere leicht verderbliche Lebensmittel damit frisch halten. Dass dies im Mittelmeerraum realisierbar ist, demonstrieren Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg am Beispiel einer Winzerei in Tunesien und einer Molkerei in Marokko. Im Projekt MEDISCO, kurz für MEDiterranean food and agro Industry applications of Solar COoling technologies, wurden in Kooperation mit Universitäten, Energieagenturen und europäischen Unternehmen Solaranlagen zum Kühlen von Milch und Wein installiert. Geleitet wird das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt vom Politecnico di Milano in Mailand.

»In Ländern mit vielen Sonnentagen und in entlegenen Gebieten, wo es aufgrund von Wassermangel und fehlenden oder unzuverlässigen Energiequellen keine konventionellen Kühlungsmöglichkeiten gibt, bietet sich unsere Methode an. Sie ist umweltfreundlich, außerdem wird der teure Strom für konventionell betriebene Kühlgeräte auf ein Minimum reduziert,« nennt Dr. Tomas Núñez, Wissenschaftler am ISE, die Vorzüge. »Die Kälte steht immer dann zur Verfügung, wenn die Sonne scheint, es wird also vor allem zu Zeiten des größten Bedarfs produziert.«

Die Wissenschaftler haben konzentrierende Kollektoren aufgebaut, die das Sonnenlicht mit einem Spiegel auf einen Absorber richten. Nur so lässt sich die Solarstrahlung in 200 Grad heißes Wasser umwandeln. »Diese extreme Wassertemperatur ist erforderlich, um die Absorptionskältemaschine bei den dort herrschenden hohen Außentemperaturen anzutreiben. Anders als beim Kühlschrank nutzen wir also keinen Strom, um Kälte zu erzeugen, sondern Wärme. Das Ergebnis ist in beiden Fällen das gleiche: Kälte in Form von Kaltwasser oder – in unserem Fall – ein Wasserglykolgemisch,« erläutert Núñez. Da die Absorptionskältemaschine Temperaturen von Null Grad erzeugt, wollen die Experten mit dem Gemisch ein Einfrieren des Wassers verhindern. Die Wasserglykollösung wird dann in Kältespeichern ‚gelagert‘ und anschließend durch einen Wärmetauscher gepumpt, der die angelieferte Milch kühlt. »Etwas anders verhält es sich beim Kühlen von Wein: Hier fließt das Kältemittel durch Rohrschlangen, die in den Weintanks angebracht sind,« sagt Núñez.

»Bei MEDISCO handelt es sich um ein Demonstrationsprojekt. Die Technik ist derzeit noch nicht marktreif,« sagt der Forscher. »Ich sehe aber durchaus Chancen, die solare Kühlung künftig in Agrarbetrieben oder auch in der Chemie- und Kosmetikindustrie einzusetzen.«

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Biegsame Kunststoff-Chips überwachen Körperfunktionen

Presseinformation der Fraunhofer-Gesellschaft vom 14.04.2010

Ein kleines Blutlabor für die Jackentasche, das vor einem Langstreckenflug rasch die Gefahr eines Blutgerinnsels in den Beinen analysiert, oder ein Sensorarmband, das Elektrosmog messen kann und Patienten mit Herzschrittmachern vor lebensbedrohlicher Strahlung warnt – »intelligentes Plastik« kann dies möglich machen. Daran arbeiten Forscher am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in München.

Jährlich erkranken in Deutschland etwa 80 000 Menschen am Verschluss eines Blutgefäßes durch ein Blutgerinnsel. Solche Thromben können eine Lungenembolie oder einen Schlaganfall auslösen. Von der tiefen Beinvenenthrombose können auch Passagiere von Langstreckenflügen betroffen sein. Mit dem neuen System ließe sich künftig einfach untersuchen, ob ein Verdacht auf eine Reisethrombose vorliegt oder nicht. Der Fluggast müsste nur einen Tropfen Blut auf das Messgerät geben. Die Besonderheit des winzigen Lap-on-Chip: Das System ist aus Kunststoff aufgebaut und lässt sich kostengünstig auf Folie herstellen. Damit wäre es möglich, preiswerte Einweg-Diagnosesysteme zu fertigen. Noch sind solche kleinen Analysesysteme Zukunftsmusik. Im EU-Projekt »diagnosing dvt« entwickeln Forscher aus acht europäischen Ländern wichtige Grundlagen für das Labor auf dem Plastik-Chip.

»Das Beispiel macht die Möglichkeiten der Polytronik deutlich. Eine am Menschen orientierte vernetzte Welt, Stichwort Ambient Assisted Living, braucht preiswerte, multifunktionale, allgegenwärtige Systeme. Um die dafür erforderliche Infrastruktur aufzubauen, müssen sich elektronische Systeme in großen Stückzahlen kostengünstig auf großen Substraten fertigen lassen. Und das wäre mit der Polymerelektronik möglich«, sagt Prof. Dr. Karlheinz Bock, Leiter der Abteilung »Polytronische Systeme« am IZM. Polytronik oder Polymerelektronik ist eine Schlüsseltechnologie, die Kunststoffe und Elektronik zusammenführt. Ein großer Vorteil ist die einfache und kostengünstige Herstellung: Die Polymermaterialien lassen sich lösen und dann wie elektronische Tinte durch Druckverfahren strukturiert auf flexible Folien aufbringen. »Damit können wir kleine, handliche und einfach bedienbare Systeme bauen, die vor allem kranken und älteren Menschen das Leben erleichtern«, erläutert Bock.

An der Entwicklung des Diagnosesystems für tiefe Venenthrombose arbeiten acht führende europäische Forschungsinstitute und High-Tech-Firmen. Das Herzstück des künftigen Analysegerätes, ein Lab-on-Chip, wurde am IZM gebaut und getestet. Es ist eine kleine, hochpräzise gefertigte Einweg-Kartusche, mit deren Hilfe ein Blutstropfen biochemisch untersucht wird. Sie besteht aus einer 3 mm dicken, 22 mm breiten und 70 mm langen Polykarbonatplatte und vereinigt zwei wesentliche Komponenten des Gerätes: das wichtigste Bauteil – eine 150 Mikrometer dünne Folie, auf der ein filigranes Netzwerk aus Leiterbahnen und Sensoren aus Gold zur Blutanalyse aufgebracht ist, sowie 120 Mikrometer tiefe Fluidkanäle, die das Blut zu den Analyseelementen leiten. In den Sensoren sind die Antikörper auf Nanoelektroden integriert, mit denen sich die Konzentration von Blutgerinnungsmarkern bestimmen lässt. Ist sie erhöht, besteht die Gefahr, dass sich ein Thrombus, ein Blutgerinnsel, bildet.

Nicht nur für thrombose-gefährdete Passagiere auf Landstreckenflügen oder Schlaganfallpatienten, sondern auch für Raucher, Schwangere oder Übergewichtige kann dieses System ein wichtiger Lebensbegleiter sein. Sie müssten nicht mehr tagelang auf das Laborergebnis warten, das sie darüber aufklärt, ob sich im Blut Gerinnsel gebildet haben. Wie beim Zuckertest würde ein Tropfen Blut der Patienten auf der Einweg-Kartusche genügen, die der Arzt in ein handliches kleines Lesegerät steckt. Innerhalb von ein paar Minuten kann er auf dem Display das Ergebnis ablesen – und, wenn nötig, sofort entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das EU-Projekt zur Machbarkeit des Systems läuft bis Mitte diesen Jahres.

Zur Dauerüberwachung verschiedener wichtiger Körperfunktionen vor allem von älteren Patienten, aber auch von Sportlern eignet sich das Sensorarmband, das ebenfalls am IZM entwickelt wurde. Es gleicht einer Armbanduhr aus Plastik. Anstelle eines Ziffernblatts ist das Sensorarmband mit einem leuchtenden Elektroluminiszenz-Display ausgestattet, das zu jeder Tageszeit zum Beispiel die aktuelle Körpertemperatur anzeigt. Es misst auch die Hautfeuchte, die ein Hinweis darauf sein kann, dass der Patient oder Sportler zu wenig getrunken hat. Das Patientenarmband kann auch Menschen mit Herzschrittmacher auf mögliche Gefährdungen aufmerksam machen und sie über die Stärke elektrischer oder elektromagnetischer Felder in der nächsten Umgebung informieren. Viele weitere Anwendungen sind denkbar: Auf der polytronischen Plattform können nach Bedarf verschiedenste Sensoren integriert werden.
 
Technisch gesehen ist das Sensorarmband eine Kombination aus Polymer- und klassischer Elektronik. Auf Folien gedruckte Leuchtelemente, Sensoren und polymere Widerstände sind hierbei mit integrierten Schaltungen aus Silizium in ein System zusammengefügt. Eine drei Mikrometer dünne Resonanzschaltung mit einer geätzten Spule, eine Art winziger Antenne, erfasst den Elektrosmog. Ein Interdigitalkondensator, auf Folie aufgebracht und nur 30 Mikrometer dick, ermittelt die Hautfeuchte. Kammartig eng ineinandergelegte Mäander aus nur 0,5 Mikrometer dünnem Kupferbahnen messen die Körpertemperatur.

»Das Sensorarmband demonstriert das Potenzial, das in der auf Folien montierten, flexiblen Elektronik steckt«, erläutert Prof. Bock. Die winzigen Sensoren und die optischen Funktionen werden durch eine Kombination von drucktechnischen und lithographischen Verfahren auf die Folien aufgebracht. Das Sensorarmband ebenso wie das Diagnosegerät für tiefe Beinvenenthrombose lassen sich sowohl als Folieneinzelblätter wie auch durch Rolle-zu-Rolle-Produktion in größeren Stückzahlen kostengünstig herstellen.

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Windparks intelligent vernetzen

Mediendienst der Fraunhofer-Gesellschaft vom April 2010

2020 soll die EU ein Fünftel ihres Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen, lautet ein Beschluss der Mitgliedstaaten. Einen Großteil des Strombedarfs werden Windparks decken. Forschern ist es in einem EU-Projekt gelungen, große Windparks zu Clustern zusammenzuschalten.

Regenerativen Energien gehört die Zukunft. Vor allem die Windenergie boomt – 2009 wurden nach Angaben des Bundesverbands WindEnergie 952 neue Anlagen in Deutschland installiert. Einen Gesamtstromverbrauch von 595 Terrawattstunden prognostiziert der Bundesverband Erneuerbare Energie für 2020. Der Verbrauch wird dann zu 47 Prozent durch erneuerbare Energien gedeckt, darunter 25 Prozent Windenergie.

Mit »Wind on the Grid« wurde jetzt eines der größten EU-Projekte zur Netzintegration abgeschlossen: Europäische Unternehmen aus Industrie und Forschung haben auf der iberischen Halbinsel untersucht, wie sich Windparks im großen Umfang sicher in das europäische Stromnetz einbinden lassen. Um den Netzbetreibern das Erfassen, Steuern und die Vorhersage der Windenergie zu ermöglichen, hat das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES sein Wind Farm Cluster Management System, kurz WCMS, und sein Wind Power Management System zur Verfügung gestellt und um neue Funktionen ergänzt. Mit den Software-Paketen konnten die Forscher in Portugal fünf Windparks mit 204 Megawatt und in Spanien sechs Anlagen mit 107 Megawatt Leistung in Echtzeittests bei unterschiedlichen Wetterbedingungen ins Stromnetz integrieren. »Mit dem WCMS wurden die verstreut liegenden Windparks zu einem Cluster zusammengefasst und von der Leitwarte der jeweiligen Netzbetreiber zentral gesteuert. Während das Wind Farm Cluster Management System die Frequenz- und die Spannungsleistung im elektrischen Netz stabil hält und für einen sicheren Netzbetrieb sorgt, berechnet die Prognosesoftware Wind Power Management System mit Hilfe von künstlichen neuronalen Netzen auf Grundlage von Wettervorhersagen die zu erwartende Windleistung,« erläutert Dr. Kurt Rohrig, Abteilungsleiter am Kasseler Institutsteil des IWES. Prinzipiell gilt: Einzelne Windanlangen weisen hohe Schwankungen der erzeugten Leistung auf. Je mehr Windparks sich zu einem Cluster zusammenfassen lassen, desto eher können Windböen und -flauten ausgeglichen werden. Und: Je mehr Anlagen installiert sind, desto günstiger wird der Strompreis. »Heute liegt der Strompreis für Windenergie bei sieben Cent pro Kilowattstunde. An guten Standorten beträgt er fünf Cent. 2025 wird er im Mittel bei vier Cent rangieren,« prognostiziert Rohrig.

Derzeit verhandeln die Wissenschaftler mit dem Netzbetreiber in Portugal, ob ihr System dort in die Leittechnik integriert werden kann. »Langfristig werden Windanlagen konventionelle Kraftwerke ersetzen,« ist Rohrig überzeugt.

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Meister der Selbstheilung

Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft vom 31.03.2010

Wissenschaftler haben in Plattwürmern ein viel versprechendes Werkzeug für die Stammzellforschung entdeckt

Neuer Kopf gefällig? Kein Problem! Einfach den alten abschneiden und schon wächst der nächste nach. Was nach Science Fiction klingt, klappt seit Tausenden von Jahren. Jedenfalls beim Plattwurm Schmidtea mediterranea: Ob man ihn köpft oder in hundert Teile schneidet – stets wächst das Fehlende nach. Spätestens nach zwei Wochen ist aus jedem Schnipsel ein neues Tier entstanden. Unklar ist noch, wie der Wurm das macht. Forscher vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster haben jetzt jedoch ein Protein entdeckt, das bei der beeindruckenden Heilung eine Schlüsselrolle spielt – und erstaunlicherweise in verwandter Form auch beim Mensch vorkommt. Über den Fund berichtet das Team um Luca Gentile und Hans Schöler in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Development (01. April 2010).

Schon vor über 100 Jahren weckte die erstaunliche Selbstheilungsfähigkeit der Plattwürmer das Interesse von Wissenschaftlern, trotzdem nahmen noch bis vor wenigen Jahren nur wenige Biologen von ihnen Notiz. Denn obwohl Plattwürmer, auch Planarien genannt, sich auf bemerkenswerte Weise regenerieren können, tappten die Forscher bei ihrer Suche nach dem Grund für diese Fähigkeit lange im Dunkeln.

Erst mit der Etablierung moderner Techniken, wie der Stilllegung von Genen durch RNAInterferenz, sind die wenige Millimeter bis Zentimeter großen Tiere inzwischen zu einem spannenden Objekt der Stammzellforschung avanciert. Denn während der letzen Dekade ist klar geworden, warum Planarien über so ein phänomenales System zur Regeneration verfügen: Im ganzen Körper verteilt haben sie Zellen, die so wandlungsfähig sind wie embryonale Stammzellen. Die so genannten Neoblasten machen bei erwachsenen Tieren 20 bis 30 Prozent aller Körperzellen aus. Anders als die berühmten Alleskönner aus Embryonen von Mensch und Maus können sich Stammzellen des Plattwurms jedoch zeitlich unbegrenzt selbst vermehren und alle Zellen des Körpers bilden – Nerven- und Muskelzellen, Haut- und Darmzellen und sogar Keimzellen und verleihen dem Plattwurm somit Unsterblichkeit.

Bereits vor einigen Jahren haben Wissenschaftler damit begonnen, nach Faktoren zu suchen, die Plattwürmern diese beeindruckende Regenerationsfähigkeit verleihen. So sind sie zum Beispiel auf etliche Gene im Erbgut der Würmer gestoßen die für den Erhalt der Stammzellen und der Regenerationsfähigkeit notwendig sind.

Doch keiner der bislang davon untersuchten Faktoren funktionierte wie ein Generalschalter der Zellteilung, welche im Plattwurm auf die Stammzellen beschränkt ist. Egal, welches Gen oder Protein Forscher mit Hilfe molekularbiologischer Tricks lahm gelegt hatten – fast immer waren die Neoblasten noch in der Lage, zumindest jenen ungeordneten Zellhaufen zu bilden, mit dem jede Regeneration im Wunderwurm beginnt, das so genannte Blastem. Aus diesem Zellhaufen, der zu Beginn völlig unstrukturiert erscheint, gehen wenige Tage nach der Verletzung alle neuen Gewebe hervor. Tatsächlich „wissen“ die Zellen des Blastems bereits nach einem Tag Regeneration bereits, ob aus ihnen später Haut, Sinneszellen oder Stützgewebe wird.

Luca Gentile und seinen Kollegen ist jetzt jedoch ein entscheidender Erfolg gelungen. Mit einem ausgeklügelten Verfahren, der RNA Interferenz, stoppten die Münsteraner Wissenschaftler in den Zellen der Tiere gezielt die Produktion eines Proteins namens „Smed-SmB“. Und siehe da: Schon kurz nach der Behandlung kam die Regenerationsfähigkeit komplett zum Erliegen. Die Neoblasten hörten auf sich zu teilen und waren deshalb nicht mehr in der Lage, in amputierten Tieren auch nur ansatzweise noch ein Blastem zu bilden.

Der plötzliche Nachschub-Stopp setzte allerdings nicht nur verletzten Tieren zu. Zwar schienen die Würmer noch einige Tage lang lebensfähig. Doch zwei bis vier Wochen nach der Behandlung waren auch sie verendet. Der Grund: Wie die Haut-, Leber- und Darmzellen des Menschen, sind auch die ausgereiften Zellen von Plattwürmern einem ständigen, physiologischen Verschleiß unterworfen, der regelmäßig durch neu gebildete Zellen ausgeglichen werden muss. Smed-SmB, so Gentile, ist bisher das erste Gen, für das der Nachweis erbracht werden konnte, dass sein Abschalten mittels RNA-Interferenz ganz gezielt die Teilungsfähigkeit der Stammzellen des Plattwurms stoppt.

Der neu entdeckte Generalschalter, so Gentile, könnte sich bald als ein wertvolles Werkzeug der Stammzellforschung erweisen. „Viele Mechanismen der Gewebereparatur sind bis heute weitgehend unverstanden. Mit Smed-SmB haben wir jedoch die Möglichkeit, endlich mehr Licht in die ‚Black box‘ der Regeneration zu bringen.“

Erstmals haben MPI-Forscher mit dem Knockdown von Smed-SmB nämlich nicht nur die Möglichkeit, die Teilungsfähigkeit von pluripotenten Stammzellen gezielt in einem lebenden Organismus auszuschalten ohne – wie bei den bisher verfügbaren Verfahren – auch anderen Körperzellen zu schaden.

„Plattwürmer“, erläutert Gentile, „sind auch eine der ganz wenigen Tierarten, in denen wir das Schicksal von pluripotenten Stammzellen statt in der Kulturschale direkt im lebenden Organismus und sogar in erwachsenen Tieren untersuchen können.“

Ihre enorme Regenerationsfähigkeit unterscheidet Planarien von den viel berühmteren „Haustieren“ der Genetik – der Fruchtfliege Drosophila melanogaster und dem nicht mit Plattwürmern verwandten Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Beide haben Forschern in den vergangenen Jahrzehnten als Modellorganismen zwar grundlegende Einblicke in die Biologie der Entwicklung eines Organismus vom Ei zum erwachsenen Tier geliefert. Doch weder Fliege noch Fadenwurm besitzen die Fähigkeit, verloren gegangene Zellen, Gewebe oder gar ganze Organe zu regenerieren.

Wenn es um die Suche nach Regenerationsmechanismen geht, die sich zum Teil über Jahrmillionen in der Evolution erhalten haben, sind Planarien daher klar im Vorteil. Sie sind die unbestrittenen Meister der Regeneration.

Wissenschaftler hoffen daher, dass sich aus den Experimenten mit Plattwürmern künftig auch wichtige Erkenntnisse für den Menschen ziehen lassen. Ob und in welcher Form das möglich sein wird, ist bislang schwer abzuschätzen. Fest steht nur: Das Erbguts des Homo sapiens‘ ähnelt dem des unscheinbaren Plattwurms mehr, als mancher glauben mag: Rund drei Viertel jener Gene, die in seinen Zellen aktiv sind, ähneln denen von uns. Und SmB verrichtet auch im Menschen seinen Dienst.

Originalveröffentlichung:
Enrique Fernandéz-Taboada, Sören Moritz, Dagmar Zeuschner, Martin Stehling, Hans R. Schöler, Emili Saló, Luca Gentile
Smed-SmB, a member of the LSm protein superfamily, is essential for chromatoid body organization and planarian stem cell proliferation
Development, 01. April 2010, doi:10.1242/dev.042564

Externer Link: www.mpg.de

Trügerisches Modell

Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft vom 04.03.2010

Stammzellen von Mensch und Maus unterscheiden sich stärker als vermutet – neue Studie stellt Forschungsvorgaben in Frage

Sie gelten als wichtigster Modellorganismus für die Erkundung der menschlichen Biologie: Obwohl Mäuse ganz anders aussehen, ähnelt ihre Grundausstattung der des Homo sapiens in vielerlei Hinsicht. Für beeindruckende 99 Prozent der Maus-Gene etwa gibt es eine entsprechende Sequenz im menschlichen Erbgut. So kommt es auch, dass das Gesetz Wissenschaftlern hierzulande nur erlaubt, mit menschlichen embryonalen Stammzellen zu forschen, wenn sie ihre Fragen so weit wie möglich an tierischen Zellen „vorgeklärt“ haben. Doch solche Tests sind häufig nutzlos – und führen mitunter sogar in die Irre, wie eine aktuelle Untersuchung von Forschern um Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster zeigt. (Cell Stem Cell, 5. März 2010)

Seit Jahren rätseln Wissenschaftler, wie weit sich Erkenntnisse aus Untersuchungen an embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) von Mäusen auf den Menschen übertragen lassen. Zwar sind sowohl humane als auch Maus-ES-Zellen pluripotent. Das heißt, sie sind in der Lage, jeden der über 200 Zelltypen des Körpers zu bilden. Auch ist in beiden Arten von Zellen zum Beispiel der so genannte Transkriptionsfaktor Oct4 aktiv. Jenes Gen also, das für die Aufrechterhaltung von Pluripotenz unerlässlich ist und sowohl Eizellen als auch embryonale Stammzellen und frühe Embryonen potentiell unsterblich macht.

In anderen Punkten aber, so weiß man seit längerem, unterscheiden sich ES-Zellen von Mensch und Maus ganz erheblich. Bestimmte Signalstoffe zum Beispiel, mit denen man Maus-Zellen dazu anregen kann, sich zu Leber-, Nerven- oder Muskelzellen zu entwickeln, rufen in menschlichen ES-Zellen keine oder ganz andere Wirkungen hervor.

Die Gründe dafür sind noch unklar. 2007 gelang es jedoch zwei Forscherteams, eine viel versprechende, neue Art von pluripotenten Zellen aus Embryonen von Mäusen zu isolieren (s. Brons und Kollegen, Nature 448, 2007). Auch diese so genannten Epiblast-Stammzellen (EpiSC) sind pluripotent. Sie stammen jedoch aus einem späteren Stadium der Embryonalentwicklung: Sie werden nicht (wie „klassische“ ES-Zellen) aus einem wenige Tage alten Embryo im Stadium einer Blastozyste gewonnen, sondern aus einem Embryo, der sich gerade in der Gebärmutter eingenistet hat und der als Epiblast bezeichnet wird.

Das Erstaunliche daran: Obwohl Epiblast-Stammzellen in ihrer Entwicklung eigentlich schon einen Schritt weiter sind, schienen sie den ES-Zellen des Menschen stärker zu ähneln als „klassische“ ES-Zellen der Maus. Sowohl Epiblast-Stammzellen als auch humane ES-Zellen lassen sich zum Beispiel unter Zugabe eines bestimmten Hormons, dem Wachstumsfaktor FGF2, züchten und in ihrem Alleskönner-Zustand halten. „In der allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion wurden Epiblast-Stammzellen der Maus daher humanen ES-Zellen quasi gleich gesetzt“, sagt Boris Greber, der Erst-Autor der Studie.

Unterschiedliche Wirkung von Signalmolekülen

Doch der Biochemiker wollte es genauer wissen. Er und seine Kollegen haben deshalb in ihrer jüngsten Studie untersucht, wie Maus-Epiblast- und menschliche embryonale Stammzellen auf verschiedene Wachstumsfaktoren und Hemmstoffe reagieren. Und siehe da: Beide Arten von Zellen unterschieden sich in einem zentralen Punkt. Während der Wachstumsfaktor FGF die Selbsterneuerung der menschlichen ES-Zellen aktiv unterstützte, war dies bei Epiblast-Zellen der Maus eben nicht der Fall.

„Das heißt letztlich, dass viele Voruntersuchungen an tierischen Zellen gerade bei medizinisch relevanten Projekten unter Umständen nicht nur nichts nützen. Die Ergebnisse aus solchen Vorab-Tests können sogar irreführend sein.“ Auch künftig, so Schöler, seien menschliche ES-Zellen für die Stammzellforschung daher unverzichtbar. „Die jüngsten Erfolge auf dem Gebiet der Reprogrammierung von ausgereiften menschlichen Körperzellen erzeugen mitunter den Eindruck, dass Versuche mit menschlichen ES-Zellen inzwischen überflüssig sind. Aber dieser Eindruck täuscht.“ Weder die Techniken zur Reprogrammierung noch zur zielgerichteten Differenzierung von Zellen seien bislang ausgereift.

Menschliche Stammzellen bleiben unverzichtbar

Nur ein Bruchteil der Zellen, die die Forscher mit ihren Rezepten behandeln, weist anschließend die richtigen Eigenschaften auf. Und nur durch aufwändige, langwierige Tests lassen sich die erfolgreich umgewandelten Zellen unter einer Vielzahl von unvollständig reprogrammierten Zellen identifizieren. „Unsere jüngste Studie belegt, dass tierische Modellsysteme für etliche solcher Tests unzulänglich sind“, sagt Schöler. „Gerade, wenn es darum geht, sichere und wirksame Stammzelltherapien zu entwickeln, werden wir auch künftig humane ES-Zellen als Goldstandard zum Vergleich brauchen. Lange Voruntersuchungen an tierischen Zellen bergen in diesen Fällen die Gefahr, dass wir wertvolle Zeit und Ressourcen vergeuden.“ [JMK]

Originalveröffentlichung:
Boris Greber, Guangming Wu, Christof Bernemann, Jin Young Joo, Dong Wook Han, Kinarm Ko, Natalia Tapia, Davood Sabour, Jared Sterneckert, Paul Tesar, Hans R. Schöler
Conserved and divergent roles of FGF signaling in mouse epiblast stem cells and human embryonic stem cells
Cell Stem Cell, 5. März 2010, doi:10.1016/j.stem.2010.01.003

Externer Link: www.mpg.de