Einzelne Atome verankern

Presseaussendung der TU Wien vom 31.08.2021

Wie lassen sich Einzelatome für die Katalyse verwenden? Forschende aus Wien entwickeln eine neue Methode, um Einzelatome auf Trägermaterialien zu verankern.

Oft heißt es „never change a running system“. Dabei können neue Methoden den alten weit überlegen sein. Während chemische Reaktionen bislang vor allem mit größeren Materialmengen, bestehend aus mehreren hundert Atomen, beschleunigt werden, liefern Einzelatome einen neuen Ansatz für die Katalyse.

Ein internationales Forschungsteam fand nun unter Führung der TU Wien eine Möglichkeit, einzelne Atome kontrolliert und stabil auf einer Oberfläche zu verankern. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Katalyse mit Einzelatomen. Die neue Methode präsentierten die Forschenden um Bernhard C. Bayer in der Fachzeitschrift ACS Nano.

Einzelatome lösen Nanopartikel ab

Moderne Katalysatoren bestehen bereits aus Nanopartikeln und sind somit sehr klein. Betrachtete man ihre Größe jedoch auf atomarer Skala, sind sie mit mehreren hundert Atomen weit größer als Katalysatoren, die aus nur einem Einzelatom bestehen. Gelingt es, chemische Reaktionen mit weit kleineren als den bislang eingesetzten Materialmengen zu beschleunigen, eröffnet dies gänzlich neue Möglichkeiten. Denn die Katalyse mit Einzelatomen ist nicht nur nachhaltiger und energieeffizienter, sie ist auch selektiver und erzielt eine bessere Ausbeute.

Bei der neu entwickelten Methode dienen Siliziumatome als „Anker“ für metallische Einzelatome. Siliziumatome selbst kommen oft als Verunreinigung im Trägermaterial aus Kohlenstoff vor. An das Silizium werden Indiumatome gebunden, die als Katalysator fungieren können. „Die Indiumatome binden gezielt an die Silizium-Anker im Kohlenstoff-Kristallgitter“, sagt Bernhard C. Bayer vom Institut für Materialchemie an der TU Wien. „Damit verbleiben die Indium-Einzelatome stabil an ihren Plätzen und verklumpen nicht“, fährt der Leiter der Forschungsarbeiten fort. „Was die neue Technologie besonders spannend macht, ist, dass die Verankerung der Indiumatome durch die Siliziumatomen im Kohlenstoff selbstständig passiert, wenn die Reaktionsbedingungen stimmen. Dies macht den Prozess potenziell skalierbar“, ergänzt Kenan Elibol von der Universität Wien und dem Trinity College Dublin sowie Erstautor der Studie.

Das Verfahren bringt aber auch Herausforderforderungen mit sich, denen das Forschungsteam erfolgreich begegnete. Besonders das Aufbringen von Einzelatomen auf festen Trägeroberflächen gestaltet sich schwierig. Der Grund: Einzelne Atome entfernen sich schnell von ihren Plätzen und fügen sich zu größeren Partikeln zusammen. Atomar feines Indium zum Beispiel verklumpt sich normalerweise auf Kohlenstoffoberflächen schnell zu großen Nanopartikeln – die Vorteile der Einzelatom-Katalyse werden folglich aufgehoben.

Weitere Testungen folgen

Mit einem hochauflösenden Elektronenmikroskop an der Universität Wien konnte das Forschungsteam die Herstellungsmechanismen der Silizium-verankerten Indium-Einzelatome schließlich beobachten. „Wir konnten damit nachweisen, wie die Verankerung der Indiumatome davon abhängt, wie die Silizium-Anker im Kohlenstoff-Kristallgitter eingebaut sind“, sagt Toma Susi von der Universität Wien, der die Anker-Strukturen mittels modernster Computermethoden weiter entschlüsseln konnte. „Solch kontrollierte und bei Raumtemperatur stabile Verankerung von Einzelatomen auf festen Oberflächen wurde noch nicht in diesem Detail berichtet und eröffnet spannende Perspektiven für katalytische Anwendungen im Bereich Energie und Umwelt“, ergänzt Dominik Eder von der TU Wien und Experte für Katalyse.

Damit die Methode der Wiener Forschenden auch industriell eingesetzt werden kann, folgen weitere Experimente: „Die mit der neuen Methode platzierten Einzelatome sollen nun ausführlich als Katalysatoren für verschiedene chemische Reaktionen getestet werden“, so Bernhard C. Bayer.

Die beschriebene Forschung wurde unter anderem durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unter Projekt 860382-VISION und vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (756277-ATMEN) gefördert. (Sarah Link)

Originalpublikation:
K. Elibol et al., Single Indium Atoms and Few-Atom Indium Clusters Anchored onto Graphene via Silicon Heteroatoms, ACS Nano, 2021

Externer Link: www.tuwien.at

Aktivitätserkennung im Fahrzeuginnenraum

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.09.2021

Ist der Autofahrer müde oder schläft er gar? Kameras im Innenraum überprüfen dies bereits. Wichtig und vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden Innenraumkameras insbesondere beim automatisierten Fahren. Ein neues System des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB leitet aus den Bilddaten erstmals Aussagen zu den Aktivitäten des Fahrers ab und analysiert, wie schnell dieser die Steuerung übernehmen könnte.

Beim automatisierten Fahren entscheidet das Fahrzeug, was es tun muss – es lenkt, bremst und beschleunigt. Bis es jedoch so weit ist, dass Fahrzeuge gänzlich auf einen Fahrer verzichten können, werden teilautomatisierte Fahrzeuge den Wagenlenker unterstützen und ihm zunehmend mehr Freiheiten verleihen. Naturgemäß sind bei teilautomatisierten Fahrzeugen Übergaben zwischen Auto und Fahrer nötig, etwa bei einer Baustelle auf der Autobahn oder beim Übergang in den Stadtverkehr nach einer Autobahnfahrt. Das Fahrzeug muss also nicht nur intelligent werden, um den Verkehr zu interpretieren, sondern auch nach innen schauen und mit dem Fahrer in den Dialog treten. Was macht der Fahrer gerade? Wie schnell könnte er die Steuerung des Fahrzeugs übernehmen? Zwar gibt es bereits Fahrerbeobachtungssysteme, diese nutzen jedoch bisher kaum Kamerabilddaten und beschränken sich vorwiegend auf die Erkennung von Müdigkeit.

Künstliche Intelligenz erkennt, was der Fahrer tut

Dem Dialog zwischen Fahrer und Auto widmen sich die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IOSB – und füllen damit diese Lücke. »Mit unserer Technologie erkennen wir nicht nur das Gesicht, sondern vielmehr die aktuellen Posen des Fahrers und der Mitfahrer«, sagt Dr. Michael Voit, Gruppenleiter am Fraunhofer IOSB. »Aus diesen Posen wiederum können wir zuverlässig bestimmen, womit sich Fahrer und Insassen gerade beschäftigen.«

Der Kern der Entwicklung liegt in Algorithmen und Verfahren des maschinellen Lernens, also der Künstlichen Intelligenz. Die Algorithmen analysieren die Kameradaten in Echtzeit und finden heraus, ob der Fahrer telefoniert, mit den Kindern spielt oder auf das Handy des Mitfahrers schaut. Die Technologie des Fraunhofer IOSB geht damit über die reine Bilderkennung hinaus und interpretiert Aktivitäten im Kontext. Die Forscherinnen und Forscher haben das System zunächst angelernt, indem sie zahlreiche Kameraaufnahmen per Hand annotierten: Wo befinden sich Hände, Füße, Schultern der Personen, wo sind Objekte wie Smartphones, Bücher und Co. zu erkennen? Anschließend evaluierten sie die Algorithmen mit neuen Bildern und korrigierten oder verifizierten deren Ergebnisse.

Aufnahmen des Fahrers oder der Insassen abstrahiert das System zu einem digitalen Skelett – einer Art Strichmännchen, das die Körperpose der Person nachbildet. Aus der Skelettbewegung und einer ergänzenden Objekterkennung wiederum schließt es auf die Aktivität. »Die Algorithmen wissen also, ob jemand schläft oder auf die Straße blickt, wie abgelenkt die Person ist und wie lange es dauert, bis die volle Aufmerksamkeit wieder auf den Verkehr gerichtet werden kann«, erläutert Voit. Hierfür werden sowohl klassische Videokameras unterstützt als auch Infrarotkameras, die im Dunkeln sehen können, sowie 3D-Kameras, die die Entfernung der Objekte zur Kamera messen. Auch bei der Platzierung der Kameras lässt das System den Innenraumdesignern Freiheit.

Fragen rund um die Aktivitätserkennung im Fahrzeuginnenraum bearbeiten die Forscherinnen und Forscher in zahlreichen Verbundprojekten mit namhaften Autoherstellern wie Audi und Volkswagen, aber auch Zulieferern wie Bosch und Continental. Die Projekte werden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi oder das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI unterstützt. »Wir erkennen nicht nur die Aktivitäten des Fahrers, sondern aller Insassen im gesamten Fahrzeuginnenraum«, bekräftigt Voit. »Die Technologie ist bereit für die Vorserie. Wir stehen schon im ersten Kontakt mit Unternehmen, die unsere Technologie nutzen wollen.« Bindeglied der Entwicklungen ist der institutseigene Fahrsimulator, von dem Industriekunden auch im Rahmen individueller F&E-Projekte profitieren können. Dank simulierbarer Verkehrssituationen bietet er die Grundlage für das Sammeln relevanter Fahrt- und Verhaltensdaten und ermöglicht mit seiner umfangreichen Sensorausstattung Studien für alle Insassen.

Für Datenschutz ist gesorgt

Was Datenschutz- und Sicherheitsaspekte angeht, so denken die Forscherinnen und Forscher diese von Anfang an mit. »Die Kameradaten werden in Echtzeit ausgewertet, nicht gespeichert und verlassen zu keinem Zeitpunkt das Fahrzeug. Personalisierte Modelle werden dafür ebenso wenig benötigt – somit werden keine personenbezogenen Daten gesammelt«, sagt Dr. Pascal Birnstill, Senior Scientist, zu den Themen Datensicherheit, Datenschutz und Transparenz am Fraunhofer IOSB. Die Technologie respektiert also von vornherein die Privatsphäre und entspricht damit den strengen Regularien und dem hohen Datenschutzbewusstsein in der EU.

Zahlreiche Anwendungen – auch jenseits der Aktivitätserkennung

Wie wichtig Aktivitätserkennungen sind, zeigt eine Verordnung der EU: Das »Driver Monitoring« soll bei der Automatisierung des Autos verpflichtend werden. Mit der Technologie aus dem Fraunhofer IOSB können Fahrzeughersteller nicht nur diese Richtlinie erfüllen, sondern zudem zahlreiche Visionen in puncto autonomes Fahren Realität werden lassen. Ein Beispiel: Spracherkennung stößt bei der Kommunikation von Mensch und Auto schnell an ihre Grenzen. So ist der Befehl »Park dort ein« für sich genommen nicht aussagekräftig. Über die Körperposen- und Aktivitätserkennung weiß das System jedoch, auf welche Parklücke der Nutzer in dem Moment zeigt. Auch bei Sicherheitsaspekten von fahrerlosen Fahrzeugen kann das System helfen: Während derzeit die Fahrenden noch darauf achten, dass alle Mitfahrer die Sicherheitsregeln einhalten und sich beispielsweise anschnallen, wird dies künftig das fahrerlose Fahrzeug übernehmen müssen – etwa bei autonom fahrenden Taxis oder Bussen. Auch hier ist eine zuverlässige Innenraumüberwachung unverzichtbar.

Externer Link: www.fraunhofer.de

technologiewerte.de – MOOCblick September 2021

Spannende Themen, herausragende Dozenten und flexible Lernmöglichkeiten tragen zum wachsenden Erfolg der Massively Open Online Courses (MOOCs) bei – offene, internetgestützte Kurse mit einer Vielzahl an Teilnehmern rund um den Globus.

Folgender Kurs – zu finden auf der MOOC-Plattform edX – sollte einen Blick wert sein:

Digital Marketing Strategy
Ewelina Lacka (The University of Edinburgh)
Start: flexibel / Arbeitsaufwand: 32-48 Stunden

Externer Link: www.edx.org

Von Spieleentwicklern lernen: Produktentwicklung mit Extended Reality

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 26.08.2021

Forschende am KIT machen physisch-virtuelle Modelle für Ingenieure nutzbar – Neue Möglichkeiten für kontaktfreies standortübergreifendes Arbeiten

Kann mein Produkt was es können soll – und werden es die Kunden kaufen? Die Antwort auf diese Frage entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer Markteinführung. Das Problem: Vor dem Produktstart kennen wir sie nicht. Die Lösung: Statt sofort teure Prototypen von Autos, Geräten oder Maschinenkomponenten zu bauen, können Unternehmen durch virtuelle Modelle in sehr frühen Entwicklungsphasen feststellen, ob ein neues Produkt in Anmutung und Bedienung für die Kunden attraktiv ist. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickeln dafür neue Methoden und Prozesse, die praxisnah in Entwicklung und Lehre angewendet werden.

„In der Automobilindustrie gehen nicht selten zehn Prozent des gesamten Entwicklungsbudgets in die Produktion von Prototypen“, sagt Marc Etri Leiter des XR-Lab am Institut für Produktentwicklung (IPEK) des KIT. „Da können leicht viele Millionen Euro zusammenkommen.“ Diesen Aufwand wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IPEK reduzieren: mit Extended Reality (XR), also Computertechnologien, welche die physische Umgebung um virtuelle Komponenten erweitern (Augmented Reality, AR), oder diese auch gänzlich ersetzen (Virtual Reality, VR).

„XR-Technologien erleichtern es uns in allen Entwicklungsphasen – Produktprofile finden, Konzepte erstellen, präzisieren und realisieren – Produkte an Kundenwünsche und Marktanforderungen anzupassen“, erläutert Etri. „Physisch-virtuelle Prototypen können sowohl Entwicklungszeit und -kosten sparen als auch Fehlern vorbeugen, die oft erst in späteren Phasen der Entwicklung erkannt werden.“ Als Beispiel zeigt er das fotorealistische dreidimensionale Modell eines Rennrades, das sich auf einem Tablet bearbeiten lässt. „Das Design von Laufrädern, Rahmen oder Sattel kann ich mit einem Click verändern.“ Auch Feinheiten wie Farbe und Glanzgrad der Sattelstütze oder Struktur des Sitzbezuges wechseln mit wenigen Klicks auf dem Bildschirm. Die mögliche Detailschärfe des Programms zeigt Etri am Beispiel einer Armbanduhr: Sogar Fotophänomene wie Reflektion auf dem Gehäuseglas ändern sich über verschiedene Designvarianten hinweg und angepasst an die reale Raumbeleuchtung.

„Viele Ingenieurinnen und Ingenieure in der Praxis wissen gar nicht, was mit AR und VR bereits möglich ist“, konstatiert Professor Albert Albers, Leiter des IPEK. „Dabei haben es uns die Spieleentwickler längst vorgemacht“, ergänzt Etri mit Blick auf die populären bildmächtigen Blockbuster-Titel aus dem Gaming-Bereich. Oft scheitere eine zeitgemäße kundennahe Produktentwicklung noch an einem uneinheitlichen Datenmanagement in den beteiligten Abteilungen oder Partnerunternehmen und der daraus resultierenden mangelnden Durchgängigkeit, sagt Albers. „Wir können nicht mit Methoden des 20. Jahrhunderts die Lösungen des 21. Jahrhunderts entwickeln.“ Von den neuen Technologien und Methoden könne das Ingenieurwesen deutlich profitieren – natürlich auch in der aktuellen Pandemiesituation: „Denn sie machen auch ein kontaktfreies standortübergreifendes Arbeiten möglich“, so Albers weiter.

Das Extended Reality Lab in der Lehre am KIT

Deswegen kommt das XR-Lab neben Forschungsprojekten in der Grundlagenforschung und mit Unternehmen auch in der Lehre zum Einsatz: „Wir haben im vergangenen Wintersemester erstmals Virtual Reality-Aufgaben in die Maschinenkonstruktionslehre integriert“, sagt Etri. „Rund 400 Erstsemester aus den Bereichen Maschinenbau, Bio- und Chemieingenieurwesen sowie Mechatronik konnten so schon früh im Studium die Potenziale der XR-Technologien in der Produktentwicklung einschätzen lernen.“ Als digitale Natives falle den Studierenden der Umgang mit diesen Technologien leicht, glaubt Etri. „Das kann sich im künftigen Berufsleben massiv auf die Wahl ihrer präferierten Ingenieurtools auswirken.“

Im XR-Lab wird die VR-Software Cross Connected des Karlsruher Start-ups R3DT, einer Ausgründung aus dem KIT, eingesetzt. (mex)

Externer Link: www.kit.edu