Die Gleitsichtbrille im Gehirn

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 10.06.2016

Sehinformationen aus dem nahen und fernen Sichtfeld werden mit unterschiedlicher Genauigkeit verarbeitet

Tübinger Neurowissenschaftler haben entdeckt, wie unser Gehirn visuelle Reize ober- und unterhalb des Horizonts unterschiedlich verarbeitet. Das Forscherteam unter Leitung von Dr. Ziad Hafed vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen konnte bei nichthumanen Primaten nachweisen, dass verschiedene Teile des Sichtfeldes im Colliculus superior – einem Teil des Mittelhirns, der bei der visuellen Wahrnehmung und dem Verhalten eine zentrale Rolle spielt – asymmetrisch repräsentiert sind: Für das obere Sichtfeld steht mehr Gehirngewebe zur Verfügung als für das untere. Visuelle Reize oberhalb des Horizonts werden daher schärfer, präziser und schneller verarbeitet: Unser Gehirn trägt sozusagen eine Gleitsichtbrille.

Wenn wir sehen, nehmen wir die Welt fast ohne bewusste Absicht wahr. Wir sehen in der Mitte unseres Sichtfeldes – entlang der Blickachse – viel besser als in der Peripherie. Wenn unser Gehirn daher ein interessantes Objekt in der Peripherie wahrnimmt, löst es sofort eine Augenbewegung aus, so dass unsere Blickachse durch das Objekt verläuft. Sobald es in unserer unmittelbaren Sichtlinie ist, können wir das Objekt dann tiefenscharf wahrnehmen.

Das liegt teilweise an der extremen Dichte der Fotorezeptoren im Zentralbereich unserer Netzhaut, der Fovea. Aber die Vorliebe der visuellen Wahrnehmung für die Mitte unseres Sichtfeldes ist auch im Gehirn repräsentiert. Sie zeigt sich in jenen Hirnstrukturen, die Reize aus der Fovea verarbeiten. So ist im Colliculus superior (CS) – einer Region des Mittelhirns, die Augenbewegungen auf periphere Reize hin anregt – wesentlich mehr Hirnmasse auf die Verarbeitung fovealer Signale ausgerichtet als auf die von peripheren Signalen. Dieses Phänomen nennt man ‚foveale Vergrößerung’.

Das Team um Dr. Hafed konnte nun zeigen, dass auch andere Teile des Sichtfeldes als nur die Fovea im CS ‚vergrößert’ werden. Ihre Ergebnisse machen klar, dass das bisher verwendete Modell des CS, das nur foveale Vergrößerung kennt, nicht ausreicht. Dieses einfache Modell nimmt an, dass unser CS die Welt durch ein ‚Vergrößerungsglas’ betrachtet: Je zentraler ein Objekt in unserem visuellen Feld ist, desto spezifischer sprechen bestimmte Neuronen darauf an und desto mehr Neuronen sind darauf spezialisiert, das Signal zu verarbeiten.

Dr. Hafeds neues Modell modifiziert diese Vorstellung, indem es neben der fovealen Vergrößerung eine Vergrößerung des oberen Sichtfeldes annimmt. Sein Forscherteam fand heraus, dass die obere Hälfte des Sichtfeldes im CS durch Wahrnehmungsfelder repräsentiert wird, die wesentlich engmaschiger sind, feiner auf die Struktur empfangener Bilder abgestimmt und empfindlicher für Kontraste. Das untere Sichtfeld dagegen hat im CS eine geringere ‚Auflösung’. Die Forscher stellen sich die ‚Linse’ im CS daher eher wie eine Gleitsichtbrille vor.

Dr. Hafed meint, dass die Asymmetrie der neuralen Repräsentation an unsere normalen Umweltbedingungen angepasst ist. Weiter entfernte Objekte hinterlassen auf der Netzhaut kleinere Bilder als nahe. Um sinnvoll und schnell auf nahe Objekte reagieren zu können, benötigen wir daher keine so hohe Auflösung wie bei weit entfernten.

„In unserer dreidimensionalen Umgebung sind Objekte im unteren Sichtfeld meist nah an uns dran. Ein Beispiel wären die Anzeigen im Armaturenbrett beim Autofahren“, erklärt Hafed. „Weiter entfernte Objekte dagegen, zum Beispiel eine vor uns liegende Straßenkreuzung, befinden sich im oberen Sichtfeld. Um uns auf solche entfernteren Objekte zu konzentrieren, brauchen wir logischerweise eine höhere Auflösung im oberen Sichtbereich. Unsere Experimente liefern belastbare Hinweise, dass das alte Modell mit seiner symmetrischen Repräsentation des oberen und unteren Sichtfelds im Colliculus superior neu gedacht werden muss.“

Die Ergebnisse von Dr. Hafeds Forscherteam könnten sich für das Design der Benutzeroberfläche von Augmented Reality- (AR) und Virtual Reality (VR)-Systemen als sehr nützlich erweisen. Diese Systeme verfügen über große Displays, die fast das gesamte visuelle Feld abdecken. Das bietet viele Freiheitsgrade, wo essenzielle visuelle Informationen platziert werden. Es ist derzeit eine der großen technischen Herausforderungen, diese Platzierung für Menschen zu optimieren. Da die ‚Gleitsichtbrille’ im CS schnellere und präzisere Augenbewegungen im oberen Sichtfeld ermöglicht, könnten wichtige Informationen, die eine schnelle Verarbeitung erfordern, in AR und VR entsprechend angesiedelt werden.

Publikation:
Ziad M. Hafed, Chih-Yang Chen: Sharper, Stronger, Faster Upper Visual Field Representation in Primate Superior Colliculus. Current Biology (im Druck).

Externer Link: www.uni-tuebingen.de

Energie aus Sonnenlicht: Weiterer Schritt zur künstlichen Fotosynthese

Medienmitteilung der Universität Basel vom 24.06.2016

Chemikerteams der Universitäten Basel und Zürich sind der Energiegewinnung aus Sonnenlicht einen Schritt näher gekommen: Sie konnten erstmals eine der wichtigsten Phasen der natürlichen Fotosynthese in künstlichen Molekülen nachvollziehen. Ihre Ergebnisse stellen sie in der Fachzeitschrift «Angewandte Chemie (Internationale Ausgabe)» vor.

Grüne Pflanzen sind nach der Absorption von Sonnenlicht in der Lage, elektrische Ladungen vorübergehend zu speichern, indem sie einen sogenannten molekularen Ladungsakkumulator verwenden. Genau diesen Vorgang konnten nun die beiden Forschungsteams im Labor bei künstlichen Molekülen beobachten, die sie eigens dafür herstellten.

Zwei Ladungen kurz gespeichert

Die Chemiker regten die künstlichen Moleküle mit einem Laser an, worauf erstmals zwei negative Ladungen für eine kurze Zeitdauer gespeichert werden konnten. Es gelang, die Ladungen genügend lange Zeit – nämlich während 870 Nanosekunden – zu speichern, damit sie für die künstliche Fotosynthese auch tatsächlich nutzbar wären.

Neu ist insbesondere, dass die Forschenden die Ladungsakkumulation ohne energiereiche Hilfsreagenzien durchführten. Bisher gelang eine solche Ladungsakkumulation in künstlichen Molekülen nur unter Verwendung von Hilfsreagenzien. Für diese muss jeweils viel Energie aufgewendet werden – womit eine nachhaltige Umwandlung von Sonnenlicht in chemisch gespeicherte Energie nicht möglich wäre.

«Unsere Resultate bedeuten einen grundlegend wichtigen Schritt auf dem Weg in Richtung künstliche Fotosynthese», sagen die beiden Leiter der Forschungsarbeit, Prof. Oliver Wenger (Universität Basel) und Prof. Peter Hamm (Universität Zürich). Bis zur angestrebten hohen Nachhaltigkeit des Verfahrens bleibe aber für die Forschung noch immer ein weiter Weg.

Umwandlung in Treibstoff

Derzeit untersuchen die beiden Forschungsgruppen der Universitäten Basel und Zürich, wie die Ladungsakkumulation in einen chemischen Treibstoff umgewandelt werden kann. Vorbild dafür sind die grünen Pflanzen, welche die Ladungsakkumulation zum Aufbau von lebensnotwendigen, energiereichen Substanzen nutzen. Die künstliche Fotosynthese gilt als ein vielversprechendes Element einer zukünftigen nachhaltigen Energieversorgung.

Originalbeitrag:
M. Orazietti, M. Kuss-Petermann, P. Hamm, O. S. Wenger
Light-Driven Electron Accumulation in a Molecular Pentad
Angew. Chem. Int. Ed. (2016), doi: 10.1002/anie.201604030 (englische Version) und 10.1002/ange.201604030 (deutsche Version).

Externer Link: www.unibas.ch

Wie der Schnupfen in die Zelle kommt

Presseaussendung der TU Wien vom 20.06.2016

Viren schleusen ihre Erbsubstanz in unsere Zellen ein. Wie das funktioniert, lässt sich nun an der TU Wien mit einer neuen Kombination von Analysemethoden untersuchen.

Schnupfenviren verursachen uns Ärger, indem sie in unsere Zellen eindringen und dort die RNA aus ihrem Inneren in das Cytoplasma der infizierten Zelle transportieren. Erst dadurch können sie sich vermehren. Wie diese Ausschleusung der RNA aus dem Inneren des Virus im Detail abläuft, ist schwer zu untersuchen. An der TU Wien wurden nun eine Methode entwickelt, mit der man diesen Prozess analysieren kann. Sie entstand aus der Kombination zweier etablierter Verfahren – sogenannten „Molecular Beacons (molekulare Leuchtfeuer)“ und der Kapillarelektrophorese im Chip-Format. Die neue Methode wurde nun publiziert und der Artikeltitel ziert das Cover des Fachjournals „Analytical and Bioanalytical Chemistry“.

Mini-Fußball mit Erbsubstanz

Das Schnupfenvirus, das Prof. Günter Allmaier und sein Team vom Institut für Chemische Technologien und Analytik studierten, ist relativ einfach aufgebaut. Es sieht aus wie ein Nano-Fußball mit einem Durchmesser von ungefähr 30 Nanometern. Seine Schale besteht aus vier verschiedenen Proteinen, die jeweils 60-fach vorhanden sind, im Inneren verbirgt sich die RNA, auf der die Erbinformation des Virus gespeichert ist.

„Bestimmte äußere Bedingungen können das Virus dazu bringen, seine RNA nach außen freizusetzen“, erklärt Victor Weiss, PostDoc von Günter Allmaier. „In unseren Zellen wird das durch einen niedrigeren pH-Wert ausgelöst, man kann denselben Effekt auch erzielen, indem man die Temperatur für zehn Minuten auf 57°C erhöht.“ In diesem Fall organisieren sich die Proteine um, die Schale des Virus bekommt Löcher, durch eines von ihnen wird dann der RNA-Strang freigegeben.

Für viele medizinische Fragen ist es wichtig, diesen Mechanismus genau zu verstehen – zum Beispiel für die künftige Entwicklung von Medikamenten, die genau diesen RNA-Transfer verhindern. Die Dynamik dieses Vorgangs konnte bisher nicht direkt beobachtet werden. In den Labors der TU Wien wird dieser Prozess aber nun experimentell zugänglich gemacht.

Fluoreszierende Marker und Elektrophorese

Man verwendet sogenante „Molecular Beacons“ – das sind maßgeschneiderte RNA (oder DNA-) Moleküle mit zwei verschiedenen Enden. An einem Ende sitzt ein Fluorophor, der aufleuchtet, wenn man ihn mit Laserlicht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt, am anderen Ende ein „Quencher“, der genau dieses Aufleuchten verhindert. „Anfangs ist das Molekül zusammengeklappt, Fluorophor und Quencher befinden sich ganz nahe nebeneinander, dann ist die Fluoreszenz sehr gering“, erklärt Victor Weiss.

Die Molecular Beacons können allerdings an eine ganz bestimmte RNA-Sequenz andocken. Wenn das passiert, klappt das Molekül auseinander, Fluorophor und Quencher sind plötzlich weit voneinander entfernt, und wenn man das Molekül dann mit dem passenden Laserlicht bestrahlt, fluoresziert es.

Man kann diese Molecular Beacons also verwenden, um bestimmte RNA-Sequenzen nachzuweisen. Diese Technik wurde an der TU Wien mit einer anderen bewährten Technik kombiniert – der Kapillarelektrophorese. Dabei trennt man die Komponenten einer Probe nach ihrer elektrophoretischer Mobilität (Wanderungsgeschwindigkeit in einem elektrischen Feld). Eine kleine Flüssigkeitsprobe wird in einem Chip-Kanal platziert, und dort wir ein elektrisches Feld angelegt, in dem die unterschiedlichen Nanopartikel auf charakteristische Weise unterschiedlich schnell wandern. Nach einer Trennstrecke von etwa eineinhalb Zentimetern trifft dann ein Laserstrahl auf die Partikel. Dort werden dann die leuchtenden Fluorophore des ausgeklappten Molecular Beacons gemessen, die an der Viren-RNA andocken konnten.

„Die unterschiedlichen Bestandteile der Probe kommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten beim Laser an, erst dadurch kann man sichergehen, dass man genau misst, was man eigentlich messen möchte“, erklärt Günter Allmaier. „Damit können wir nun beispielsweise zeigen, welches Ende der RNA zuerst aus dem Virus austritt, und wie dieser Prozess genau abläuft.“

Im Prinzip lässt sich die Methode, die im Rahmen eines FWF Projektes gemeinsam mit der Forschungsgruppe Dieter Blaas (Medizinische Universität Wien) entwickelt wurde, auch auf alle anderen Viren anwenden. „Uns geht es um die Entwicklung der Methode, als Testobjekt ist das Schnupfenvirus geradezu ideal“, meint Allmaier. „Wir hoffen aber natürlich, dass sich diese Methode in der medizinischen Forschung etabliert. Dass sie großes Potenzial hat, haben wir nun gezeigt und zeigt sich auch in der Kooperation mit der Firma Agilent Technologies.“ (Florian Aigner)

Originalpublikation:
Analytical and Bioanalytical Chemistry

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Welser Automatisierungstechnik-Student optimiert Feuchtemessung in der Papierindustrie

Pressemeldung der FH Oberösterreich vom 08.06.2016

Der Welser Automatisierungstechnik-Student David Hrubicek entwickelt im Rahmen seiner Masterarbeit für die Senmicro GmbH ein neuartiges Feuchte-Messsystem für die Papierindustrie. Die Feuchtemessung zählt zu den wichtigsten Qualitätsparametern in der Papierproduktion. Bislang wurden die Papierbahnen berührungslos mittels Infrarot-Strahlung auf ihren Wassergehalt überprüft. Der aus Winklarn (NÖ) stammende Sensorik-Spezialist verwendet nun erstmals die NIR-Spektroskopie, die vor einigen Jahren noch in der Grundlagenforschung steckte. Die neue Feuchtemessung kann genauere Daten liefern.

Die Papierherstellung ist ein energieintensiver Prozess. Der Feuchtegehalt ist dabei ein wichtiger Prozessparameter und auch ein ausschlaggebendes Qualitätsmerkmal bei der Papierherstellung. Durch die Messung des Feuchtegehalts an bestimmten Positionen, kann der Vorgang der Papiertrocknung optimal geregelt und dadurch Energie sowie Ressourcen eingespart werden.

Betreuer ist selbst FH-Absolvent

Die Firma Senmicro GmbH ist Spezialist bei der Sensorentwicklung zur Messung des Feuchtegehalts von Papierbahnen. „An den Feuchtesensor werden viele Anforderungen gestellt: Er muss trotz Schmutz, hoher Temperatur und hoher Luftfeuchte schnelle, genaue und reproduzierbare Messwerte abliefern“, erklärt Senmicro-Firmenbetreuer Thomas Fink MSc. „Bisherige Sensorsysteme basierten ebenfalls auf Messungen im Infrarotbereich, jedoch nur bei einzelnen Wellenlängen. Mit der NIR-Spektroskopie wird nun das gesamte Wellenspektrum als Datenquelle herangezogen.“

Thomas Fink hat selbst auch vor einigen Jahren das Welser Automatisierungstechnik-Studium erfolgreich absolviert und greift nun auf die jungen Nachwuchs-Mechatroniker zurück. „Das Automatisierungstechnik-Studium bringt den Studierenden genau jene Sensor- und Mikrosystem-Qualifikationen bei, die wir in unserem Unternehmen benötigen. Daher verstärken wir uns gezielt mit Welser FH-Absolventen“, so Fink weiter.

Mathematische Berechnungen

„In meiner Masterarbeit teste ich ein neu auf dem Markt erschienenes, auf Mikrosystemtechnologie basiertes Interferometer für den Einsatz als Feuchtemessung in der Papierindustrie. Bislang war dieses Messgerät nur im Labor im Einsatz. Erstmals erfüllt es nun auch die Robustheit für den Einsatz in industrieller Umgebung. Es zeichnet gesamte Spektren der Infrarotwellen auf. Dazu entwickle ich komplexe mathematische Modelle, um die vielen, mehrdimensional gemessenen Daten verarbeiten zu können“, erklärt der 24-jährige David Hrubicek.

Funktioniert auch unter widrigen Umständen

„Zuerst werden die Modelle zwar auch im Labor entwickelt, anschließend wollen wir die Ergebnisse aber in der realen Papierproduktion bestätigen lassen. Wenn alles gut läuft, liefert die NIR-Spektroskopie viel genauere Daten – und das auch unter widrigen Umgebungsbedingungen, wie sie in einer Papiermaschine vorherrschen“, freut sich Hrubicek, der während des FH-Studiums bereits 30 Stunden bei der Senmicro GmbH arbeitet.

Externer Link: www.fh-ooe.at