Smartes selbstlernendes Assistenzsystem für die Produktion

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.03.2022

Die Effizienz von Produktionsmaschinen liegt oft weit unter den technischen Möglichkeiten. Der Grund: Erfahrene Mitarbeitende sind im Fall einer Störung häufig nicht verfügbar, anderen Arbeitskräften wiederum fehlt das Know-how, um die tatsächliche Fehlerursache zu beheben. Hier setzt das selbstlernende Assistenzsystem MADDOX an: Mit Methoden des maschinellen Lernens analysiert es Maschinen- und Prozessdaten, sucht per Mustererkennung nach ähnlichen Störungen in der Vergangenheit und präsentiert die Lösung auf dem Tablet. Entwickelt wurde das System von der Peerox GmbH, einem Spin-off des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV.

Bei einem Maschinenstillstand wird das Wissen erfahrener Kolleginnen und Kollegen benötigt. Doch diese sind häufig genau dann nicht vor Ort. Das weniger erfahrene Personal muss dann die Störung in Eigenregie beheben. Doch auch wenn umfangreiche Dokumentationen vorhanden sind, ist es im Fehlerfall und unter Zeitdruck eine große Herausforderung, die passenden Informationen zu finden. In der Folge wird nur selten die tatsächliche Ursache der Störung beseitigt, sodass sie in kurzen Abständen erneut auftritt. Ziel der Peerox GmbH ist es, dieses Alltagsszenario in Produktionsbetrieben zu vermeiden. Mit ihrem intelligenten, selbstlernenden Assistenzsystem MADDOX will sie die Effizienz in Produktionsunternehmen steigern, Ausschuss reduzieren und so einen Beitrag für die ökonomische und ökologische Produktion etwa von Lebensmitteln, Kosmetika und Pharmaprodukten leisten. Das Spin-off aus dem Fraunhofer IVV in Dresden wurde im Sommer 2019 mit Unterstützung des EXIST-Forschungstransfers, einem Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, von Andre Schult und Markus Windisch gegründet. Heute zählt das Unternehmen 17 Mitarbeitende.

»Viele Produktionsbetriebe haben eine Effizienz von kaum mehr als 60 Prozent, da ist noch Luft nach oben. Das liegt zum großen Teil daran, dass die Ursache der Störung an der Maschine nicht behoben wird. Der Bediener erkennt nicht, ob ein Einschieber klemmt, der Sauger verstopft ist oder ein anderer Fehler vorliegt«, sagt Andre Schult, CEO der Peerox GmbH. Das Erfahrungswissen ist zwar vorhanden, aber die Mitarbeitenden mit der gewünschten Expertise sind im Notfall oft nicht greifbar. Mit Blick auf den demographischen Wandel, den Fachkräftemangel und die stärkere Fluktuation der Mitarbeitenden ist die Abhängigkeit von menschlichem Erfahrungswissen in der Produktion zunehmend ein großes Problem, das die Peerox GmbH mit MADDOX adressieren will, indem sie das Erfahrungswissen der Beschäftigten digitalisiert.

Wissenskarten mit Störungs- und Lösungshilfen

»Oftmals weiß der Mitarbeitende gar nicht, mit welchen Begriffen er nach der Fehlerursache suchen soll. Löst beispielsweise ein zerquetschter Joghurtbecher den Maschinenstillstand aus, kann man in der Dokumentation nach Band, Becher, Riemen oder einem anderen Schlagwort suchen. Wer dann nicht schnell fündig wird, gibt in der Regel auch auf zu suchen. Daher suchen wir mit MADDOX datenbasiert und nutzen Maschinendaten wie Druckverläufe, Temperaturen, Lichtschrankensignale oder Fehlercodes«, erläutert Schult. Ein eigens entwickelter selbstlernender Suchalgorithmus analysiert die Maschinendaten mithilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens und bildet Klassen ähnlicher Datenmuster. Diese werden mit digitalen Wissenskarten verknüpft. Vergleichbar einer Wiki-Seite werden durch die Mitarbeitenden auf diesen Wissenskarten Störungs- und Lösungsbeschreibungen visuell mit Texten, Bildern und Videos dokumentiert. Geht die Maschine in Störung, analysiert der Algorithmus die Datenmuster, sucht nach ähnlichen Klassen und schlägt dem User die verknüpfte Wissenskarte über ein plattformunabhängiges Tablet vor – so das Prinzip der Assistenzlösung. Trat das Problem – etwa eine verschmutzte Düse – vor vier Wochen schon einmal auf, wird ein Lösungsweg vorgeschlagen, den der Bediener ablehnen oder bestätigen kann. In Abhängigkeit davon lernt MADDOX dazu, welche Einträge aus der Datenbank in welcher Situation hilfreich waren. Der Algorithmus wird entsprechend trainiert und lernt sehr schnell dazu. Durch eine spezielle Form der Datenvorverarbeitung und Merkmalsreduktion lernt der Algorithmus besonders schnell.

Digitaler Helfer mit psychologischem Fachwissen

»MADDOX ist im Prinzip ein digitaler Kollege, der helfend zur Seite steht«, sagt der Ingenieur. Wichtig ist die psychologische Komponente. Das linuxbasierte Wissensmanagementsystem enthält viele Features, die menschliche Triebkräfte wie Hilfsbereitschaft und Wertschätzung berücksichtigen und die dazu anregen, es gern zu benutzen. Sie motivieren zum Bestätigen, Ablehnen, Korrigieren und Erweitern der Einträge und zum Teilen des Erfahrungswissens. Die entsprechenden Features konnten durch langjährige Zusammenarbeit mit Ingenieurpsychologen der TU Dresden in das System eingebunden werden. »Das unterscheidet unsere Kommunikationsplattform auch von anderen Wissensmanagementsystemen. Wir beziehen den psychologischen Faktor ein und können so das Engagement erhöhen, die Dokumentation verbessern und Betriebskosten senken«, resümiert Schult. Inzwischen ist die Kompetenz der Ingenieurpsychologie auch Teil des Forschungsteams Digitalisierung und Assistenzsysteme am Fraunhofer IVV.

Zunächst konzentriert sich das Unternehmen mit seinem Produkt auf den Markt für Verarbeitungs- und Verpackungsmaschinen, langfristig sollen auch andere Branchen wie die Halbleiter-, Automotive- und Chemieindustrie avisiert werden. Aktuell wird MADDOX in der Pharmaverpackung der Bayer AG in Leverkusen eingesetzt.

Die Peerox GmbH war 2020 mit ihrem selbstlernenden Assistenzsystem Preisträger beim sächsischen Gründerpreis. 2021 würdigte die Jury den erfolgreichen Überführungsprozess vom Fraunhofer-Institutsteil Verarbeitungstechnik des IVV in die Peerox GmbH mit dem 3. Platz des Sächsischen Transferpreises für Prof. Jens-Peter Majschak, Institutsleiter des Fraunhofer IVV.

Externer Link: www.fraunhofer.de

technologiewerte.de – MOOCblick März 2022

Spannende Themen, herausragende Dozenten und flexible Lernmöglichkeiten tragen zum wachsenden Erfolg der Massively Open Online Courses (MOOCs) bei – offene, internetgestützte Kurse mit einer Vielzahl an Teilnehmern rund um den Globus.

Folgender Kurs – zu finden auf der MOOC-Plattform edX – sollte einen Blick wert sein:

Genetic Models for Animal Breeding
Hans Komen (Wageningen University & Research) et al.
Start: flexibel / Arbeitsaufwand: 24-36 Stunden

Externer Link: www.edx.org

Photokatalysatoren: Die besten Löcher der Welt

Presseaussendung der TU Wien vom 15.02.2022

Mit einer schwammartigen Lochstruktur auf Nanometer-Skala, die kleinen Molekülen Durchlass gewährt, konnte eine rekordverdächtige chemische Reaktivität erzielt werden.

Katalysatoren sind oft feste Materialien, deren Oberfläche in Kontakt mit Gasen oder Flüssigkeiten kommt und dadurch bestimmte chemische Reaktionen ermöglicht. Das bedeutet allerdings: Alle Atome des Katalysators, die sich nicht an der Oberfläche befinden, erfüllen keinen echten Zweck. Daher versucht man, extrem poröse Materialien herzustellen, mit einer möglichst großen Oberfläche pro Gramm Katalysatormaterial.

An der TU Wien wurde nun in Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen eine neue Methode entwickelt, um hochaktive schwammartige Strukturen mit einer Porosität auf Nanometer-Skala herzustellen. Der entscheidende Durchbruch gelang durch ein zweistufiges Verfahren: Man verwendet metallorganische Gerüstverbindungen, die bereits viele winzige Löcher enthalten, und erzeugt in diesen Materialien dann zusätzlich noch eine weitere Sorte von Löchern, die dann als Hochgeschwindigkeits-Verbindungen für Moleküle dienen. Dadurch gelang es, bisherige Aktivitäts-Rekorde bei der Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu brechen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.

Ein Netz auf Nanometer-Skala

„Metallorganische Gerüstverbindungen sind eine sehr spannende Klasse multifunktionaler Materialien“, sagt Shaghayegh Naghdi, die Erstautorin des neuen Papers. „Sie bestehen aus kleinen Metalloxid-Clustern, die durch kleine organische Moleküle miteinander verbunden sind, und somit extrem poröse Netzwerke ergeben.“ Auf den ersten Blick sieht die Verbindung aus wie ein festes Material, erst auf der Nanoskala zeigt sich die offene Struktur.

Solche metallorganischen Gerüstverbindungen (Metal-organic frameworks, MOFs) weisen mit bis zu 7000 m² pro Gramm die größte bekannte spezifische Oberfläche auf. Das macht sie zu optimalen Materialien für die Trennung und Aufbewahrung von Gasen, für die Reinigung von Wasser oder auch für den Transport von Medikamenten im Körper. Außerdem sind sie äußerst vielversprechende Kandidaten für Photo- und Elektrokatalyse – wie etwa die Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff unter dem Einfluss von Licht.

Eine neue Sorte Löcher

„Das große Problem war bisher, dass die Poren dieser Materialien einfach zu klein sind, um eine effiziente Katalyse zu ermöglichen“, sagt Prof. Dominik Eder, der an der TU Wien die Forschungsgruppe für molekulare Materialchemie leitet. „Wir sprechen hier von extrem dünnen Poren, mit einem Durchmesser von weniger als einem Nanometer. Das ist ungefähr die Größe eines kleinen Moleküls. Es dauert zu lange, bis die Moleküle durch diese Poren die aktiven Stellen des Katalysators erreichen, und das bremst den katalytischen Prozess insgesamt deutlich ab.“

Daher machte sich die Forschungsgruppe die Tatsache zunutze, dass MOFs strukturell sehr flexibel sind: Sie können aus unterschiedlichen Molekülen zusammengesetzt werden. „Wir verwendeten zwei ähnliche aber chemisch unterschiedliche organische Verbindungsmoleküle und stellten somit eine Hybrid-Struktur her“, sagt Alexey Cherevan. „Die beiden organischen Moleküle reagieren unterschiedlich empfindlich auf Hitze. Daher ist es möglich, einen der beiden Liganden selektiv zu entfernen“, erklärt Shaghayegh Naghdi. So können zusätzliche Arten von Poren mit Durchmessern von bis zu 10 Nanometern in die poröse Struktur eingebaut werden: Zu den von Anfang an vorhandenen Poren, die man sich wie Löcher in Schweizer Käse vorstellen kann, kommen nun rissartige Verbindungen hinzu, die als Schnellverbindungen für Moleküle dienen.

Sechsmal so gut wie bisher

Gemeinsam mit Teams der Universität Wien und des Technion in Israel wurde das neue Material im Detail charakterisiert. Dabei zeigte sich, dass es bisherige Katalysatoren tatsächlich bei weitem übertrifft: Die katalytische Aktivität bei der photokatalytischen Produktion von Wasserstoff, also der Wasser-Aufspaltung unter Lichteinfluss, ist sechsmal so hoch wie bei bisherigen metallorganischen Gerüstverbindungen. Somit gehört das neue Material zu den effektivsten Photokatalysatoren für Wasserstoffproduktion, die es überhaupt gibt.

Dieser Erfolg ist allerdings bloß der erste Schritt: Ideen für mögliche Anwendungen gibt es viele. Größere Poren in solchen Materialien könnten sich ideal für die Adsorption, Speicherung oder auch Umwandlung von größeren Molekülen eignen, etwa im Bereich der Medizin oder der Abwasserreinigung. In Anwendungen aus Photo- und Elektrochemie könnten sich ganz neue Möglichkeiten eröffnen: „Wenn man selektiv bestimmte Liganden entfernt, bleiben unsaturierte Metalle zurück, die dann den chemischen Reaktionsmechanismus stark beeinflussen können“, erklärt Dominik Eder. „Wir erwarten, dadurch selektivere Katalysatoren für komplexere Prozesse herstellen zu können.“

Diese Hypothese wird derzeit getestet. Unter anderem versucht man, auf diese Weise CO2 in synthetische Treibstoffe umzuwandeln. Aus der chemischen Industrie gibt es auch großes Interesse daran, durch solche Katalysatoren Prozesse, die heute mit viel Energieaufwand bei hohen Temperaturen durchgeführt werden, auf umweltfreundlichere Weise bei niedrigeren Temperaturen ablaufen zu lassen. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
S. Naghdi et al., Selective ligand removal to improve accessibility of active sites in hierarchical MOFs for heterogeneous photocatalysis, Nature Communications volume 13, 282 (2022).

Externer Link: www.tuwien.at