Wie werden gute Metalle schlecht?

Presseaussendung der TU Wien vom 15.03.2021

Ein Rätsel aus der Festkörperphysik konnte nun mit neuen Messungen gelöst werden: Wie kommt es, dass sich bestimmte Metalle scheinbar nicht an die gültigen Regeln halten?

Unter einem Metall kann sich jeder etwas vorstellen: Wir denken an feste, unzerbrechliche Objekte, die elektrischen Strom leiten und einen typischen metallischen Glanz zeigen. Das Verhalten klassischer Metalle, etwa ihre elektrische Leitfähigkeit, lässt sich mit wohlbekannten, gut erprobten physikalischen Theorien erklären.

Aber es gibt auch exotischere metallische Verbindungen, die Rätsel aufgeben: Manche Legierungen sind hart und spröde, spezielle Metalloxide können durchsichtig sein. Es gibt sogar Materialien genau an der Grenze zwischen Metall und Isolator: Durch winzige Änderungen der chemischen Zusammensetzung wird das Metall zum Isolator – oder umgekehrt. Dabei treten metallische Zustände mit extrem schlechter elektrischer Leitfähigkeit auf, man spricht von „schlechten Metallen“. Bisher schien es, als könne man diese „schlechten Metalle“ mit herkömmlichen Theorien einfach nicht erklären. Neue Messungen zeigen nun: So „schlecht“ sind diese Metalle gar nicht. Wenn man genau hinsieht, passt ihr Verhalten durchaus zu dem, was man schon bisher über Metalle wusste.

Kleine Änderung, großer Unterschied

Prof. Andrej Pustogow forscht mit seiner Arbeitsgruppe am Institut für Festkörperphysik der TU Wien an speziellen metallischen Materialien – es handelt sich um kleine, speziell im Labor gezüchtete Kristalle. „Diese Kristalle können die Eigenschaften eines Metalls annehmen, doch wenn man die Zusammensetzung minimal variiert, haben wir es plötzlich mit einem Isolator zu tun, der keinen Strom mehr leitet und bei bestimmten Frequenzen durchsichtig ist wie Glas“, sagt Pustogow.

Direkt an diesem Übergang stößt man auf ein ungewöhnliches Phänomen: Der elektrische Widerstand des Metalls wird extrem groß – und zwar größer, als es nach üblichen Theorien überhaupt möglich sein dürfte. „Elektrischer Widerstand hat damit zu tun, dass die Elektronen an einander oder an den Atomen des Materials gestreut werden“, erklärt Andrej Pustogow. Nach dieser Betrachtungsweise müsste der größtmögliche elektrische Widerstand gemessen werden, wenn das Elektron auf seinem Weg durch das Material an jedem einzelnen Atom gestreut wird – zwischen einem Atom und seinem Nachbarn befindet sich schließlich nichts, woran das Elektron aus seiner Bahn geworfen werden könnte. Doch bei sogenannten „schlechten Metallen“ scheint diese Regel nicht zu gelten: Sie zeigen einen noch deutlich höheren Widerstand als dieses Modell erlauben würde.

Auf die Frequenz kommt es an

Der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels ist, dass die Materialeigenschaften frequenzabhängig sind. „Wenn man den elektrischen Widerstand bloß misst, indem man eine Gleichspannung anlegt, bekommt man nur eine einzige Zahl – den Widerstand für die Frequenz 0“, sagt Andrej Pustogow. „Wir haben hingegen optische Messungen durchgeführt und dafür Lichtwellen mit ganz unterschiedlichen Frequenzen verwendet.“

Dabei zeigte sich, dass die „schlechten Metalle“ so „schlecht“ gar nicht sind: Bei niedrigen Frequenzen leiten sie zwar kaum Strom, aber bei höheren Frequenzen verhalten sie sich so, wie man das von Metallen erwarten würde. Das Forschungsteam nennt als eine mögliche Ursache winzige Mengen an Verunreinigungen oder Fehlstellen im Material, welche von einem Metall an der Grenze zu einem Isolator nicht mehr ausreichend abgeschirmt werden können. Diese Defekte können dazu führen, dass manche Bereiche des Kristalls keinen Strom mehr leiten, weil dort die Elektronen an einem bestimmten Ort lokalisiert bleiben anstatt sich weiterzubewegen. Wenn man an das Material eine Gleichspannung anlegt, sodass die Elektronen von einer Seite des Kristalls zur anderen wandern können, dann trifft praktisch jedes Elektron irgendwann eine solche isolierende Region, und Strom kann kaum fließen.

Bei hoher Wechselstromfrequenz hingegen bewegt sich jedes Elektron ununterbrochen hin und her – es legt im Kristall keinen weiten Weg zurück, weil es immer wieder die Richtung ändert. Das bedeutet, dass in diesem Fall viele Elektronen gar nicht in Kontakt mit einer der isolierenden Regionen im Kristall kommen.

Hoffnung auf wichtige weitere Schritte

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass optische Spektroskopie ein sehr wichtiges Werkzeug ist, um fundamentale Fragen der Festkörperphysik zu beantworten“, sagt Andrej Pustogow. „Viele Beobachtungen, für die man bisher glaubte, exotische, neuartige Modelle entwickeln zu müssen, könnten sich sehr wohl mit bekannten Theorien erklären lassen, wenn man diese adäquat ergänzt. Unsere Messmethode zeigt, wo die Ergänzungen notwendig sind.“ Bereits in früheren Studien konnte Prof. Pustogow mit seinen internationalen Kolleg_innen mittels spektroskopischen Methoden wichtigen Einblick in den Grenzbereich zwischen Metall und Isolator erlangen und damit ein Fundament für die Theorie schaffen.

Das metallische Verhalten von Materialien, in denen starke Korrelationen zwischen den Elektronen herrschen, ist auch besonders relevant für die sogenannte „unkonventionelle Supraleitung“ – ein Phänomen, das vor einem halben Jahrhundert entdeckt wurde, aber bis heute nicht vollständig verstanden ist. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
Rise and fall of Landau’s quasiparticles while approaching the Mott transition. Andrej Pustogow et al., Nature Communications 12, 1571 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-21741-z

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Optimale Information über das Unsichtbare

Presseaussendung der TU Wien vom 25.01.2021

Wie vermisst man Objekte, die man unter gewöhnlichen Umständen gar nicht sehen kann? Universität Utrecht und TU Wien eröffnen mit speziellen Lichtwellen neue Möglichkeiten.

Mit Laserstrahlen kann man präzise messen, wo sich ein Objekt befindet, oder ob es seine Position verändert. Normalerweise braucht man dafür allerdings freie, ungetrübte Sicht auf dieses Objekt – und diese Voraussetzung ist nicht immer gegeben. So möchte man etwa in der Biomedizin oft Strukturen untersuchen, die in eine unregelmäßige, komplizierte Umgebung eingebettet sind. Dort wird der Laserstrahl dann abgelenkt, gestreut und gebrochen, wodurch oft kein sinnvolles Messergebnis mehr möglich ist.

Die Universität Utrecht (Niederlande) und die TU Wien konnten nun aber gemeinsam zeigen: Aus dieser Not lässt sich eine Tugend machen. Der neue Ansatz beruht auf der Möglichkeit, den Laserstrahl gezielt so zu verändern, dass er in der komplexen, ungeordneten Umgebung trotzdem genau die gewünschte Information liefert – und zwar nicht nur ungefähr, sondern auf physikalisch optimale Weise: Mehr Präzision lässt die Natur bei kohärentem Laserlicht gar nicht zu. Die neue Technologie ist in ganz unterschiedlichen Anwendungsgebieten einsetzbar – auch mit unterschiedlichen Arten von Wellen – und wurde nun im Fachjournal „Nature Physics“ präsentiert.

Das Vakuum und das Badezimmerfenster

„Man möchte immer die optimale Messgenauigkeit erreichen – das liegt im Wesen aller Naturwissenschaften“, sagt Stefan Rotter vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Denken wir zum Beispiel an die riesengroße LIGO-Anlage, mit der man Gravitationswellen nachweisen kann: Dort sendet man Laserstrahlen auf einen Spiegel, um Variationen im Abstand zwischen Laser und Spiegel mit extremer Präzision zu messen.“ Das gelingt allerdings nur deshalb so gut, weil sich dort der Laserstrahl durch ein Ultrahochvakuum ausbreitet. Jede noch so kleine Störung soll vermieden werden.

Doch was kann man tun, wenn man es mit Störungen zu tun hat, die sich nicht entfernen lassen? „Stellen wir uns eine Glasscheibe vor, die nicht perfekt transparent, sondern rau und unpoliert ist wie ein Badezimmerfenster“, sagt Allard Mosk von der Universität Utrecht. „Sie lässt zwar Licht durch, aber nicht auf einer geraden Linie. Die Lichtwellen werden verändert und gestreut, daher können wir ein Objekt auf der anderen Seite der Glasscheibe mit freiem Auge nicht genau erkennen.“ Ganz ähnlich ist die Situation, wenn man etwa winzige Objekte im Inneren von biologischem Gewebe untersuchen will: Die ungeordnete Umgebung stört den Lichtstrahl. Aus dem einfachen, regelmäßig-geraden Laserstrahl wird dann ein unübersichtliches Wellenmuster, das in alle Richtungen abgelenkt wird.

Die optimale Welle

Wenn man allerdings genau weiß, was die störende Umgebung mit dem Lichtstrahl macht, kann man die Situation umkehren: Dann nämlich ist es möglich, statt des einfachen, geraden Laserstrahls ein kompliziertes Wellenmuster zu erzeugen, das durch die Störungen genau die gewünschte Form erhält und genau dort auftrifft, wo es das beste Resultat liefern kann. „Um das zu erreichen, muss man die Störungen nicht einmal genau kennen“, erklärt Dorian Bouchet, der Erstautor der Studie. „Es genügt, zuerst passende Wellen durch das System zu schicken um damit zu untersuchen, wie sie durch das System verändert werden.“

Die an dieser Arbeit beteiligten Wissenschaftler entwickelten gemeinsam ein mathematisches Verfahren, mit dem man aus diesen Testdaten dann die optimale Welle berechnen kann: „Man kann zeigen, dass für verschiedene Fragestellungen bestimmte Wellen existieren, die ein Maximum an Information bringen: Etwa über die Raumkoordinaten, an denen sich ein bestimmtes Objekt befindet.“

Wenn man etwa weiß, dass sich hinter einer trüben Milchglasscheibe ein Objekt verbirgt, gibt es eine optimale Lichtwelle, mit der man das Maximum an Information darüber erhalten kann, ob sich das Objekt ein bisschen nach rechts oder ein bisschen nach links bewegt hat. Diese Welle sieht kompliziert und ungeordnet aus, wird dann aber von der Milchglasscheibe exakt so verändert, dass sie beim Objekt genau auf die gewünschte Weise ankommt und das größtmögliche Maß an Information zum experimentellen Messapparat zurückliefert.

Laser-Experimente in Utrecht

Dass die Methode tatsächlich funktioniert, wurde an der Universität Utrecht experimentell bestätigt: Man lenkte Laserstrahlen durch ein ungeordnetes Medium – in Form einer trübe Platte. Das Streuverhalten des Mediums wurde dadurch charakterisiert, dann wurden die optimalen Wellen berechnet, um ein Objekt jenseits der Platte zu analysieren – und das gelang, mit einer Präzision im Nanometer-Bereich.

Dann führte das Team noch weitere Messungen durch, um die Grenzen der Methode auszuloten: Die Zahl der Photonen im Laserstrahl wurde deutlich reduziert, um zu sehen, ob man dann immer noch ein sinnvolles Ergebnis bekommt. Dadurch konnte man zeigen, dass die Methode nicht nur funktioniert, sondern sogar im physikalischen Sinne optimal ist: „Wir sehen, dass die Präzision unserer Methode nur durch das sogenannte Quantenrauschen limitiert wird“, erklärt Allard Mosk. „Dieses Rauschen ergibt sich aus der Tatsache, dass Licht aus Photonen besteht – daran kann man nichts ändern. Doch im Rahmen dessen, was uns die Quantenphysik für einen kohärenten Laserstrahl erlaubt, können wir tatsächlich die optimalen Wellen berechnen um unterschiedliche Dinge zu messen: Nicht nur die Position, sondern auch die Bewegung oder die Drehrichtung von Objekten.“

Diese Ergebnisse wurden im Rahmen eines Programms zur Vermessung von Halbleiterstrukturen im Nanometerbereich erzielt, bei dem Universitäten mit der Industrie zusammenarbeiten. Tatsächlich sieht das Team mögliche Einsatzbereiche für diese neue Technik in ganz unterschiedlichen Bereichen wie beispielsweise in der Mikrobiologie, aber auch in der Herstellung von Chips, wo extrem präzise Messungen ebenfalls unverzichtbar sind. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
D. Bouchet, S. Rotter, A.P. Mosk; Maximum information states for coherent scattering measurements, Nature Physics (2021).

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Wirkt sie oder wirkt sie nicht? Neue JKU Methoden erlauben einfache Prüfung der Wirksamkeit von Mund-Nasen-Masken

Presseaussendung der JKU Linz vom 04.01.2021

Er ist wahrscheinlich das Symbol für 2020: der Mund-Nasen-Schutz. Allgegenwärtig, wenngleich in seiner Wirkung nicht unumstritten. Ob eine „Maske“ tatsächlich Schutz vor Ansteckung bietet, muss mit einem speziellen Messgerät überprüft werden. Forscher*innen der Johannes Kepler Universität Linz haben nun eine Methode entwickelt, mit der die Wirkung der MNS-Masken ebenso genau überprüft werden kann – und das weitaus einfacher und kostengünstiger.

Gesichtsmasken gibt es mittlerweile in den unterschiedlichsten Formen und Farben. Vor allem für das Gesundheitspersonal und andere systemrelevante Mitarbeiter*innen ist es wichtig zu prüfen, ob eine Maskenlieferung den Anforderungen entspricht. Die Durchlässigkeit für Aerosole wird üblicherweise mit einem Penetrometer gemessen. In diesem Gerät werden Aerosoltröpfchen von öligen Flüssigkeiten erzeugt und der Prozentsatz jener Tröpfchen gemessen, der die Maske passieren kann. Diese Geräte sind aber teuer – und teilweise schwer erhältlich. Forscher der JKU vom Institut Medizin- und Biomechatronik und dem Kepler Universitätsklinikum haben daher im Rahmen eines EU-Projekts mit ihren Kooperationspartnern eine einfache und kostengünstige Methode entwickelt, die praktisch jedem zugänglich ist.

Zur Erzeugung des Prüfaerosols wird eine handelsübliche E-Zigarette verwendet. Die Tröpfchen, die E-Zigaretten herstellen, sind mit einem Durchmesser von 300 Nanometern genau so groß, dass sie möglichst gut durch Filter und andere Barrieren durchgehen. Die Menge an Aerosoltröpfchen, die durch eine Probe des zu untersuchenden Filtermaterials gelangt, wird dann gemessen. Das kann entweder mit einer Feinwaage geschehen oder mit einem Lichtstreuungsdetektor, der aus einfachen und kostengünstigen elektronischen Komponenten gebaut wurde. Dieser Lichtstreuungsdetektor wurde eigentlich als Erstsemester-Praktikumsprojekt für die Harnanalyse von einem JKU Studierenden des Medical Engineering Studiengangs entwickelt und gebaut. Irgendwann kam die Idee: Mit diesem Detektor könnte man doch auch Aerosoltröpfchen in der Luft zählen.

Und wie zuverlässig sind diese Methoden nun? „Wir haben zahlreiche Masken getestet – von FFP3-Masken bis zu einfachen Baumwoll- oder Kunstfasertüchern“, erklären die Forscher*innen. „Das deckt eine enorme Bandbreite ab mit Durchlässigkeiten von 1-60%, wobei Baumwolle im Gegensatz zu vielen Kunstfasern eigentlich recht gut schützt“, so Institutsvorstand Prof. Werner Baumgartner.

Das Wichtigste aber: Die JKU Methode liefert Ergebnisse, die denen hochpreisiger High-End-Penetrometer entspricht. „Damit geben unsere Ansätze dem medizinischen Personal die Möglichkeit, selbst rasch zu überprüfen, ob eine Maskenlieferung den Anforderungen entspricht. Zudem kann man die Effizienz auch über die Zeit auf eventuelle Veränderungen testen. So konnte festgestellt werden, dass manche Masken mit der Tragezeit sehr schnell schlechter werden, andere halten deutlich länger“, sagt Baumgartner.

„Der Mund-Nasen-Schutz wird uns als vorbeugende Maßnahme noch längere Zeit begleiten, daher ist es enorm bedeutsam, die Wirksamkeit zuverlässig und schnell durch vor Ort entwickelte Testsysteme überprüfen zu können. Die erfolgreiche Forschungsarbeit von Prof. Baumgartner und seinem Team zeigt beispielhaft, welches Potenzial in der Zusammenarbeit von Medizin und Mechatronik liegt“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler Universitätsklinikum und Vizestudiendekan der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz.

Mehrere Beispiele über die Verwendung von fehlerhaften Masken und die daraus resultierenden Gesundheitsrisiken zeigen, dass einfache, schnelle, preiswerte und breit verfügbare Methoden zur Filtercharakterisierung enorm nützlich sein können, auch wenn die Corona-Pandemie irgendwann kein Thema mehr sein sollte.

Eine Publikation, die diese Methode beschreibt, wurde als Preprint publiziert, ist bei einem renommierten Magazin eingereicht und befindet sich derzeit in Begutachtung. (Sonja Raus)

Externer Link: www.jku.at

Abwehrzellen graben Tunnel im Kampf gegen Krebszellen

Pressemeldung der Universität des Saarlandes vom 02.12.2020

Im Kampf gegen Krebs hilft vor allem Schnelligkeit: Je früher ein Tumor entdeckt wird, desto schneller kann der Körper die Tumorzellen abtöten. Dies erledigen so genannte zytotoxische T-Lymphozyten. Davon gibt es schnelle und langsame Exemplare. Forscher der Saar-Uni haben nun einen interessanten Sachverhalt beobachtet, den sie in einer hochrangigen Publikation beschreiben: Die langsamen Zellen verkürzen den Weg für die Killerzellen zum Tumor, indem sie Tunnel in das Körpergewebe bohren.

Wenn körpereigene Zellen außer Kontrolle geraten, können sie zu Krebszellen werden. Wird ihr Wachstum nicht gehemmt, indem die Zellen zum Beispiel frühzeitig von körpereigenen Abwehrzellen entdeckt und abgetötet werden, entstehen lebensgefährliche Tumore. Daher ist es wichtig, dass der Körper schon möglichst frühzeitig Krebszellen finden und vernichten kann, um erst gar keinen gefährlichen Tumor entstehen zu lassen.

Eine wichtige Rolle dabei spielen weiße Blutkörperchen, insbesondere zytotoxische T-Lymphozyten (CTLs). Wie ein Team um den theoretischen Physiker Heiko Rieger nun herausgefunden hat, geht die körpereigene Abwehr dabei vor wie Soldaten im Krieg: Bevor ein Angriff in unbekanntem Gelände erfolgreich durchgeführt werden kann, kommen die Pioniere und bereiten den Kampftruppen den Weg. Im Falle des Immunsystems bedeutet das: Manche CTLs bewegen sich recht langsam fort; diese graben Tunnel in die so genannte extrazelluläre Matrix (ECM), das die Zellen umgebende Körpergewebe, das üblicherweise aus ECM-Proteinen wie Kollagen besteht. Durch diese Tunnel oder Kanäle bewegen sich dann andere CTLs sehr schnell hindurch, um durch diese Abkürzungen möglichst schnell an ihrem Zielort anzukommen, idealerweise bei den Tumorzellen, die sie dann vernichten können.

„Das Migrationsverhalten dieser Immunzellen sowie ihre Suchstrategien in der ECM sind noch nicht gut verstanden und derzeit von großem Interesse für Physik und Biologie“, sagt der leitende Studienautor Heiko Rieger. Seine Hoffnung ist, dass ein tieferes Verständnis dieser Vorgänge neuartige Ansätze im Kampf gegen Krebs möglich machen könnte: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Veränderung des Gewebes einen Einfluss auf die Effizienz der Immunantwort hätte, und damit Ideen für neue therapeutische Strategien in der Krebsbehandlung hervorbringen könnte“, sagt der Physiker, der den Sonderforschungsbereich SFB 1027 „Physikalische Modellierung von Nichtgleichgewichtsprozessen in biologischen Systemen“ leitet, in welchem unter anderem solche Fragestellungen nach den grundlegenden Bewegungs-Mechanismen von Zellen untersucht werden.

Um im vorliegenden Fall genauer herauszufinden, wie sich solche CLTs in Kollagen-Gewebe fortbewegen, haben Bin Qu und Mitarbeiter, Riegers Koautoren und Forscher der Universität des Saarlandes, die ECM mit Hilfe von 3-D-Netzwerken mit verschiedenen Konzentrationen von Rinderkollagen nachgeahmt und die Migrationspfade menschlicher CTLs durch diese Matrizen analysiert. Die CTLs zeigten dabei grundsätzlich drei verschiedene Arten von Bewegung: langsam, schnell und gemischt. Die mathematische Modellierung, also die Simulation am Computer, durch die Erstautorin Zeinab Sadjadi legt nahe, dass die Zellen zwischen langsamen und schnellen Zuständen wechseln können. Übertragen auf das Bild des Soldaten bedeutet dies, dass CLTs Pioniere und Kampftruppen sein können, je nachdem, welche Rolle gerade gebraucht wird.

Dass ihre theoretischen Annahmen höchstwahrscheinlich korrekt sind, stützen die Forscher durch eine andere Beobachtung: Ähnliche Bewegungstypen wurden bereits früher für natürliche Killerzellen (NK-Zellen) in Kollagen berichtet, wenn sich in der Umgebung Zielzellen, also Tumorzellen, befanden. NK-Zellen haben ähnliche Immunfunktionen wie CTLs. „Die Ähnlichkeit der Eigenschaften von CTL- und NK-Bewegungsmustern deutet auf einen gemeinsamen Mechanismus für die Migration beider Zelltypen durch Kollagennetzwerke hin“, sagt Rieger. Kurz gesagt: Es liegt nahe, dass CLTs sich ähnlich verhalten wie NK-Zellen.

Experimentelle Beweise unterstützten diese Annahmen. Beispielsweise konnten wandernde T-Zellen einander auf genau derselben Bahn folgen, und die Zellen bewegten sich schnell in kanalähnlichen Hohlräumen innerhalb der Kollagenmatrix.

Für die Zukunft planen die Forscher, den langfristigen Einfluss von T-Zellen auf die ECM zu analysieren. Sie werden ebenfalls untersuchen, ob die Kanäle auch die Fähigkeit der CTLs verbessern, in Kollagenmatrizen nach Zielzellen zu suchen. „Zu verstehen, wie CTLs in solchen Geweben wandern, könnte zu neuen therapeutischen Strategien bei der Verhinderung von Metastasenbildung in frühen Krebsstadien führen“, sagt Rieger.

Ihre Erkenntnisse haben sie in der aktuellen Ausgabe des hochrangigen Fachjournals „Biophysical Journal“ veröffentlicht. Die Herausgeber des Magazins haben die Studie sogar als „Highlight“ der Ausgabe ausgewählt, eine große Ehre, die einer Studie nur selten zuteil wird.

Publikation:
Biophysical Journal, Sadjadi et al.: “Migration of Cytotoxic T Lymphocytes in 3D Collagen Matrices” ; DOI: 10.1016/j.bpj.2020.10.020

Externer Link: www.uni-saarland.de

Bessere Laserstrahlen durch neuen Lichtstreuungs-Trick

Presseaussendung der TU Wien vom 19.10.2020

Eine völlig neue Methode, extrem kurze und energiereiche Laserpulse herzustellen, wurde an der TU Wien entwickelt.

Laserpulse mit extrem hoher Energie spielen in der heutigen Forschung eine wichtige Rolle – Anwendungen reichen von der Atomphysik bis zur Untersuchung der Atmosphäre. Allerdings braucht man für viele Anwendungen Laserstrahlen mit einer höheren Wellenlänge als man sie mit herkömmlichen Festkörperlasern erzeugen kann. Schon lange forscht man daher an speziellen Tricks, mit denen sich die Wellenlänge eines Laserstrahls erhöhen lässt.

Einen ganz neuen Ansatz verfolgte nun ein Team der TU Wien, mit Unterstützung aus Kanada und Russland. Der Laserstrahl wird durch ein dünnes Rohr geschickt, das mit Stickstoff gefüllt ist. Wenn ein Photon des Laserstrahls in Kontakt mit einem Stickstoff-Molekül kommt, kann es dabei ein kleines bisschen Energie verlieren, dadurch wird die Wellenlänge größer. So kann durch viele kleine Lichtstreuungen die Wellenlänge des Lasers angepasst werden ohne einen großen Teil der Lichtintensität zu verlieren. Aus diesem Licht lassen sich dann kurze, extrem kräftige Laserpulse erzeugen. Die neue Methode wurde nun im Fachjournal „Optica“ präsentiert.

Verschiedene Wellenlängen, zum Puls überlagert

Ein gewöhnlicher Laserpointer, der durchgehend leuchtet, hat nur eine ganz bestimmte Wellenlänge. Bei kurzen Laserpulsen ist das allerdings anders. „Einen kurzen Puls kann man nur erzeugen, wenn man unterschiedliche Wellenlängen auf die richtige Weise überlagert“, erklärt Paolo Carpeggiani vom Institut für Photonik der TU Wien. „Daher sucht man nach Methoden, das Laserlicht so zu verändern, dass es aus vielen unterschiedlichen Wellenlängen besteht. Besonders günstig ist der Mikrometer-Bereich – also Wellen, die deutlich länger sind als man sie etwa mit gewöhnlichen Saphir-Lasern erzeugen kann.“

Spezielle Tricks, mit denen man die Wellenlängen eines Laserstrahls in diesem Bereich einstellen kann, wurden bereits getestet – die sogenannten „Optical Parametric Amplifiers“. „Sie sind sehr flexibel in Bezug auf das Wellenlängenspektrum, das sie erzeugen können, aber sie haben auch Nachteile“, sagt Paolo Carpeggiani. „Sie sind extrem kompliziert, kosten viel Geld und ein großer Teil der Laserenergie geht dabei verloren.“

Moleküle als Energie-Absorber

Das Team der TU Wien setzte daher auf einen in der Atomphysik wohlbekannten Effekt – die sogenannte Raman-Streuung. Ein Photon wird an einem Molekül gestreut, und ein kleiner Teil seiner Energie wird dabei an das Molekül abgegeben. Wenn das Photon das Molekül verlässt, hat es daher eine geringfügig größere Wellenlänge als zuvor.

Man verwendete daher eine hohle Glasfaser mit einem Durchmesser von einem Millimeter und einer Länge von mehr als fünf Metern. Die Faser wurde mit Stickstoff gefüllt und der Laserstrahl wird durchgeschickt. „Indem wir den Druck des Stickstoffgases im Inneren der Faser verändern, können wir bestimmen, wie häufig es im Inneren zu Streuprozessen kommt. So können wir kontrollieren, wie stark sich die Wellenlänge des Laserlichts erhöhen soll“, erklärt Paolo Carpeggiani.

Weil nicht alle Photonen auf ihrem Weg durch die Glasfaser exakt gleich viel Energie verlieren, hat man danach einen Laserstrahl, der sich aus vielen unterschiedlichen Wellenlängen zusammensetzt – und der eignet sich ausgezeichnet, um daraus ultrakurze und extrem energiereiche Pulse zu erzeugen.

„Damit diese Methode funktioniert, mussten wir ganz spezielle Ytterbium-Laser verwenden. Außerdem war es eine große technische Herausforderung, eine derart lange, perfekt gerade Faser herzustellen“, sagt Paolo Carpeggiani.

Vielversprechendes neues Werkzeug

„Die Grundidee ist einfach, aber dass diese Methode tatsächlich funktioniert, war zunächst alles andere als offensichtlich“, meint Paolo Carpeggiani. „Unsere experimentellen Ergebnisse waren viel besser als man zunächst mit einfachen theoretischen Modellen erklären konnte. Erst als in Moskau dann ein detailliertes dreidimensionales Simulationsmodell entwickelt wurde, war klar, warum die Methode so erfolgreich ist.“

Mit der neuen Glasfasermethode steht jetzt ein völlig neues Werkzeug zur Erzeugung von Laserpulsen zur Verfügung – in einem Wellenlängenbereich, der zuvor schwer zugänglich war, und mit einer extrem hohen Energie. „Es gibt unzählige Laseranwendungen, die einstellbare Wellenlängen bei hohen Laserintensitäten erfordern. Daher kann unsere Methode für viele verschiedene Forschungsbereiche von großem Nutzen sein“, sagt Paolo Carpeggiani. Die Laserpulse können auch verwendet werden, um Röntgenstrahlen für hochentwickelte Messungen in der Atomphysik zu erzeugen, oder sie können sogar als chemische Sensoren eingesetzt werden, die Spuren von Gasen in der Luft messen. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
P.A. Carpeggiani et al., Extreme Raman red shift: ultrafast multimode nonlinear space-time dynamics, pulse compression, and broadly tunable frequency conversion, Optica 7, 10 (2020).

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