Mikroreaktor statt Tierversuch

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.02.2016

Europaweit arbeiten Forscher an Messverfahren, mit denen sich schädliche Nebenwirkungen von Medikamenten ohne Tierversuche bewerten lassen. Viele dieser alternativen Methoden aber bereiten noch Probleme. In einem europäischen Verbundprojekt wurde deshalb ein Mikrobioreaktor entwickelt, in dem sich Leberzellproben sehr gut kultivieren lassen. Anders als im Tierversuch kann man damit erstmals live mitverfolgen, wie eine Substanz auf das Gewebe wirkt.

Die Zahl der Tierversuche in der Forschung soll künftig deutlich verringert werden. So hat die Europäische Union mit der EU-Kosmetikverordnung 2013 unter anderem den Handel von Kosmetika verboten, deren Inhaltsstoffe mit Hilfe von Tierversuchen geprüft wurden. Doch nicht nur in der Kosmetikindustrie, auch in der medizinischen Forschung fällt der Umstieg auf alternative Verfahren schwer. In vielen Fällen fehlt es an Methoden, um die Giftigkeit von Substanzen zu testen. Zahlreiche Forschergruppen arbeiten an neuen aussagekräftigen Verfahren.

Besonders vielversprechend sind unter anderem Testverfahren mit Leberzellkulturen. Die Leber ist das wichtigste Entgiftungsorgan des Körpers. Daher ist es sinnvoll, die Giftigkeit, die Toxizität, von Substanzen an Leberzellen zu untersuchen. Dazu muss sichergestellt werden, dass alle Zellen gleichmäßig mit den Prüfsubstanzen in Berührung kommen. Zum anderen besteht das Problem, dass Leberzellen in Laborgefäßen meist schon nach wenigen Tagen absterben. Langzeitversuche, bei denen ermittelt wird, wie sich eine giftige Substanz langfristig auf einen Organismus auswirkt, sind damit kaum möglich.

Reaktion der Leberzellen in Echtzeit verfolgen

In dem Projekt »HeMiBio« haben Forscher vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Potsdam zusammen mit Partnern von der Hebrew University in Jerusalem einen Mikrobioreaktor entwickelt, in dem Leberzellen über einen Zeitraum von einem Monat gehalten und beobachtet werden können. Die Besonderheit besteht darin, dass die Forscher die Reaktion der Leberzellen auf die toxischen Substanzen unmittelbar und live mitverfolgen können. »Sowohl im Tierversuch als auch in herkömmlichen Laborversuchen führt man bislang in der Regel Endpunkt-Messungen durch«, sagt Dr. Claus Duschl, am IZI Leiter der Abteilung Zelluläre Biotechnologie. »Dabei verabreicht man verschiedene Dosen eines Wirkstoffs und analysiert anschließend das abgestorbene Gewebe oder das tote Tier. Wie der Wirkstoff im Detail auf die Zellen wirkt, kann man damit nicht ermitteln.«

Sensoren messen den Sauerstoffverbrauch

Ganz anders der Mikrobioreaktor: Mithilfe winziger Sensoren wird in Echtzeit ermittelt, wie viel Sauerstoff die Leberzellen gerade verbrauchen. Bei angeregtem Stoffwechsel ist der Verbrauch hoch. Stirbt die Zelle ab, sinkt auch der Sauerstoffverbrauch. Zellbiologen können heute an dessen Verlauf sogar ablesen, welche Stoffwechselprozesse zu einem bestimmten Zeitpunkt in Zellen ablaufen. Das machen sich die HeMiBio-Projektpartner zunutze. Gibt man eine toxische Substanz hinzu, nehmen die Sensoren des Mikroreaktors genau wahr, wie sich der Sauerstoffverbrauch verändert. So lässt sich exakt erkennen, welche Stufen im Stoffwechselprozess der Wirkstoff beeinflusst oder unterbricht. »Im Projekt haben wir mit unseren Kooperationspartnern, Zellbiologen von der Hebrew University in Jerusalem, die Vermutungen überprüft, indem genau jene Substanzen ersetzt wurden, deren Produktion durch den Giftstoff blockiert wird«, erläutert Duschl. »Tatsächlich liefen danach die anschließenden Stoffwechselschritte ungestört weiter.«

Eine Aufgabe der Mitarbeiter von Duschl bestand darin, das von vielen kleinen Kanälen durchzogene Reaktorgefäß zusammen mit den Partnern aus Israel zu designen. Dabei mussten sie darauf achten, dass alle Zellen gut mit Nährmedium versorgt werden, damit sie sich fein verteilen und nicht verklumpen. Diese Feinverteilung aber brachte eine Schwierigkeit mit sich: Je feiner die Zellen verstreut sind, umso schwächer sind die Signale, die der Sensor empfängt. »Wir brauchten also eine Sensortechnologie, mit der man sich den Zellen möglichst stark annähern kann, die aber die Zellen andererseits nicht beeinflusst und so die Ergebnisse verfälscht.« Das IZI-Projektteam kam auf die Idee, kleine Polymerpartikel zu verwenden, die mit Farbstoffen versetzt sind. Diese Farbstoffe geben phosphoreszierendes Licht ab: Bestrahlt man die Farbstoffe mit monochromatischem Licht einer LED, werden einzelne Elektronen angeregt und auf ein höheres Energieniveau gehoben. Innerhalb von Sekundenbruchteilen fallen die Elektronen auf das ursprüngliche Energieniveau zurück. Dabei wird die überschüssige Energie als Phosphoreszenzlicht abgegeben. Die Zeit, die die Elektronen für diese Abregung benötigen, hängt direkt von der Sauerstoffkonzentration in der Umgebung ab. »Der Zeitverlauf der Abregung signalisiert uns also, wie aktiv der Stoffwechsel gerade ist oder wie sich eine toxische Substanz auswirkt.« Das ist nicht zuletzt wichtig, um die Wirkungsweise bestimmter Substanzklassen besser zu verstehen, um einzuschätzen, warum welche Stoffe giftig sind oder auch um Medikamente zu verbessern.

Stoffwechselprozesse nachahmen

Dass der Mikrobioreaktor funktioniert, haben die Kooperationspartner bewiesen. Noch ist aber einiges zu tun. Da in der Leber verschiedene Zelltypen aktiv sind, wollen die Forscher den Reaktor künftig mit verschiedenen Zellen bestücken. »Dadurch können wir die Stoffwechselprozesse noch besser nachahmen«, sagt Duschl. Sogar Gewebe aus verschiedenen Organen könnten einst in einem Reaktor dieser Bauart kombiniert werden. »Bis dahin«, sagt Duschl, »ist es aber noch ein weiter Weg.«

Am Projekt HeMiBio sind auch Forscher vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin beteiligt. Zusammen mit Kollegen aus Belgien entwickeln sie ein weiteres Reaktorformat mit sehr komplexen fluidischen Strukturen. Erste Testmessungen sind im Gange und zeigen vielversprechende Resultate.

Externer Link: www.fraunhofer.de

technologiewerte.de – MOOCblick Februar 2016

Spannende Themen, herausragende Dozenten und flexible Lernmöglichkeiten tragen zum wachsenden Erfolg der Massively Open Online Courses (MOOCs) bei – offene, internetgestützte Kurse mit einer Vielzahl an Teilnehmern rund um den Globus.

Folgender Kurs – zu finden auf der MOOC-Plattform edX – sollte einen Blick wert sein:

Engineering: Building with Nature
Marcel Stive (TU Delft) et al.
Start: 29.02.2016 / Arbeitsaufwand: 15-25 Stunden

Externer Link: www.edx.org

Frühe Förderung zahlt sich aus

Medienmitteilung der ETH Zürich vom 05.01.2016

An der ETH Zürich wurden letztes Jahr 25 Spin-offs gegründet – so viele wie noch nie zuvor in einem Jahr. Der neue Rekord zeigt, wie hilfreich eine sehr frühe Unterstützung von jungen Talenten ist und dass das ETH-eigene Förderprogramm Früchte trägt.

Seit 2007 wurden an der ETH Zürich jährlich über 20 Spin-offs gegründet. Dieser Trend findet seinen vorläufigen Höhepunkt in einem neuen Rekord: 2015 wagten gleich 25 Jungunternehmerinnen und -unternehmer den Schritt zur Firmengründung. Inhaltlich ist das Spektrum breit: Da werden neue Methoden zur Messung von Muskelmüdigkeit oder Liposomen für die Entgiftung von Patienten entwickelt, Batterien optimiert oder intelligente Glühbirnen für mehr Sicherheit gegen Einbrüche programmiert.

Wie in den letzten Jahren üblich, stammen die meisten Gründungen – 2015 waren es sieben – aus dem Bereich Informatik- und Kommunikationstechnologie. Zudem gab es auffällig viele neue Spin-offs in Biotechnologie (4) und in der Entwicklung von medizinischen Geräten (3). Aber auch die Bereiche Elektrotechnik, Maschinenbau, sowie Beratung und Dienstleistungen waren mit je drei Gründungen vertreten. All diese Gebiete decken sich mit den Forschungsschwerpunkten der ETH Zürich.

Auch 2016 clevere Ideen

Besonders auffällig: Acht der 25 neuen ETH-Spin-offs wurden von sogenannten Pioneer Fellows gegründet. Mit dem Pioneer Fellowship Programm unterstützt die ETH Zürich bereits Masterstudierende, die eine Geschäftsidee in die Realität umsetzen wollen. «Es zeigt sich, dass es sich lohnt, junge Forschende schon sehr früh zu ermutigen, eine Idee zur Marktreife zu bringen. Das Programm wurde in den letzten fünf Jahren immer weiter optimiert und nun können jedes Jahr die Früchte dieser Bemühungen geerntet werden», freut sich Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen.

Seit 2010 konnten 52 Pioneer Fellows durch zahlreiche Donationen gefördert werden und daraus sind bereits 27 Spin-offs entstanden. Viele dieser Fellowships dauern aber noch an. Von den 33 bereits abgeschlossen Programmen haben 23 Pioneer Fellows – das bedeutet rund 70% – einen Spin-off gegründet. Deshalb überrascht es nicht, dass der Bund plant, das ETH-Modell in ein neues Förderprogramm zu integrieren und auf die gesamte Schweiz auszudehnen.

Die Aussichten der ETH für 2016 sind wiederum vielversprechend: «Im Dezember hatten die Pioneer Fellows im sogenannten ‹Pioneer-Pi-Pitch› die Gelegenheit ihre Ideen zu präsentieren und ich war beeindruckt, wie viele kreative Köpfe am Werk sind, die darauf brennen, ihre cleveren Ideen möglichst bald auch umzusetzen», erklärt Günther.

Gut investiert in ETH-Spin-offs

Eine eigene Firma zu gründen, erfordert Mut und Vertrauen in die eigene Stärke. Dafür zu sorgen, dass genügend Kapital vorhanden ist und sich im realen Wirtschaftsumfeld zu bewähren, ist nochmals eine andere Herausforderung. Und auch hier kann die ETH Zürich auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken: So erhielten ETH-Spin-offs, Pioneer Fellows und ETH-Studierende über eine Million Schweizer Franken von Venture Kick. Beim Heuberger Jungunternehmerpreis warben ETH-Spin-offs zudem 500‘000 Schweizer Franken ein. Zudem wurde substanziell in ETH-Spin-offs investiert. So erhielt GetYourGuide umgerechnet 50 Millionen US-Dollar, Insphero und Flisom, 20, resp. zehn Millionen Schweizer Franken, um nur einige Beispiele zu nennen.

«Unsere jungen Talente trauen sich etwas zu und werden für ihr Risiko belohnt. Wenn ich sehe, wie viele Investitionen 2015 in unsere Spin-offs geflossen sind, dann freue ich mich für unsere Jungunternehmerinnen und -unternehmer. Und ich bin davon überzeugt, dass es sich um gut investiertes Geld handelt», so Günther. Wie gewinnbringend ETH-Spin-offs sein können, zeigt die Entwicklung von GlycoVaxyn, die 2004 an der ETH Zürich gegründet wurde. 2015 kaufte GlaxoSmithKline die Firma für 212 Millionen US-Dollar.

Externer Link: www.ethz.ch

Proteinmenge steuert den Defekt

Presseinformation der LMU München vom 22.01.2016

Mutationen des Gens Peripherin-2 sind eine der häufigsten Ursache für erbliche Netzhautkrankheiten. LMU-Wissenschaftler zeigen, warum die Mutationen sich ganz unterschiedlich auswirken – je nachdem, ob Sehstäbchen oder Sehzapfen betroffen sind.

Hochspezialisierte Sehzellen in der Netzhaut sorgen dafür, dass wir unsere Umgebung scharf und farbig wahrnehmen: Die besonders lichtempfindlichen Stäbchen erlauben das Sehen im Dämmerlicht und in der Nacht. Die Zapfen dagegen sind für das scharfe Sehen bei Tageslicht und für das Erkennen von Farben zuständig. Eine der häufigsten Ursachen genetisch bedingter Netzhauterkrankungen beim Menschen sind Mutationen des Gens Peripherin-2 (PRPH2), das ausschließlich in diesen Fotorezeptoren aktiv ist. „Wir konnten nun erstmals zeigen, dass PRPH2 Mutationen die in den Fotorezeptoren produzierten Proteinmengen beeinflussen – und zwar auf ganz unterschiedliche Weise“, sagt der LMU-Pharmakologe Professor Martin Biel, der mit seinem Team die zellulären Vorgänge untersuchte, die eine Mutation auslöst. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin PLOS Genetics.

Das Gen Peripherin-2 kodiert für ein gleichnamiges Protein, das essenziell ist für den korrekten Aufbau der lichtempfindlichen Kompartimente der Fotorezeptoren. Weltweit leiden Schätzungen zufolge 100 000 Patienten unter einer allmählichen Degeneration der Fotorezeptoren bis hin zur Blindheit, die durch Mutationen in diesem Gen ausgelöst wird. „Seit Jahrzehnten ist es ein ungelöstes Rätsel, weshalb manche Mutationen zur Degeneration von Sehstäbchen führen, andere dagegen vor allem die Sehzapfen betreffen“, sagt Elvir Becirovic, der Erstautor der Studie.

Schnitte ins Erbgut

Um diesen Effekt näher zu untersuchen, haben die Wissenschaftler mithilfe von speziell modifizierten Viren – sogenannten Adenovirus-assozierten Viren (rAAV) – Mutationen im Peripherin-2-Gen spezifisch nur in den Photorezeptortyp eingeschleust, der durch die jeweilige Genveränderung auch tatsächlich beeinträchtigt wird. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass die Mutationen die Umsetzung der genetischen Information beeinflussen: Beim Ablesen eines Gens entsteht zunächst eine Vorläufer-mRNA, aus der dann durch das sogenannte „alternative Spleißen“ bestimmte Bereiche herausgeschnitten werden. Dadurch entsteht die endgültige mRNA, die als Vorlage für Proteine dient. Über das alternative Spleißen kann die Zelle die molekulare Zusammensetzung, aber auch die Menge des jeweiligen Proteins regulieren.

„Wir haben zunächst gezeigt, dass Sehstäbchen beim Spleißen deutlich effizienter sind und dadurch mehr Peripherin-2-Protein produzieren als die Zapfen. Die meisten Mutationen, die mit einer Degeneration der Stäbchen assoziiert sind, führten in unserer Untersuchung zu einer Reduktion der Proteinmenge in diesem Rezeptortyp, die teilweise durch eine geringere Spleißeffizienz entsteht“, sagt Becirovic. Im Gegensatz dazu führten die meisten Mutationen, die Zapfendefekte hervorrufen, zu einer Erhöhung der Proteinmenge in Sehzapfen. Dieser Effekt beruhte ausschließlich auf der Steigerung der Spleißeffizienz. Damit haben die Wissenschaftler zum ersten Mal nachgewiesen, dass krankheitsassoziierte Mutationen nicht nur durch eine Reduktion, sondern auch durch eine Erhöhung der Spleißeffizienz entstehen können.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sogar evolutionär, strukturell und funktionell verwandte Zelltypen wie Fotorezeptoren sich in ihrem Spleißverhalten deutlich unterscheiden können, was die differenzierte Wirkung von Mutationen erklären kann“, sagt Becirovic. Die Wissenschaftler vermuten, dass Mutationen in anderen Genen ähnliche Effekte auf das Spleißen und die damit verbundene Proteinproduktion haben könnten.

Möglicher Ansatzpunkt für Therapie

Die Studie ist auch für therapeutische Anwendungen sehr interessant, denn genetische Modifikationen mithilfe von rAAV-Genfähren sind laut Biel eine attraktive Methode, um Gendefekte beim Menschen zu behandeln. „Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass das rAAV-System auch zur Behandlung der genetischen Defekte in den Sehstäbchen und Sehzapfen eingesetzt werden könnte“, sagt Biel, an dessen Lehrstuhl solche Fähren bereits zur Behandlung retinaler Erkrankungen entwickelt wurden. „Da zusätzlich produzierte Proteine in den Sehzapfen vermutlich toxisch wirken, muss allerdings sichergestellt werden, dass es dabei nicht zu einer Überproduktion von Peripherin-2 in diesem Rezeptor kommt.“

Publikation:
PLOS Genetics 2016

Externer Link: www.uni-muenchen.de