Präzisionsmessungen für das Kraftwerk der Zukunft

Presseaussendung der TU Wien vom 23.08.2010

Mit einer der präzisesten Waagen der Welt wird am Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität (TU) Wien Kernfusionsforschung betrieben.

Wien (TU). – Eine saubere, umweltfreundliche, praktisch unerschöpfliche Energiequelle: Kernfusion zur Erzeugung von elektrischer Energie zu verwenden, gehört seit Jahrzehnten zu den großen Träumen der Wissenschaft. Noch immer ist es allerdings nicht gelungen, einen Fusionsreaktor zu konstruieren, der den enormen Energieflüssen aus dem extrem heißen Fusionsplasma standhält. Zur Erforschung dieses technischen Problems wurde am Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität Wien eine ganz besondere Messmethode entwickelt: Eine der präzisesten Waagen der Welt.

Zukunftshoffnung Kernfusion

In Cadarache (Südfrankreich) wird derzeit an einem internationalen Forschungsreaktor gebaut – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines Fusionskraftwerks, doch auch dort wird man wieder auf bereits bekannte Probleme stoßen: Um die Kernfusion in einem Reaktor aufrechterhalten zu können, sind Temperaturen von mehreren hundert Millionen Grad nötig. Bei dieser Hitze können geladene Teilchen (Ionen) aus dem Fusionsplasma mit so hoher Energie auf die Wand des Reaktors einschlagen, dass diese Wand rasch zerstört wird. „Die Wechselwirkung der Teilchen aus dem Plasma mit den Reaktorwänden muss genau untersucht werden, wenn wir einen Weg finden wollen, dauerhaft stabile Fusionsreaktoren zu konstruieren“, meint Prof. Friedrich Aumayr vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien.

Oberflächenanalyse mit der Mikrowaage

In der Arbeitsgruppe für Atom- und Plasmaphysik, die Prof. Aumayr leitet, werden die Bedingungen im Wandbereich eines Fusionsreaktor experimentell nachgestellt. Im Labor lässt sich so die Auswirkung der energetischen Ionen auf Festkörperoberflächen viel genauer studieren, als das im Inneren eines Fusionsreaktors möglich wäre. Besonders hilfreich ist dabei eine von Prof. Michael Schmid am Institut entwickelte Quarz-Mikrowaage: Ein Stück des Oberflächenmaterials, das im Fusionsreaktor verwendet werden soll, wird mit energetischen Teilchen beschossen, und dabei wird seine Gewichtsänderung durch diese Quarz-Mikrowaage äußerst präzise gemessen. So stellt man fest, ob das Teilchenbombardement Atome aus dem Oberflächenstück herausschlägt (Zerstäubung) und seine Masse abnimmt, oder ob im Gegenteil die Projektile in die Oberfläche eingelagert werden (Implantation) und so die Masse des untersuchten Oberflächenstückes vergrößern.

Rekordverdächtige Genauigkeit

Die Mikrowaage, die an der TU entwickelt wurde, ist eine der präzisesten Waagen der Welt: „Masseänderungen von etwa einem Milliardstel Gramm können damit noch gemessen werden“, erklärt Katharina Dobes, Projektassistentin am Institut für Angewandte Physik. Selbst wenn durch das Teilchenbombardement nur eine einzelne Atomschicht von der Oberfläche abgetragen wird, kann die Mikrowaage den minimalen Masseunterschied messen, der sich daraus ergibt.

Die Grundidee, die diese herausragende Präzision ermöglicht, ist eigentlich recht einfach: Ein Quarzkristall wird in hochfrequente Schwingung versetzt und seine Eigenfrequenz wird gemessen. Diese Eigenfrequenz hängt von der Masse des Kristalls ab. Beschichtet man ihn mit dem für die Reaktoroberfläche vorgesehenen Material und beschießt dieses mit Teilchen, kann man aus der Eigenfrequenz des schwingenden Kristalls direkt die Massenänderung der Beschichtung ablesen, und somit feststellen, welchen Einfluss der Teilchenbeschuss auf die Oberfläche hat.

Der Anwendungsbereich dieser ultra-genauen Messmethode beschränkt sich nicht nur auf die Fusionsforschung. „Bei der Wechselwirkung von Teilchen mit Oberflächen spielen viele quantenphysikalische Phänomene eine Rolle. Im Bereich der Oberflächenphysik gibt es sicher noch eine ganze Menge von spannenden, grundlegenden Fragen zu untersuchen“, ist Prof. Aumayr sicher. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Die pulsierende Leere nach dem Elektron

Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft vom 04.08.2010

Ultrakurze Pulse zeigen erstmals in Echtzeit, was in einem Atom passiert, aus dem ein einzelnes Elektron herausgeschlagen wurde

Wie Elektronen sich in der äußeren Schale eines Atoms bewegen, hat ein internationales Team um Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik und der Ludwig-Maximilians-Universität München beobachtet. Die Physiker haben in einem Edelgasatom den quantenmechanischen Prozess verfolgt, der dort stattfindet, wo kurz zuvor ein Elektron aus seiner Umlaufbahn herausgeschlagen wurde. Demnach hinterlässt das Elektron dabei ein pulsierendes Loch. Für das Experiment nutzten die Forscher Lichtpulse, die nur wenig mehr als 100 Attosekunden dauern. Sie eröffnen damit die Möglichkeit, die Bahnen von Elektronen auch in Molekülen und Festkörpern zu beobachten. (Nature, 5. August 2010; Doi:10.1038/nature09212)

Quantenteilchen, wie Elektronen, sind flüchtige Zeitgenossen. Wo genau sich Elektronen in einem Atom aufhalten, kann niemand sagen. Die Elementarteilchen folgen den Gesetzen der Quantenmechanik: Quantenphysiker können nicht zugleich die Bewegung und den Aufenthaltsort eines Teilchens bestimmen. Daher geben sie für den Aufenthaltsort nur Wahrscheinlichkeiten an, die die Form von Wolken annehmen. Mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit halten sie sich jeweils in einem charakteristisch geformten Orbital auf. Manchmal besetzt ein Elektron zwei oder mehr Orbitale auf einmal, Physiker sprechen dann von einem Überlagerungszustand. Dann nimmt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Partikel die Form einer pulsierenden Wolke an. Um sich zwischen den verschiedenen Aufenthaltsräumen hin- und her zu bewegen brauchen die Elektronen nur einige hundert Attosekunden. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde.

Die Bewegung von Elektronen haben die Forscher um Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität, nun erstmals verfolgt. In einer Kooperation mit der King-Saud-Universität (Riad, Saudi-Arabien), des Argonne National Laboratory (USA) und der University of California, Berkeley (USA) haben die Physiker zunächst ein Elektron aus der äußeren Hülle eines Kryptonatoms herausgelöst. Anschließend haben sie gemessen, wie sich die Wolke der verbleibenden Elektronen bewegt.

Bei ihren Experimenten ließen die Physiker Laserpulse aus dem sichtbaren Bereich des Spektrums auf Kryptonatome treffen. Die Lichtpulse mit einer Dauer von weniger als vier Femtosekunden – eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer milliardstel Sekunde – schlugen aus den äußeren Schalen der Atome jeweils ein Elektron heraus. Das Atom wird dann zum positiv geladenen Ion. An der Stelle, an der das Elektron das Atom verlassen hat, entsteht ein positiv geladenes Loch. Quantenmechanisch gesehen pulsiert dieser freie Platz nun im Atom weiter als sogenannte Quantenschwebung.

Erkenntnisse, die zu den Grenzen der Elektronik führen

Das Pulsieren haben die Physiker nun mit einem zweiten, nur noch 150 Attosekunden langen Puls von extrem kurzwelligem ultraviolettem Licht direkt beobachtet, also quasi gefilmt. Es stellte sich heraus, dass sich die Position des Lochs im Ion, also der positiv geladenen Stelle, innerhalb von nur rund sechs Femtosekunden zyklisch zwischen einer langgestreckten keulenartigen und einer kompakten zusammengezogenen Form hin und her bewegt. „Damit ist es uns zum ersten Mal gelungen, die Veränderung einer Ladungsverteilung in einem Atom direkt aufzuzeichnen“, erklärt Eleftherios Goulielmakis, Forschungsgruppenleiter im Labor für Attosekundenphysik von Ferenc Krausz.

„Mit unseren Experimenten haben wir einen einzigartigen Echtzeit-Einblick in den Mikrokosmos erhalten“, erläutert Ferenc Krausz. „Wir haben erstmals die quantenmechanischen Vorgänge in einem ionisierten Atom mit Attosekunden-Lichtblitzen aufgezeichnet.“ Die Erkenntnisse helfen, die blitzschnelle Dynamik von Elementarteilchen außerhalb des Atomkerns besser zu verstehen.

In weiteren Untersuchungen wollen die Physiker des Labors für Attosekundenphysik filmen, wie sich Elektronen in Molekülen und Festkörpern bewegen. Damit werden sie auch neue Einsichten in biologische und chemische Prozesse ermöglichen, die letztlich immer auf der Bewegung von Elektronen beruhen. Sobald sich diese Prozesse mit exakteren Modellen beschreiben lassen, eröffnen sich möglicherweise auch neue Einsichten in die mikroskopischen Ursachen schwerer Krankheiten. Das Verständnis der ultraschnellen elektronischen Prozesse dürfte aber auch dazu beitragen, die elektronische Datenverarbeitung schrittweise zur ultimativen Grenze der Elektronik zu beschleunigen. [TN/PH]

Originalveröffentlichung:
Eleftherios Goulielmakis, Zhi-Heng Loh, Adrian Wirth, Robin Santra, Nina Rohringer, Vladislav S. Yakovlev, Sergey Zherebtsov, Thomas Pfeifer, Abdallah M. Azzeer, Matthias F. Kling, Stephen R. Leone und Ferenc Krausz
Real-time observation of valence electron motion
Nature, 5. August 2010, Doi:10.1038/nature09212

Externer Link: www.mpg.de

Ultrastarke Wechselwirkung zwischen Licht und Materie realisiert

Pressemitteilung der TU München vom 29.07.2010

Neuer Schritt auf dem Weg zum Quanten-Computer:

Weltweit arbeiten Forscher an der Entwicklung des Quanten-Computers, der den bisherigen Computern haushoch überlegen wäre. Die starke Kopplung von Quanten-Bits mit Lichtquanten ist dabei ein Schlüsselprozess. Ein Team um Professor Rudolf Gross, Physiker an der Technischen Universität München (TUM), hat nun eine extrem starke Wechselwirkung zwischen Licht und Materie erzielt, die ein erster Schritt in diese Richtung sein könnte. Ihre Ergebnisse stellen sie in der aktuellen Online-Ausgabe des Magazins Nature Physics vor.

Die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie ist einer der fundamentalsten Prozesse der Physik. Ob sich unser Auto im Sommer aufgrund der Absorption von Lichtquanten in einen Backofen verwandelt, ob Solarzellen aus Licht Strom gewinnen oder Leuchtdioden Strom in Licht umwandeln, überall in unserem täglichen Leben begegnen wir Auswirkungen dieser Prozesse. Auch für die Entwicklung der so genannten Quanten-Computer ist das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen einzelnen Lichtteilchen, Photonen, und Atomen entscheidend.

Physiker der Technischen Universität München (TUM), des Walther-Meißner-Instituts für Tieftemperaturforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (WMI) und der Universität Augsburg haben nun zusammen mit Partnern aus Spanien eine ultrastarke Wechselwirkung von Mikrowellen-Photonen mit den Atomen eines nanostrukturierten Schaltkreises realisiert. Die erreichte Wechselwirkung ist zehnmal stärker als die bisher für solche Systeme erzielten Werte.

Das einfachste System zur Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie besteht aus einem so genannten Hohlraum-Resonator, in dem genau ein Lichtteilchen, ein Photon, und ein Atom eingesperrt sind (Cavity quantum electrodynamics, cavity QED). Die Experimente sind hierbei extrem aufwändig, da die Wechselwirkung sehr schwach ist. Eine sehr viel stärkere Wechselwirkung lässt sich mit nanostrukturierten Schaltkreisen erzielen, in denen bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt Metalle wie Aluminium supraleitend werden (circuit QED). Richtig aufgebaut verhalten sich die vielen Milliarden Atome der nur wenige Nanometer dicken Leiterbahnen des Schaltkreises so wie ein einziges künstliches Atom und gehorchen den Gesetzen der Quantenmechanik. Im einfachsten Fall erhält man so ein System mit zwei Energiezuständen, ein so genanntes Quanten-Bit oder Qbit.

Die Kopplung solcher Systeme mit Mikrowellen-Resonatoren hat sich zu einem rasch wachsenden neuen Forschungsgebiet entwickelt, auf dem die TUM-Physik, das WMI und der Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM) eine weltweit führende Stellung einnehmen. Anders als bei cavity QED-Systemen können die Wissenschaftler die nano-Schaltkreise in weiten Bereichen gezielt maßschneidern.

Für seine Messungen fing das Team um Professor Gross das Photon in einer speziellen Box ein, einem Resonator. Dieser besteht aus einer supraleitenden Niob-Leiterbahn, die an beiden Enden mit für Mikrowellen sehr gut reflektierenden „Spiegeln“ ausgestattet ist. In diesem Resonator wird das künstliche, aus einem Aluminium-Schaltkreis bestehende Atom so platziert, dass es mit dem Photon optimal wechselwirken kann. Die ultrastarken Wechselwirkungen erzielten die Forscher, indem sie ein weiteres supraleitendes Bauteil in ihren Schaltkreis einfügten, einen so genannten Josephson-Kontakt.

Die gemessene Wechselwirkungsstärke erreichte bis zu zwölf Prozent der Resonatorfrequenz. Sie ist damit zehnmal stärker als bisher in circuit QED Systemen gemessene Wechselwirkungen und viele tausendmal stärker als die in echten Hohlraum-Resonatoren messbaren Effekte. Doch mit dem Erfolg schufen die Wissenschaftler auch ein neues Problem: Bisher beschrieb die schon 1963 entwickelte Jaynes-Cummings-Theorie alle beobachteten Effekte gut. Im Gebiet der ultrastarken Wechselwirkungen scheint sie jedoch nicht mehr zu gelten. „Die Spektren sehen so aus, als hätten wir es hier mit einem völlig neuen Objekt zu tun“, sagt Professor Gross. „Die Kopplung ist so stark, dass das Atom-Photon-Paar als eine neue Einheit betrachtet werden muss, eine Art Molekül aus einem Atom und einem Photon.“

Dies genauer zu untersuchen, wird Experimentalphysiker und Theoretiker noch eine Weile beschäftigen. Experimentell in diesen Bereich vorstoßen zu können, eröffnet den Wissenschaftlern aber jetzt schon eine Vielzahl neuer experimenteller Möglichkeiten. Die gezielte Manipulation solcher Paare aus Atom und Photon könnte der Schlüssel zur Quanten-basierten Informationsverarbeitung sein, den so genannten Quanten-Computern, die den heutigen Computern haushoch überlegen wären.

Die Arbeiten wurden finanziell unterstützt aus Mitteln der Exzellenzinitiative (Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich), Mitteln des SFB 631 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft (EuroSQIP, SOLID) sowie aus Mitteln des spanischen Ministeriums für Wissenschaft und Innovation.

Originalpublikation:
Circuit quantum electrodynamics in the ultrastrong-coupling regime
T. Niemczyk, F. Deppe, H. Huebl, E. P. Menzel, F. Hocke, M. J. Schwarz, J. J. Garcia-Ripoll, D. Zueco, T. Hümmer, E. Solano, A. Marx and R. Gross
Nature Physics, published online 25. Juli 2010 – DOI: 10.1038/NPHYS1730

Externer Link: www.tu-muenchen.de

Quantenphysik trifft Materialphysik

Pressemeldung der Universität Wien vom 27.07.2010

Eine Forschungsgruppe um Georg Kresse, Professor für Computational Quantum Mechanics an der Universität Wien, hat eine neuartige Methode zur Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Elektronen entwickelt. Damit können chemische Prozesse an Oberflächen mit unübertroffener Genauigkeit berechnet, sowie Struktur und Bindungsstärke von Materialien wesentlich genauer vorhergesagt werden. Die ForscherInnen publizierten dazu in der aktuellen Ausgabe des renommierten Fachjournals „Nature Materials“.

Verbesserte Beschreibung der Korrelationsenergie

Der verstärkte Einsatz von Computersimulationen zählt zu den bedeutendsten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in den Materialwissenschaften. Für eine atomistische quantenmechanische Beschreibung kommen dabei vor allem Methoden der Dichtefunktionaltheorie (DFT) zum Einsatz, wie das in der Gruppe an der Universität Wien entwickelte Vienna Ab-initio Simulation Package (VASP).

Die Komplexität des quantenmechanischen Vielelektronenproblems erfordert allerdings eine genäherte Beschreibung der Wechselwirkung zwischen den Elektronen. Die bisher üblichen  Näherungen erlauben zwar häufig eine gute Vorhersage von Trends, absolute Bindungsenergien sind aber mit Fehlern bis zu 20 Prozent behaftet. Weiters werden viele Effekte, wie z.B. Van-der-Waals-Wechselwirkungen damit nur unzureichend wiedergegeben. Diese Van-der-Waals-Wechselwirkungen sind aber essentiell, um die Bindung zwischen Molekülen und zwischen Molekülen und Oberflächen zu beschreiben. Die ForscherInnen der Universität Wien fanden nun einen Weg, die Wechselwirkung zwischen den Elektronen im Rahmen einer näherungsweisen Vielelektronentheorie genau zu berechnen. Laurids Schimka von der Forschungsgruppe um Georg Kresse meint dazu: „Durch den nicht-lokalen Ansatz zur Beschreibung der Wechselwirkung zwischen den Elektronen können wir jetzt Systeme simulieren, bei denen lokale DFT-Ansätze versagen.“

Computergestützte Oberflächenphysik

Ein zentrales Thema der Oberflächenphysik ist die Beschreibung von Vorgängen an der Grenzfläche zwischen einem Material und seiner gasförmigen Umgebung. Die Oberflächenphysik bildet damit die Grundlage für das Verständnis von katalytischen Prozessen, wie der Oxidation von giftigem Kohlenmonoxid (CO) zu ungiftigem Kohlendioxid in Fahrzeugkatalysatoren. Bei der Beschreibung der Adsorption von Kohlenmonoxid auf Metallen zeigen alle bisherigen Ansätze in der Dichtefunktionaltheorie fundamentale Schwächen: Entweder wird die Stabilität der Oberfläche oder die Wechselwirkung mit den adsorbierenden Molekülen überschätzt.

Erst mit dem neuen Ansatz können beide Eigenschaften korrekt beschrieben werden. Zusätzlich werden auch wichtige Beiträge wie die Van-der-Waals-Wechselwirkung zwischen organischen Molekülen und metallischen Oberflächen berücksichtigt. Mit dieser neuen Methode werden daher chemische Prozesse an Oberflächen wesentlich genauer modelliert. Damit können Computersimulationen verstärkt zum Design von neuartigen Materialen für die Katalyse oder den Korrosionsschutz eingesetzt werden.

Publikation:
Accurate surface and adsorption energies from man-body perturbation theory: Laurids Schimka, Judith Harl, Alessandro Stroppa, Andreas Grüneis, Martijn Marsman, Florian Mittendorfer und Georg Kresse. Nature Materials. 25.Juli 2010. DOI 10.1038/NMAT2806

Externer Link: www.univie.ac.at

Computergestützte Partnervermittlung für Formgedächtnis-Metalle

Presseinformation der Ruhr-Universität Bochum vom 01.07.2010

RUB-Forscher entdecken Gedächtnis-Metall mit unerreichter funktioneller Stabilität
Titelstory in „
Advanced Functional Materials“

Eine neue Formgedächtnis-Legierung mit bisher unerreichter funktioneller Stabilität haben Forscher des Instituts für Werkstoffe der Ruhr-Universität gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Japan entwickelt. Sie stützten sich dabei auf eine theoretische Vorhersage und nutzten kombinatorische Methoden der Materialforschung, sog. Dünnschicht-Materialbibliotheken, um die optimale Zusammensetzung zu entwickeln. Das Ergebnis besteht aus vier Komponenten: Titan, Nickel, Kupfer und Palladium. Von dem neuen Material versprechen sich die Forscher Bauteile mit stabilem Formgedächtniseffekt und langer Lebensdauer, z.B. für Anwendungen in der Medizintechnik wie Stents. Sie berichten in der aktuellen Ausgabe des renommierten Journals „Advanced Functional Materials“, das ihren Beitrag als Titelstory auswählte.

Formgedächtnislegierungen

Formgedächtnismaterialien kehren nach einer mechanischen Verformung bei Erwärmung in ihren Ausgangszustand zurück (Formgedächtniseffekt), oder ermöglichen bis zu ca. 10 % vollständig „elastische“ Dehnungen (Superelastizität). Die erstaunlichen Effekte basieren auf einer umkehrbaren martensitischen Phasenumwandlung: Die Kristallstruktur verändert sich in Abhängigkeit von der Temperatur oder Spannung. Allerdings gehen diese Veränderungen nicht spurlos am Material vorbei. Die wiederholten Verformungen erzeugen Defekte, die sich auf Dauer summieren, so dass das die Formgedächtniseigenschaft nachlässt. „Die Defekte entstehen an der Grenze zwischen der Hochtemperatur- und der Tieftemperaturphase während der Umwandlung und resultieren aus einer Fehlpassung der Kristallstrukturen“, erklärt Robert Zarnetta vom Materials Research Department der RUB.

Vier passende Partner

Theoretische Berechnungen der Forschungspartner aus den USA hatten ergeben, dass sich diese Fehlpassung durch die Auswahl von Metallen mit kompatiblen Hoch- und Tieftemperatur-Kristallgitterstrukturen reduzieren lassen müsste. Als optimale Partner für eine solche Legierung wurden die vier Metalle Titan, Nickel, Kupfer und Palladium (Ti-Ni-Cu-Pd) berechnet. Die erfolgreiche experimentelle „Partnervermittlung“ wurde durch den Einsatz von Dünnschicht-Materialbibliotheken möglich, mit deren Hilfe sehr große Zusammensetzungsbereiche in aus vier Elementen bestehenden (quaternären) Legierungssystemen mit Hochdurchsatz-Charakterisierungsmethoden untersucht werden können. „Die spezielle Zusammensetzung der neuen Legierung mit konventionellen experimentellen Methoden zu finden und zu optimieren wäre extrem schwierig gewesen“, erklärt Prof. Dr. Alfred Ludwig, Inhaber des Lehrstuhls Werkstoffe der Mikrotechnik.

Kompatible Kristallgitter machen stabil

Neben der Entdeckung spezieller Legierungszusammensetzungen konnten die Forscher in den Dünnschichten auch die zugrundeliegenden Zusammensetzungs-Struktur-Eigenschaftsbeziehungen ermitteln, und nutzten diese, um die Ergebnisse der Dünnschichten auf Massivmaterialien zu übertragen. So gelang zum ersten Mal der Nachweis des grundlegenden Zusammenhangs zwischen dem kristallinen Aufbau von Formgedächtnismaterialien und deren funktioneller Stabilität. „Eine verbesserte Kompatibilität der Kristallgitter der Hochtemperatur- und Tieftemperaturphase führt zu verbesserter funktioneller Stabilität“, fasst Robert Zarnetta das Ergebnis zusammen. „Dieser Zusammenhang konnte nur durch den Brückenschlag zwischen der kombinatorischen Entwicklung von Formgedächtnis-Dünnschichten und der konventionellen Materialentwicklung nachgewiesen werden“.

Sonderforschungsbereich und Research Department

Die Untersuchungen wurden, aufbauend auf der Arbeit im Sonderforschungsbereich (SFB) 459 „Formgedächtnistechnik“, am Lehrstuhl „Werkstoffe der Mikrotechnik“ (Prof. Dr.-Ing. Alfred Ludwig, Institut für Werkstoffe) in Kooperation mit dem Lehrstuhl Werkstoffwissenschaft (Prof. Dr.-Ing. Gunther Eggeler, Institut für Werkstoffe) im Materials Research Department der RUB durchgeführt. (Meike Drießen)

Titelaufnahme:
Zarnetta, R., Takahashi, R., Young, M. L., Furuya, Y., Thienhaus, S., Savan, A., Maass, B., Rahim, M., Frenzel, J., Brunken, H., Chu, Y. S., Srivastava, V., James, R. D., Takeuchi, I., Eggeler, G. & Ludwig, A.: Identification of quaternary shape memory alloys with near zero thermal hysteresis and unprecedented functional stability, In: Advanced Functional Materials 2010, 20, 1917-1923), doi: 10.1002/adfm.200902336

Externer Link: www.ruhr-uni-bochum.de