Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 28.11.2013
Eine neue Studie zeigt die Möglichkeiten und Grenzen auf, wie mit Hilfe der Optogenetik verbreitete Formen der Erblindung bekämpft werden können
Die sogenannte Optogenetik gilt seit einigen Jahren als vielversprechender Therapieansatz bei fortschreitender Erblindung, wie sie beispielsweise durch eine Degeneration der Netzhaut ausgelöst wird. Um diesen Therapieansatz weiterentwickeln zu können, haben Marion Mutter und Dr. Thomas Münch vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) und vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) an der Universität Tübingen nun ein Computermodell entwickelt, mit dem sich das „optogenetische Sehen“ simulieren lässt. Die Studie wurde am 27.11.2013 im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht.
Die Retinitis pigmentosa ist eine Netzhautdegeneration, bei der die Fotorezeptoren im Auge absterben. Um dem damit einhergehenden Verlust des Augenlichts entgegenzuwirken, werden bei optogenetischen Verfahren lichtempfindliche Eiweißstoffe, sogenannte Kanal-Rhodopsine, in die Netzhaut eingebaut. Jede Zelle, die Kanal-Rhodopsine in sich trägt, kann durch Licht aktiviert werden. Nach optogenetischer Behandlung können dann benachbarte Zellen im Auge die fehlende Funktion der Fotorezeptoren übernehmen. Tatsächlich konnten damit bereits Erfolge zur Wiederherstellung der Sehfunktion bei blinden Mäusen erzielt werden. In den vergangen Jahren wurde so der Grundstein für die Behandlung von Blindheit mit optogenetischen Ansätzen gelegt.
Allerdings stößt man bei dieser Methode auch an Grenzen. So kommt das menschliche Sehsystem normalerweise problemlos mit extremen Lichtverhältnissen in der Umgebung zurecht: wir können bei schwachem Sternenlicht bis hin zu gleißendem Sonnenschein sehen. Im Gegensatz dazu wäre man zu „optogenetischem Sehen“ mit den bisher im Labor entwickelten Kanal-Rhodopsinen nur bei allerhellstem Sonnenschein in der Lage.
Vor allem in Hinblick auf mögliche künftige Anwendungen beim Menschen wäre es wünschenswert, die Eigenschaften der Kanal-Rhodopsine weiter zu verbessern. Wie diese Verbesserungen erreicht werden könnten, haben die Forscher an dem eigens entwickelten Computermodell untersucht. Dieses Modell ermöglicht es, verschiedene Varianten der Kanal-Rhodopsine daraufhin zu bewerten, wie gut sie die Wiederherstellung der Sehfähigkeit unterstützen. „Wenn ein solches Molekül von Licht angeregt wird“, erklärt Marion Mutter, „dann durchläuft es eine definierte Abfolge von Zuständen, die letztlich die Lichtantwort des behandelten Auges bestimmen.“ In der Vergangenheit wurden Kanal-Rhodopsine hauptsächlich optimiert, um Fragen der neurobiologischen Grundlagenforschung voranzubringen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das optogenetische Sehen von ganz anderen Optimierungen profitieren würde, die bisher vernachlässigt wurden“, sagen Marion Mutter und Thomas Münch.
Welche Auswirkungen hätten die beschriebenen Verbesserungen auf das Sehvermögen? „Unseren Berechnungen zufolge ist es möglich, den Empfindlichkeitsbereich des optogenetischen Sehens um mehr als das Hundertfache auszudehnen“, meint der Projektleiter Thomas Münch. In der klinischen Praxis könnte das nach den Berechnungen der Tübinger Wissenschaftler dazu führen, dass Patienten nach einer optogenetischen Behandlung in Zukunft auch bei heller Zimmerbeleuchtung noch etwas sehen können. „Dann sind aber die biophysikalischen Grenzen erreicht“, sagt Münch. „Wir konnten in unserer Studie allerdings auch die Ursachen dieser Grenzen aufzeigen und damit die Richtung für neuartige zukünftige Optimierungen vorgeben.“
Originalpublikation:
Marion Mutter & Thomas A. Münch (2013): Strategies for expanding the operational range of channelrhodopsin in optogenetic vision. PLOS ONE, DOI: 10.1371/journal.pone.0081278
Externer Link: www.uni-tuebingen.de