THI-Studierende konstruieren innovative Agri-Photovoltaikanlage

Pressemitteilung der TH Ingolstadt vom 27.10.2022

Projekt zeigt gute Wirtschaftlichkeit der vertikalen Agri-Photovoltaikanlage (PV) mit bifacialen Modulen.

Neun Studierende der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) haben in einem Pilotprojekt eine vertikale Agri-PV-Anlage konstruiert und untersucht – in Kooperation mit Schletter Solar aus Kirchdorf sowie den Energieanbietern E.ON Deutschland und LEW Lechwerke aus Augsburg. Verwendet wurden für das Semesterprojekt bifaciale, also zweiseitige Module. Sie können auch Sonnenlicht, welches auf die Modulrückseite einstrahlt, in Strom umwandeln.

Bei einer vertikalen Agri-PV-Anlage werden diese Module als senkrechte Wand montiert, die in Nord-Südrichtung verläuft. Die eine Modulseite ist dadurch nach Osten ausgerichtet und erzeugt ab früh morgens bis zum späten Vormittag Strom, die Rückseite der Module liefert vom frühen Nachmittag bis abends ihren Beitrag. „In Summe kann eine solche Anlage sogar mehr Strom als eine übliche, nach Süden ausgerichtete Freiflächen-Photovoltaikanlage gleicher Leistung produzieren“, sagt Sigrid del Rio, PV-Projektleiterin bei LEW Lechwerke, die bereits seit letztem Jahr eine Testanlage ähnlicher Bauart betreiben. Thomas Pellkofer, Leiter Solarprojekte bei E.ON Deutschland, fügt hinzu: „Vertikale Agri-PV-Anlagen mit Nord-Süd-Ausrichtung können eine sinnvolle Ergänzung für die Stromversorgung sein, weil sie vor allem morgens und abends Strom erzeugen, während klassische Südsolaranlagen ihr Ertragsmaximum mittags erreichen. Morgens und abends produzierter Sonnenstrom trifft daher auch oft auf eine höhere Nachfrage an der Strombörse.“

Das zeigen auch die Berechnungen der Studierenden, wie Prof. Dr. Peter Weitz, Betreuer der Studierenden an der Technischen Hochschule Ingolstadt, berichtet: „Im Jahresmittel ergeben sich fast zehn Prozent Mehrerlös für den mit dieser Anlage zu Tagesrandzeiten erzeugten Strom. Dieser Mehrerlös wird in der Zukunft durch den geplanten Zubau klassischer PV-Anlagen und dem damit verbundenen größeren Angebot von Solarstrom zur Tagesmitte sogar noch steigen“, ist sich Prof. Dr. Peter Weitz sicher.

Da die Flächen zwischen den Modulreihen weiter landwirtschaftlich genutzt werden können – bevorzugt für Futterwiesen und Weiden, wie die Studierenden herausgefunden haben –, erhalten solche vertikalen Agri-PV-Anlagen durch die EEG-Novelle 2022 auf fast allen landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland eine EEG-Vergütung. „Die ausgeklügelte Konstruktion der Studierenden ist geringfügig teurer als eine übliche Südanlage, auch durch die hohen Windlasten und eine aufwändigere Verkabelung,“ erklärt Dr. Cedrik Zapfe, CTO bei Schletter. Seiner Ansicht nach überkompensiert der höhere Verkaufspreis des Stroms die Mehrkosten deutlich, sodass sich eine bessere Wirtschaftlichkeit ergibt. Schletter Solar wird daher nächstes Jahr die Unterkonstruktion für eine vertikale PV-Anlage im Markt anbieten; die Nachfrage steigt deutlich.

Neben der Wirtschaftlichkeit stand auch der Beitrag zur Energiewende im Fokus des Projektes. Prof. Dr. Peter Weitz zeigt den Zusammenhang auf: „Die Solarstromerzeugungslücke morgens und abends von südausgerichteten PV-Anlagen könnte mit Stromspeicherung geschlossen werden.“ Es ist viel nachhaltiger, Strom zu diesem Zeitpunkt direkt mit vertikalen Agri-PV-Anlagen zu erzeugen; kostbare und teure Speicherkapazitäten werden so für die Nachtstunden reserviert. Eine erfolgreiche Energiewende verlangt auch, Erzeugung und Verbrauch zeitlich anzugleichen. Dies bedeutet Lastverschiebung – wie Elektroautos tagsüber zu laden –, aber ebenso die Verschiebung des Erzeugungszeitpunkts.

Externer Link: www.thi.de

Mit vereinten Kräften – Blitzschnelles 3D-Mikrodrucken mit zwei Lasern

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 14.10.2022

Forschende des Exzellenzclusters „3D Matter Made to Order“ drucken Mikrostrukturen durch Kreuzen roter und blauer Laserstrahlen – Veröffentlichung in Nature Photonics

Objekte aus Kunststoff präzise, schnell und kostengünstig zu drucken, ist das Ziel vieler 3D-Druckverfahren. Geschwindigkeit und hohe Auflösung sind jedoch nach wie vor eine technologische Herausforderung. Ein Forschungsteam des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), der Universität Heidelberg und der Queensland University of Technology (QUT) ist diesem Ziel ein großes Stück nähergekommen. Es entwickelte ein Laserdruckverfahren, mit dem mikrometergroße Teile innerhalb eines Wimpernschlags gedruckt werden können. Die Arbeit veröffentlichte das internationale Team in Nature Photonics.

Der 3D-Druck im Stereolithographie-Verfahren ist derzeit eines der beliebtesten additiven Fertigungsverfahren für Kunststoffe, sowohl für private als auch für industrielle Anwendungen. Bei der Stereolithografie werden die Schichten eines 3D-Objekts nacheinander in einen mit Harz gefüllten Behälter projiziert. Das Harz wird durch UV-Licht gehärtet. Bisherige Stereolithografie-Verfahren sind jedoch langsam und haben eine zu geringe Auflösung. Der von den Forschenden des KIT eingesetzte 3D-Lichtblattdruck (engl. Light-Sheet 3D Printing) ist eine schnelle und hochauflösende Alternative.

3D-Druck mit zwei Farben in zwei Stufen

Beim „Light-Sheet-3D-Druck“ wird blaues Licht in einen Behälter projiziert, der mit einem flüssigen Harz gefüllt ist. Durch das blaue Licht wird das Harz voraktiviert. In einer zweiten Stufe liefert ein roter Laserstrahl die zusätzliche Energie, die zum Aushärten des Harzes erforderlich ist. Schnell drucken lassen sich aber im 3D-Druck nur Harze, die rasch aus dem voraktivierten Zustand in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren. Erst dann kann die nächste Schicht gedruckt werden. Die Rückkehrzeit diktiert folglich die Wartezeit zwischen zwei aufeinander folgenden Schichten und damit die Druckgeschwindigkeit. „Bei dem Harz, das wir verwendet haben, betrug die Rückkehrzeit weniger als 100 Mikrosekunden, was hohe Druckgeschwindigkeiten ermöglicht“, so Erstautor Vincent Hahn vom Institut für Angewandte Physik (APH) des KIT.

Mikrometergroße Strukturen in nur einem Wimpernschlag

Um die Vorteile dieses neuen Harzes zu nutzen, haben die Forschenden einen speziellen 3D-Drucker gebaut. In diesem Drucker werden blaue Laserdioden verwendet, um Bilder mithilfe eines hochauflösenden Displays mit hoher Bildfrequenz in das flüssige Harz zu projizieren. Der rote Laser wird zu einem dünnen „Lichtblatt“-Strahl geformt und kreuzt den blauen Strahl senkrecht im Harz. Mit dieser Anordnung konnte das Team mikrometergroße 3D-Teile in wenigen hundert Millisekunden, also in einem Wimpernschlag, drucken. Dabei soll es jedoch nicht bleiben: „Mit empfindlicheren Harzen könnten wir sogar LEDs statt Laser in unserem 3D-Drucker einsetzen“, sagt Professor Martin Wegener vom APH. „Letztlich wollen wir zentimetergroße 3D-Strukturen drucken und dabei die Auflösung im Mikrometerbereich und die hohe Druckgeschwindigkeit beibehalten.“

Die Publikation entstand im Rahmen des gemeinsamen Exzellenzclusters „3D Matter Made to Order“ des KIT und der Universität Heidelberg. Beteiligt seitens der Universität Heidelberg war Juniorprofessorin Dr. Eva Blasco, Leiterin einer Arbeitsgruppe am Organisch-Chemischen Institut und am Institute for Molecular Systems Engineering and Advanced Materials. (rli)

Originalpublikation:
V. Hahn, P. Rietz, F. Hermann, P. Müller, C. Barner-Kowollik, T. Schlöder, W. Wenzel, E. Blasco, and M. Wegener: Light-sheet three-dimensional microprinting via two-colour two-step absorption. Nature Photonics, 2022. DOI: 10.1038/s41566-022-01081-0

Externer Link: www.kit.edu

Neuer Gebärmutterhalskrebs-Test erkennt Krebsvorstufen Jahre im Voraus

Medieninformation der Universität Innsbruck vom 19.10.2022

Ein neu entwickelter Test erkennt frühe Krebsvorstufen am Gebärmutterhals. Dieses Verfahren funktioniert besser als derzeit verfügbare Methoden und erkennt die Veränderungen bereits Jahre vor der Krebsentstehung. Entwickelt wurde der Test unter der Leitung von Martin Widschwendter, Professor für Krebsprävention und Screening an der Universität Innsbruck. Der neue Test ist Teil eines Forschungsprogrammes welches ermöglichen soll, durch einen einzelnen Gebärmutterhalsabstrich das Erkrankungsrisiko für vier Krebsarten (Brust-, Eierstock-, Gebärmutterkörper- und Gebärmutterhalskrebs) vorherzusagen.

Die heute in der Fachzeitschrift Genome Medicine veröffentlichte Studie berichtet über eine neue, sensiblere und aussagekräftigere Methode der Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung – den WID-CIN Test – mit der Krebsvorstufen des Gebärmutterhalses zuverlässig identifiziert oder vorhergesagt werden können. Aktuell besteht die Früherkennung des Gebärmutterhalskrebs in Österreich aus Untersuchung mikroskopischer Veränderungen der Zellen des Gebärmutterhalses. Der neue Test erkennt Krebsvorstufen jedoch bereits, wenn mikroskopisch noch keine Veränderungen sichtbar sind und könnte somit ein gezielteres Screening ermöglichen. Die Methode wurde von Martin Widschwendter, Professor für Krebsprävention und Screening an der Universität Innsbruck und dem University College London, seinem Team und Mitarbeiter*innen des Karolinska Instituts in Stockholm entwickelt.

Test untersucht DNA-Methylierung

Die Studie ist Teil eines umfassenden Forschungsprogramms, in dessen Rahmen ein Screeningtest für alle frauenspezifischen Krebserkrankungen anhand einer einzelnen Probe entwickelt wird. Dieser Test soll anhand verschiedener molekularer Signaturen somit das künftige Risiko für vier Krebsarten, Brust-, Eierstock-, Gebärmutterkörper- und Gebärmutterhalskrebs, vorhersagen.

Der neue WID-CIN Test ist Teil des überspannenden Tests und untersucht die DNA-Methylierung von Gebärmutterhalszellen. Bei der DNA-Methylierung handelt es sich um eine Veränderung des Erbguts, die von Umweltfaktoren beeinflusst werden kann. Diese teilt den Zellen mit, welche Teile des genetischen Codes sie ablesen sollen. Diese sogenannten epigenetischen Veränderungen können das Risiko für bestimmte Krankheiten wie Krebs erhöhen. Die Forscher*innen wollen damit nicht nur die Vorstufen von Krebs erkennen, sondern auch zukünftiges Krebsrisiko vorhersagen.

Wie Vorsorgeuntersuchungen in Österreich funktionieren

In Österreich können sich aktuell Frauen jährlich einer Gebärmutterhalsuntersuchung unterziehen. Bei diesem Screening wird vom Gebärmutterhals mit einer weichen Bürste ein Zellabstrich entnommen. Die in der Probe enthaltenen Zellen werden unter dem Mikroskop auf Veränderungen untersucht, die unbehandelt zu Krebs führen können. Mit diesem Test („Zytologie“, für Zelluntersuchung), werden abnorme Zellen am Gebärmutterhals erkannt. Frauen mit Zellveränderungen werden zu Folgeuntersuchungen eingeladen und von einem*er Spezialisten*in mit einem Kolposkop, einem Instrument, das die Ansicht des Gebärmutterhalses vergrößert, genau untersucht. Anders als in Österreich wird in anderen westlichen Ländern häufig zuerst ein Test auf das Gebärmutterhalskrebs verursachende Virus – das humane Papillomavirus (HPV) – durchgeführt. Bei positivem Ergebnis folgt dann eine Zytologie.

Falls Zellveränderungen (cervikale intraepitheliale Neoplasien – CIN) gefunden werden, wird der Grad der Veränderung bestimmt (1-3). Frühe Zellveränderungen (CIN1 und 2) bilden sich oft spontan zurück. Deswegen werden vorerst nur engmaschigere Untersuchungen durchgeführt, bis sich die Zellen wieder normalisiert haben oder eine Behandlung erforderlich ist. Bei hochgradigen Zellveränderungen (CIN3) werden bei betroffenen Frauen die veränderten Zellen mit einem Verfahren namens LLETZ („Large loop excision of the transformation zone“) entfernt, bei dem die abnormen Zellen entfernt werden, bevor sie sich zu einem invasiven Krebs entwickeln können.

Herkömmliche Methoden werden übertroffen

Der neu entwickelte WID-CIN Test übertraf die Zytologie und Ergebnisse deuten darauf hin, dass er auch andere neue, bereits verfügbare molekulare Tests zur Erkennung von Frauen mit CIN3 und Krebs an Genauigkeit übertrifft. Der WID-CIN Test stellt somit einen deutlichen Fortschritt in der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs dar. Insbesondere erkannte der Test mehr als die Hälfte der HPV-infizierten Frauen (55%), die aktuell noch gar keine sichtbaren Zellveränderungen hatten, aber bei denen sich innerhalb der folgenden vier Jahre eine ausgeprägte Krebsvorstufe (CIN3) entwickelte. Im Rahmen der Studie untersuchten die Forscher*innen 1 254 Gebärmutterhals-Screening-Proben. Diese stammten aus dem Gebärmutterhals-Screening-Programm in der schwedischen Region Stockholm und wurden im Karolinksa Center for Cervical Cancer Elimination (Stockholm, Schweden) aufbewahrt. Die Proben stammten von Frauen mit Zellveränderungen von CIN1 bis CIN3, von Frauen mit HPV, aber ohne Zellveränderungen im Gebärmutterhals, und von Proben von Frauen ohne Zellveränderungen im Gebärmutterhals, die innerhalb von vier Jahren CIN3 entwickelten.

Das Forschungsteam geht nun in die nächste Phase der Studie, in der es die neue Technologie an Screening-Proben von Frauen, die gegen HPV geimpft wurden, testen wird. Durch die HPV-Impfung gegen krebsverursachende Subtypen wird zwar das Vorkommen von Gebärmutterhalskrebs drastisch reduziert. Allerdings können auch andere Subtypen Krebs verursachen, welche nicht durch aktuelle Tests erkannt werden. Der neue WID-CIN Test erkennt Krebsvorstufen anhand krebsassoziierter epigenetischer Veränderungen und könnte somit HPV-typenübergreifend alle Krebsvorstufen erkennen.

Externer Link: www.uibk.ac.at

Kernfusion: Neue Lösung für Instabilitätsproblem

Presseaussendung der TU Wien vom 11.10.2022

Für Fusionsreaktoren wie ITER sind Plasma-Instabilitäten eine große Herausforderung. Ein Forschungsteam rund um die Kernfusionsgruppe der TU Wien fand nun eine vielversprechende Lösung.

Kernfusionskraftwerke könnten unsere Energieprobleme eines Tages nachhaltig lösen – doch immer noch ist kein kommerzieller Kernfusionsreaktor in Betrieb. Um Fusionsreaktionen zu realisieren, muss das Plasma im Zentrum sehr heiß sein (ca. 100 Mio °C), gleichzeitig darf die Wand des Reaktors nicht schmelzen. Der Rand des Plasmas muss also gut von der Reaktorwand isoliert sein. In diesem Bereich kommt es allerdings immer wieder zu sogenannten Plasma-Instabilitäten. Dabei werden kurzzeitig energiereiche Teilchen an die Wand des Reaktors geschossen, die dadurch beschädigt werden kann. Diese Instabilitäten sind eines der wichtigsten Hindernisse auf dem Weg zu einem kommerziellen Reaktor.

Nun konnte das Kernfusions-Team der TU Wien zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching (Deutschland) zeigen: Es gibt einen Betriebsmodus für Fusionsreaktoren, der dieses Problem vermeidet. Statt großer potenziell zerstörerischer Instabilitäten nimmt man ganz bewusst viele kleine Instabilitäten in Kauf, die für den Reaktor kein Problem darstellen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review Letters“ als Editors‘ Suggestion publiziert.

Die Renaissance einer verworfenen Betriebsart

In einem torusförmigen Tokamak-Fusionsreaktor bewegen sich die ultraheißen Plasmateilchen mit hoher Geschwindigkeit. Mächtige Magnetspulen sorgen dafür, dass die Teilchen eingesperrt bleiben anstatt mit zerstörerischer Wucht auf die Wand des Reaktors zu treffen. „Perfekt von der Reaktorwand isolieren möchte man das Plasma aber auch nicht, schließlich muss neuer Brennstoff zugeführt und das bei der Fusion entstandene Helium abtransportiert werden“, erklärt Friedrich Aumayr, Professor für Ionen- & Plasmaphysik am Institut für Angewandte Physik der TU Wien.

Die Details der Dynamik im Inneren des Reaktors sind kompliziert: Die Bewegung der Teilchen hängt von Plasmadichte, Temperatur und Magnetfeld ab. Je nachdem, wie man diese Parameter wählt, sind unterschiedliche Betriebsarten möglich. In einer jahrelangen Zusammenarbeit zwischen der Gruppe von Friedrich Aumayr an der TU Wien und dem IPP Garching koordiniert durch Elisabeth Wolfrum (Gruppenleiterin am IPP Garching und TU Wien Professorin) wurde nun ein neuartiger Betriebsmodus entwickelt und gezeigt, dass dieser besonders zerstörerische Plasmainstabilitäten (genannt Typ-I ELMs) verhindern kann.

Schon vor einigen Jahren zeigten Experimente: Wenn man durch die Magnetspulen das Plasma leicht verformt, sodass der Plasmaquerschnitt nicht mehr elliptisch aussieht, sondern eher an ein abgerundetes Dreieck erinnert, und wenn man gleichzeitig die Dichte des Plasmas speziell am Rand erhöht, dann lassen sich die gefürchteten Typ-I ELMs verhindern.

„Zunächst dachte man aber, das sei ein Szenario, das nur in den momentan laufenden kleineren Maschinen wie ASDEX Upgrade (IPP Garching) auftritt und für einen großen Reaktor irrelevant ist“, erklärt Lidija Radovanovic, die derzeit an der TU Wien an ihrer Dissertation zu diesem Thema arbeitet. „Mit neuen Experimenten und Simulationen konnten wir aber nun zeigen: Die Betriebsart kann auch in für Reaktoren wie ITER vorgesehenen Parameterbereichen die gefährlichen Instabilitäten verhindern.“

Wie ein Topf mit Deckel

Durch die dreieckige Form des Plasmaquerschnitts und das gezielte Einblasen zusätzlicher Teilchen am Rand treten viele kleine Instabilitäten auf – und zwar mehrere tausend Mal pro Sekunde. „Diese kleinen Teilchen-Bursts treffen die Wand des Reaktors schneller als die sich aufheizen und wieder abkühlen kann“, sagt Georg Harrer, Erstautor der Publikation, der zur weiteren Untersuchung des neuen Betriebsmodus einen zweijährigen EUROfusion Researcher Grant von der EU erhalten hat. „Daher spielen diese einzelnen Instabilitäten für die Reaktorwand keine große Rolle.“ Wie das Team durch detaillierte Simulationsrechnungen zeigen konnte, verhindern diese Mini-Instabilitäten aber die großen Instabilitäten, die sonst Schaden anrichten würden.

„Es ist ein bisschen wie bei einem Kochtopf mit Deckel, in dem das Wasser zu kochen beginnt“, erklärt Georg Harrer. „Wenn sich immer wieder Druck aufbaut, den Deckel hebt und der Dampf entweicht, dann wird der Deckel heftig klappern. Wenn man hingegen den Deckel leicht schräg stellt, dann kann kontinuierlich Dampf entkommen, aber der Deckel bleibt stabil und klappert nicht.“

Diese Fusionsreaktor-Betriebsart lässt sich in unterschiedlichen Reaktoren realisieren – nicht nur am ASDEX-Upgrade-Reaktor in Garching, Deutschland, sondern auch am derzeit in Bau befindlichen ITER in Frankreich oder auch in künftigen Fusionskraftanlagen wie DEMO. „Unsere Arbeiten stellen einen Durchbruch im Verständnis des Auftretens und der Verhinderung von großen Typ-I-ELMs dar“, sagt Elisabeth Wolfrum. „Die von uns vorgeschlagene Betriebsart ist wohl das vielversprechendste Szenario für zukünftige Fusionskraftwerksplasmen.“

Die beschriebene Forschung ist Teil des österreichischen Fusionsforschungsprogramms Fusion@ÖAW und wurde im Rahmen des EU-Projekts EUROfusion durchgeführt. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
G. F. Harrer, et al. „A quasi-continuous exhaust scenario for a fusion reactor: the renaissance of small edge localized modes” Physical Review Letters.

Externer Link: www.tuwien.at

Stromversorgung: Instabile Netze verstehen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 29.09.2022

Neue Leitungen können Stabilität verringern – Forschende präsentieren Vorhersageinstrument in der Zeitschrift Nature Communications

Eine nachhaltige Energieversorgung erfordert den Ausbau der Stromnetze. Neue Leitungen können aber auch dazu führen, dass Netze nicht wie erwartet stabiler, sondern instabiler werden. Das Phänomen nennt sich Braess-Paradoxon. Dieses hat nun ein internationales Team, an dem auch Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) beteiligt sind, erstmals für Stromnetze im Detail simuliert, in größerem Maßstab demonstriert und ein Vorhersageinstrument entwickelt. Es soll Netzbetreiber bei Entscheidungen unterstützen. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift Nature Communications.

Die nachhaltige Transformation des Energiesystems erfordert einen Ausbau der Netze, um regenerative Quellen einzubinden und Strom über weite Strecken zu transportieren. Dieser Ausbau verlangt große Investitionen und zielt darauf ab, die Netze stabiler zu machen. Durch das Aufrüsten bestehender oder das Hinzufügen neuer Leitungen kann es aber auch geschehen, dass das Netz nicht stabiler, sondern instabiler wird und es zu Stromausfällen kommt. „Wir sprechen dann vom Braess-Paradoxon. Dieses besagt, dass eine zusätzliche Option anstatt zur Verbesserung zur Verschlechterung der Gesamtsituation führt“, sagt Dr. Benjamin Schäfer, Leiter der Forschungsgruppe Datengetriebene Analyse komplexer Systeme (DRACOS) am Institut für Automation und angewandte Informatik des KIT.

Benannt ist das Phänomen nach dem deutschen Mathematiker Dietrich Braess, der es erstmals für Straßenverkehrsnetze erörterte: Unter bestimmten Bedingungen kann der Bau einer neuen Straße die Fahrzeit für alle Verkehrsteilnehmenden verlängern. Dieser Effekt wurde in Verkehrssystemen beobachtet und für biologische Systeme diskutiert, für Stromnetze aber bisher nur theoretisch prognostiziert und in sehr kleinem Maßstab dargestellt.

Forschende simulieren Stromnetz in Deutschland einschließlich geplanter Ausbauten

Das Phänomen haben die Forschenden um Schäfer nun erstmals im Detail für Stromnetze simuliert sowie in größerem Maßstab demonstriert. Sie nahmen eine Simulation des Stromnetzes in Deutschland einschließlich geplanter Verstärkungen und Ausbauten vor. Bei einem Versuchsaufbau im Labor, der das Braess-Paradoxon in einem Wechselstromnetz zeigt, beobachteten die Forschenden das Phänomen in der Simulation sowie im Experiment. Wesentlich dabei war eine Betrachtung von Kreisflüssen. Denn diese sind entscheidend, um das Braess-Paradoxon zu verstehen: Eine Leitung wird verbessert, indem beispielsweise der Widerstand verringert wird, und kann daraufhin mehr Strom transportieren. „Aufgrund von Erhaltungssätzen gibt es dadurch effektiv einen neuen Kreisfluss, und in manchen Leitungen fließt mehr, in anderen weniger Strom“, erläutert Schäfer. „Zum Problem wird dies, wenn die schon am meisten belastete Leitung nun noch mehr Strom führen muss, die Leitung damit überlastet wird und stillgelegt werden muss. Dadurch wird das Netz instabiler und bricht schlimmstenfalls zusammen.“

Intuitives Verständnis ermöglicht schnelle Entscheidungen

Die meisten Stromnetze verfügen über ausreichende Reservekapazitäten, um dem Braess-Paradoxon standzuhalten. Beim Bau neuer Leitungen und während des Betriebs prüfen die Netzbetreiber alle möglichen Szenarien. Wenn allerdings kurzfristig Entscheidungen zu treffen sind, beispielsweise um Leitungen stillzulegen oder Kraftwerksleistungen zu verschieben, genügt die Zeit nicht immer, um alle Szenarien durchzurechnen. „Dann bedarf es eines intuitiven Verständnisses von Kreisflüssen, um einschätzen zu können, wann das Braess-Paradoxons auftritt und so schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagt Schäfer. Zusammen mit einem internationalen und interdisziplinären Team hat der Wissenschaftler deshalb ein Vorhersageinstrument entwickelt, das Netzbetreiber dabei unterstützt, das Braess-Paradoxon bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der Forschung ermöglichten nun das theoretische Verständnis des Braess-Paradoxons und lieferten praktische Leitlinien, um Netzerweiterungen sinnvoll zu planen und die Stabilität des Netzes zu unterstützen, so Schäfer. (or)

Originalpublikation:
Benjamin Schäfer, Thiemo Pesch, Debsankha Manik, Julian Gollenstede, Guosong Lin, Hans-Peter Beck, Dirk Witthaut, and Marc Timme: Understanding Braess‘ Paradox in power grids. Nature Communications, 2022. DOI: 10.1038/s41467-022-32917-6

Externer Link: www.kit.edu