Weltrekord: Längstes EKG nicht-invasiv gemessen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 21.11.2013

Bis zu sechs Monate lässt sich die Herzfunktion von Patienten mit einem neuartigen Sensorgurt überwachen – Elektroden lassen sich ohne Leitpaste oder operativen Eingriff nutzen

Herzkranke können schnell zu Notfallpatienten werden. Dann entscheiden Sekunden über Leben und Tod. Dabei deuten sich viele Herzleiden schon über Monate mit Symptomen an, die jedoch leicht übersehen werden. Helfen kann hier ein Langzeit-EKG. Ein am KIT entwickelter Sensorgurt erlaubt es nun erstmals die Herzaktivität eines Patienten langfristig rund um die Uhr zu protokollieren; bis zu 6 Monate lang. Den Sensorgurt stellen die Forscher zurzeit auf der Fachmesse Medica in Düsseldorf vor.

„Mit dem Sensorgurt wird es sehr einfach, auch seltene Herzereignisse zu erkennen, um damit eine geeignete Therapie herbeizuführen“, erklärt Wilhelm Stork vom Karlsruher Institut für Technologie. Das Gerät ermöglicht es, eine Reihe von Parametern wie Herz- und Atemfrequenz, Aktivität und Leitfähigkeiten kontinuierlich über einen sehr langen Zeitraum zu messen und ein Elektrokardiogramm (EKG) zu erstellen. „Der Arzt hätte dann alle Daten zur Hand, um dem Patienten so früh zu helfen, dass es erst gar nicht zu einer Notsituation kommt.“

In einer Studie des Karlsruher Instituts für Technologie, des Städtischem Klinikums Karlsruhe und des Universitätsklinikums Tübingen wurde die Langzeittauglichkeit des Sensorgurts getestet. Rund 50 Probanden nahmen daran teil und trugen den Gurt einige Tage bis einige Wochen, im Schnitt etwa 2 Wochen. Die Patienten hatten im Vorfeld eine akute Herzschwäche erlitten und wurden in der Nachbehandlung durch den Sensorgurt kontinuierlich überwacht. Ein Proband wurde sogar 6 Monate am Stück überwacht.

Der Sensorgurt enthält vier neuartige Trockenelektroden. Dadurch lassen sich Hautirritationen vermeiden, der Tragekomfort über Monate gewährleisten und dennoch sehr verlässliche Messdaten erheben. Der Patient kann den Gurt leicht selber anlegen. „Aussehen und Handhabung ähneln den bekannten Pulsmessern für Jogger, nur das sehr viel mehr Daten erfasst werden können“, sagt Malte Kirst vom KIT, einer der Entwickler. Die Messelektronik von der Größe und Gewicht eines kleinen Handys erfasst in einer Woche über ein Gigabyte an Daten. Dann wird die Speicherkarte ausgelesen und der Akku geladen. „Aufbau und Datenauswertung sorgen dafür, dass selbst bei Störungen einzelner Elektroden, etwa durch Körperbewegungen rund 99 Prozent der Zeit ein verwertbares EKG erstellt werden kann“, sagt Kirst, der Teile der Analysesoftware am FZI Forschungszentrum Informatik erstellt hat, bevor er ans KIT wechselte.

Bisherige mobile EKG-Messgeräte benötigen leitfähige Pasten. Die selbstklebenden Elektroden werden von medizinischem Personal punktgenau aufgeklebt. Nach einigen Tagen kommt es oft zu Hautirritationen oder die Paste ist ausgetrocknet. In der Regel werden 24 Stunden, manchmal auch mal 7 Tage Daten aufgezeichnet. Bei Hochrisiko-Patienten können Messgeräte zur Überwachung auch operativ implantiert werden. Der neue Sensorgurt verbindet die Vorteile der beiden Systeme und vermeidet die Nachteile. Dadurch könnte einer größeren Patientenzahl einfach geholfen werden.

Die chronische Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Herz-Kreislauferkrankungen mit etwa 10 Millionen Betroffenen in Europa. Dabei sterben mehr als 40 Prozent der Patienten innerhalb von 5 Jahren nach der Diagnose. Die Krankheit verursacht milliardenschwere Gesundheitskosten durch die Intensivbehandlung der Notfälle und die Nachfolgenden, langwierige Krankenhausaufenthalte. Daher ist es von großem Nutzen für Patienten und Gesundheitssystem, das beginnende Herzversagen (Dekompensation) frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Durch ein kontinuierliches Monitoring wie etwa mit dem Sensorgurt kann man die Dekompensation vorhersagen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen.

Weitere Anwendungsfelder sind die Diagnose von Vorhofflimmern und sogenannten Synkopen, also spontane Ohnmachtsattacken. Die betrifft rund 400.000 Patienten in Deutschland. „Hier benötigt man zuverlässige, langfristige EKG, um das Herz als Ursache eindeutig zu identifizieren oder auszuschließen“, so Stork. Ein vierköpfiges Team arbeitet zurzeit daran, aus dem Prototypen des Sensorgurts ein Medizinprodukt für diese Anwendung zu machen. Das Exist-Programm des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützt die Entwicklung mit 500 000 Euro. (kes)

Externer Link: www.kit.edu