Wenn glatten Muskelzellen die Kraft fehlt

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 18.08.2022

Team der Universität Tübingen entdeckt an Mäusen, wie es zu Missbildungen der Blutgefäße kommen kann – Neue Einblicke in bestimmte Netzhauterkrankungen des Auges

Das Herz pumpt Blut durch das Gefäßsystem und versorgt die Zellen mit Sauerstoff und Energie. Die Feinregulierung des Blutflusses übernehmen glatte Muskelzellen in den Gefäßen. Wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllen können, kann es zu Fehlbildungen und Erweiterungen des Blutgefäßsystems kommen. Das hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Alfred Nordheim vom Interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Tübingen, Münster und dem schwedischen Uppsala im Tierversuch herausgefunden. Die neuen Studienergebnisse, die in der Fachzeitschrift Circulation Research veröffentlicht wurden, ließen sich experimentell auf ein Modell für eine bestimmte Netzhauterkrankung des Auges bei Frühgeborenen übertragen. Hier liefern die Studienergebnisse einen potenziellen Ansatz zu neuen Behandlungsmöglichkeiten.

In den arteriellen und venösen Blutgefäßen regeln glatte Muskelzellen durch gezieltes Zusammenziehen und Entspannen, wo mehr und wo weniger Blut hinfließt. Sie geben dem Gefäßnetzwerk außerdem die nötige Festigkeit, um dem Blutdruck standzuhalten. Im Experiment haben Alfred Nordheim und sein Team in Mäusen das Gen für den sogenannten Serum-Response-Faktor (SRF) inaktiviert, der das Kontraktionsvermögen der Zellen maßgeblich reguliert. „Das führte zu einer deutlichen Erweiterung der Blutgefäße und zu Gefäßmissbildungen“, berichtete Nordheim.

Verminderte Durchblutung

Bei den Missbildungen handele es sich um Direktverbindungen zwischen Arterien und Venen, erklärte der Forscher. „Die Arterien nehmen eine Abkürzung zu den Venen und umgehen dabei kleinste Mikrogefäße. Ähnliche Missbildungen sind auch bei bestimmten seltenen Blutgefäßkrankheiten beim Menschen bekannt. Unser Team konnte zeigen, dass durch solche Abkürzungen das umliegende Gewebe nur noch vermindert durchblutet wird.“ Durch die fehlende Festigkeit der glatten Muskelzellen sei es sogar teilweise zu Brüchen in den Gefäßen gekommen.

Gedankensprung zu einer weiteren Erkrankung

„Das neu gewonnene Wissen brachte uns außerdem auf die Spur einer ganz anderen Erkrankung, der sogenannten ischämischen Retinopathie. Das ist eine Netzhauterkrankung des Auges bei Frühgeborenen, die im schlimmsten Fall zur Erblindung führen kann“, berichtet der Erstautor der Studie Dr. Michael Orlich von der Universität Uppsala. Durch eine Überreaktion beim Wachstum der Blutgefäße komme es dabei zu krankhaften Veränderungen bestimmter Zellen, der Perizyten. „Die krankhaften Perizyten produzieren dabei unter anderem, ähnlich wie die glatten Muskelzellen, kontraktile Proteine“, erklärt Orlich. „Wir hatten nun erwartet, dass der Serum-Response-Faktor auch hier eine wichtige Rolle spielt. Außerdem nahmen wir anr, dass sich die Symptome der Netzhauterkrankung bessern, wenn die Überreaktion der Perizyten gedämpft wird.“

Seine Annahmen überprüfte das Forschungsteam experimentell an Mäusen, bei denen eine Erkrankung vergleichbar mit der ischämischen Retinopathie ausgelöst wurde. „Als wir den Serum-Response-Faktor in den Perizyten dieser Mäuse gezielt ausschalteten, nahmen die Krankheitssymptome ab“, fasst Orlich die Ergebnisse zusammen. So habe man einen potenziellen Ansatz für neue Behandlungsmöglichkeiten der ischämischen Retinopathien beim Menschen gewonnen.

Originalpublikation:
Michael M. Orlich, Rodrigo Diéguez-Hurtado, Regine Muehlfriedel, Vithiyanjali Sothilingam, Hartwig Wolburg, Cansu Ebru Oender, Pascal Woelffing, Christer Betsholtz, Konstantin Gaengel, Mathias Seeliger, Ralf H. Adams, and Alfred Nordheim: Mural Cell SRF Controls Pericyte Migration, Vessel Patterning and Blood Flow. Circulation Research

Externer Link: www.uni-tuebingen.de

Ein Kleid aus Fett und Zucker hilft Krebszellen sich auszubreiten

Medienmitteilung der Universität Basel vom 18.08.2022

Die Veränderung von Tumorzellen bei der Metastasierung hängt von bestimmten Molekülen auf der Zelloberfläche ab. Die Bedeutung dieser sogenannten Glykolipide bei der Ausbreitung von Eierstockkrebs hat ein internationales Team unter Basler Leitung entschlüsselt. Die Erkenntnisse könnten den Weg für neue Therapieansätze ebnen.

Der Eierstockkrebs gehört zu den tödlichsten Krebserkrankungen bei Frauen. Grund dafür ist vor allem, dass der Krebs bei den meisten Patientinnen erst im weit fortgeschrittenen Stadium erkannt wird, wenn er sich bereits im Bauchraum ausgebreitet hat. Leider ist dann die Heilungschance trotz Chemotherapie relativ gering.

Bei der Metastasierung müssen sich die Tumorzellen an neue Umgebungen anpassen und somit einen Übergang zwischen verschiedenen Zellstadien vollziehen. Diese Fähigkeit wird in Fachkreisen «Zellplastizität» genannt.

Oberflächenmoleküle ermöglichen Verwandlung

Frühere Studien haben gezeigt, dass eine bestimmte Klasse von Molekülen hier einen entscheidenden Beitrag leistet, die Glykolipide. Dabei handelt es sich um Moleküle, die aus einem Zucker- und einem Fettanteil bestehen. Sie kommen auf jeder Zelloberfläche vor und sind in verschiedenste zelluläre Kommunikationsprozesse involviert. Glykolipide «könnten möglicherweise aktiv die Zellplastizität von Tumorzellen beeinflussen», so Francis Jacob, Projektleiter am Departement Biomedizin, Universität Basel und Universitätsspital Basel.

Dieser Hypothese sind Francis Jacob und Prof. Dr. Viola Heinzelmann-Schwarz in einem von der Wilhelm Sander-Stiftung unterstützten Projekt nachgegangen. Beteiligt waren auch Forschende der Griffith Universität in Australien und der Medizinischen Hochschule Hannover. Im Fachblatt «Cell Reports» berichten die Forschenden, dass Tumorzellen die für die Metastasierung nötige Umwandlung nur eingeschränkt vollziehen können, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, Glykolipide herzustellen. Ausserdem stellten sie fest, dass es einen Zusammenhang zwischen Glykolipiden, Zellplastizität und Kalzium gibt.

Der Zucker-Code

Die Verbindung von Proteinen und Lipiden mit Glykanen, also Zuckerketten, verändere ihre Funktion und stelle vermutlich einen eigenen Code dar, vergleichbar mit dem Erbgut, erklärt Jacob. «Dieser Code ist so komplex, dass ein stetig wachsendes Feld von Forschenden weltweit versucht, diesen zu entschlüsseln.» Denkbar ist ferner, dass Glykolipide auch bei der Metastasierung anderer Krebsarten wie etwa Brustkrebs eine Rolle spielen.

Die gewonnenen Erkenntnisse wollen die Forschenden nun durch die Analyse weiterer Tumorproben vertiefen, um ein noch besseres Verständnis der Funktion der Glykolipide auf der Ebene einzelner Zellen und in der molekularen Umgebung innerhalb des Tumors zu erlangen. Das Wissen um die Rolle der Glykolipide könnte neue therapeutische Ansätze inspirieren, welche die Tumorausbreitung unterdrücken und so die Heilungschancen verbessern.

Für ihre Untersuchungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Heinzelmann-Schwarz und Jacob in den letzten Jahren eine internationale Gewebebank von mehr als 1500 Patientinnen mit gynäkologischen Tumorerkrankungen aufgebaut. Zudem ist das Team Teil des «Tumor Profiler»-Projekts, eines Netzwerks aus Forschungsgruppen mit dem Ziel, die molekularen Eigenschaften von Tumoren bis ins Detail zu beschreiben.

Originalpublikation:
Cumin et al.
Glycosphingolipids are mediators of cancer plasticity through independent signalling pathways.
Cell Reports, doi: 10.1016/j.celrep.2022.111181

Externer Link: www.unibas.ch

Premiere für supraleitende Diode ohne äußeres Magnetfeld

Medieninformation der Universität Innsbruck vom 16.08.2022

Supraleiter sind der Schlüssel für verlustfreien Stromfluss. Die Realisierung supraleitender Dioden ist allerdings erst kürzlich ein wichtiges Thema der Grundlagenforschung geworden. Internationalen Forschenden unter Mitwirkung des theoretischen Physikers Mathias Scheurer von der Uni Innsbruck ist nun ein Meilenstein gelungen: die Erzeugung eines supraleitenden Dioden-Effekts ohne externes Magnetfeld und damit der Beweis der Annahme, dass Supraleitung und Magnetismus koexistieren. Sie berichten darüber in Nature Physics.

Von einem supraleitenden Dioden-Effekt spricht man, wenn sich ein Material in einer Stromflussrichtung wie ein Supraleiter und in der anderen wie ein Widerstand verhält. Im Gegensatz zu einer konventionellen Diode weist eine solche supraleitende Diode einen komplett verschwindenden Widerstand und somit keinerlei Verluste in Durchlassrichtung auf. Dies könnte die Basis bilden für zukünftige verlustfreie Quanten-Elektronik. Den Dioden-Effekt zu erzeugen gelang Physikern vor etwa zwei Jahren erstmals, allerdings mit einigen grundlegenden Einschränkungen. „Der Effekt war damals zum einen sehr schwach, zum anderen wurde er durch ein externes Magnetfeld erzeugt, was in möglichen technologischen Anwendungen sehr ungünstig ist“, erläutert Mathias Scheurer vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck. Die neuen, von experimentellen Physikern der renommierten US-amerikanischen Brown University durchgeführten Experimente, die in der aktuellen Ausgabe von Nature Physics beschrieben werden, kommen ohne externes Magnetfeld aus. Neben den erwähnten anwendungsrelevanten Vorteilen bestätigen die Experimente eine These, die Mathias Scheurer bereits zuvor theoretisch aufgestellt hat: Nämlich, dass Supraleitung und Magnetismus in einem System, bestehend aus drei gegeneinander verdrehten Graphen-Schichten, koexistieren. Das System erzeugt also quasi selbst sein eigenes internes Magnetfeld, was einen Dioden-Effekt hervorruft. „Der Dioden-Effekt, den die Kollegen von der Brown University beobachten konnten, war zusätzlich sehr stark. Außerdem kann die Dioden-Richtung durch ein einfaches elektrisches Feld umgekehrt werden. Damit ist es gelungen, den Idealzustand eines supraleitenden Dioden-Effekts zu erzeugen“, verdeutlicht Mathias Scheurer, der in diesem Jahr einen hochdotierten ERC-Starting Grant für seine Forschungen zu zweidimensionalen Materialen, insbesondere von Graphen erhalten hat.

Wunderstoff Graphen

Auch der in Nature Physics beschriebene Dioden-Effekt wurde mit Graphen erzeugt, einem Material, das aus einer einzigen Lage wabenförmig angeordneter Kohlenstoffatome besteht. In übereinandergelegten Schichten weist es vielversprechende Eigenschaften auf, unter anderem können drei gegeneinander verdrehten Graphen-Schichten elektrischen Strom verlustfrei leiten. Dass ein supraleitender Dioden-Effekt ohne externes Magnetfeld in diesem System existiert, hat auf die Erforschung des komplexen physikalischen Verhaltens von drei gegeneinander verdrehten Graphen-Schichten große Auswirkungen, da es die Koexistenz von Supraleitung und Magnetismus demonstriert. Dies zeigt, dass der Dioden-Effekt nicht nur technologische Relevanz hat, sondern auch das Potential unser Verständnis grundlegender Vorgänge in der Vielteilchenphysik zu verbessern. Die theoretischen Grundlagen dazu konnten in einer weiteren hochrangigen Publikation bereits veröffentlicht werden.

Originalpublikation:
Zero-field superconducting diode effect in small-twist-angle trilayer graphene.
Jiang-Xiazi Lin, Phum Siriviboon, Harley D. Scammell, Song Liu, Daniel Rhodes, K. Watanabe, T. Taniguchi, James Hone, Mathias S. Scheurer, J.I.A. Li
Nature Physics, August 2022.

Externer Link: www.uibk.ac.at

Ein Molekül aus Licht und Materie

Presseaussendung der TU Wien vom 01.08.2022

Mit Licht kann man Atome gezielt dazu bringen, einander gegenseitig anzuziehen. Ein Team aus Wien und Innsbruck konnte diesen Bindungszustand aus Licht und Materie nun erstmals messen.

Ein ganz besonderer Bindungszustand zwischen Atomen konnte nun erstmals im Labor erzeugt werden: Mit einem Laserstrahl lassen sich Atome polarisieren, sodass sie auf einer Seite positiv, auf der anderen Seite negativ geladen sind. Dadurch ziehen sie einander an und bilden einen ganz speziellen Bindungszustand – viel schwächer als die Bindung zwischen zwei Atomen in einem gewöhnlichen Molekül, aber dennoch messbar. Die Anziehungskraft geht von den polarisierten Atomen selbst aus, aber erst der Laserstrahl verleiht ihnen die Möglichkeit dazu – in gewissem Sinn handelt es sich um ein „Molekül“ aus Licht und Materie.

Theoretisch vorhergesagt wurde dieser Effekt schon lange, nun gelang es Wissenschaftler_innen des Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ) der TU Wien in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck, diese exotische Atombindung erstmals zu messen. Nützlich ist diese Wechselwirkung für die Manipulation extrem kalter Atome, auch für die Bildung von Molekülen im Weltraum könnte der Effekt eine Rolle spielen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review X“ publiziert.

Positive und negative Ladung

In einem elektrisch neutralen Atom wird ein positiv geladener Atomkern von negativ geladenen Elektronen umgeben, die sich wolkenartig in der Nähe des Atomkerns befinden. „Wenn man nun ein äußeres elektrisches Feld einschaltet, dann verschiebt sich diese Ladungsverteilung ein bisschen“, erklärt Prof. Philipp Haslinger, dessen Forschung am Atominstitut der TU Wien durch das FWF START-Programm unterstützt wird. „Die positive Ladung wird geringfügig in die eine Richtung, die negative Ladung geringfügig in die andere Richtung verschoben, das Atom hat plötzlich eine positive und eine negative Seite, es ist polarisiert.“

Licht ist nichts anderes als ein elektromagnetisches Feld, das sich sehr rasch ändert, deshalb kann man auch mit Laserlicht diesen Polarisations-Effekt hervorrufen. Wenn sich mehrere Atome nebeneinander befinden, polarisiert sie das Laserlicht alle genau auf dieselbe Weise – links positiv und rechts negativ, oder umgekehrt. In beiden Fällen wenden zwei benachbarte Atome einander unterschiedliche Ladungen zu, eine Anziehungskraft entsteht.

Experimente mit der Atomfalle

„Es handelt sich hier um eine sehr schwache Anziehungskraft, daher muss man sehr sorgfältig experimentieren, um sie messen zu können“, sagt Mira Maiwöger von der TU Wien, die Erstautorin der aktuellen Publikation. „Wenn die Atome viel Energie haben und sich schnell bewegen, ist es mit der Anziehungskraft sofort wieder vorbei. Man verwendete deshalb eine Wolke aus ultrakalten Atomen.“

Die Atome werden zuerst in einer magnetischen Falle, auf einem Atom-Chip, festgehalten und gekühlt, dann schaltet man die Falle aus und lässt die Atome nach unten fallen. Die Atomwolke ist mit weniger als einem millionstel Kelvin zwar ‚ultrakalt‘, hat aber genug Energie um sich während des Fallens noch auszudehnen. Wenn man allerdings in dieser Phase mit einem Laserstrahl die Atome polarisiert und dadurch eine Anziehungskraft zwischen ihnen erzeugt, dann wird diese Ausdehnung der Atomwolke gebremst – und so kann man die Anziehungskraft messen.

Quantenlabor und Weltraum

„Einzelne Atome mit Laserstrahlen zu polarisieren ist grundsätzlich nichts Neues“, sagt Matthias Sonnleitner, der die theoretische Grundlage für das Experiment gelegt hat. „Das Entscheidende an unserem Experiment ist allerdings, dass es uns erstmals gelungen ist, mehrere Atome auf kontrollierte Weise gemeinsam so zu polarisieren, dass dadurch eine messbare Anziehungskraft zwischen ihnen entsteht.“

Diese Anziehungskraft ist ein nützliches Werkzeug um ultrakalte Atome noch besser zu kontrollieren als bisher. Aber auch für die Astrophysik könnte sie wichtig sein: „In den Weiten des Weltraums können kleine Kräfte eine große Rolle spielen“, sagt Philipp Haslinger. „Hier konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass elektromagnetische Strahlung eine Kraft zwischen Atomen erzeugen kann, das kann vielleicht helfen, neues Licht auf bisher noch nicht erklärbare astrophysikalische Szenarien zu werfen.” (Florian Aigner)

Originalpublikation:
Mira Maiwöger et al. (2022): Observation of Light-Induced Dipole-Dipole Forces in Ultracold Atomic Gases, Phys. Rev. X

Externer Link: www.tuwien.at

Photovoltaik: Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodule vollständig skalierbar

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 13.07.2022

Gezieltes Lichtmanagement, Hochdurchsatz-Laser-Strukturierung und Einsatz etablierter Beschichtungsverfahren ebnen den Weg zur Marktreife – Publikation in Nature Energy

Einen Prototyp für vollständig skalierbare Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodule haben Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelt. Diese Module haben einen Wirkungsgrad bis 19,1 Prozent auf einer Aperturfläche von 12,25 Quadratzentimetern. Ermöglicht wurde dieses weltweit erstmals gemeldete Ergebnis durch eine Verbesserung des Wirkungsgrads mit gezieltem Lichtmanagement, eine Hochdurchsatz-Laser-Strukturierung und den Einsatz industriell etablierter Beschichtungsverfahren. Ihre Ergebnisse stellen die Forschenden in der Zeitschrift Nature Energy vor.

Sonnenlicht spielt als reichlich verfügbare und vielseitige Energiequelle eine Schlüsselrolle, wenn es um die Umstellung von fossilen auf regenerative Quellen sowie eine unabhängige Energieversorgung geht. Eine Solarzelle wandelt das Sonnenlicht direkt in elektrische Energie um. In den vergangenen Jahren haben sich Solarzellen aus Perowskit-Halbleitern dank hoher Wirkungsgrade und niedriger Herstellungskosten als besonders vielversprechend erwiesen. Die Effizienz einer Perowskit-Einzelzelle ist trotz der enormen Entwicklung allerdings begrenzt. Überwinden lässt sich diese Begrenzung durch das Stapeln von zwei Solarzellen mit unterschiedlichen Bandlücken. Bei der Bandlücke handelt es sich um eine Materialeigenschaft, die denjenigen Teil des Lichtspektrums bestimmt, den eine Solarzelle absorbiert, um Strom zu erzeugen.

Stapeln steigert den Wirkungsgrad

Tandem-Solarzellen nutzen einen breiteren Teil des Lichtspektrums und liefern mehr Strom, bieten also höhere Wirkungsgrade. Perowskit-Solarzellen mit abstimmbarer Bandlücke eignen sich ideal als Tandempartner für Solarzellen aus anderen Materialien, aber auch für Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarzellen. Diese zeichnen sich aus durch kostengünstige Herstellung, Verarbeitung mit lösungsbasierten Verfahren, mechanische Flexibilität und die Freiheit, verschiedene Einzelzellen mit unterschiedlichen Perowskit-Bandlücken zu kombinieren. Die Forschung geht davon aus, dass Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodule zukünftig hohe Marktanteile erobern werden, sofern sie die Anforderungen an Stabilität und Skalierbarkeit erfüllen. Skalierbarkeit bedeutet, dass sich Entwicklungen auf größere Maßstäbe und auf die Massenfertigung übertragen lassen.

Die Abteilung von Tenure-Track-Professor Ulrich W. Paetzold am Institut für Mikrostrukturtechnik und am Lichttechnischen Institut des KIT hat nun erfolgreich einen Prototyp für die Skalierung hocheffizienter Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodule entwickelt. Es gelang den Forschenden, Perowskit-Einzelzellen mit Wirkungsgraden bis 23,5 Prozent bei einer Aperturfläche von 0,1 Quadratzentimetern zu Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodulen mit Wirkungsgraden bis 19,1 Prozent bei einer Aperturfläche von 12,25 Quadratzentimetern aufzuskalieren. Die Aperturfläche ist der nutzbare, nicht von Elektroden, Rahmen oder Befestigungen verdeckte Teil der Fläche. Bei der Aufskalierung ist der Wirkungsgradverlust mit relativ circa fünf Prozent gering. „Dieses ist das weltweit erstmals gemeldete Ergebnis eines Perowskit/Perowskit-Tandem-Solarmoduls“, sagt Dr. Bahram Abdollahi Nejand, Erstautor der Publikation und Teamleiter für Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodule.

Drei Innovationen ermöglichen Aufskalierung

Das beachtliche Ergebnis basiert auf drei wesentlichen Innovationen: Die Forschenden des KIT steigerten den Wirkungsgrad durch gezieltes Lichtmanagement, das heißt Optimieren des Lichtwegs und Reduzieren von Reflexion in der Solarzellenarchitektur. Sie verwirklichten ein effizientes Layout für Tandem-Solarmodule mithilfe einer Hochdurchsatz-Laser-Strukturierung, die es ermöglicht, funktionsfähige Tandem-Solar-Minimodule mit zweipolig miteinander verbundenen Zellstreifen herzustellen. Schließlich verwendeten die Forschenden Beschichtungsverfahren wie Rakeln und Vakuumabscheidung, die in der Industrie bereits etabliert sind. „Nur durch die Kombination dieser Expertise am KIT konnte dieses super Forschungsergebnis erzielt werden. Das Ergebnis motiviert zu weiteren Arbeiten in Forschung und Industrie, um die ebenso nachhaltige wie zukunftsträchtige Technologie der Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarmodule durch Aufskalierung sowie Verbesserung der Stabilität zur Marktreife zu bringen“, erklärt Tenure-Track-Professor Ulrich W. Paetzold. (or)

Originalpublikation:
Bahram Abdollahi Nejand, David B. Ritzer, Hang Hu, Fabian Schackmar, Somayeh Moghadamzadeh, Thomas Feeney, Roja Singh, Felix Laufer, Raphael Schmager, Raheleh Azmi, Milian Kaiser, Tobias Abzieher, Saba Gharibzadeh, Erik Ahlswede, Uli Lemmer, Bryce S. Richards & Ulrich W. Paetzold: Scalable two-terminal all-perovskite tandem solar modules with a 19.1% efficiency. Nature Energy, 2022. DOI: 10.1038/s41560-022-01059-w

Externer Link: www.kit.edu